Zusammenfassung
Die Möglichkeit dieser Übertragung des ursprünglich rhetorischen Begriffs gründet im Wandel kunsttheoretischer Paradigmen im 2. Drittel des 18. Jahrhunderts. Untersucht werden Bedeutung und Funktion des Erhabenen sowie der Stellenwert von Naturdarstellung in der “empfindsamen” Kunsttheorie, um von hier aus die Gemeinsamkeit beider Bereiche als ihre identische emotive Qualität zu bestimmen.
Abstract
The transfer of the concept of the sublime from its original rhetorical context to objects of external nature has been made possible by the change of paradigms in the theory of art which occurred within the second third of the eighteenth century. This article analyses both meaning and function of the sublime as well as the place allotted to the representations of nature in the ‘sentimental’ theory of art. This correlation of the sublime and nature reveals their identity in the perception of a common emotive quality.
Literature
Goethe an Frau v. Stein 7. 12. 1779, in Goethes Werke, hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, IV. Abt., 4. Bd. (1889), 153. - Leonhard Meister zit. nach Peter Lahnstein, Report einer ‘guten alten Zeit’: Zeugnisse und Berichte 1750–1805 (1977), S. 482.
-Georg Forster, Ansichten von Niederrhein…, in ders., Werke in vier Bänden, hrsg. v. Gerhard Steiner, II (1969), 865.
Karl Viëtor, “Die Idee des Erhabenen in der deutschen Literaturgeschichte,” in ders., Geist und Form: Aufsätze zur deutschen Literaturgeschichte (1952), S. 234–266, hier S. 356, Anm. 108, klammert das Problem explizit aus. Die meines Wissens einzigen Arbeiten, die sich ausfuhrlicher mit ihm befassen, sind
Samuel H. Monk, The Sublime: A Study of Critical Theories in XVIII-Century England (1960), S. 203ff.
sowie Ernest Tuveson, “Space, Deity, and the ‘Natural Sublime,’” Modern Language Quarterly, 12 (1951), 20–38, der allerdings nur die englische Frühphase bis Addison untersucht.
Joachim Ritter,“Ästhetik, ästhetisch,” in Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. v. Joachim Ritter, I (1971), 555–580, hier 558 und 565. Von Ritter geht offenbar Renate Homann in ihrem Teil des Artikels “Erhaben” im II. Bd. von Ritters Wörterbuch aus (Sp. 627–635, hier Sp. 629). Von Ritter abweichend
Hans Blumenberg, Die Genesis der kopernikanischen Welt (1965), S. 66–79. -
Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, 2. Aufl. (1974), S. 292ff.
Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, in ders., Werke in zehn Bänden, hrsg. v. Wilhelm Weischedel (1975), VIII, 344, 343, vgl. 330.
Immanuel Kant, Beobachtungen über das Geßhl des Schönen und Erhabenen, ebd. II, 821–884. -
Karl Heinrich Heydenreich, “Grundriß einer neuen Untersuchung über die Empfindungen des Erhabenen,” Neues philosophisches Magazin, Erläuterungen und Anwendungen des Kantischen Systems bestimmt, hrsg. v. J. H. Abicht und F. G. Born, 1 (1790), 86–96.
So z. B. bei Ernst Platner, Neue Anthropologießr Aerzte und Weltweise (1790), I, § 796ff. - Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in ders., Werke (wie Anm. 4), X, 568 f.
Zum Kontext vgl. Rolf Grimminger, “Die Utopie der vernünftigen Lust: Sozialphilosophische Skizze zur Ästhetik des 18. Jahrhunderts bis zu Kant,” in Aujklärung und literarische Öffentlichkeit, hrsg. v. Christa Bürger, Peter Bürger und Jochen Schulte-Sasse (1980), S. 116–132.
Ludwig Fischer, Gebundene Rede: Dichtung und Rhetorik in der literarischen Theorie des Barock in Deutschland (1968), S. 171 ff., 177ff.
So z. B. bei Kaspar Stieler. Vgl. Joachim Dyck, Ticht-Kunst: Deutsche Barockpoetik und rhetorische Tradition (1966), S. 99. Für das Folgende vgl. ebd. S. 91–112, ferner Fischer (wie Anm. 8), S. 99–183, sowie
Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 2. Aufl. (1973), § 1079/3, S. 522ff.
Vgl. Dyck (wie Anm. 9), S. 82ff. - Hans Peter Herrmann, Naturnachahmung und Einbildungskraft: Zur Entwicklung derdeutschen Poetik von 1670 bis 1740 (1970), S. 40, 45f.
Zur Geschichte der Longinrezeption vor Boileau vgl. Alfred Rosenberg, Longinus in England bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (1917). - Monk (wie Anm. 2), S. 18ff.
- Bernard Weinberg, “Translations and Commentaries of Longinus, On the Sublime, to 1600: a Bibliography,” Modern Philology, 47 (1950), 145–151.
August Wilhelm Schlegel, Die Kunstlehre, in ders., Kritische Schriflen und Briefe, hrsg. v. Edgar Lohner, II (1963), 45.
Oeuvres de Boileau, hrsg. v. Jacques Bainville (1928), III, 132. - Zum Verhältnis von Boileau zu Longin vgl. Monk (wie Anm. 2), S. 29ff.
- Jules Brody, Boileau and Longinus (1958).
- Théodore A. Litman, Le Sublime en France (1971), S. 63ff.
- Herbert Dieckmann, “Zur Theorie der Lyrik im 18. Jahrhundert in Frankreich…,” in ders., Studien zur Europäischen Aufklärung (1974), S. 327–371, hier S. 351 ff.
Walther Rehm, “Römisch-französischer Barockheroismus und seine Umgestaltung in Deutschland,” in ders., Götterstille und Göttertrauer: Aufsätze zur deutsch-antiken Begegnung (1951), S. 11–61, hier S. 15ff. u.ö.
[Pierre] Corneille, Théâtre complet, hrsg. v. Roger Caillois (1957), II, 390. - Zu den Verbindungen von Heroismus und “sublime” vgl. Rehm (wie Anm. 26), S. 28. - Viëtor (wie Anm. 2), S. 235ff.
Johann Christoph Gottsched, Versuch einer Critischen Dichtkunst (erstmals 1730, hier 4. Aufl. 1751; Neudruck 1982), S. 123, 125. Im folgenden Nachweise mit Angabe der Seitenzahl im Text.
Johann Christoph Gottsched, “Die Schauspiele und besonders die Tragödien sind aus einer wohlbestellten Republik nicht zu verbannen” (1729), in ders., Schriflen zur Literatur, hrsg. v. Horst Steinmetz (1977), S. 3–11, hier S. 6. - Vgl. Critische Dichtkunst (wie Anm. 33), S. 167.
Johann Jacob Breitinger, Critische Dichtkunst, 2 Bde. (1740; Neudruck 1966), I, 7, 78, 102 f. Im folgenden Nachweise unter der Sigle CD mit Band- und Seitenzahl im Text.
CD I, 22f., 28, 72. - Vgl. Johann Jacob Bodmer, Critische Betrachtungen über die poetischen Gemähide der Dichter (1741; Neudruck 1971), S. 133. Das Werk wird im Text mit CBe und der Seitenzahl abgekürzt.
Vgl. Frederick Staver, “‘Sublime’ as Applied to Nature,” Modern Language Notes, 70 (1955), 484–487, hier 486.
Marilyn K. Torbruegges These, “daß Bodmers Begriff vom Wunderbaren in der epischen Dichtung mit dem Longinschen Erhabenen gleichzusetzen ist,” kann hier nicht diskutiert werden. “Johann Heinrich Füßli und ‘Bodmer-Longinus’: Das Wunderbare und das Erhabene,” DVjs, 46 (1972), 161–185, hier 170. Vgl. dies., “Bodmer and Longinus,” Monatshefte, 63 (1971), 341–357.
In Johann Jacob Bodmer, Brief= Wechsel von der Natur des Poetischen Geschmacks (1736; Neudruck o.J.), S. 95–115, hier S. 97ff. - Auch Friedrich Nicolai verwendet “erhaben” noch als soziales Prädikat: “Abhandlung vom Trauerspiele” (1757), in
Gotthold Ephraim Lessing, Moses Mendelssohn, Friedrich Nicolai, Briefwechsel über das Trauerspiel, hrsg. und kommentiert v. Jochen Schulte-Sasse (1972), S. 11–44, hier S. 19.
Briefe vom 16. 11. 1774 und 4. 11. 1773, in Aus Herders Nachlaß, hrsg. v. Heinrich Düntzer und Ferdinand Gottfried von Herder, 2. Aufl. (1857), II, 68f., 119f. -Ein weiteres Beispiel: in einer von Goethes Werther übersetzten Stelle aus “Ossian” heißt es: “Du warst schnell, o Morar, wie ein Reh auf dem Hügel, schrecklich wie die Nachtfeuer am Himmel. Dein Grimm war ein Sturm, dein Schwert in der Schlacht wie Wetterleuchten über der Heide. Deine Stimme glich dem Waldstrome nach dem Regen, dem Donner auf fernen Hügeln. Manche fielen von deinem Arm, die Flamme deines Grimmes verzehrte sie. Aber wenn du wiederkehrtest vom Kriege, wie friedlich war deine Stirne! dein Angesicht war gleich der Sonne nach dem Gewitter, gleich dem Monde in der schweigenden Nacht, ruhig deine Brust wie der See, wenn sich des Windes Brausen gelegt hat.” Goethes Werke. Hamburger Ausgabe, hrsg. v. Erich Trunz, 8. Aufl. (1973), VI, 111.
In Moses Mendelssohn, Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, in Gemeinschaft mit F. Bamberger, H. Borodianski, S. Rawidowicz, B. Strauss, L. Strauss, begonnen v. I. Elbogen, J. Guttmann, E. Mittwoch, fortgesetzt v. Alexander Altmann, I (1929; Neudruck 1971), 193–218, hier 193.
Vgl. Monk (wie Anm. 2), S. 84 ff.- Walter John Hippie jr., The Beautiful, the Sublime, and the Picturesque in Eighteenth-Century British Aesthetic Theory (1957), S. 83ff. - Vgl. ferner die Einleitungen zur englischen Ausgabe der Enquiry von J. T. Boulton (1958), S. XV-CXXVII, und zur deutschen von Werner Strube
Edmund Burke, Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen (1980), S. 9–32.
Zur Wirkung Burkes vgl. George Candrea, Der Begriff des Erhabenen bei Burke und Kant (Diss. Straßburg 1894). - H. J. Hofmann, Die Lehre vom Erhabenen bei Kant und seinen Vorgängern (Diss. Halle/Saale 1913).
- Frieda Braune, Edmund Burke in Deutschland: Ein Beitrag zur Geschichte des historisch-politischen Denkens (1917), S. 6–15. - Viëtor (wie Anm. 2), S. 254ff. -Strube, Einleitung (wie Anm. 82), S. 24ff.
Lessings Brief an Mendelssohn vom 2. 2. 1757 (BW 101 ff.) enthält in nuce bereits Mendelssohns Theorie. Zur Tradition dieser Gedanken bei Leibniz vgl. die Anmerkungen Schulte-Sasses zum BW (wie Anm. 61), S. 164f. - Grundsätzlich zum Problem vgl. Gerhard Sauder, “Mendelssohns Theorie der Empfindungen im zeitgenössischen Kontext,” in Humanität und Dialog: Lessing und Mendelssohn in neuer Sicht, Beihefi zum Lessing Yearbook (1982), S. 237–248.
Ebd. 54. Vgl. “Künste; Schöne Künste,” ebd. III (1793; Neudruck 1967), 74 ff. - Die Grundlinien von Sulzers keineswegs einheitlicher und konsequenter Theorie bei Armand Nivelle, Kunst- und Dichtungstheorien zwischen Aufklärung und Klassik (1960), S. 47–55.
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Begemann, C. Erhabene Natur Zur Übertragung des Begriffs des Erhabenen auf Gegenstände der äußeren Natur in den deutschen Kunsttheorien des 18. Jahrhunderts. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 58, 74–110 (1984). https://doi.org/10.1007/BF03376020
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