„Was das Fangnetz für den Hochseilartisten, das ist die intraossäre Infusion für den Anästhesisten“.

Ein peripherer Venenzugang gehört zum Standard bei jeder Anästhesie; das wird kaum bestritten und stellt den Anästhesisten beim Erwachsenen auch nicht vor große Probleme. Beim Kind hingegen erfordern die feinen Gefäße, das subkutane Fettpolster und vor allem die fehlende Kooperation große Übung und Erfahrung, damit die Venenpunktion zuverlässig gelingt. Und selbst dem Erfahrenen gelingt es gelegentlich nicht, einen peripheren Venenzugang in nützlicher Frist zu etablieren. Es stellt sich somit die Frage, wie in solchen Situationen vorzugehen ist.

Nüchternes gesundes Kind

In der Regel wird man sich für eine inhalative Einleitung entscheiden, den Luftweg z. B. mit einer Larynxmaske sichern, um dann in Ruhe unter optimalen Bedingungen eine Vene zu punktieren. Wenn die Punktion erneut misslingt und vor allem wenn ein Zugang auch postoperativ erforderlich ist, wird ein zentraler Venenzugang angestrebt. Breschan et al. [1] legen in dieser Ausgabe dar, wie dies virtuos mithilfe der Ultrasonographie auch bei ganz kleinen Kindern gelingen kann.

In Einzelfällen kann der Erfahrene auch ganz auf den Venenzugang verzichten, da es nicht im besten Interesse des Kindes sein kann, wegen eines kurzen wenig invasiven Eingriffs multiple frustrane Punktionsversuche zu erleiden. Die Anästhesie wird inhalativ geführt; Opioide können bei Bedarf auch nasal [2, 6] und Muskelrelaxanzien ausnahmsweise auch intramuskulär [4] verabreicht werden. In seltenen Fällen wird dieser Weg sogar bewusst gewählt, wenn Kinder über viele Wochen wiederholt Narkosen brauchen, um die wenigen verbleibenden Venen zu schonen sowie für spätere und dann größere Eingriffe aufzusparen.

Wenn ohne Venenzugang gearbeitet wird – eigentlich aber immer, denn ein liegender Zugang kann auch unerwartet verloren gehen – braucht es einen klaren Plan, wie vorzugehen ist, wenn plötzlich eine Volumen- oder Pharmakotherapie erforderlich wird: Das ist die intraossäre Infusion. Einfache, klare Algorithmen helfen, im Notfall richtig zu reagieren, und Checklisten sorgen dafür, dass das notwendige Material auch vorhanden ist [3]. Auch beim schweren Laryngospasmus ist die intraossäre Relaxanziengabe heute das Vorgehen der Wahl und der intramuskulären Gabe überlegen [5]. Was das Fangnetz für den Hochseilartisten, das ist die intraossäre Infusion für den Anästhesisten.

Gefährdetes krankes Kind

Beim nichtnüchternen, kritisch kranken Kind ist die inhalative Einleitung kaum je eine Option. Nach rektaler oder selten intramuskulärer Prämedikation, z. B. mit Ketamin, wird zwar dem Erfahrenen die Punktion einer peripheren Vene fast immer gelingen. Wenn sie aber nicht gelingt, dann bleiben die intraossäre Infusion oder die Punktion einer tiefen Körpervene. Letztere ist vor allem beim sich bewegenden Säugling oder Kleinkind nicht nur schwierig, sondern auch gefährlich. Sie gehört zu den risikoreichsten Maßnahmen in der Anästhesie überhaupt. Daran ändert auch die Verfügbarkeit der Ultraschalltechnik nur wenig. Viele Kinderanästhesisten haben im Laufe ihres Berufslebens aus ihrem Umfeld schon von schwerwiegenden oder gar letalen Komplikationen im Zusammenhang mit zentralen Venenkathetern gehört. Im Gegensatz dazu erscheint die intraossäre Infusion vergleichsweise einfach, schwerwiegende Nebenwirkungen sind unwahrscheinlich, und die zwar denkbaren infektiösen Komplikationen sollten bei sterilem Arbeiten und kurzer Liegedauer sehr selten sein. Zudem hat die Einführung des intraossären Bohrers die technische Anwendung erheblich vereinfacht. Somit dürfte bei kritischer Risikoabwägung und kurzer Liegedauer von maximal 2 h die Entscheidung zugunsten der intraossären Infusion ausfallen.

Weiss et al. [7] stellen in dieser Ausgabe die Technik der intraossären Infusion umfassend dar und zeigen vor allem anhand von Fallbeispielen auf, welchen Stellenwert sie nicht nur präklinisch, sondern auch im OP haben kann.

Es besteht kein Zweifel: Das Material für die intraossäre Infusion gehört an jeden Arbeitsplatz, an dem man Kinder betreut. Eine Problematik bleibt: Man kann nur jene Dinge zuverlässig gut, die man schon einmal gemacht hat. Das gilt auch für die intraossäre Infusion, d. h. es braucht Erfahrung mit Kindern.

Martin Jöhr