Die Notwendigkeit der Kommunikation und des gegenseitigen Kennenlernens ist heute eine humanistische, politische und kulturelle Herausforderung.

Roman Herzog (Ansprache als Bundespräsident anlässlich der ersten Konferenz „Deutsch-Russisches Kulturforum Potsdamer Begegnungen“, 27. April 1999)

Im Jahr 2020 sind in Deutschland 985.572 Menschen verstorben, davon 424.635 Personen in Krankenhäusern [8], im Jahr 2021 hat die Zahl der Sterbefälle in Deutschland zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Schwelle von einer Million überschritten. Modelle sagen voraus, dass die Zahl der Todesfälle innerhalb der deutschen Bevölkerung von 2009–2050 um 26,0 % steigen wird [12]. Etwa 50 % der Deutschen sterben im Krankenhaus [4].

In den Jahren 2004–2005 war die Rate an Intensivstationsaufnahmen pro 100.000 Einwohner in Deutschland höher als in den USA und es gab hierzulande 6‑ bis 10-mal mehr Intensivstationsaufnahmen als in Kanada, den Niederlanden oder Großbritannien [13]. In einer retrospektiven Beobachtungsstudie wurde die deutschlandweite fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik („Diagnosis-related-groups“[DRG]-Statistik) zwischen 2007 und 2015 ausgewertet [6]. Die standardisierten Krankenhausbehandlungsraten stiegen jährlich um 0,8 % (von 201,9 auf 214,6 pro 1000 Einwohner), während die Krankenhausbehandlungssraten mit Inanspruchnahme einer Intensivtherapie jährlich um 3,0 % (von 6,5 auf 8,2 pro 1000 Einwohner) stiegen.

Unter allen Todesfällen in der deutschen Bevölkerung nahm der Anteil der Todesfälle im Krankenhaus mit Inanspruchnahme einer Intensivtherapie jährlich um 2,3 % zu (von 9,8 auf 11,8 %). Der Anteil der Patient*Innen unter den Krankenhaustodesfällen, die eine Intensivtherapie erhielten, erhöhte sich jährlich um 2,8% von 20,6 % (2007) auf 25,6 % (2015). In der Altersgruppe ab 65 Jahre stieg die Zahl der im Krankenhaus Verstorbenen, die eine Intensivtherapie erhielten, sogar 3‑mal so schnell wie die der Krankenhaustodesfälle [6].

Diese Zahlen unterstreichen die nicht nur wahrgenommene, sondern nachweislich zunehmende Belastung in der Intensivmedizin der letzten Jahre für Mitarbeitende, Patient:innen und Zugehörige, die durch die Coronapandemie nochmals erheblich aggraviert wurde. Die Sterblichkeit auf Intensivstationen ist hoch und bei mehr als der Hälfte der verstorbenen Intensivpatienten tritt der Tod nach einer Therapiezieländerung ein [2, 10].

Die komplexen Behandlungssituationen, das Eintreten unvorhersehbarer Ereignisse, die ständige Bereitschaft instabile, vital bedrohte Patient:innen aufzunehmen bedeutet für alle Beteiligten eine besondere Herausforderung. Vor allem gelingende Kommunikation spielt eine entscheidende Rolle für eine Patientenversorgung zum Wohle der Patient:innen [5].

Die gelingende Kommunikation ist entscheidend für eine Patientenversorgung zum Wohle der Patient:innen

In der täglichen Patient:innenversorgung nehmen die mündliche und schriftliche Nachrichtenübermittlung, die vielen Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Patient:innenversorgung der verschiedenen, häufig eine Patient:in parallel betreuenden Personen und medizinischen Fachabteilungen sowie die strukturelle Notwendigkeit von pflegerischen und ärztlichen Dienstübergaben eine herausragende Rolle ein [10]. Neben der interprofessionellen Nachrichtenübermittlung findet naturgemäß noch eine Kommunikation mit Patient:innen und Zugehörigen statt [9]. Kommunikationsschwierigkeiten, d. h. Missverständnisse oder das Fehlen notwendiger Kommunikation, stellen in der (Intensiv‑)Medizin ein relevantes und alltägliches Problem dar. So schildern ca. ein Drittel der Patient:innen und Teammitglieder Schwierigkeiten in der gemeinsamen Kommunikation [7]. Etwa die Hälfte der Angehörigen von Intensivpatient:innen beschreibt eine unzureichende Kommunikation [1]. Hinsichtlich der interdisziplinären/interprofessionellen Kommunikation werden Konflikte von Teammitgliedern bis zu 70 % beschrieben [3].

Das aktuelle Themenheft widmet sich deshalb der „Kommunikation in der Intensivmedizin“. Die Autor:innen beleuchten dabei in den Beiträgen sehr unterschiedliche Aspekte und gehen auf die Teilnehmer:innen bzw. Gruppen kommunikativer Prozesse in der Intensivmedizin ein.

Die unterschiedlichen Gruppen und ihre Rolle im kommunikativen Prozess auf der Intensivstation werden von B. Böll et al. in ihrem Beitrag sehr differenziert aufgebarbeitet. Dabei verweisen die Autor:innen auf die differierenden kommunikativen Fähigkeiten der handelnden Personen und eine sicherlich weiterhin suboptimale Ausbildung und Schulung entsprechender „Skills“. Behandlungsteams könnten sehr von den Erfahrungen der Luftfahrtindustrie profitieren, eine unzureichende bis fehlende Kommunikation ist weiterhin eine der Hauptursachen für Behandlungsfehler in der Intensiv- und Notfallmedizin.

Die Kommunikation mit Intensivpatient:innen ist nach wie vor eine große Herausforderung, wie S. Jöbges in ihrem Beitrag betont. Die akute Erkrankung und damit verbundene Verständigungsschwierigkeiten, aber auch die Wahrnehmung von Kommunikationsbedürfnissen der Patient:innen setzen im Kern auch eine Bereitschaft zur Kommunikation im Team voraus. Die Umsetzung einer menschlichen Intensivmedizin benötigt eine gelingende Kommunikation.

In ihrem Beitrag stellen T. Deffner et al. ein Rahmenkonzept zur psychosozialen Angehörigenversorgung auf der Intensivstation vor. Als Grundlage dieses Rahmenkonzepts werden Entwicklungen in der Kommunikation aus der Palliativmedizin und Pädiatrie genutzt. Die Tatsache, dass Patient:innen und ihre Zugehörigen eine Beziehungseinheit aufgrund von gemeinsamen Werten und Erfahrungen bilden, findet Ausdruck in einem Paradigmenwechsel hin zur angehörigenzentrierten Intensivmedizin. Der Artikel schildert die notwendigen Strukturen, Prozesse und Ausbildungskonzepte, um eine kontinuierliche psychosoziale Angehörigenversorgung zu gestalten.

Anhand vieler persönlicher Beispiele schildert der Beitrag von S. Krotsetis et al. sehr lebensnahe das Konzept des Intensivtagebuchs. Diese in laienverständlicher Sprache geschriebenen Erlebnisse der Angehörigen oder des Teams können den Patientinnen im Nachhinein helfen, ihre Erlebnisse auf der Intensivstation zu verarbeiten und einzuordnen. Für Angehörige können diese aufgeschriebenen Erfahrungen eventuell eine notwendige Trauerarbeit unterstützen. Aber auch für Pflegefachkräfte kann ein Eintrag in ein Intensivtagebuch eine hilfreiche Reflexion auf die eigene Position und Professionalität darstellen.

Intensivstationen gehören für alle Mitarbeitenden zu den psychisch und physisch am stärksten belastenden Bereichen im Krankenhaus. Kommunikationsschwierigkeiten, interdisziplinär oder in der Interaktion mit Patient:innen und Zugehörigen auf der Intensivstation, werden möglicherweise durch die Beteiligten nicht immer wahrgenommen [1, 11]. Die „Notwendigkeit der Kommunikation und des gegenseitigen Kennenlernens“ erfordert, die Perspektiven aller an der Kommunikation Beteiligten einbeziehen.

Dies bedeutet:

  • Kommunikationskonzepte zur gemeinsamen interdisziplinären und interprofessionellen Teamentscheidungen, um Qualität und Sicherheit der Patient:innenversorgung zu gewährleisten;

  • eine Teamwahrnehmung und die Schulung einer angehörigenzentrierten psychosozialen Versorgung;

  • eine wertschätzende Kommunikation mit den Patientinnen als einen relationalen Prozess, um der Autonomie und der Würde des Patienten im Sinne einer humanen Pflege gerecht zu werden;

  • eine Einbindung der Erfahrungen der Zugehörigen, des Teams und der Patient:innen unter Einbeziehung eines Intensivtagebuchs in den Kommunikationsprozess.