Das Ziel dieser Übersichtsarbeit ist die Darstellung der gegenwärtigen Situation des Fachgebietes Anästhesie und dessen Teilgebiete Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Außerdem sollen persönliche und/oder institutionelle Initiativen stimuliert werden, die zur Entwicklung der Anästhesie und der allgemeinen Gesundheitsversorgung in den Ländern abseits der westlichen Welt beitragen können.

Auf den folgenden Seiten werden wiederholt die Begriffe „materiell sich entwickelnde Länder“ (MEL), „Schwellenländer“ (SL) sowie „Sub-Sahara-Afrika“ verwendet. Ein MEL ist nach allgemeinem Verständnis ein Land, das hinsichtlich seiner wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklung einen vergleichsweise niedrigen Stand aufweist. Dabei handelt es sich um einen Sammelbegriff für Länder, die nach allgemeinem Sprachgebrauch als „arm“ gelten. Schwellenländer sind Staaten, die traditionell noch zu den MEL gezählt werden, aber aufgrund wirtschaftlicher und sozialökonomischer Entwicklungen nicht mehr deren typische Merkmale aufweisen.

Die Termini MEL und SL werden in Anlehnung an den „Human Development Report“ des „United Nations Development Programme“ des Jahres 2004 verwendet [113]. Anders als der Ländervergleich der Weltbank, berücksichtigt der Human Development Report mithilfe des „Human Development Index“ nicht nur das Bruttoinlandsprodukt/Einwohner, sondern ebenso die Lebenserwartung und den Bildungsrad bzw. die Alphabetisierungsrate der Bewohner. Während MEL den Ländern des Human Development Report mit „low human development“ gleichgesetzt werden, repräsentieren SL die Länder, die eine „medium human development“ aufweisen. Der Begriff Sub-Sahara-Afrika wurde von der „United Nations Statistic Division“ abgeleitet und umfasst alle Staaten Afrikas südlich der Sahara; auch der Sudan wird zu Sub-Sahara-Afrika gezählt [114]. Aus medizinischer Sicht muss jedoch die Republik Südafrika uneingeschränkt aus dieser Definition ausgeschlossen werden, da Südafrika in vielen Bereichen der Medizin moderne Standards aufweist.

Im Nachfolgenden wird zur weiteren Veranschaulichung vermehrt auf die Situation der Anästhesie in der demokratischen Republik Kongo (DRK), als Beispiel eines MEL, und der Mongolei, als Repräsentant eines SL, eingegangen.

Situation

Als Spiegelbild der weitverbreiteten Armut, des niedrigen Bildungsniveaus, der hohen Arbeitslosigkeit, fortwährender militärischer Konflikte, unilateraler Verteilung materieller und finanzieller Ressourcen sowie Mängel in den wirtschaftlichen, sozialen, politischen, infrastrukturellen und ländlichen Sektoren ist die Gesundheitsversorgung in den MEL und vielen SL insuffizient [9]. Charakteristische Folgen dieser allzu oft prekären sozialen und politischen Situation sind eine niedrige Lebenserwartung (z. B. Sierra Leone: Männer 27,2 Jahre, Frauen 29,9 Jahre) sowie eine hohe Kinder- (z. B. Sierra Leone: 31,6% bis zum Alter von 5 Jahren) [9] und Muttersterblichkeit (z. B. Sierra Leone: 2,000/100,000 Lebendgeburten) [122]. Angesichts der Häufigkeit von Krankheit und der damit verbundenen finanziellen und sozialen/emotionalen Belastungen der Menschen in den MEL und SL bedürfen zahllose Patienten auch einer chirurgischen und damit anästhesiologischen Behandlung.

Während die Anästhesie in den letzten Jahrezehnten in den westlichen Nationen zu einem großen Fachgebiet mit mehreren Subdisziplinen herangewachsen ist, so beschränkt sie sich in den MEL und SL zumeist noch auf ihr Kerngebiet, die perioperative Betreuung chirurgischer Patienten. Dennoch haben die Subdisziplinen Intensiv- und Notfallmedizin sowie die Schmerztherapie in vielen Regionen bereits Fuß fassen können.

Organisationsstrukturen der Gesundheitssysteme

Die Definition und weltweite Einteilung der Nationen in MEL und SL erfolgt in Anlehnung an wirtschaftliche, politische und soziale Strukturen [113]. Eine mangelnde Finanzierung der nationalen und regionalen Gesundheitssysteme ist damit für jedes MEL und viele SL typisch [9]. Sozialversicherungen sowohl staatlicher als auch privater Natur können die inadäquate Unterstützung des Gesundheitssystems seitens der Regierungen nur in einzelnen Fällen kompensieren. Allzu oft resultieren daraus unzureichend ausgestattete Krankenanstalten, wenig flächendeckende Gesundheitsprogramme sowie eine nur eingeschränkte Zugänglichkeit des öffentlichen Gesundheitssystems [66].

Somit muss in sehr vielen MEL und SL ein Großteil der Kosten für die medizinische Versorgung von den Patienten und deren Angehörigen getragen werden. Gerade im Fachbereich der Anästhesie ergeben sich hierbei prekäre Situationen. So können perioperative Medikationen z. B. oft nur im Ausmaß der finanziellen Kapazität des Patienten eingebracht werden. Andere Krankenhäuser bieten Operationen im „Gesamtpaket“ an, die auch ein Grundkontingent an anästhesiologischer Versorgung vorsieht. Bei jedem weiteren Bedarf an Medikamenten und Verbrauchsmaterialien müssen die Kosten jedoch durch den Patienten oder dessen Angehörigen gedeckt werden. Trotz durchschnittlicher Kosten von 3,96 USD/Anästhesie (errechnet für ein Universitätsklinikum in Malawi im Jahr 1994 [29] bei einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 160 USD/Kopf und Jahr), entstehen immer wieder finanziell bedingte Probleme in der perioperativen Patientenbetreuung.

Allein in Indien wurden im Jahr 1999 noch 78% der auf einer indischen Aufwach- und Intensivstation anfallenden Gesundheitskosten von den Patienten und deren Angehörigen getragen [91]. Gerade in der Intensivmedizin steht das Behandlungsteam häufig vor dem Dilemma, dass ein schwer kranker Patient hohe Kosten verursacht, dieser aber gleichzeitig auch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit hat zu versterben. Die Familien verlieren dabei nicht nur einen Angehörigen, sondern auch hohe Geldsummen. Insbesondere beim Tod von familienerhaltenden Personen (z. B. in Afrika der Älteste von Großfamilien) entstehen schwierige finanzielle Situationen, die auch die Therapie maßgeblich beeinflussen. Ähnliche Probleme bestehen im Bereich der Notfallmedizin und insbesondere der Schmerztherapie [65, 80].

In der DRK werden viele Krankenhäuser, die nur inadäquat von nationalen oder regionalen Regierungen unterstützt werden, von karitativen, „non-governmental“ oder privaten Organisationen mitfinanziert. Hierbei spielen insbesondere religiöse Hilfsorganisationen eine wichtige Rolle. Private Krankenanstalten finden sich nur selten in der DRK und bieten meist eine ambulante bzw. fachspezifische Versorgung für finanziell Begünstigte an [41]. Das Fachgebiet Anästhesie spielt in diesen Bereichen meist noch eine sehr kleine Rolle.

In der Mongolei werden infolge des bis vor 15 Jahren bestehenden kommunistischen Systems fast alle Krankenhäuser von staatlicher Seite finanziert. Aufgrund schwieriger politischer Verhältnisse kann somit nur ein kleiner Teil der anfallenden Kosten durch das staatliche Budget oder Sozialversicherungen gedeckt werden. Insbesondere in der Intensivmedizin und Schmerztherapie müssen die Patienten Teile der anfallenden Kosten selbst begleichen. Im Gegensatz zu den meisten MEL finden sich in der Mongolei zahlreiche private Krankenanstalten, die auch komplexe chirurgische Interventionen und damit eine moderne anästhesiologische Versorgung anbieten. Diese Medizin, die in vielen Fällen westlichen Standards entspricht [90], ist aber ebenso nur einer sehr kleinen Bevölkerungsschicht zugänglich.

Zusätzlich zu diesen direkten finanziellen Problemen ist die Anästhesie in den MEL und SL oft mit indirekten Folgen einer inadäquaten Gesundheitsversorgung konfrontiert. So könnten bis zu 80% der schweren und damit intensivpflichtigen kindlichen Erkrankungen durch adäquate Impfprogramme verhindert werden [21]. Eine inexistente pränatale Betreuung führt in vielen Fällen zu schwerwiegenden peripartalen Komplikationen der Mutter und des Neugeborenen [4]. Außerdem ist der Anästhesist mit akuten Komplikationen von Patienten mit chronischen Erkrankungen, die nicht oder nur mangelhaft medikamentös behandelt werden, konfrontiert. Eine wenig suffiziente Behandlung der chronisch arteriellen Hypertonie lässt z. B. in China die Inzidenz der zerebrovaskulären Ereignisse sogar die der akuten Koronarsyndrome übersteigen [97].

Personal

Ärztliches Personal

In vielen MEL wird das Fachgebiet der Anästhesie durch nichtärztliches Personal gedeckt [72]. Nach dem Motto „Why waste a doctor for anesthesia?“ sind die meisten Anästhesisten variabel ausgebildete Pflegepersonen bzw. „medical officers“ [42, 43]. Im Zeitraum von 1977–1992 wurden z. B. 94,4% der geburtshilflichen Anästhesien in Gambia von „nurse anesthetists“ durchgeführt [103]. Bei kleineren chirurgischen Eingriffen (Zirkumzision, Abrasio etc.), die in Lokalanästhesie durchgeführt werden, ist kein Anästhesist anwesend. In diesen Fällen erfolgt die Durchführung der Anästhesie durch den Operateur selbst [70]. In der DRK umfasst die Ausbildung zum „anesthesia technician“ eine 5-jährige praktische Tätigkeit, die nach einer abgeschlossenen Pflegeausbildung und 2 Jahren Berufserfahrung angetreten werden kann. In Uganda hingegen werden „medical officers“ bereits nach 3-jähriger medizinischer Grundausbildung in Kampala in ein 18-monatiges Anästhesieausbildungsprogramm aufgenommen. Nach Absolvierung dieses Programms verlassen viele der Anästhesisten wieder die Hauptstadt und arbeiten zumeist isoliert in abgelegenen ländlichen Krankenhäusern; hier bestehen weder Fortbildungs- noch Erfahrungsaustauschmöglichkeiten mit anderen Anästhesisten [44]. Hodges u. Hodges betrachten dies als wesentlichen Grund dafür, dass die meisten Anästhesisten in Uganda nur wenig Erfahrung mit größeren chirurgischen Eingriffen oder Patienten in extremen geriatrischen und pädiatrischen Altersbereichen aufweisen [44].

Im Jahr 2002 waren in der gesamten DRK lediglich 3 Ärzte als Anästhesisten registriert. Sanou et al. berichten über 122 Ärzte, die in den 13 französisch sprechenden Staaten Sub-Sahara-Afrikas (97,5 Mio. Menschen) im Jahr 1998 als Anästhesisten tätig waren [98]. Obwohl diese Zahl seit 1980 um das 11Fache gestiegen ist, können vielerorts nur 10–15% der notwendigen Eingriffe aufgrund eines Mangels an anästhesiologisch ausgebildetem Personal durchgeführt werden [37]. Faponle beschrieb, dass bei einer Umfrage an 67 nigerianischen Medizinstudenten zwar 80% der Befragten Anästhesie als interessantes Fachgebiet betrachteten, aber kein einziger dieses als späteres Ausbildungsziel wählen würde [26]. Am Ende der Facharztausbildung traf auf 49 Chirurgen nur ein Anästhesist [102]. Entsprechend dem niedrigen universitären und postuniversitären Stellenwert der Anästhesie zeigte auch eine Umfrage von Khan et al. aus Pakistan, dass 55% der Patienten in einem städtischen Krankenhaus zwar wussten, dass Anästhesisten medizinisch qualifiziertes Personal waren, aber dass lediglich 20% bzw. 27% über deren Rolle in der intra- und postoperativen Phase Bescheid wussten [58].

In vielen SL hingegen, so auch in der Mongolei, bestehen bereits eigene anästhesiologische Facharztdiplome. Die Ausbildung zum Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin umfasst in der Mongolei eine 2-jährige Ausbildung, die entsprechende Rotationen durch alle chirurgischen Fächer vorsieht. Eine Facharztausbildung ist jedoch derzeit nur in den 3 größten Städten des Landes möglich. Während die Ausbildung zum Facharzt für innere Medizin in der Mongolei ebenso 2 Jahre beträgt, erlangen z. B. Chirurgen bzw. Radiologen bereits nach einem Jahr bzw. 6 Monaten die nationale Facharztreife.

Ein wichtiges Qualitätsproblem in MEL, aber auch SL, stellt das Phänomen des „brain drains“ dar. Hochqualifizierte, häufig sogar in westlichen Ländern ausgebildete Ärzte verlassen aufgrund der schwierigen medizinischen und finanziellen Situation die öffentlichen Krankenhäuser und arbeiten zu deutlich besseren Konditionen in privaten Krankenanstalten oder im Ausland. Damit wird vielerorts die Entstehung spezialisierter Zentren und Schwerpunktkrankenhäuser erschwert.

Pflegepersonal

Während in der DRK sowie in den meisten Sub-Sahara-Staaten keine zusätzlichen Pflegepersonen für die Anästhesie vorgesehen sind, besteht ein Anästhesieteam in der Mongolei und anderen SL zumeist auch aus einer Pflegekraft.

Die Intensivmedizin hingegen wird in vielen MEL fast ausschließlich von Pflegepersonen getragen. Aufgrund der nur sporadischen Anwesenheit von Ärzten oder Anästhesisten auf der Intensivstation muss das Pflegepersonal allzu oft auch Tätigkeiten vollziehen, die nicht in seinem Aufgabenbereich liegen [91]. In der DRK sind wiederum nur ein Teil der als Pflegepersonal tätigen Personen staatlich ausgebildet. Viele sind angelernte Pflegehelfer oder im Krankenhaus eingeschulte „nurse assistants“ [69]. Während in westlichen Intensivstationen der „Therapeutic Intervention Severity Score“ (TISS) pro Pflegekraft 21–40 Punkte betrug [57], berichten Parikh u. Dilip über einen durchschnittlichen TISS von 64,4 Punkten/Pflegekraft in einer indischen Intensivstation [91]. Angesichts dieser personellen Unterbesetzung werden viele pflegerische Tätigkeiten auf den Intensivstationen von Angehörigen übernommen.

Nutzen-Risiko-Profil

Obwohl die Löhne des medizinischen, insbesondere des ärztlichen Personals in vielen MEL und SL über dem durchschnittlichen Einkommen der Bevölkerung liegen, reichen diese oft nicht aus, um den Lebensunterhalt einer Familie zu bestreiten. Überdies sind z. B. in der DRK die Löhne des anästhesiologischen Personals deutlich niedriger als die der Kollegen anderer Fachgebiete, wie z. B. der Chirurgie oder Gynäkologie. Gerade in den MEL erlauben es alltägliche Probleme des Lebens (Deckung der Grundbedürfnisse) nicht, dass sich Ärzte und Pflegepersonen, so wie in westlichen Ländern, regelmäßig fortbilden und auf ihren Beruf konzentrieren können.

Aufgrund fehlender Schutzmaßnahmen (Mangel an Plastiksäcken zur Entsorgung von blutigen Laken, Mangel an sterilen und unsterilen Handschuhen etc.) ist das Risiko, sich beruflich entweder mit einem der Hepatitis- oder dem Human-immunodeficiency- (HI-)Virus zu infizieren, sehr hoch [6]. Die jährliche Neuinfektionsrate mit dem HI-Virus lag für das durchschnittliche medizinische Personal in Tansania bei 0,27%, für spezialisiertes Personal im Operationsbereich oder auf der Intensivstation sogar bei 0,7% [39]. Vermeulen et al. berichten über eine Hepatitis-B-Prävalenz von 36,2% unter den Anästhesisten in Bloemfontein/Südafrika. Die Hepatitis-B-Prävalenz der Anästhesisten lag dabei 8- bis 9fach so hoch wie die der anderen Krankenhausangestellten [117].

Infrastruktur

Einer der hauptlimitierenden Faktoren der Anästhesie in den MEL und SL ist die Infrastruktur, die in vielen Fällen nicht vorhanden ist und an manchen anderen Orten nur schwer aufrechterhalten werden kann. Eine inadäquate bauliche Struktur schränkt die perioperative Versorgung meist weniger ein als die Ausübung der Intensiv- oder Notfallmedizin. Weiter stellen klimatische Besonderheiten gerade in den MEL und SL zusätzliche Anforderungen an die baulichen Strukturen eines Krankenhauses (z. B. Moskitoschutz, Wasseraufbereitung, effektive Heizsysteme etc.).

Obwohl die meisten Krankenhäuser in den MEL und SL mit Strom und Wasser versorgt sind, kommt es, je nach Region, immer wieder zu Wasserknappheit und Stromausfällen [44]. Gerade in Kriegs- und Krisenregionen können sich solche Stromausfälle in stündlichen Abständen wiederholen. Die Qualität des Stromes ist in den meisten MEL gekennzeichnet von massiven Spannungsspitzen (bis zu 500–600 V), die eine Verwendung von medizintechnischen Geräten ohne vorgeschalteten Spannungsstabilisator unmöglich machen. Während eine vorübergehende Unterbrechung der Wasserversorgung die Anästhesie nur wenig beeinträchtigt, können unerwartete Stromausfälle durch die abrupte Inaktivierung von Beatmungsgeräten, Sauerstoffkonzentratoren oder Spritzenpumpen zu schwer wiegenden therapeutischen Problemen führen.

Eine große infrastrukturelle Einschränkung der Anästhesie in den MEL ist der weit verbreitete Mangel an Sauerstoff [7, 59]. So waren in Uganda im Jahr 1998 von 20 Krankenhäusern nur 12 mit limitierten Sauerstoffreserven versehen, während den anderen 8 gar keine Möglichkeit zur Verfügung stand, Sauerstoff zu verabreichen [44]. In der DRK bestehen grundsätzlich 2 verbreitete Methoden der Sauerstoffgewinnung: Ein Sauerstoffkonzentrator, der durch die Absorption von Stickstoff 70- bis 95%igen Sauerstoff produziert, ist teuer und umständlich in seiner Anschaffung, aber billig und einfach in der Erhaltung (Abb. 1) [85, 93]. Sauerstofflaschen hingegen sind in ihrer Anschaffung vergleichsweise billig, aber teuer und sehr umständlich in ihrer Wartung (Befüllung meist nur an ausgewählten Orten zu entsprechenden Preisen) [82]. Vielerorts konnten sich Sauerstoffkonzentratoren als Sauerstoffquelle durchsetzen. Dennoch besteht in den meisten MEL weiterhin ein enormer Bedarf an solchen Geräten, da insbesondere in der Anästhesie Sauerstoffkonzentratoren regelmäßig mit „Draw-over-Systemen“ verwendet werden, um Atemgas mit Sauerstoff anzureichern [28, 51, 92].

Abb. 1
figure 1

Methoden zur Verabreichung von Sauerstoff bzw. zur Betreibung von Anästhesie- und Beatmungsgeräten. Sauerstoffkonzentrator (links); medizinische Sauerstoffanlage im Mehrflaschensystem (Mitte); konventioneller Kompressor für den Betrieb einer medizinischen Druckluftanlage (rechts)

Eigene Sauerstoff- und Druckluftsysteme zur Betreibung von Anästhesie- und Beatmungsgeräten sind in der Mehrzahl der Krankenhäuser der MEL und SL nicht vorhanden. Nur wenige Zentren besitzen solche Anlagen, die auch dann nur selten westlichen Standards entsprechen (Abb. 1).

Medizintechnik, Verbrauchsmaterialien und Medikamente

Die medizintechnische Ausstattung der Krankenanstalten in den meisten MEL und vielen SL ist dürftiger als die der ersten Intensivstationen in Mitteleuropa [13, 44]. Patientenmonitore, Beatmungsgeräte, Defibrillatoren und Spritzenpumpen finden sich selten, und wenn dann zumeist nur in Krankenhäusern, die Spendengüter aus westlichen Ländern erhalten haben [10]. Berichten aus Uganda zufolge, waren manuelle Blutdruckmessgeräte und ein Stethoskop die einzigen Monitoringmöglichkeiten in der Mehrzahl der Krankenhäuser [44, 63]. Obwohl Pulsoxymeter fast in keiner Klinik vorhanden waren, beschreiben Hodges u. Hodges diese Geräte gerade unter tropischen Bedingungen in Uganda als solche von unschätzbarem Wert für die Anästhesiepraxis und perioperative Sicherheit der Patienten [44].

Eine Neuanschaffung medizintechnischer Produkte und Verbrauchsmaterialien scheitert in den meisten Fällen nicht nur am knappen Budget der Krankenanstalten, sondern auch an regional nichtvorhandenen Medizinproduktanbietern. Die Unmöglichkeit, Geräte adäquat zu warten, zu kalibrieren und zu überprüfen sowie teure Verbrauchsmaterialien für deren Betrieb zu beschaffen, limitiert deren Verwendung.

Obwohl die meisten Medikamente der „essential medicine list“ der World Health Organization (WHO) [62] in den MEL und SL gekauft werden können, stehen nur wenige dieser Arzneimittel auch dem Patienten am Krankenbett unmittelbar zur Verfügung. In der Anästhesie stehen dringend benötigte Medikamente, wie z. B. Adrenalin, Kolloide, Dopamin, Diuretika oder Nitrate, oft nur in äußerst begrenztem Umfang zur Verfügung. Angesichts eines somit sehr beschränkten Angebots an Medikamenten entwickeln sich nicht selten stereotype und heute als obsolet bewertete Arzneimitteltherapien, die zu nachhaltigen Problemen, wie der Entstehung von Resistenzen gegen häufig verwendete Antibiotika und Antimalariamedikamente, führen [18, 111].

Ein Phänomen, das in westlichen Ländern unbekannt ist, stellt das Problem der „fake drugs“ dar [96]. Ampullen, die mit Aqua bidestillata bzw. Kochsalz verdünnt oder sogar gänzlich befüllt, aber mit entsprechenden Arzneimittelaufschriften versehen sind, können gerade in der Versorgung des perioperativen und kritisch kranken Patienten zu schwer wiegenden therapeutischen Zwischenfällen führen [83].

Anästhesie

Verglichen mit westlichen Ländern nimmt die Chirurgie im Gesundheitsbudget vieler MEL und SL nur einen geringen Stellenwert ein. Während chirurgische Eingriffe teuer und lediglich für einzelne Patienten von Vorteil sind, konzentrieren sich viele Gesundheitssysteme auf die medizinische Grundversorgung der Allgemeinbevölkerung, wie z. B. der Durchführung von Schutzimpfungen oder der Bereitstellung wichtiger Basismedikamente. Aus diesem Grund beschränken sich viele der operativen Interventionen in den MEL und SL auf vitale Eingriffe [52]. Weitgehend unabhängig von der Region machen gynäkologisch/geburtshilfliche Eingriffe den größten Teil der Operationen aus [2, 17, 52, 103]. Weitere häufige chirurgische Diagnosen in einem MEL (DRK) und SL (Mongolei) sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Tabelle 1 Häufige Indikationen und chirurgische Eingriffe in einem Entwicklungsland (Demokratische Republik Kongo) und einem Schwellenland (Mongolei)

Der Anteil an Notfalleingriffen ist groß und übersteigt in vielen Krankenhäusern 30–50% [3]. Otu beschreibt die inkarzerierte Inguinalhernie mit 75% aller Interventionen als den häufigsten chirurgischen Notfall in Nigeria [89]. Ein mechanischer Ileus durch eine Ascariasisinfektion bei Kindern, ein Sigmavolvolus bei Erwachsenen sowie die intestinale Intussuszeption bei Kindern und Erwachsenen stellen weitere häufige chirurgische Notfallindikationen in dieser Untersuchung dar [89]. Größere elektive chirurgische Eingriffe werden meist nur an Schwerpunktkrankenhäusern durchgeführt [52]. An vielen Zentren, insbesondere in SL, werden jedoch bereits chirurgische Eingriffe auf vergleichbarem Niveau wie in westlichen Ländern durchgeführt [52].

Angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit der speziell ausgebildeten Chirurgen an Schwerpunktkrankenhäusern, städtischen Zentren bzw. in privaten Kliniken praktiziert, werden viele der chirurgischen Eingriffe in den ländlichen Gebieten der MEL von nichtchirurgisch ausgebildeten Ärzten oder sogar von Pflegepersonal bzw. „medical officers“ vorgenommen [32, 116]. Dennoch liegen die Operationszeiten bei diesen Eingriffen meist weit unter dem Durchschnitt westlicher Länder. Grund dafür ist nicht nur eine oftmals vereinfachte, aber trotzdem effiziente chirurgische Technik, sondern auch das Ziel, das Risiko einer perioperativen Infektion durch kurze Eingriffszeiten möglichst gering zu halten.

Die Anästhesie in den MEL und SL ist von einfachen Anästhesieverfahren geprägt, die bei einer Vielzahl von chirurgischen Interventionen verwendet werden [23]. Tabelle 2 zeigt die durchgeführten Anästhesieverfahren in einem städtischen Schwerpunktkrankenhaus und einem Bezirkskrankenhaus in einer Krisenregion in der DRK im Jahr 2004. Obwohl die Allgemeinanästhesie in Berichten aus anderen Krankenhäusern in MEL das am häufigsten gewählte Anästhesieverfahren darstellte [47], nahm die Regionalanästhesie, insbesondere die rückenmarknahen Verfahren, in beiden Krankenhäuser eine zentrale Stellung ein.

Tabelle 2 Anästhesieverfahren in einem städtischen Schwerpunktkrankenhaus (DOCS Hospital) und einem städtischen Bezirkskrankenhaus (CMC Charité Maternelle) in Goma/DRK im Jahr 2004

Die präoperative Evaluierung der Patienten erfolgt nicht regelmäßig [12], wurde aber in einer Studie aus Kamerun bei 78% der Patienten beschrieben [17]. Neben den in westlichen Ländern verbreiteten Vorkrankheiten, wie arterielle Hypertension, Herzinsuffizienz, koronare Herzkrankheit und Diabetes mellitus, spielen gerade in Sub-Sahara-Afrika spezifische Begleitkrankheiten, wie Malnutrition, Anämie [30], Sichelzellanämie [33] oder eine chronische Malaria, HIV und/oder Tuberkuloseinfektion, eine wichtige Rolle in der perioperativen Morbidität und Mortalität [52]. Das durchschnittliche Alter der chirurgischen Patienten in den MEL liegt deutlich niedriger als in den westlichen Nationen. Abbildung 2 zeigt die durchschnittliche Altersverteilung der Patienten, die in einem städtischen Schwerpunktkrankenhaus in Goma/DRK im Jahr 2004 anästhesiologisch versorgt wurden.

Abb. 2
figure 2

Altersverteilung der in einem städtischen Schwerpunktkrankenhaus (DOCS Hospital) in Goma/DRK anästhesierten Patienten im Jahr 2004

Die am häufigsten angewandte Technik der Allgemeinanästhesie ist die balancierte Anästhesie [23]. Die hierbei am weitesten verbreiteten Inhalationsnarkotika sind Äther und Halothan [23]. Nur in ausgewählten Häusern kommen jüngere Inhalationsanästhetika, wie Enfluran, Isofluran oder sogar Sevofluran, zum Einsatz. Untersuchungen aus Thailand und Kenya zeigen, dass auch diese Inhalationsanästhetika sicher mit einem Halothanverdampfer bzw. einem „Boyle’s bottle vaporizer“ verabreicht werden können [56, 121]. Aufgrund von Engpässen in der Versorgung mit Inhalationsanästhetika hat sich die totale intravenöse Anästhesie ebenso als effektives Anästhesieverfahren in tropischen Ländern etabliert [48]. Verbreitete intravenöse Anästhetika sind Thiopental und Ketamin, meist in Kombination mit Atropin, Diazepam oder anderen Benzodiazepinen bzw. Neuroleptika. In vielen MEL stehen oft nur Morphin bzw. das kostengünstige Pethidin als Opioid- und Acetylsalicylsäure, Metamizol und Diclofenac als Nichtopioidanalgetika zur Verfügung. Während potentere Opioide, wie Fentanyl, in MEL meist nur in größeren Zentren verwendet werden, kommen sie in vielen SL, wie z. B. der Mongolei, bereits regelmäßig zum Einsatz. Als Muskelrelaxanzien wird am häufigsten Succinylcholin verwendet, auch für wiederholte intraoperative Bolusgaben oder als kontinuierliche Infusion [67]. Gallamin, Pancuronium, Alcuronium, Vecuronium oder Tubocurarin sind häufig verwendete nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien [23, 42]. Aufgrund unregelmäßig vorhandener neuromuskulärer Überwachungsgeräte bzw. medikamentöser Antagonisierungsmöglichkeiten werden diese aber nur selten verwendet.

Wie in Tabelle 2 dargestellt, wird noch ein sehr großer Anteil der Allgemeinanästhesien bei ungeschütztem Atemweg durchgeführt. Dies beruht einerseits auf der weit verbreiteten Anwendung der dissoziativen Ketaminanästhesie oder der atemantriebssteigernden balancierten Ätheranästhesie, aber andererseits auch auf der Unsicherheit vieler Anästhesisten in der Technik der Intubation [23]. Obwohl keine genauen Daten über die Inzidenz einer perioperativen Aspiration in diesen Ländern vorliegen, muss angenommen werden, dass die Dunkelziffern hoch liegen.

Obwohl Halothan bereits in manchen MEL und in den meisten SL vorhanden ist, werden weltweit die meisten Inhalationsanästhesien noch mit Äther durchgeführt [23]. Aufgrund seines hohen Blutgasverteilungskoeffizienten (12,1; vgl. Sevofluran 0,69) flutet Äther sehr langsam an und wird daher fast nie zur Maskeneinleitung verwendet. Mögliche Alternativen sind die intravenöse Induktion mit Barbituraten oder Ketamin bzw. die zusätzliche Verabreichung von Halothan [23]. Dadurch können auch ein möglicher Atemstillstand in der Einleitungsphase sowie die gefährliche und regelmäßig auftretende Exzitationsphase (Stadium II nach Guedel) abgeschwächt bzw. vermieden werden [25]. Zur Aufrechterhaltung der Anästhesie besitzt Äther in mittleren Konzentrationen (3–6 Vol.-%) den Vorteil einer atemantriebssteigernden Wirkung, in höheren Konzentrationen (>8 Vol.-%) den einer Muskelrelaxierung [23]. Außerdem führt Äther durch eine adrenale Stimulierung zu einer Katecholaminfreisetzung und einer guten hämodynamischen Stabilität. Die analgetische Potenz des Äthers ist gerade bei eingeschränkter postoperativer Verfügbarkeit intravenöser Analgetika von großem Vorteil. Die Extubation nach Ätheranästhesie erfolgt entweder beim wachen Patienten oder in tiefer Narkose, um auch während der Aufwachphase das Exzitationsstadium möglichst zu umgehen. Wesentliche Nachteile des Äthers sind die Abschwächung der oropharyngealen Schutzreflexe, eine Hypersalivation und eine hohe Inzidenz von postoperativer Übelkeit und Erbrechen [23]. Nicht zu vergessen ist die hohe Explosionsgefahr bei Verwendung von Äther [118].

Während Ketamin in der westlichen Medizin fast ausschließlich in der Notfallmedizin verwendet wird, ist die Substanz in vielen MEL und SL eines der am häufigsten eingesetzten Anästhetika [23, 44, 64, 126]. Lederer berichtet über die Applikation von Ketamin als Analgoanästhetikum bei 65 mittleren und großen sowie 347 kleineren chirurgischen Eingriffen in Uganda [63]. Während für kurze Operationen eine einmalige intravenöse Ketamin Dosis (0,5 mg/kgKG) ausreichte, wurde bei längeren Operationen in 10- bis15-minütigen Abständen Ketamin nachinjiziert. Alle Anästhesien erfolgten unter Spontanatmung von Raumluft und ohne Atemwegssicherung. Unerwünschte Nebenwirkungen waren das häufige Auftreten von spontanen Bewegungen sowie eine Hypersalivation, die allerdings durch Atropin gut beherrschbar war. Bei Sectio-Entbindungen kam es in keinem Fall zu einer Depression des Neugeborenen. Trotz eines nichtvorhandenen perioperativen technischen Patientenmonitorings wurden keine lebensbedrohlichen Komplikationen, wie Laryngospasmus oder Aspiration, beobachtet [63]. Ähnliche Berichte über die sichere und effektive Verwendung von Ketamin als einzelnes oder ergänzendes Anästhetikum in MEL und SL wurden auch von zahlreichen anderen Autoren publiziert [24, 44, 73, 126]. Green et al. berichten nach einer Umfrage in einem MEL sogar über lediglich 19 mögliche ketaminassoziierte Komplikationen bei über 12.000 Anwendungen [36].

Trotz unterschiedlichster medizintechnischer Ausstattung der einzelnen Krankenhäuser haben sich zwei Anästhesiegeräte in der klinischen Praxis besonders bewährt [23]. Abbildung 3 zeigt ein einfaches, aber sehr effektives Draw-over-System [42] sowie das weiterentwickelte Boyle-System, das nach dem „Continuous-flow-Prinzip“ arbeitet. Klassische Draw-over-Systeme bestehen aus einem Verdampfer und einem Beatmungsbeutel. Als Verdampfer kommen häufig der EMO (Epstein, Macintosh, Oxford) sowie der OMV („Oxford miniature vaporizer“; Abb. 4) zum Einsatz [44]. Eine wichtige Voraussetzung ist der niedrige Luftflusswiderstand des Verdampfers, sodass der Patient durch die Inspiration leicht Umgebungsluft oder sauerstoffangereicherte Luft über den Verdampfer „ziehen“ kann. Für Kinder mit einem Körpergewicht unter 20 kg sind jedoch die Flusswiderstände des EMO-Verdampfer zu hoch, sodass in manchen Kliniken, sofern vorhanden, ein nach Jackson-Rees modifiziertes Ayre’s T-Rohr verwendet wird. Dieses wird an den klassischen „Oxford inflation bellow“ (Beatmungsbalg) angeschlossen, der dann durch 6 langsame, aber stete Kompressionen/min einen kontinuierlichen Gasfluss im T-Rohr erzeugt [44].

Abb. 3
figure 3

„Draw-over-Anästhesiesystem“ mit EMO- (Epstein-Macintosh-Oxford-)Verdampfer und dem typischen „Oxford inflating bellow“ (links; aus [23]); „Continuous-flow-System“ nach Boyle mit OMV- (Oxford-miniature-vaporizer-)Verdampfer (rechts)

Abb. 4
figure 4

EMO- (Epstein-Macintosh-Oxford-)Verdampfer für Äther: 1 Atemgaseinstrom, 2 Atemgasausstrom, 3 Ätherkonzentrationsregler, 4 Wasserbad, 5 Thermokompensationsventil, 6 Verdampferkammer, 7 Einfüllstutzen für Wasser, 8 Einfüllstutzen für Äther, 9 Ätherstandanzeige (links; aus [23]); OMV- (Oxford-miniature-vaporizer-)Verdampfer für Halothan (rechts)

Die etwas komplexeren Continuous-flow-Systeme sind auf eine medizinische Druckgasanlage angewiesen und kommen daher in MEL seltener als die Draw-over-Systeme zum Einsatz [23]. In vielen SL finden sich jedoch bereits solche und auch modernere Anästhesiegeräte. Obwohl technische Defekte in einer Untersuchung von 20.819 Anästhesien für 50% aller 329 Narkosezwischenfälle verantwortlich gemacht wurden [54], führen erfahrene Anästhesisten mit diesen Geräten sichere und gute Anästhesien durch.

Angesichts der oft eingeschränkten Verfügbarkeit von inhalativen und intravenösen Anästhetika sowie von Sauerstoff werden regionalanästhesiologische Verfahren in den MEL und SL meist häufiger verwendet als in westlichen Nationen [42]. Hierbei werden besonders oft rückenmarknahe Regionalanästhesieverfahren in der Gynäkologie und Geburtshilfe durchgeführt [15]. Eine Regionalanästhesie durch Akupunktur wurde ebenso für manche kleinere gynäkologische Eingriffe beschrieben [22]. Weiterhin finden regionalanästhesiologische Techniken bei orthopädischen und unfallchirurgischen, aber auch infektiologischen Eingriffen an den Extremitäten Anwendung. Aufgrund der besseren Resterilisierbarkeit der dickeren Periduralnadeln kommt die Epiduralanästhesie z. B. in der DRK vielerorts häufiger zum Einsatz als die Spinalanästhesie, die auf die kontinuierliche Versorgung mit Spinalnadeln angewiesen ist. Angesichts der Wiederverwendung von Nadelmaterialien zur rückenmarknahen Anästhesie ergeben sich nicht zu vernachlässigende infektiologische Probleme, die u. a. durch die immer wieder notwendige Nachfeilung der Nadelspitzen bedingt sind. Kontinuierliche regionalanästhesiologische Techniken allein oder in Kombination mit der Allgemeinanästhesie werden aufgrund einer geringen Verfügbarkeit der Kathetermaterialien nur sporadisch an einzelnen Zentren verwendet.

Die postoperative Betreuung der Patienten erfolgt abhängig vom Krankenhaus und der Tageszeit im Operationsbereich selbst oder in speziellen Aufwachräumen. Binam et al. berichten, dass von insgesamt 1103 Patienten, die während eines Zeitraums von 6 Monaten in einem städtischen Schwerpunktkrankenhaus in Kamerun operiert wurden, lediglich 24% in einer speziellen postoperativen Einrichtung überwacht wurden [17]. Die Ausstattung solcher Aufwachräume ist in vielen Fällen dürftig und wird fast nie westlichen Standards gerecht [40, 44, 69]. Aufgrund dieser unregelmäßigen postoperativen Betreuung ist es für die Anästhesisten von vitaler Wichtigkeit, dass der Patient am Ende der Operation vollkommen wach ist und alle Schutzreflexe aufweist [44]. Angesichts des hohen Blutgasverteilungskoeffizienten von Äther und der häufigen Verabreichung von Benzodiazepinen bei einer Ketaminanästhesie war dies jedoch nach eigenen Erfahrungen der Autoren in einem ländlichen Bezirkskrankenhaus in Tansania fast nie gegeben.

Eine Komplikation, die spezifisch für tropische Länder ist, ist das postoperative Auftreten einer akuten Malariainfektion. Bei Patienten mit chronischer, asymptomatischer Infektion mit Plasmodien kann es durch die perioperative Stressantwort zu einer akuten Dekompensation der immunologischen Abwehr kommen und einen akuten, meist schweren Malariaschub in der unmittelbaren postoperativen Phase (24–48 h) auslösen [52].

Daten über die Qualität und das Outcome der Anästhesie in MEL und SL sind nur sporadisch vorhanden. So berichten Autoren von perioperativen Komplikationsraten zwischen 1,6 und 29,1% [17, 48]; andere sogar über weit höhere Inzidenzen. Ugwu et al. beschreiben, dass ein intraoperativer Herzkreislaufstillstand bei 0,4% der mittelgroßen und großen chirurgischen Eingriffe in Nigeria auftrat. Dabei waren eine hohe American-Society-of-Anesthesiologists- (ASA-)Klassifikation, Notfalleingriffe sowie eine Allgemeinanästhesie, die von jungen Anästhesisten oder nichtärztlichem Personal verabreicht wurde, mit einer besonders hohen Rate an Herzkreislaufstillständen assoziiert [110]. Ursachen für diese teilweise hohen perioperativen Morbiditäts- und Mortalitätsraten sind nicht nur mangelnde Ausbildung und fehlende institutionelle Richtlinien, sondern auch die inadäquate Ausstattung mit wichtigen medizintechnischen Geräten [40, 108].

Intensivmedizin

Heutzutage betreiben viele Krankenhäuser in den MEL und SL eine Intensivstation; hier werden kritisch kranke Patienten separat behandelt. Abhängig von der Region beträgt die durchschnittliche Bettenzahl auf den Intensivstationen 3 (Regionalspital) bis 15 oder mehr (Zentralkrankenhaus oder Zuweisungsklinik). Verglichen mit ca. 10% in den westlichen Nationen beläuft sich der Anteil der Intensivbetten an den Gesamtkrankenhausbetten in den MEL und SL auf lediglich 2–3% oder sogar weniger. Daher werden noch in vielen Krankenhäusern schwer- und schwerstkranke Patienten auf Normalstationen behandelt. Obwohl gerade bei wichtigen Therapieentscheidungen meist Ärzte aus anderen Fachgebieten (Chirurgie, innere Medizin) miteinbezogen werden, sind in vielen Fällen Anästhesisten für die Intensivstation verantwortlich. In manchen SL, wie z. B. in der Mongolei, gibt es bereits eigene Intensivmediziner, die ausschließlich auf einer Intensivstation tätig sind.

Die 4 wichtigsten Diagnosen, die zu einer Aufnahme auf die Intensivstation in einem städtischen Schwerpunktkrankenhaus in einer Krisenregion in der DRK führten waren:

  • postoperative Nachbetreuung,

  • infektiologische Erkrankungen,

  • Trauma und

  • peripartale Komplikationen der Mutter oder des Neugeborenen.

Im Gegensatz dazu zeigt Tabelle 3 die häufigsten Aufnahmediagnosen auf eine Intensivstation im Universitätskrankenhaus der Mongolei. Während das durchschnittliche Alter der kritisch Kranken auf der Intensivstation in der DRK im Jahr 2004 24,4 Jahre (Variationsbreite: 1–87 Jahre) betrug, lag dieses bei den im selben Jahr auf der mongolischen Intensivstation behandelten Patienten bei 48,7±17,5 Jahren.

Tabelle 3 Aufnahmediagnosen der Intensivstation der Universitätsklinik (in Prozent) in Ulaanbaatar/Mongolei im Jahr 2004

Die Malaria stellt die mit Abstand häufigste Infektionskrankheit in den tropischen MEL dar [1]. Außerhalb der Tropen sind Pneumonien, Gastroenteritiden, Meningitis, Tuberkulose und Masern die häufigsten infektiologischen Krankheiten, die zu einer Aufnahme auf die Intensivstation führen [94]. Zwei wichtige Faktoren, die maßgeblich zur Verbreitung oben genannter Infektionskrankheiten beitragen, sind Immunsuppression durch chronische Infektionen mit dem HI-Virus und Mycobacterium tuberculosis sowie Fehl- bzw. Mangelernährung [75, 99]. Spektakuläre Infektionen, wie akutes hämorrhagisches Fieber, sind auch in Zentralafrika und Asien selbstlimitierende Ereignisse und nur regional in periodischen Ausbrüchen relevant [8, 106].

Die zweithäufigste Todesursache vor dem 40. Lebensjahr in den MEL und SL ist das Trauma [84]. Im Gegensatz zu westlichen Nationen gelangen schwer polytraumatisierte Patienten nur in seltenen Fällen früh genug in eine intensivmedizinische Betreuung [71]. Die meisten Traumen, die auf der Intensivstation in einem unfallchirurgisch/orthopädischen Krankenhaus in der DRK aufgenommen wurden, waren schwere Einzelverletzungen. Neben Verkehrs-, Kriegs- und Arbeitsunfällen sind Verletzungen durch Wildtiere und Verbrennungen häufige Traumaursachen [49, 50, 115].

Angesichts der Tatsache, dass sich weltweit 99% aller jährlichen mütterlichen Todesfälle in MEL bzw. SL und über die Hälfte in den Ländern Sub-Sahara-Afrikas ereignen [122], gehören peripartale und neonatologische Komplikationen zu den häufigsten Aufnahmediagnosen einer Intensivstation in einem MEL. Die führenden mütterlichen Todesursachen sind abhängig von der Region (Tabelle 4). Die häufigsten neonatologischen Komplikationen sind peripartale Asphyxien, Sepsis und kongenitale Malformationen [127]. Aufgrund der schlechten sozioökonomischen Situation in den MEL ist die Rate der frühgeborenen und „Small-for-gestational-age-Kinder“ im Vergleich zu westlichen Ländern signifikant erhöht [120]. Sogar in spezialisierten Zentren in MEL und SL sind die Überlebensraten von Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht <1500 g gering, bei einem Geburtsgewicht <1000 g sogar minimal [55].

Tabelle 4 Führende maternale Todesursachen abhängig von der Region in Zimbabwe. (Anonymous 5)

Ein wesentlicher Faktor, der die Mortalität auf den Intensivstationen beeinflusst, ist die gleichzeitige Infektion mit HIV oder Tuberkulose. Während in den westlichen Ländern eine solche Infektionskrankheit die Mortalität auf der Intensivstation zwar ebenso erhöht [34], verschlechtert eine HIV- oder Tuberkuloseinfektion die Überlebenschance in den meisten MEL und SL jedoch unproportional stärker [50, 100]. Fulminante septische Schockzustände sind dabei häufige Todesursachen von bislang asymptomatisch HIV-Infizierten. Während die HIV-Pandemie in den afrikanischen MEL unerwartete Ausmaße annimmt (Prävalenz von HIV in der Normalbevölkerung 8,3% [9]; bei hospitalisierten Patienten sogar 20–60%), sind Infektionen mit Hepatitis B in den zentralasiatischen Ländern besonders häufig [124].

Angesichts der im Gegensatz zu westlichen Ländern unterschiedlichen Bevölkerungspyramide in MEL und SL (53,7% unter 18-Jährige z. B. in der DRK im Jahre 2003 [112]), machen Kinder einen großen Teil der Intensivpatienten aus [68]. Verletzungen und Infektionen sind auch dabei die häufigsten pädiatrischen Aufnahmediagnosen auf die Intensivstation [123]. Bedingt durch ein hohes Maß an chronischer Malnutrition (Burkina Faso, 87% der kritisch kranken Kinder [99]) und HIV-Infektion (29,9% aller in einem südafrikanischen Krankenhaus behandelten Kinder waren HIV-positiv [75]), ist die Mortalität der pädiatrischen Intensivpatienten deutlich höher als die einer vergleichbaren Erwachsenenpopulation [74].

Weitere wichtige limitierende Faktoren der Intensivmedizin in MEL und SL sind die oft mangelnde Qualität und Verfügbarkeit der angrenzenden Fachgebiete. So tragen häufig nur unzureichend ausgestattete radiologische Abteilungen, medizinische und mikrobiologische Labors bzw. transfusionsmedizinische Einrichtungen wesentlich zur hohen Sterblichkeit auf den Intensivstationen bei [35, 60, 119].

Notfallmedizin

Eine westliche Notfallmedizin mit präklinischer Versorgung durch einen Notarzt steht weltweit nur einem verschwindend kleinen Teil der Bevölkerung zur Verfügung [80]. Gerade in den MEL sind außerklinische Notfalleinrichtungen meist inexistent [19, 80]. Mock et al. zeigten in einer Untersuchung an Unfallopfern in einem MEL, einem SL und einem westlichen Land, dass die präklinische Mortalität von Traumapatienten mit ansteigenden sozialwirtschaftlichen Standards signifikant sank. So verstarben in Kumasi, Ghana, 51% aller schwer verletzten Patienten vor Krankenhausaufnahme, 40% in Monterrey, Mexiko, und 21% in Seattle, USA [79]. In einer anderen Untersuchung wiesen dieselben Autoren darauf hin, dass in städtischen bzw. ländlichen Gebieten in einem MEL nur 60% bzw. 38% der schwer verletzten Patienten durch präklinische oder klinische Notfallmedizin versorgt wurden [78]. Gründe für das Fehlen oder die inadäquate Funktion eines präklinischen Notfallsystems in den meisten MEL sind nicht nur mangelnde Finanzierungs-, Ausrüstungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, sondern insbesondere auch das Fehlen eines flächendeckenden und öffentlich zugänglichen Telekommunikationssystems [80].

Repräsentativ für viele MEL, beschreibt Ramalanjaona das präklinische Notfallsystem in Madagaskar [95]. Auf ca. 10.000 Bewohner städtischer Regionen trifft ein Notfallsanitäter, während diese Zahl in den ländlichen Teilen des Landes sogar bei 1:1.000.000 liegt. Da bei einer Telefon-Bevölkerungs-Dichte von 1:239 keine allgemein bekannte Notrufnummer existiert, erfolgen 80% der Notfallmeldungen durch die Polizei oder Feuerwehr. Das präklinische Patientenspektrum unterteilt sich zu 35% auf schwerverletzte, zu 30% auf gynäkologisch/geburtshilfliche, zu 25% auf chirurgische und zu 10% auf pädiatrische Notfallpatienten.

Angesichts des Mangels eines präklinischen Notfallsystems in vielen MEL wurden in einer Untersuchung 71% der verletzten Patienten von nichtmedizinischen Transportmitteln zur Aufnahme in die Krankenhäuser gebracht. Dabei wurden zu 54% Taxis, 20% Privatautos, 14% Busse und 3% Lastkraftwagen benutzt. Rettungswagen transportierten lediglich 3% der Klinikaufnahmen; hierbei handelte es sich bei all jenen um Interhospitaltransporte [31]. Angesichts der häufigen Involvierung öffentlicher Verkehrsmittel in die Rettungskette wurden in Ghana bereits erfolgreiche Erste-Hilfe-Ausbildungsprogramme für Taxi-, Bus- und Lastkraftwagenfahrer durchgeführt [80, 107]. Ähnliche Programme aus dem Nordirak und Kambodscha berichten nach 5 Jahren über ein signifikantes Absinken der präklinischen Traumamortalität von 40 auf 9% [46, 77].

Dennoch erreicht ein Großteil der Notfallpatienten in den MEL erst nach einer deutlichen Zeitverzögerung medizinische Hilfe [16]. So betrug in einer retrospektiven Untersuchung in Dakar, Senegal, die Zeit zwischen dem Beginn des Notfalls und der Krankenhausaufnahme 17±9 h [53]. In Nigeria verstrichen bei Patienten mit akuter Appendizitis im Durchschnitt 5 Tage (Variationsbreite: 3–7 Tage), bis sie das Krankenhaus erreichten [88]. Ursachen dafür mögen nicht nur in der meist weiten und kostenaufwändigen Anreise, sondern auch in dem in manchen MEL verbreiteten Misstrauen gegenüber der westlichen Medizin oder ihren Betreibern liegen. Wie in vielen MEL und manchen SL, werden von zahlreichen Patienten zuerst traditionelle Heilmethoden versucht, die zwar bei vielen chronischen Krankheiten sehr effektiv, aber bei akuten Notfällen meist unwirksam und sogar schädlich sind [14, 87, 105]. Tabelle 5 zeigt die häufigsten Gründe für eine verzögerte Krankenhausaufnahme von geburtshilflichen Notfällen mit letalem Ausgang [86].

Tabelle 5 Gründe für eine verzögerte Krankenhausaufnahme von geburtshilflichen Notfällen mit letalem Ausgang in Süd-West-Nigeria. (Orji et al. [86])

Damit beschränkt sich der größte Teil der in MEL praktizierten Notfallmedizin auf den innerklinischen Bereich. Hierbei dominieren, wie z. B. in der DRK, insbesondere geburtshilfliche und neonatologische Notfälle. Die innerklinische Notfallmedizin wird bei Anwesenheit von Anästhesisten meist von diesen übernommen.

In den meisten SL hingegen existieren bereits präklinische Notfallsysteme [80, 81]. Die Notfallversorgung erfolgt dabei durch Sanitäter, Pflegepersonal und/oder Ärzte. Dennoch sind, wie in der Mongolei, spezielle notfallmedizinische Ausbildungsprogramme selten. Die rettungs- und ausrüstungstechnische Ausstattung der präklinischen Rettungsmittel ist meist sehr dürftig (Abb. 5). Die Organisationsstrukturen der Leitstellen- und Alarmierungssysteme entsprechen nur in den seltensten Fällen westlichen Anforderungen; dies führt oft zu einem unterschiedlichen Notfallspektrum. So berichten Wright et al., dass lediglich 20% der von einem Notarztteam präklinisch behandelten Patienten in der Ukraine auch in ein Krankenhaus transportiert wurden [125].

Abb. 5
figure 5

Rettungswagen des präklinischen Notfallsystems „103“ in Ulaanbaatar/Mongolei (links); Notarztkoffer (rechts)

Schmerztherapie

Während in den meisten MEL und SL die postoperative Schmerztherapie in den Händen der Anästhesisten liegt [27], ist die Behandlung von chronischen Schmerzpatienten in vielen MEL, so auch in der DRK, Aufgabe der behandelnden Ärzte der einzelnen Fachdisziplinen. Nur äußerst wenige Ärzte haben sich auf das Gebiet der Schmerztherapie spezialisiert oder betreiben dies als Schwerpunkt ihrer klinischen Arbeit [101]. Dieser verschwindend kleine Anteil an spezialisierten Schmerztherapeuten steht einer enormen Zahl an chronischen Schmerzpatienten gegenüber. Angesichts einer kosten-, ausbildungs- und materialbedingten inadäquaten medikamentösen, strahlentherapeutischen und chirurgischen Tumortherapie werden in den MEL deutlich mehr chronische Schmerzpatienten vermutet als in den westlichen Ländern [76]. Soyannwo u. Amanor-Boadu berichten, dass allein 70–90% aller Tumorpatienten in ausgewählten Krankenhäusern in Nigeria, Ghana, Liberien und Sierra Leone bereits bei der Erstpräsentation über schwere Schmerzzustände klagten [101]. Trotz weltweiter Bestrebungen der WHO [104] ist einer der hauptlimitierenden Faktoren bei der Durchführung einer adäquaten Schmerztherapie in den MEL die eingeschränkte Verfügbarkeit oraler oder transdermaler Opiatpräparationen [61, 101]. In den Ländern, in denen ein Teil der Opiate zur Verfügung steht, sind die Kosten für diese deutlich höher als in westlichen Nationen. Beim Vergleich zwischen 5 MEL und 7 westlichen Ländern betrugen die durchschnittlichen Kosten für Opiate 112 USD bzw. 53 USD. In den MEL beliefen sich die Kosten für Opiate auf 36% des monatlichen Pro-Kopf-Bruttosozialproduktes, während sie in den westlichen Ländern nur 3% betrugen [65].

In den SL, wie z. B. der Mongolei oder Teilen Chinas, haben sich vielerorts Ärzte, insbesondere Anästhesisten, auf die Behandlung von chronischen Schmerzpatienten spezialisiert. In China wurden bereits auf nationaler Ebene Schritte eingeleitet, um die Förderung der Schmerztherapie durch die Regierung voranzutreiben, spezielle Ausbildungs- und Fortbildungsprogramme zu implementieren sowie die flächendeckende Verfügbarkeit von oralen Opiaten zu garantieren [45].

Kooperation mit westlichen Nationen

Es bestehen bereits mehrere institutionelle und nichtinstitutionelle Programme, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Anästhesie und deren Subdisziplinen in den MEL und SL zu verbessern [11, 20, 38, 109]. Außerdem werden ähnliche Entwicklungs- und Kriseninterventionsprogramme von nationalen und internationalen Organisationen durchgeführt. Trotzdem muss immer noch ein Großteil der Krankenhäuser außerhalb der westlichen Welt Patienten unter vergleichsweise prekären medizinischen Umständen behandeln.

Aus eigener Erfahrung können die Autoren über 2 erfolgreiche Projekte zur Installation mehrerer Anästhesie- und Intensivstationen in einer städtischen Krisenregion in der DRK und der Hauptstadt der Mongolei berichten. Durch die Implementierung dieser Projekte und den Beginn einer theoretischen und praktischen Kooperation konnte nicht nur die Qualität, sondern auch die Kapazität der versorgten Einrichtungen deutlich gesteigert werden. So gelang es auf einer mongolischen Intensivstation durch die Einführung grundlegender intensivmedizinischer Techniken (hygienische Maßnahmen, invasive Druckmessung, Echokardiographie, moderne Beatmungs- und Kreislauftherapiestrategien, Nierenersatztherapie) eine Reduktion der Mortalität innerhalb eines Jahres von 19,7 auf 9,5% zu erreichen.

Angesichts dieser ermutigenden Daten erscheinen Kooperationen zwischen westlichen medizinischen Institutionen und Krankenanstalten in MEL bzw. SL ein hohes Potenzial zu haben, die anästhesiologische Versorgung erheblich verbessern zu können. Wichtige Voraussetzungen dafür sind jedoch eine realistische Einschätzung der Grundvoraussetzungen und des medizinischen Entwicklungsstandards der Krankenanstalten in den entsprechenden Ländern. Weiterhin sind nicht nur die rationelle Bereitstellung von sinnvollen und lokal einsetzbaren Geräten [7] und Verbrauchsmaterialien sowie eine räumliche bzw. infrastrukturelle Optimierung, sondern insbesondere auch die theoretische Ausbildung und praktische Zusammenarbeit von unumstößlicher Wichtigkeit, die maßgeblich zum Erfolg solcher Unternehmen beitragen.

Fazit für die Praxis

Die Qualität und die Möglichkeiten des Fachgebietes Anästhesie und dessen Teilgebiete in den MEL und SL sind in weiten Bereichen nicht mit den Standards in der westlichen Welt vergleichbar. Hauptverantwortlich dafür sind die mangelnde Finanzierung der Gesundheitssysteme durch die Regierungen sowie staatliche oder private Krankenversicherungsanstalten. Daraus resultierende Probleme sind nicht nur personeller, infrastruktureller und materieller Natur, sondern auch eine hohe Krankheitsbelastung der Bevölkerung dieser Länder. Obwohl einzelne Berichte über die Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie in Entwicklungs- und Schwellenländer publiziert wurden, fehlen Studien über den Status der Anästhesie in den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern. Solche Analysen sollen dazu beitragen, bestmögliche Hilfe zur Entwicklung der Anästhesie und deren Teilgebiete in den armen Ländern dieser Welt zu ermöglichen. Projekte und Initiativen mit diesem Ziel sollen nicht nur Aufgaben von westlichen Regierungen und nationalen bzw. internationalen Hilfsorganisation bleiben, sondern müssen auch institutionelle oder private Tätigkeitsbereiche von Anästhesisten in den westlichen Ländern darstellen.