Vorbemerkungen

Das Vorliegen einer Osteoporose manifestiert sich häufig im Rahmen einer Wirbelkörperfraktur [1]. Bei Vorliegen von instabilen sowie sekundär kyphosierten Frakturen ist die dorsale Instrumentation/Spondylodese oft die Therapie der Wahl [2,3,4]. Aufgrund schlechter Knochenqualität kann die Verankerung der hierfür benötigten Pedikelschrauben im Wirbelkörper jedoch schwierig sein und mit dieser Problematik einhergehend, zählen Schraubenlockerungen zu den häufigsten Versagensursachen dorsaler Instrumentationen [5,6,7].

In der Literatur werden verschiedene Ursachen für das Zustandekommen einer Schraubenlockerung beschrieben. Ein „Stress shielding“ könnte zu einem Remodeling des die Schraube umgebenden Knochens führen und somit eine Lockerung begünstigen [5]. Des Weiteren wurden Abrieb, Infektionen sowie lokale Überbelastung, beispielsweise durch fehlende Abstützung der ventralen Säule, als Risikofaktoren für eine Pedikelschraubenlockerung genannt [5, 8, 9]. Insbesondere bei älteren Patienten ist eine hohe Inzidenz von Schraubenlockerung beschrieben [5, 10]. Diesbezüglich ist eine osteoporotische Knochenstruktur als größter Risikofaktur anzunehmen [6, 10, 11], so dass die Inzidenz der Pedikelschraubenlockerung bei Patienten mit Osteoporose mit bis zu 60 % angegeben wird [12].

Bei der operativen Versorgung osteoporotischer Wirbelkörperfrakturen müssen viele Faktoren berücksichtigt werden. An erster Stelle muss die verminderte Knochendichte detektiert werden, um eine adäquate Therapie gewährleisten zu können. Im Folgenden müssen die zur Verfügung stehenden Verfahren zur operativen Versorgung sowie der individuelle Patient und seine Begleitfaktoren, beispielsweise Vorerkrankungen, Körperbau/-gewicht und Statik der Wirbelsäule, evaluiert werden, um die individuelle Therapie des Patienten optimieren zu können.

Operationsprinzip und -ziel

Ziel des Eingriffs ist die Stabilisierung der Wirbelsäule, beispielsweise bei Vorliegen einer Wirbelkörperfraktur. Die eingebrachten Pedikelschrauben/Implantate müssen eine ausreichende Stabilität gewährleisten, um eine gegebenenfalls durchgeführte Reposition zu halten, eine Frakturheilung zu gewährleisten oder eine knöcherne Fusion zu ermöglichen.

Vorteile

  • Bessere Vorbereitung auf den Eingriff

  • Reduzierung der Komplikationsrate durch Verbesserung der Implantatstabilität

  • Einfach zu erlernende und anzuwendende Techniken

  • Frühfunktionelle Nachbehandlung mit orthograder Mobilisation des oftmals geriatrischen Patientenkollektivs (auf das schwere Heben und Tragen von Lasten >5 kg sollte verzichtet werden)

Nachteile

  • Allgemeine Operationsrisiken

  • Möglichkeit der Implantatfehllage und Verletzung benachbarter Strukturen

  • Möglichkeit einer Zementembolie oder einer Zementleckage

Indikationen

  • Osteoporotische Frakturen der Brust- und Lendenwirbelsäule mit Instabilität, relevanter Achsabweichung, neurologischen Defiziten oder sekundärer Fehlstellung

  • Stabilisation bei degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen am osteoporotischen Knochen

  • Stabilisation bei Tumorerkrankungen oder Infektionen im Bereich der Wirbelsäule und Vorliegen von osteoporotischer Knochenqualität

Kontraindikationen

  • Allgemeine Kontraindikationen bezüglich Anästhesie und Operation

Patientenaufklärung

  • Allgemeine Operationsrisiken

  • Verletzungen benachbarter Strukturen, z. B. Spinalnerv, Dura, Myelon, Gefäße

  • Implantatfehllage, -bruch, -lockerung, -dislokation

  • Zementleckage, Zementembolie, allergische Reaktionen

Operationsvorbereitungen

  • Ausführliche Anamnese und Untersuchung des Patienten. Differenzierte Indikationsstellung anhand des radiologischen und klinischen Befunds sowie der Begleitfaktoren

  • Bestimmung der Knochendichte in den zu instrumentierenden Wirbelkörpern mittels quantitativer Computertomographie (qCT) oder DXA-Messung („dual energy x‑ray absorptiometry“)

  • Planung der Schraubenlänge und -dicke anhand der vorhandenen Bildgebung

Instrumentarium

  • Pedikelschraubensystem

  • Bildwandler

  • Bei Zementaugmentation kanülierte, fenestrierte Schrauben und Augmentationskit mit Knochenzement

Anästhesie und Lagerung

  • Vollnarkose

  • Bauchlage auf einem röntgendurchlässigen Tisch

Operationstechnik

(Abb. 1234567).

Zementaugmentation

 

Abb. 1
figure 1

Bei der Zementaugmentation von Pedikelschrauben werden zunächst kanülierte, fenestrierte Pedikelschrauben in den Wirbelkörper eingebracht. Mittels Bildwandler ist zu kontrollieren, dass eine exakte Lage im Wirbelkörper vorliegt, um die Möglichkeit einer Leckage zu minimieren. b Anschließend kann über eine spezielle Augmentationskanüle Knochenzement durch die Schraube appliziert werden. Aus unserer Erfahrung und aus der existierenden Literatur ist die Verwendung von 1–1,5 ml Zement pro Schraube ausreichend, um eine adäquate Stabilitätssteigerung zu erreichen und gleichzeitig das Risiko für eine Zementleckage oder Embolie sowie für eine Anschlussfraktur zu minimieren [13]

Abb. 2
figure 2

Während der Augmentation sollten regelmäßige radiologische Kontrollen erfolgen, um eine regelrechte Zementverteilung im Wirbelkörper sicherzustellen. Bei ersten Anzeichen für eine Leckage (roter Kreis) sollte die Augmentation der betroffenen Schraube sofort abgebrochen werden

Alternative Schraubentrajektorien

 

Abb. 3
figure 3

In Anbetracht der hohen Rate an möglichen Komplikationen im Rahmen der Zementaugmentation, ist die Einbringung von Pedikelschrauben in alternativen Trajektorien eine gute Alternative zur Verbesserung der Schraubenstabilität im osteoporotischen Knochen. Bei der „Superior-cortical-screw“-(SCS-)Technik, wird die lumbale Pedikelschraube ca. 3 mm kranial des klassischen Eintrittspunkts nach Magerl eingebracht. Durch eine höhere Knochendichte im kranialen Anteil des Wirbelkörpers kann eine um bis zu 22,4 % gesteigerte Ausrisskraft verglichen mit Pedikelschrauben, die in Magerl-Technik eingebracht wurden, erreicht werden [14]. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Schraubentrajektorie möglichst parallel zur Deckplatte verläuft und nicht von kaudal nach kranial ansteigt, da ansonsten eine Stressspitze an der Schraubenspitze erzeugt werden könnte

Abb. 4
figure 4

Die „Corticle-bone-trajectory“-(CBT-)Technik ist ein weiteres Verfahren, um die Schraubenstabilität im osteoporotischen Knochen zu verbessern. Da das Vorliegen einer Osteoporose sich wesentlich auf die spongiöse Knochenstruktur auswirkt, wird bei dieser Technik versucht, den kortikalen Schraubenhalt zu optimieren. Der Eintrittspunkt liegt im lateralen Bereich der Pars interarticularis, etwa bei der 5‑Uhr-Position für den linken Pedikel und 7‑Uhr-Position für den rechten Pedikel (rote Punkte)

Abb. 5
figure 5

Anschließend wird die Schraube in 25°-Ausrichtung nach kranial (a) und in ca. 10°-Ausrichtung nach lateral (b) eingebracht. Zur Erleichterung kann der Eintrittspunkt mit einer „High-speed“-Fräse eröffnet werden. Verglichen mit konventionellen Pedikelschrauben weisen die „Corticle-bone-trajectory“-Schrauben eine höhere Stabilität im Knochen und eine stabilere kortikale Verankerung auf [15, 16]

Abb. 6
figure 6

Bei der Cauda-Technik werden die Pedikelschrauben, insbesondere im Bereich der Brustwirbelsäule, in der anatomischen Achse des Pedikels eingebracht (rote Punkte). Die führt im Bereich der Brustwirbelkörper zu einer ca. 20° messenden cephalokaudalen Ausrichtung der Schrauben. Hierdurch entsteht eine längere Schraubentrajektorie verglichen mit deckplattenparallelen Schrauben. Des Weiteren kann der kortikale Kontakt posterosuperior und inferoanterior erhöht werden und somit die Schraubenstabilität optimiert werden. Auch bei gelockerten Schrauben, kann diese Technik als Revisionslösung in Erwägung gezogen werden. Der Eintrittspunkt für die Cauda-Schrauben befindet sich am kranialen Übergang von Lamina zu Proc. transversus am aufsteigenden Schenkel; die Schraubenachse verläuft in Abhängigkeit des Wirbelkörpers 0–10° nach medial gerichtet und etwa 20° nach kaudal gerichtet. Aufgrund der nach kaudal ausgerichteten Trajektorie sollten bei dieser Technik lediglich polyaxiale Pedikelschrauben verwendet werden

Wahl der Implantate

 

Abb. 7
figure 7

Bei der Wahl der Implantate hat sich gezeigt, dass der Schraubendurchmesser die Pedikelschraubenstabilität signifikant beeinflussen kann. Es ist daher zu empfehlen, im Rahmen der präoperativen Bildgebung die Pedikelweiten der jeweils zu instrumentierenden Wirbelkörper auszumessen, um eine möglichst dicke Schraube einzubringen. Des Weiteren gibt es verschiedene Schraubendesigns, etwa mit zylindrischer Form oder mit einer Änderung der Gewindegänge, die eine stabilere Verankerung der Schraube im Wirbelkörper bzw. im Pedikel gewährleisten können. Eine weitere Alternative ist die Verwendung von Laminahaken. Sie stützen sich an der hauptsächlich kortikal stabilisierten Lamina ab und gewähren so auch bei osteoporotischer Knochenqualität eine stabile Verankerung [17]

Postoperative Behandlung

  • Direkt postoperative Kontrolle der peripheren Durchblutung, Motorik und Sensibilität

  • Mobilisation ab dem 1. postoperativen Tag

  • Radiologische Kontrolle mittels konventionellen Röntgenbilds und ggf. Computertomographie (CT)

  • Funktionelle Nachbehandlung mit orthograder Mobilisation unter Vermeidung des Hebens schwerer Lasten >5 kg

  • Medikamentöse Behandlung der Osteoporose und Kontrollen im Verlauf

  • Ggf. Materialentfernung im Verlauf (>6 Monate)

Fehler, Gefahren, Komplikationen

  • Zementleckage und -embolie

  • Verletzungen benachbarter Strukturen, insbesondere Spinalnerv, Dura, Myelon

  • Materialfehllage, Materiallockerung

Ergebnisse

In einer von den Autoren durchgeführten biomechanischen Studie an humanen Kadaverwirbelkörpern wurde ein Dauerbelastungstest von konventionell eingebrachten Pedikelschrauben in Wirbelkörpern unterschiedlicher Knochendichte durchgeführt [18]. Es konnte eine hochsignifikante Korrelation von Knochendichte (qCT) und Pedikelschraubenstabilität nachgewiesen werden (r2 = 0,839; p < 0,001). Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass Pedikelschrauben bei einer Knochendichte <80 mg/cm3 nur noch 60 % der Versagenslast und 45 % der Zyklen bis zum Versagen einer Pedikelschraube im Wirbelkörper mit normaler Knochendichte („bone mineral density“: BMD >120 mg/cm3) aufweisen und somit als nicht mehr ausreichend stabil anzusehen sind. Ist diesen Fällen ist dementsprechend über ein Verfahren zur Optimierung der Pedikelschraubenstabilität nachzudenken. In einer weiteren Studie erfolgte ein Dauerbelastungsversuch von augmentierten und nichtaugmentierten Pedikelschrauben. Es konnte gezeigt werden, dass eine Zementaugmentation im osteoporotischen Wirbelkörper zu einer Steigerung der Versagenslast um circa 52 % führt (Versagenslast nichtaugmentiert: 173 N, augmentiert: 263 N; p = 0,001). Im osteopenen Wirbelkörper zeigte sich eine Steigerung der Versagenslast um 33 %, während sich in den Wirbelkörpern mit normaler Knochendichte kein Unterschied in den Versagenslasten der augmentierten und nichtaugmentierten Pedikelschrauben zeigte [19].