Lernziele

Nach Lektüre dieses Beitrags ...

  • kennen Sie die Inhalte der gezielten Anamneseerhebung bei Stuhlinkontinenz.

  • sind Sie mit der Routinediagnostik bei Stuhlinkontinenz vertraut.

  • wissen Sie, welche Maßnahmen die konservative Therapie der Stuhlinkontinenz umfasst.

  • kennen Sie den Stellenwert der Sakralnervenstimulation.

  • wissen Sie, wie die Sakralnervenstimulation durchgeführt wird.

Definition

Das Symptom Stuhlinkontinenz beschreibt den wiederholten, unwillkürlichen Abgang von Gasen, flüssigem oder festem Stuhl über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten bei Personen mit einem Entwicklungsalter von mindestens 4 Jahren. In der Allgemeinbevölkerung kann unter Frauen von einer Prävalenz zwischen 7 und 15 % ausgegangen werden [1]. Gelegentlich wird zwischen einer Stuhlinkontinenz, dem unkontrollierten Abgang von Stuhl und einer analen Inkontinenz , dem unkontrollierten Abgang von Gasen, unterschieden. In der klinischen Praxis sind die Übergänge jedoch fließend und eine weithin gebräuchliche Schweregradeinteilung schließt den Luftabgang daher mit ein.

Klinische Schweregradeinteilung der Stuhlinkontinenz:

  • Grad 1: unkontrollierter Abgang von Winden

  • Grad 2: unkontrollierter Abgang von flüssigem Stuhl

  • Grad 3: unkontrollierter Abgang von festem Stuhl

Ätiologie

Zur Kontinenz tragen das Rektum als Speichersystem und der Beckenboden mit dem Schließmuskelapparat als Rückhaltesystem bei. Kontinenz und willkürliche Defäkation setzen die Koordination dieser Systeme durch autonome Reflexbögen und die aktive bewusste Kontrolle voraus. Bei Frauen sind häufig anatomisch-strukturelle Störungen des Beckenbodens und des Schließmuskels zu finden, primär infolge traumatischer Geburten und chirurgischer Eingriffe am Becken. Bei Männern überwiegen dagegen sensorische und funktionelle Störungen der Defäkation ([2]; Tab. 1).

Tab. 1 Pathophysiologie und Ursachen der Stuhlinkontinenz

Diagnostik

Anamnese

Inkontinenz ist stark tabuisiert. Lediglich 25 % der betroffenen Menschen berichten entsprechende Beschwerden spontan ihrem Arzt [3]. Die Tabuisierung macht es Patienten zudem schwer, ihre Beschwerden und Symptome detailliert zu beschreiben. Im Anamnesegespräch hat es sich bewährt, den Patienten Hilfestellungen zu geben, beispielsweise durch die Frage nach dem Gebrauch und häufigen Wechsel von Vorlagen. Zudem sollte man proaktiv nach speziellen Sitzpositionen oder manueller Unterstützung der Defäkation fragen. Besondere Aufmerksamkeit ist der Abgrenzung von Stuhlschmieren, Schleimabgang und Flatulenz zu schenken. Diese Symptome weisen auf andere Erkrankungen hin, etwa auf Hämorrhoiden, Fisteln oder auch auf eine mangelnde Hygiene. Die Anamneseerhebung sollte auch darauf abzielen, zwischen einer passiven Inkontinenz und Dranginkontinenz zu unterscheiden. Mischformen sind jedoch häufig. Zudem ist häufig eine Harninkontinenz mit vergesellschaftet und muss anamnestisch erfasst werden. Außerdem ist die Stuhlkonsistenz für die Kontinenzleistung ein wesentlicher Aspekt.

Das primäre Ziel einer Inkontinenztherapie ist die Verbesserung der Lebensqualität . Ein wesentlicher Aspekt der Anamneseerhebung ist daher auch die Frage nach konkreten Einschränkungen im Alltag („Was können Sie im täglichen Leben aufgrund dieser Beschwerden nicht tun?“). Neben der Anamnese vorausgegangener koloproktologischer Eingriffe sollten gynäkologische und urogynäkologische Voroperationen abgefragt werden, beispielsweise eine Hysterektomie oder Harnblasenanhebung.

Objektivierung der Kontinenzleistung und Lebensqualität

Die Schwierigkeiten der Patienten, ihre Probleme und Einschränkungen zu objektivieren, machen standardisierte Fragebögen unerlässlich. Die Quantifizierung der Beschwerden in Form eines Scores ist zudem hilfreich, wenn es später um die Bewertung therapeutischer Interventionen, beispielsweise einer sakralen Teststimulation, geht. Das Führen eines Stuhltagebuchs ist wichtig, damit die meist subjektiven Angaben zu Stuhlfrequenz, ungewolltem Stuhlverlust und Stuhlqualitäten objektiviert und Veränderungen dokumentiert werden können.

Score-Systeme zur Quantifizierung der Inkontinenz sind in der Anamneseerhebung und für die Verlaufsbeurteilung während einer Therapie unerlässlich. Einfache und weit verbreitete Fragenkataloge sind der Wexner-Score [4] oder das St. Marks Fecal Incontinence Grading System [5]. Die Fecal Incontinence Quality of Life Scale erfasst nicht nur die Inkontinenz, sondern in diesem Zusammenhang auch die Lebensqualität [6]. Es soll jedoch an dieser Stelle betont werden, dass keines dieser Instrumente einen „Schwellenwert“ liefert, der die Indikation zu einer Intervention unmittelbar begründet oder gar die Indikation zu einer bestimmten Maßnahme nach sich zieht. Vielmehr dienen die ermittelten Werte zur Objektivierung der tatsächlichen Einschränkungen und zur Verlaufsbeurteilung während der Behandlung.

Klinische proktologische Untersuchung

Die körperliche Untersuchung folgt den koloproktologischen Standards mit Inspektion (inklusive Pressens), digital-rektaler Untersuchung (DRU), Proktoskopie und Rektoskopie. Sie wird durch eine Sphinktermanometrie und eine Endosonographie ergänzt.

Die Inspektion gibt Aufschluss über Narben als Zeichen vorausgegangener Eingriffe. Ein perianales Ekzem kann Folge einer Inkontinenz sein. Ein aktives Pressen kann einen Prolaps provozieren oder einen pathologischen Descensus perinei zeigen.

Der Analreflex gibt Orientierung über den Reflexbogen des N. pudendus und der Rückenmarkssegmente S3–S5.

Die DRU durch den erfahrenen Untersucher ist bei vielen Krankheitsbildern ein äußerst wichtiger Bestandteil der klinischen Untersuchung. Sie leistet wesentlich mehr als nur den Ausschluss oder Nachweis einer eventuellen „Resistenz“ oder eines Tumors.

Länge und Konfiguration des Analkanals lassen sich gut abschätzen und eine ventrale Rektozele direkt nachweisen. Die zirkuläre Palpation des Sphinkterrings ist hoch sensitiv und prädiktiv für die Detektion einer Dehiszenz des Muskelrings und die Funktion der Puborektalisschlinge. Die Lage eines Sphinkterdefekts wird nach „Uhrzeiten“ in Steinschnittlage (SSL) und die Größe des Defekts in Winkelgraden angegeben. Das Digital Rectal Examination Scoring System (DRESS) ist eine einfache, aber valide Methode zur Objektivierung der muskulären Funktion des Sphinkterapparats ([7, 8]; Tab. 2). Der ausbleibende passive Verschluss des Analkanals zeigt eine Funktionsstörung des inneren Schließmuskels und somit eine Störung der unwillkürlichen Kontinenzfunktion an (Tab. 2).

Tab. 2 Digital Rectal Examination Scoring System (DRESS) zur klinischen Einteilung der Sphinkterleistung

Sphinktermanometrie

Durch eine einfache anorektale Manometrie (ARM) kann sowohl der Ruhe- als auch der Kneifdruck schnell und mit geringem technischem Aufwand ermittelt werden. Die einfachste technische Methode ist die Messung über eine mit Wasser gefüllte Sonde, die einen orientierenden Wert für den gemessenen Druck angibt. Technisch differenzierter ist eine solide Sonde mit 4 Druckaufnehmern, die für jeden Quadranten gesondert einen Wert ermittelt. Für die ARM sind keine Normalwerte definiert. In einer longitudinalen Untersuchung von Bharucha et al. [9] wurden an gesunden Probanden ein durchschnittlicher Ruhedruck von etwa 60 mm Hg und ein durchschnittlicher maximaler Kneifdruck von 145 mm Hg mit guter Reproduzierbarkeit ermittelt. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Ruhedruck großenteils durch den inneren Sphinkter und der Kneifdruck durch den äußeren Sphinkter bestimmt wird. In einer Untersuchung an inkontinenten Patienten wurde ein maximaler Kneifdruck <60 mm Hg bei Frauen und <120 mm Hg bei Männern als auffällig gewertet ([10]; Tab. 2).

Die High-resolution-Manometrie ist eine neuere Entwicklung, die ihre Wertigkeit aber noch zeigen muss und bislang nicht in der allgemeinen Routinediagnostik der Stuhlinkontinenz etabliert ist. Die Compliance und Sensitivität des Rektums können über das Barostatsystem , einen in das Rektum eingeführten Ballon, getestet werden. Die Methode ist zeitaufwendig und daher nicht allgemein etabliert.

Prokto- und Rektoskopie

Die endoluminale Diagnostik sollte insbesondere endoluminale Erkrankungen , wie Hämorrhoiden, Mukosaprolaps, Neoplasien oder entzündliche Veränderungen, ausschließen. Im Rahmen der Primärdiagnostik ist hierzu selbstverständlich auch einmalig eine komplette Koloskopie obligat.

Endosonographie

Die Endosonographie ist die Methode der Wahl zur Diagnostik von Schließmuskelläsionen . Sie zeigt eine gute Korrelation mit der DRU. Während der digital-rektal ermittelte Kneif- und Ruhetonus gut mit manometrisch ermittelten Messwerten korreliert, kann manometrisch nicht zwischen einem funktionell und strukturell bedingten Tonus unterschieden werden [11]. Umgekehrt war in einer Untersuchung von Sentovich et al. [12] die Endosonographie bei 10 % der untersuchten Frauen falsch-positiv hinsichtlich einer Sphinkterläsion, sodass auch die Endosonographie nur zusammen mit der DRU und ARM eine zuverlässige Zuordnung einer Stuhlinkontinenz zu funktionellen und strukturellen Ursachen ermöglicht. Die Bildgebung kann durch eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Beckens zur Darstellung des Schließmuskelapparats ergänzt werden.

Neurologische Diagnostik

Zur neurologischen Testung stehen mehrere Messmethoden und Parameter zur Verfügung. In einer kleinen Serie von Altomare zeigte lediglich die Sphinkterelektromyographie einen positiven prädiktiven Wert, während die N.-pudendus-Leitgeschwindigkeit den Erfolg einer Sakralnervenstimulation (SNS) nicht voraussagen konnte und in der klinischen Diagnostik nicht routinemäßig durchgeführt wird [13, 14].

Konservative Therapie

Das übergeordnete Ziel der Inkontinenztherapie ist die Verbesserung der Lebensqualität. In den meisten Fällen kann die Inkontinenz nicht vollständig beseitigt, aber graduell verringert werden, somit verbessert sich auch die Lebensqualität der Patienten. Praktisch alle Patienten behelfen sich im Alltag mit Vorlagen, selbst erlernten Verhaltensstrategien, Ernährungsgewohnheiten und unterschiedlichen Techniken zur Stuhlregulation. Es liegen keine objektivierbaren Daten vor, aber nicht zuletzt die angenommene hohe Dunkelziffer von Patienten mit Störungen der Kontinenz lässt vermuten, dass viele Patienten mit solchen Maßnahmen zumindest eine akzeptable Lebensqualität im Alltag erzielen.

Dementsprechend sind Patientenaufklärung, Stuhlregulation, Verhaltensstrategien (Kneifen vor Husten oder Bauchpresse) und geplante, regulierte Stuhlentleerungen erste nichtinvasive Maßnahmen, die bei vielen Patienten bereits zu einer hinreichenden Verbesserung der Lebensqualität führen können. Eine regelmäßige geplante Stuhlentleerung kann durch eingeübte Rituale oder durch Selbstirrigation [15] erreicht werden. Der Gebrauch handelsüblicher Hygienevorlagen kann durch weitere Hilfsmittel wie anale Tampons („anal plugs“) unterstützt werden. Wissenschaftlich begründete Daten hierzu liegen aber kaum vor. In einer Untersuchung von Heymen et al. [16] erzielten jedoch 21 % der Patienten nach diesen konservativen Maßnahmen für mindestens 12 Monate eine Verbesserung ihrer Kontinenzleistung, sodass keine weiterführenden Maßnahmen notwendig wurden.

Ziel der Stuhlregulation ist die regelmäßige Entleerung eines weichen, aber geformten Stuhls. Die Datenlage zu einzelnen Substanzen ist im Zusammenhang mit der Inkontinenztherapie eher schwach, dennoch gilt die Stuhlregulation als essenzieller Bestandteil der konservativen Therapie. Trägt dünnflüssiger Stuhl zur Inkontinenzsymptomatik bei, ist die Regulation über natürliche (Flohsamen [17]) und pharmazeutisch bereitgestellte Ballaststoffe (Quellmittel; Macrogol) möglich. Eine Stuhlregulation durch Colestyramin hat ebenfalls einen positiven Effekt auf die Stuhlinkontinenz gezeigt [18].

Eine pharmakologische Verzögerung der Darmpassage bei Diarrhöen kann durch Loperamid oder Opiumtinktur erreicht werden und wird in der Praxis häufig eingesetzt [19].

Valproat, topisches Phenylephrin und andere Pharmaka wurden eingesetzt, um den Tonus des inneren Schließmuskels zu steigern. Eine allgemeine Empfehlung für diese Substanzen konnte aus Untersuchungen aber nicht abgeleitet werden [20].

Beckenbodentraining gilt als essenzielle konservative Maßnahme in der Therapie stuhlinkontinenter Patienten. Ein regelmäßiges Training für 3–6 Monate führt bei 50–70 % der Patienten sowohl zu einer subjektiven Beschwerdebesserung als auch zu einer Verbesserung von quantitativen Parametern wie Lebensqualität, Inkontinenzepisoden und Sphinkterkneifdruck. Die Anleitung der Patienten kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen. In der Praxis ist die mündliche Anleitung durch Physiotherapeuten üblich. Aufwendigere Verfahren zur Anleitung, wie DRU oder Endosonographie, konnten keine Vorteile zeigen [21, 22].

Das sogenannte Biofeedback ist eine technische Erweiterung des Beckenbodentrainings. Über eine Sonde erhält der Patient mit optischen oder akustischen Signalen eine unmittelbare Rückmeldung zur beübten Muskulatur. Neben der Inkontinenz kommt dieses Verfahren auch bei der Beckenbodendyssynergie zum Einsatz. In einer Vielzahl von Untersuchungen konnte eine objektive Verbesserung mehrerer Parameter bei stuhlinkontinenten Patienten erreicht werden. So verbessert sich sowohl der Tonus der Beckenbodenmuskulatur als auch die Sensibilität der Rektumfüllung und der reflektorischen muskulären Antwort des Beckenbodens [23]. Nach 3 Monaten berichten 70 % der Patienten eine Verbesserung und die Hälfte der Patienten erreicht eine vollständige Kontinenz [24].

Sakralnervenstimulation (Neuromodulation)

Prinzip

Das Prinzip der SNS wurde ursprünglich für die Urininkontinenz entwickelt. Der erste Bericht über eine Symptomverbesserung bei Stuhlinkontinenz wurde 1995 von Matzel et al. [25] publiziert. Die überraschend guten Ergebnisse bei unterschiedlichen Ätiologien der Stuhlinkontinenz und der minimalinvasive Charakter der Methode führten zu einer schnellen Verbreitung der Technik. Invasive chirurgische Verfahren wie die ventrale Sphinkterrekonstruktion wurden hierdurch sogar teilweise ersetzt.

Der exakte Wirkmechanismus der SNS ist bislang aber nicht vollständig geklärt. Es werden hauptsächlich drei Effekte angenommen:

  • Somatoviszeraler Reflex

  • Modulierte Wahrnehmung afferenter Signale

  • Verstärkte efferente Stimulation des Schließmuskels

Kontinenz wird durch Distension des Rektums und Kontraktion des muskulären Beckenbodens und Sphinkterapparats gewährleistet. Defäkation wiederum wird durch Relaxierung des Beckenbodens und Sphinkterapparats und durch Kontraktion des Rektums ermöglicht. Dieses Zusammenspiel wird durch spinale und supraspinale Reflexbögen koordiniert. Eine sozial kompatible Kontinenz unterliegt zudem einer übergeordneten kortikalen Steuerung durch den frontalen und medialen präfrontalen Kortex [26].

Die Nervenwurzeln S2–S4 führen zum einen autonome Fasern zum linken Hemikolon, Rektum und inneren, glattmuskulären Schließmuskel und zum anderen sensorische Afferenzen vom inneren und äußeren Schließmuskel und vom Beckenboden. Folglich können durch eine S3-Stimulation sowohl somatische und viszerale als auch afferente und efferente Signale moduliert werden. Definiert durch physikalische Parameter wie Stromstärke und -frequenz werden wahrscheinlich primär sensorisch-autonome Fasern (IA- und II-Fasern) angesprochen. Latenzmessungen der zu beobachtenden analen Kontraktionen deuten darauf hin, dass es sich dabei weniger um eine direkte Stimulation efferenter Motoneurone, sondern um einen afferent getriggerten Reflexbogen handelt, der spinal lokalisiert ist und zentral reguliert wird [27, 28, 29]. In der Summe könnten die stimulierten Afferenzen insgesamt zu einer Inhibition der Kolonmotilität [30] und Tonuserhöhung des inneren Analsphinkters führen [26].

Indikationsstellung zur Testsondenimplantation

Grundsätzlich kann eine Testphase bei praktisch jeder Ätiologie der Inkontinenz erwogen werden. Dies gilt auch für Patienten mit Sphinkterdefekten, Pudendusneuropathien, postoperativen Funktionsstörungen, wie dem „low anterior resection syndrome“, oder auch mit spinalen Krankheiten, wie dem Cauda-equina-Syndrom [31, 32, 33].

Da der therapeutische Erfolg und die Patientenzufriedenheit auf der Grundlage der präoperativen Diagnostik nicht hinreichend prognostiziert werden können, gliedert sich die Behandlung in zwei Schritte. Zunächst erfolgen die Implantation eines temporären Testsystems und eine systematische Evaluation der Kontinenzleistung für etwa 3 Wochen. Drei von vier Patienten entscheiden sich danach für die Implantation eines permanenten Systems.

Technik und Durchführung der Testung

In den meisten Fällen wird die Elektrode zur Stimulation unilateral im Neuroforamen S3 platziert, auch wenn grundsätzlich eine Platzierung in S2 oder S4 möglich ist. Nach bilateraler Punktion und Durchleuchtungskontrolle der Nadelpositionen erfolgt eine intraoperative Teststimulation. Bei korrekter Lage der Elektrode sind ein Kneifen des Analsphinkters und eine Plantarflexion der Großzehe zu beobachten. Die Neuroforamina werden bilateral punktiert und der Schwellenwert zur motorischen Antwort des Analsphinkters ermittelt. Wird eine bilaterale Teststimulation durchgeführt, werden Testelektroden beidseits platziert, die sich dann über den externen Schrittmacher wechselseitig testen lassen. Das Testsystem muss nach der Testphase durch einfachen Zug entfernt werden. Wird die Indikation zur Implantation eines permanenten Systems gestellt, muss die permanente Elektrode in einem zweiten Eingriff neu im Neuroforamen platziert werden.

Alternativ kann bereits für die Testphase eine permanente Sonde eingebracht werden. Nach beidseitiger Punktion der Neuroforamina wird auf der Seite mit dem niedrigsten Schwellenwert zum Auslösen einer muskulären Antwort eine permanente Elektrode implantiert. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass später zur Implantation des permanenten Systems das Neuroforamen nicht erneut punktiert werden muss und dass die Elektrodenposition für die permanente Stimulation exakt der Position bei der Testung entspricht. Im zweiten Eingriff muss dann lediglich das externe Testaggregat gegen ein subkutan implantiertes Aggregat ausgetauscht werden.

Offenbar ist die Neuroanatomie des N. pudendus variabel. Es wurden Asymmetrien der Afferenzen des N. pudendus wie auch der Efferenzen zum Analsphinkter beschrieben [34]. Die Testung beider Seiten, entweder intraoperativ oder über ein temporäres bilaterales System, scheint daher obligat. Die bilaterale permanente Stimulation konnte aber gegenüber der unilateralen Stimulation keinen Vorteil zeigen [35].

Die elektrophysiologischen Parameter der Stimulation sind wesentliche Determinanten hinsichtlich der stimulierten Nervenfasern und physiologischen Wirkungen. Die Frequenz eines Nervenimpulses ist üblicherweise Ausdruck der Signalintensität afferenter Signale bzw. der muskulären Antwort efferenter Signale. Zur SNS wird eine Frequenz von 14 bis 15 Hz eingesetzt. Die Stromstärke wird üblicherweise so gewählt, dass die Patienten die Stimulation eben nicht als solche wahrnehmen. In Abhängigkeit von der Elektrodenposition werden Stromstärken zwischen 0,3 und 0,8 mA verwendet. Bei diesen Parametern handelt es sich jedoch weitgehend um Erfahrungswerte, die nur teilweise mit klinisch-experimentellen Daten untermauert sind [36]. Die Stimulation wird als Dauerstimulation lebenslang durchgeführt. Die Lebensdauer des Aggregats ist abhängig von den eingestellten Parametern und liegt üblicherweise zwischen 3 und 7 Jahren.

Ergebnisse

Als therapeutischer Erfolg wird in der Literatur in der Regel eine Reduktion der Inkontinenzphasen um mindestens 50 % angesehen. Aus einer systematischen Literaturübersicht mit 302 Patienten und einer europäischen Registerstudie mit 407 Patienten ergeben sich übereinstimmende Langzeitergebnisse zur SNS [33, 37].

Nach der Testphase erhalten etwa 3 von 4 Patienten ein permanentes System. Die übrigen erfahren keine wesentliche Verbesserung ihrer Beschwerden oder lehnen aus anderen Gründen ein permanentes System ab. Ein Anteil von 10 % hat nach der Implantation des permanenten Systems einen Funktionsverlust, weitere 10 % erfahren im längeren Verlauf einen Wirkungsverlust, sodass nach einem Intention-to-treat(ITT)-Ansatz etwas mehr als 50 % der Patienten eine dauerhafte Verbesserung ihrer Stuhlinkontinenz verzeichnen, nach dem Per-protocol-Ansatz gut 80 %. Ein Drittel dieser Patienten ist komplett kontinent.

Tjandra et al. [38] randomisierten 120 Patienten in 2 Gruppen: 60 Patienten wurden rein konservativ behandelt, während in der Interventionsgruppe 60 Patienten eine temporäre und bei Erfolg eine permanente Implantation erhielten. Während in der Kontrollgruppe keine Verbesserung der Symptomatik erreicht werden konnte, reduzierte die SNS in der Therapiegruppe die Inkontinenzepisoden pro Woche im Mittel von 9,5 auf 3,1 und die Anzahl der Tage mit Inkontinenzepisoden pro Woche im Mittel von 3,3 auf 1 (p <0,0001).

Obwohl es sich um implantiertes Fremdmaterial in einer infektionsanfälligen Köperregion handelt, sind infektiöse Komplikationen selten. Sie werden lediglich bei etwa 5 % der Patienten berichtet. Durch mechanische Komplikationen wie Arrosionen der Aggregattasche, Schmerzen im Bereich des Implantats oder auch Batterieerschöpfung ist innerhalb von 5 Jahren mit einer chirurgischen Revisionsrate von etwa 20 % zu rechnen.

Klinische Praxis der Inkontinenztherapie

Ein einfacher Therapiealgorithmus ist in Abb. 1 dargestellt. Ergibt sich nach eingehender Anamneseerhebung und weiterführender Diagnostik ein Therapiebedarf und findet sich eine anatomisch-strukturelle Gefügestörung, etwa ein externer Rektumprolaps, eine Fistelbildung oder ein Sphinkterdefekt, bietet sich die chirurgisch-anatomische Korrektur an. Insbesondere bei Sphinkterdefekten scheint die SNS jedoch der Rekonstruktion gleichwertig zu sein. In allen anderen Fällen, auch in unklaren Situationen, steht zunächst die konservative Therapie mit Beckenboden- und Biofeedbacktraining im Vordergrund. Bei Versagen oder unzureichender Wirkung ist die SNS ein angemessener Therapieversuch mit geringer Morbidität und einer Erfolgsrate von mindestens 50 %. Die Schrittmachertherapie bietet sich zudem für Patienten nach chirurgischen Maßnahmen mit unzureichendem Erfolg oder erneuter sekundärer Verschlechterung der Kontinenzleistung an (Abb. 1). Die perkutane Stimulation des N. tibialis posterior bietet zukünftig möglicherweise eine nichtinvasive Therapiealternative [39]. Weitere Ergebnisse dieser Methode sind zu erwarten.

Abb. 1
figure 1

Stellenwert der Sakralnervenstimulation in der Behandlung der Stuhlinkontinenz. LQ Lebensqualität; SNS Sakralnervenstimulation

Fazit für die Praxis

  • Inkontinenz ist stark tabuisiert. Im Anamnesegespräch müssen die Beschwerden daher proaktiv erfragt werden.

  • Score-Systeme zur Quantifizierung der Inkontinenz sind in der Anamneseerhebung und für die Verlaufsbeurteilung unerlässlich.

  • Die körperliche Untersuchung folgt den koloproktologischen Standards. Sie wird durch eine Sphinktermanometrie und Endosonographie ergänzt.

  • Das primäre Ziel einer Inkontinenztherapie ist die Verbesserung der Lebensqualität.

  • Patientenaufklärung, Stuhlregulation, Verhaltensstrategien und regulierte Stuhlentleerungen sind erste nichtinvasive Maßnahmen.

  • Beckenbodentraining gilt als essenzielle konservative Maßnahme. Eine technische Erweiterung ist das Biofeedback.

  • In der SNS-Behandlung wird zunächst ein temporäres Testsystem implantiert. Drei von 4 Patienten erhalten danach ein permanentes System.

  • Eine SNS-Testphase kann bei jeder Ätiologie der Inkontinenz erwogen werden.

  • Bei anatomisch-struktureller Gefügestörung bietet sich die chirurgisch-anatomische Korrektur an. Insbesondere bei Sphinkterdefekten scheint die SNS jedoch der Rekonstruktion gleichwertig zu sein.