Die Versorgung von kleinen Kindern ist für viele Anästhesisten oft mit erheblicher Anspannung verbunden: Einfache handwerkliche Grundlagen unseres Faches wie die endotracheale Intubation oder das Legen eines Venenzugangs scheinen plötzlich schwierig oder gelingen nicht. Darüber hinaus fehlen oft die Vertrautheit und Erfahrung mit Kindern, um den Zustand des kleinen Patienten richtig einzuschätzen, und auch für in Kinderanästhesie erfahrene Anästhesisten bestehen oft Unsicherheiten darüber, was sichere und damit akzeptable Messwerte für die betreffende Patientengruppe sind [1]. All das trägt neben den physiologischen Besonderheiten dazu bei, dass Komplikationen bei kleinen Kindern viel häufiger sind. Es wird sogar vermutet, dass anästhesiebedingte Todesfälle bei Kindern rund 10-mal häufiger sein könnten als bei Erwachsenen [2]; eine erschreckende Tatsache, da es sich oft um völlig gesunde Kinder mit noch weitem Lebenshorizont handelt.

Ursachen von Komplikationen bei Kindernarkosen

Bei der Suche nach den Ursachen sind 3 Problemkreise erkennbar, die z. T. einen gezielten Ansatz zur Prävention von Komplikationen ermöglichen:

  • mangelnde Erfahrung,

  • nichtoptimales Material und

  • hoher Zeitdruck.

Mangelnde Erfahrung

Kinder sind für die meisten Anästhesisten seltene Patienten, und alle Institutionen haben Probleme damit, genügende Fallzahlen zu erreichen, um Anästhesisten adäquat in Kinderanästhesie auszubilden. Darüber hinaus braucht es, ähnlich wie im Spitzensport, die ständige Praxis mit genügender Fallzahl, um einmal erworbene Fähigkeiten zu erhalten. Erfahrene Kinderanästhesisten sind seltener mit Komplikationen konfrontiert als Kollegen, die in Ausbildung sind oder nur gelegentlich Kinder betreuen. Eine ideale Lösung für das Problem der „mangelnden Erfahrung“ gibt es nicht: Eine Zentralisierung der kleinen Kinder auf Zentren, die Verantwortlichkeit von speziellen „Kinderteams“ in den Kliniken sowie v. a. die optimierte Ausbildung mit Eins-zu-eins-Supervision und Einbezug der Simulation sind mögliche Lösungsansätze.

Nichtoptimales Material

Während sich die Mehrzahl der Erwachsenen mit Tubus (z. B. Gr. 7,0) und Spatel einer einzigen Größe problemlos intubieren lässt und somit die Wahl des Materials den Anästhesisten kaum je vor ein Problem stellt, ist das bei Kindern völlig anders: Rund 14 verschiedene Tubusgrößen stehen zur Auswahl, dazu noch geblockte und ungeblockte Modelle, und nur eine Tubusgröße ist jeweils richtig. Das Gleiche gilt für den Spatel des Laryngoskops; der Miller-Spatel der Gr. 0 z. B. ist nur für Kinder mit einem Körpergewicht unter 2000 g ideal; bei schwereren Neugeborenen ist die Intubation mit der Gr. 1 viel leichter. Ähnliches gilt für Masken, Venenkanülen, Katheter oder Magensonden. Die Verwendung von suboptimalem Material ist oft am Misserfolg beteiligt und wäre an sich durch die institutionelle Bereitstellung und v. a. sorgfältige Beachtung von Tabellen und Standards vermeidbar.

Hoher Zeitdruck

Je kleiner Kinder sind, desto aktiver ist ihr Metabolismus. Der Sauerstoffverbrauch (in ml/kgKG/min) ist sehr groß und die Apnoetoleranz entsprechend gering. So beginnt die Sättigung beim einmonatigen Säugling ohne Präoxygenierung nach 6,6 s rasant unter 90% abzusinken [3]. An diesen physiologischen Tatsachen ist nicht zu rütteln. Wir können aber ihre Auswirkungen gering halten durch eine vorausschauende Atemwegssicherung, d. h. eine Intervention, bevor die Sättigung fällt, durch die Verwendung optimierter Vorgehensweisen, d. h. Verzicht auf die Apnoe bei der „rapid sequence induction“ (RSI, [4]), und die Bereithaltung von Algorithmen, z. B. beim unerwartet schwierigen Atemweg, die im Notfall ohne Zeitverzögerung reflexartig abgearbeitet werden können.

Strategie für ein sicheres Vorgehen

Neue Erkenntnisse und Materialien haben das Vorgehen einfacher und gewisse Komplikationen seltener gemacht: z. B. die Erleichterung der Materialwahl bei Verwendung geblockter Tuben oder die Vermeidung von iatrogenen Hyponatriämien durch die Infusion von Vollelektrolytlösungen mit 1% Glucose. Im Wesentlichen sind aber für die risikoarme Durchführung einer Kindernarkose, ähnlich wie bei der Besteigung eines Berggipfels, 3 Dinge wichtig:

  • Können,

  • Voraussicht und

  • Notfallpläne.

Können

Der Anästhesist muss die Kompetenz haben, d. h. das Wissen, die Fertigkeiten und die adäquaten Verhaltensweisen, diese Kindernarkose sicher durchzuführen. Viele Probleme treten auf, „weil es der verantwortliche Anästhesist einfach nicht kann“, d. h., er übernimmt die Verantwortung für einen Fall, dem er letztlich nicht gewachsen ist. Genau gleich muss auch die Institution die Voraussetzung erfüllen, ein Kind der entsprechenden Altersklasse sicher zu versorgen.

Voraussicht

Der erfahrene Kollege wird immer versuchen, ungünstige äußere Umstände zu vermeiden und mögliche Schwierigkeiten im Voraus zu erahnen. Besonders die heiklen Phasen der Narkoseein- und Narkoseausleitung müssen perfekt geplant sein: Die notwendige Fachkompetenz muss vor Ort sein. Arbeitsplatz, Zeitpunkt und Ort sind zu optimieren. Die Atembewegungen eines Säuglings z. B. sollen sichtbar und der Kopf korrekt gelagert sein. Auch mögliche intraoperative Probleme sind zu antizipieren; es wird z. B. bei einem instabilen Säugling nur schwer gelingen, unter der chirurgischen Abdeckung dann später noch eine arterielle Blutdruckmessung oder gar einen zentralvenösen Venenzugang anzulegen.

Notfallpläne

Für alle erdenklichen drohenden Schwierigkeiten muss eine Rückfallebene in Sicht sein, z. B. die Möglichkeit einer i.o.-Infusion beim Verlust des Venenzugangs oder die Larynxmaske als Notfallatemweg in Bauchlage. Die Vorgehensweisen z. B. bei einem unerwartet schwierigen Atemweg oder einer anaphylaktischen Reaktion müssen bekannt sein.

Ausblick

Das Aufzeigen der Risiken bei Kindernarkosen und die Erkenntnis, dass v. a. kleine Kinder perioperativ Komplikationen erleiden, die möglicherweise z. T. vermeidbar wären, ist die Voraussetzung dafür, Strategien zur Vermeidung zu erarbeiten. Beides wird in der Übersichtsarbeit „Komplikationen in der Kinderanästhesie“ in dieser Ausgabe der Zeitschrift Der Anaesthesist getan [5]. Das Ziel ist klar: eine hohe Qualität durch individuelle und institutionelle Kompetenz; der Weg dahin ist Gegenstand der aktuellen fach- und gesundheitspolitischen Diskussion.

Die heute geführten Diskussionen über die Neurotoxizität von Anästhetika sind akademisch fraglos wichtig und finden in der Öffentlichkeit Beachtung. Sie lenken aber von den echten, aktuellen bestehenden Problemen ab, denn zu viel können wir in unserem klinischen Alltag noch verbessern [6], damit alle Kinder eine komplikationsarme Versorgung von höchster Qualität erfahren.

M. Jöhr