Im Beitrag „Zukunft der Notfallmedizin 2.0“ nehmen die Autoren 15 Jahre nach der ersten Auflage [1] eine erneute Bestandsaufnahme vor und wagen einen umfassenden Ausblick in die Zukunft der Notfallmedizin in Deutschland. Hierbei wird der Bogen in der präklinischen Notfallmedizin von ihrer Organisation und Struktur, dem veränderten Einsatzspektrum und den Entwicklungen beim eingesetzten Personal bis hin zu den notfallmedizinischen Aspekten des Terrors und den Innovationen der letzten Jahre gespannt. Einen deutlich größeren Raum nimmt inzwischen die Notfallmedizin in der Klinik ein. Die Autoren gehen auf die Organisationsstruktur der zentralen Notaufnahmen, die Rolle der Ersteinschätzung, die Qualifikation des eingesetzten Personals sowie die Bedeutung von Kennzahlen und Qualitätsmanagement ein.

Wie die Autoren feststellen, sind die prähospitalen Strukturen und die Organisation der Prozesse nach wie vor von der föderalen Vielfalt geprägt. Ein Wirksamkeitsnachweis – die Ergebnisqualität – fehlt v. a. auch wegen unzureichender flächendeckender Datenerfassung und Auswertung.

Es wird gefordert, dass die Anforderungen an die Aus- und Fortbildung der präklinisch tätigen Ärzte angesichts der hohen Anforderungen bei der Versorgung kritisch Kranker oder Verletzter höher angesiedelt werden müssen. Unsere Einschätzung nach sind die Bestrebungen, die Qualifikationsanforderungen unter dem Eindruck eines Notärztemangels zurückzuschrauben, kontraproduktiv. Beim nichtärztlichen Personal stellt die Umsetzung des Notfallsanitätergesetzes (NotSanG) als Vorgabe des Bundesgesetzgebers in den Rettungsdienstgesetzen der Länder eine besondere Herausforderung dar, die in den Ländern unterschiedlich ausgelegt wird. Dies betrifft v. a. Art und Umfang der vom Notfallsanitäter durchgeführten heilkundlichen Maßnahmen am Patienten. Das NotSanG differenziert als Ausbildungsziel u. a. zwischen lebensrettenden Maßnahmen bis zum Eintreffen des Notarztes (nach der Nummer im Gesetzestext salopp meist nur noch „1c“ genannt) und vom Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) vorgegebenen Maßnahmen ohne Notarzt (§ 4 Abs. 2 Nr. 2c). Generell stellen die Rekrutierung und die Bindung von Personal in der Notfallmedizin eine zentrale Herausforderung dar. Die Entwicklung einer Arbeitgebermarke („employer branding“) wird für Kliniken und Rettungsdienstorganisationen ein wichtiger Schritt werden, um im Wettbewerb um die „besten Köpfe“ bestehen zu können.

  • An dieser Stelle soll der Blick in die Zukunft noch um die Forderung nach einem Berufsbild „Disponent“ in der Rettungsleitstelle ergänzt werden.

Die Aufgaben in den modernen Leitstellen entfernen sich zunehmend vom reinen „call taker“ und erfordern eine Spezialisierung, die nicht mehr durch die bislang übliche kombinierte rettungsdienstliche und feuerwehrtechnische Ausbildung erzielt werden kann.

Notfallambulanzen: Feuerwehr des Gesundheitssystems?

Im vorliegenden Artikel wird darauf hingewiesen, dass sowohl in der präklinischen Notfallmedizin als auch in den Notaufnahmen der Kliniken, enorme Steigerungen der Einsatz- und Patientenzahlen zu verzeichnen sind. Diese Steigerungsraten sind nur etwa zu einem Viertel durch die demografischen Veränderungen erklärbar. Über die verschiedenen Faktoren dieser gesteigerten Inanspruchnahme gibt es allerdings nur wenige belastbare Informationen. Es stellt sich die Frage, ob eine Steuerung der Patienten durch Aufklärung, wie oft gefordert, eine realistische Möglichkeit ist, oder ob die sektorale Trennung von ambulanter und stationärer Notfallversorgung ein grundsätzlicher, für Patienten nicht nachvollziehbarer „Webfehler“ des Systems ist. Die Einrichtung von Notfall- oder Bereitschaftspraxen an den Kliniken wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss explizit gefordert; die effektive Umsetzung vor Ort ist jedoch von vielen Hürden und Limitationen (Sichtung, Abrechnung, gemeinsames QM, Öffnungszeiten etc.) geprägt. Letztlich ist es ein Verteilungskampf um limitierte Ressourcen, der einer echten Verzahnung der Systeme entgegensteht.

Die Autoren streichen heraus, dass terroristisch motivierte Anschläge bzw. Amoklagen das notfallmedizinische System in Deutschland vor neue Herausforderungen stellen. Es wurden in einzelnen Bundesländern bereits wichtige Anpassungen der medizinischen Ausstattung und der Einsatztaktik getroffen und rasch umgesetzt (z. B. REBEL, BayStMI). Teilweise hat sich aber auch gezeigt, wie die ausgeprägte Subspezialisierung einzelner Fachgebiete eine Behandlung beispielsweise von Patienten mit Schuss- oder Explosionsverletzungen kaum mehr aus einer „Hand“ möglich macht. Hier sind längerfristige Anpassungen in den Weiter- und Fortbildungscurricula („damage control surgery/resuscitation“) nötig, um eine flächendeckende Versorgung sicherstellen zu können.

Herausforderungen durch neue Bedrohungslagen

In diesem Zusammenhang sind uns aber auch die Vulnerabilität unserer Kliniken als kritische Infrastruktur sowie die meist unzureichende Vorbereitung auf erweiterte Bedrohungsszenarien (CBRN) vor Augen geführt worden. Notfallmediziner werden hier in der Vorbereitung und im Einsatz als Krisenmanager in den Klinikeinsatzleitungen eine wichtige Rolle spielen.

Das landesweite Erfassen und Auswerten von notfallmedizinischen Daten ist nach wie vor nicht die Regel. Die sog. Tracer-Diagnosen repräsentieren meist weniger als 10 % der Rettungsdiensteinsätze. Darin sind so wesentliche und im Rettungsdienst häufige Diagnosen wie z. B. die COPD nicht enthalten, weshalb eine erweiterte Erfassung der Einsätze unbedingt notwendig erscheint. Die Autoren nennen hier spezifische Register wie das Reanimationsregister – ein sektorenübergreifendes Notfallregister steht jedoch in weiter Ferne.

In Bayern ist die digitale Erfassung der nichtärztlichen medizinischen Daten ausgerollt und wird absehbar für Auswertungen zur Verfügung stehen. Die elektronische notärztliche Dokumentation wird hoffentlich bald folgen. Das Thema Patientensicherheit wird durch die Einführung eines rettungsdienstlichen CIRS weiter gestärkt. Blickt man weiter in die Zukunft, könnte man sich vorstellen, das nicht nur im Bereich des Rettungsdienstes eine Analyse und Nachsteuerung der Ressourcen Sinn machen, sondern auch die Notfallversorgungskapazitäten bei den Kliniken geplant und festgelegt werden müssen.

Zusammenfassend muss es in der Zukunft der Ansporn sein, das primäre Ziel der Patientensicherheit mit den sektorenübergreifenden Vorgaben der Wirtschaftlichkeit in Einklang zu bringen und die Notfallmedizin ihrem Stellenwert entsprechend zu positionieren.

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S. Prückner