Hintergrund und Fragestellung

Angehörige von IntensivpatientenFootnote 1 haben ein hohes Informationsbedürfnis [1]. Fehlende Information kann zu Schlafstörungen, Angst und Stress führen [2,3,4,5,6,7]. Etwa 50 % der Angehörigen suchen im Internet nach Informationen [8]. Zusätzlich kann mangelnde Gesundheitskompetenz bei der Informationssuche problematisch sein [9, 10]. Daher ist eine qualitativ hochwertige, deutschsprachige und laiengerechte Informationsquelle sinnvoll [11]. Eine rezente italienische Studie zeigte, dass eine strukturierte Information Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung reduzieren konnte [12, 13].

Die ausführliche Informationsweitergabe ist für die Mitarbeiter auf Intensivstationen eine zeitintensive Aufgabe, die im Alltag oft der Versorgung der kritisch Kranken untergeordnet werden muss. Eine verlässliche und gut aufbereitete Onlineinformation könnte die Mitarbeiter bei der Informationsvermittlung unterstützen.

Im Rahmen des ICU-Families-Projekts (Abb. 1) wurden in einer Vorstudie von Hoffmann et al. [14] Angehörige von Intensivpatienten und Experten befragt, welche Themen für sie im Zusammenhang mit der Intensivstation wichtig sind. Basierend auf diesen Erkenntnissen wurde eine Webseite für Angehörige von Intensivpatienten entwickelt. Mit der aktuellen Studie soll die Frage nach der Bedienbarkeit und der Funktionalität sowie nach dem Verbesserungspotenzial der Webseite beantwortet werden.

Abb. 1
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Übersicht über das ICU-Families-Projekt. ICU Intensivstation, RCT randomisierte kontrollierte Studie

Methodik

Die entwickelte Webseite wurde anhand von verschiedenen Testszenarien durch Laien und Experten auf ihre Bedienbarkeit und Funktionalität geprüft. Das wesentliche Ziel war es, neue Erkenntnisse zu gewinnen, um die Webseite für die Zielgruppe, Angehörige von Intensivpatienten, möglichst gut nutzbar zu machen und gegebenenfalls Kenntnisse über ihr Entwicklungspotenzial zu erhalten.

Webseite als dynamische Informationsplattform

Die Entwicklung der Webseite als dynamische Informationsplattform erfolgte nach Literaturrecherchen [13, 15,16,17], Befragungen [14] und Analysen von bestehenden Webseiten (z. B. [18, 19] ) in Kooperation mit Studenten der FH Joanneum (Studienzweig eHealth). Besonders berücksichtigt wurde dabei eine gut verständliche Sprache mit dem Verzicht auf unerklärte Fachwörter, eine adäquate Schriftgröße, Piktogramme zur leichteren Orientierung sowie die Einbettung von Bildern und Videos als Ergänzung zum schriftlichen Text [20].

Inhalte

Die Webseite enthält 6 Menüpunkte (Tab. 1; Abb. 2), unter denen jeweils Bilder, schriftliche Erklärungen, ein Forum und eine Tagebuchfunktion zu finden sind. Zusätzlich wurden 5 kurze Filme rund um die Intensivstation zu Themen wie „Keime im Krankenhaus“ oder „die Intensivstation für Kinder erklärt“ produziert. Die Filme ergänzen den geschriebenen Text mit dem Ziel, unterschiedliche Ebenen der Gesundheitskompetenz anzusprechen. Die Endversion der dynamischen Webseite, läuft unter der Domain www.angehörige.at und ist noch passwortgeschützt, solange die Interventionsstudie läuft.

Tab. 1 Übersicht über die Inhalte der Webseite
Abb. 2
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Übersicht über die dynamische Informationsplattform. © Mit freundl. Genehmigung M. Hoffmann 2018. Alle Rechte vorbehalten

Die Testung der Bedienbarkeit

Ein Bedienbarkeitstest („usability test“) hat zum Ziel, Menschen bei der Benutzung und Anwendung der Webseite zu beobachten und soll im Fall der Webseite Schwachstellen hinsichtlich der Positionierung einzelner Themen und der Navigation aufdecken. Es können auch Testabläufe abgebrochen werden, sofern die gewünschten Erkenntnisse gewonnen wurden. Bei nicht Vollendung einer Aufgabe kann diese für weitere Teilnehmer abgeändert werden [21].

Aufbau

Für die Durchführung des Bedienbarkeitstests wurde auf die sog. Think-aloud-Methode zurückgegriffen [22]. Bei dieser Methode mit qualitativen und quantitativen Aspekten handelt es sich um einen explorativen Test aus dem Bereich des „usability engineering“. Dabei werden unter wiederholbaren Laborbedingungen einer ausgewählten Gruppe an Testpersonen Szenarien vorgestellt, die diese mithilfe des zu testenden Systems zu absolvieren haben. Während der Durchführung werden die Testpersonen angehalten, bei allen Aktionen, Tätigkeiten und Problemen ihre Gedanken laut zu formulieren und auszusprechen. Die Think-aloud-Methode ist eine valide und reliable Methode des „usability engineering“ [23]. Eine detaillierte Beschreibung der Kriterien, unter welchen Bedingungen die Methode angewandt werden kann, und des korrekten methodischen Vorgehens findet sich unter anderem in den Arbeiten von Krug [24] und Bastien [25]. Die Methode findet nicht nur im Bereich der Webseitengestaltung Anwendung. Es wurden ebenfalls damit erfolgreich Systeme im Bereich der klinischen Informatik untersucht und es wurde auf etwaige, spezielle Anforderungen im medizinischen Kontext hingewiesen, die auch in diesem Projekt umgesetzt wurden [26].

Zu Beginn jedes Tests wurden die Testpersonen über den Studienablauf aufgeklärt. Zur Auswertung des Tests wurden Probleme bei der Lösung der Aufgaben identifiziert, wenn sie bei mehreren Personen aufgetreten sind. Jedes Testszenario, das nicht erledigt, abgebrochen oder falsch durchgeführt wurde, wurde als Problem definiert. Kommentare der Teilnehmer wurden als Verbesserungspotenzial aufgenommen, ebenso die Inhalte des Feedbackbogens. Die Auswertung der Videos und die daraus protokollierten Probleme und Gedanken ergeben eine Liste zur Verbesserung des Systems.

Testversion 1 mit Videoaufzeichnung.

Alle Testpersonen bekamen verschiedene Szenarien zur Testung der Webseite vorgelegt. Die Testpersonen mussten jedes Szenario laut vorlesen und Schritt für Schritt abarbeiten. Sie wurden gebeten, alles zu kommentieren, was sie sehen, denken und gerade versuchen zu tun. Der Test fand auf einem MacBook Air (Apple, Cupertino, CA, USA) unter Verwendung eines QuickTime Players (Apple, Cupertino, CA, USA) mit Bildschirmaufzeichnung statt.

Testversion 2 mit schriftlicher Anleitung und Feedbackbogen.

Ausschließlich die Experten konnten den Bedienbarkeitstest auf Wunsch in der Testversion 1 mit Videoaufzeichnung oder selbstständig, in der Testversion 2 anhand einer schriftlichen Anleitung und eines Feedbackbogens durchführen. Bei der Testversion 2 konnte jedes Szenario mit einem Rating von 0 (nicht verständlich) bis 10 (leicht verständlich) versehen werden. Die Webseite selbst wurde abschließend auch mit einem Feedbackbogen (Tab. 2) anhand eines Ratings von 0 (nicht gut) bis 10 (sehr gut) beurteilt.

Tab. 2 Übersicht über Einverständniserklärung und Feedbackbogen

Testszenarien

Die 6 Testszenarien (Tab. 3) wurden so aufgebaut, dass vorrangig das Auffinden von Informationen, die Funktionen und die Themenpositionierungen kontrolliert wurden. Der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben steigerte sich mit dem Verlauf der Testszenarien. Vor der Testung in dieser Studie wurde ein Pilottest zur Überprüfung der Testszenarien mit 6 Personen aus dem erweiterten Studienteam durchgeführt.

Tab. 3 Übersicht über die Testszenarien

Studienpopulation

Die Studienpopulation bestand aus medizinischen Laien ohne Vorerfahrung mit Intensivstationen und Experten (Pflegepersonen und ärztliches Personal) mit Erfahrung auf Intensivstationen. Allgemeine Einschlusskriterien waren das Mindestalter von 18 Jahren und Grundkenntnisse im Umgang mit einem Computer. Ausschlusskriterien waren Deutsch als Fremdsprache sowie Einschränkungen beim Lesen und Sehen. Es wurden Männer und Frauen gleichermaßen in die Studie eingeschlossen und auf eine breite Altersverteilung geachtet. Die Laien wurden zufällig aus dem Bekanntenkreis der Prüfer rekrutiert, dabei wurde auf Ausgeglichenheit zwischen akademisch und nichtakademisch ausgebildeten Personen Rücksicht genommen. Die Experten wurden seitens des Studienteams per Zufall ausgewählt und als mögliche Studienteilnehmer vorgeschlagen. Dabei wurden Pflegepersonen und Mediziner gleichermaßen zur Teilnahme eingeladen.

Ergebnisse

Das Alter der Testpersonen lag zwischen 23 und 55 Jahren. Die Testung fand in der Steiermark im Jahr 2016 über einen Zeitraum von 3 Monaten statt. Insgesamt nahmen 20 Personen (Tab. 4) an der Testung teil. Davon führten 13 Personen eine Testversion 1 mit Videoaufzeichnung und 7 Personen die Testversion 2 mit einer schriftlichen Anleitung und Feedbackbogen aus. Testergebnis ist die Analyse des Videos sowie Daten aus dem Feedbackbogen mit Hinweisen zur Bedienbarkeit sowie neuen Erkenntnissen über ein mögliches Verbesserungspotenzial der Webseite.

Tab. 4 Beschreibung der Studienteilnehmer

Es gab 3 Hauptprobleme bei der Lösung der 6 Testszenarien. Die größten Herausforderungen traten zumeist bei Szenario 3 „Kontakt“, bei Szenario 4 „Wissenswertes von A bis Z“ sowie bei Szenario 6 „Angst und Depression“ auf. Mit dem Auffinden des „Kontakt-Links“ hatten 15 Testpersonen Probleme. Bei der Aufgabenstellung zu Angst und Depression hatten 5 Testpersonen Schwierigkeiten mit dem Auffinden der spezifischen Information. Bei der Lösung des Testszenarios „Wissenswertes von A–Z“ hatten ausschließlich 3 der Experten Probleme, die Aufgabe zu lösen. Eine detaillierte Beschreibung ist in Tab. 5 zu finden.

Tab. 5 Ergebnisse

Die Experten bewerteten die Übersichtlichkeit im Mittelwert mit 8,4 als sehr gut. Auf die Frage „Wie informativ ist die Seite?“ wurde im Mittel mit 9 geantwortet. Negativ wurden der zu kleine Kontaktbutton, die geringe Anzahl an Bildern und die fehlende Home-Button-Funktion angemerkt. Positiv aufgefallen sind das übersichtliche Layout und die verwendeten Symbole, das Tagebuch und die Berücksichtigung von Kindern als mögliche Zielgruppe. Die Experten würden mit einem Mittelwert auf der Ratingskala von 9,1 die Seite für Angehörige von Intensivpatienten weiterempfehlen.

Diskussion

Im Rahmen des ICU-Families-Projekts wurde eine deutschsprachige Webseite für Angehörige von Intensivpatienten entwickelt, die Laien mit unterschiedlich ausgeprägter Gesundheitskompetenz ansprechen soll. Die Ergebnisse der anschließenden Bedienbarkeitstestung durch je 10 Laien und 10 Experten brachte wichtige Hinweise zur Identifizierung von Verbesserungspotenzialen für die Webseite. Es zeigten sich Unterschiede bei der Lösung der Testszenarien bei den Laien und den Experten. Dies weist darauf hin, dass eine Miteinbeziehung der potenziellen Zielgruppe eine wichtige Maßnahme bei der Bedienbarkeitstestung von Webseiten mit Gesundheitsinformationen darstellt. Dies legte auch das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (EbM) in seiner Leitlinie „evidenzbasierte Gesundheitsinformation“ als ein wesentliches Merkmal bei der Entwicklung von Gesundheitsinformation fest [27]. Die Anwendung der „Think-aloud-Methode“ zur Bedienbarkeitstestung bringt als Methode wichtige Hinweise zur Verbesserung der Webseite und zeigt in Echtzeit Herausforderungen bei der Benutzung der Webseite auf. Vor allem vor dem Hintergrund der zukünftigen Zielgruppe scheint dies besonders wichtig, da Angehörige von Intensivpatienten in einer Ausnahmesituation sind und daher eine einwandfreie Unterstützung benötigen.

Die nun vorliegenden Ergebnisse unterstützen die weitere Forschungstätigkeit bezüglich der Bereitstellung von Onlineinformation. So kann möglicherweise in Zukunft eine laiengerechte Webseite Angehörige von Intensivpatienten und Experten auf der Intensivstation mit Informationen in der Praxis unterstützen [13, 15, 28,29,30,31].

Limitationen der Studie sind die kleine Stichprobe sowie möglicherweise sozial erwünschte Antworten, da die Testung nicht anonym durchgeführt werden konnte. Die Testpersonen waren Laien ohne Erfahrung mit Intensivstationen. Die Übertragbarkeit auf Angehörige von kritisch Kranken kann hinsichtlich der Testung daher nur auf den Aspekt der Nutzbarkeit und Funktionalität erfolgen, nicht jedoch auf eine bestimmte Wirksamkeit. Die Testung auf Wirksamkeit ist der nächste Schritt im ICU-Families-Projekt. Bei der Erstellung der Inhalte für die Texte auf der Webseite konnten noch nicht alle Aspekte für eine gute schriftliche Information, wie z. B. durchgehend „plain language“ und kurze Sätze, berücksichtigt werden. Ferner besteht die Möglichkeit, dass Testpersonen die einzelnen zum Teil freier formulierten Testszenarien für sich selbst individuell verschieden beantwortet haben, sodass hier keine Aussage über den Grad der Übertragbarkeit auf eine ganze Population getroffen werden kann.

Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse der Bedienbarkeitstestung zeigen, dass sich bei 3 der 6 Testszenarien besonders große Herausforderungen für die Testpersonen ergaben. Insbesondere das Auffinden des Kontakt-Links stellte für 15 der 20 Testpersonen ein Problem dar, weil dieser zu klein war. Die Experten bewerteten den Informationsgehalt sowie die Übersichtlichkeit der Webseite sehr positiv, zudem würden die Experten die Seite für Angehörige von Intensivpatienten empfehlen. Die allgemeinen Rückmeldungen der Testpersonen zeigten besonders den Wunsch nach mehr Bildmaterial.

Die Miteinbeziehung von Laien in die Entwicklung von Gesundheitsinformationen und die Bedienbarkeitstestung erbrachte wichtige Hinweise, wie die Verbesserung der Nutzbarkeit erreicht werden kann, stößt jedoch gleichzeitig auf Grenzen bei der Übertragbarkeit auf eine ganze Population.

Aufbauend auf den vorliegenden Erkenntnissen wurden Verbesserungen an der Webseite durchgeführt. Die Webseite wird seit September 2017 im Rahmen einer randomisierten, kontrollierten und multizentrischen Studie ([32], NCT02931851) getestet.

Fazit für die Praxis

  • Die Anwendung der Think-aloud-Methode zur Bedienbarkeitstestung bringt als explorative Methode wichtige Hinweise zur Verbesserung der Webseite und zeigt in Echtzeit Herausforderungen, denen Benutzer eine Webseite direkt bei der Benutzung begegnen.

  • Eine Übertragbarkeit der Ergebnisse direkt auf Angehörige von Intensivpatienten ist aufgrund der Auswahl der Testpersonen und weiterer Limitationen nur eingeschränkt möglich.

  • Die Ergebnisse der Bedienbarkeitstestung zusammen mit dem Feedback der Testpersonen zeigen ein großes Entwicklungspotenzial für die Webseite und lassen hoffen, dass diese bei der Information von Angehörigen kritisch Kranker das Intensivpersonal unterstützen kann.