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Zusammenfassung

Goethe empfiehlt für die Wahlverwandtschaften eine wiederholte Lektüre und dies mit gutem Grund: Denn ein und derselbe Text läßt sich dreimal als je verschiedene Sinntotalität lesen. Zudem ist er selbst die poetische Präsentation einer Theorie, die Natur als Text und Wissenschaft als Poesis begreift.

Abstract

Goethe recommends reading The Elective Affinities several times, and this for good reason: for one and the same text can be read as three different stories, complete in themselves. In addition, it is also the poetic presentation of a theory which understands nature as a text and science as poesis.

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Literature

  1. So Jochen Hörisch in “Das Sein der Zeichen und die Zeichen des Seins. Marginalien zu Derridas Ontosemiologie,” in Hörisch (Hrsg.), Jacques Derrida. Die Stimme und das Phänomen. Ein Essay über das Problem des Zeichens in der Philosophie Husserls (1979), S. 7–50; hier S. 14.

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  2. Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari (1980), VI, 77 (“Götzen-Dämmerung”).

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  3. Vgl. dazu Freuds Traumdeutung, Bd. II/III der Gesammelten Werke, hrsg. von Anna Freud (1940–68), S. 140/41.

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  4. Im Umfeld der durch psychoanalytische und zeichentheoretische Fragestellungen gekennzeichneten poststrukturalistischen Methodendiskussion sind neben den knappen Thesen von Jochen Hörisch die Arbeiten von Horst Turk (“Goethes ‘Wahlverwandtschaften’: ‘der doppelte Ehebruch durch Phantasie,’” in Friedrich A. Kittler/ Horst Turk (Hrsg.), Urszenen. Literaturwissenschaft als Diskursanalyse und Diskurskritik [1977], S. 202—222)

  5. und J. Hillis Miller (“A ‘buchstäbliches’ Reading of The elective Affinities,” Glyph, 6 [1979], 1–23) sowie die unter dem Titel “Diskursanalysen” abgedruckten Beiträge eines von Norbert Bolz herausgegebenen Sammelbandes zu nennen (Goethes Wahlverwandtschaften. Kritische Modelle und Diskursanalysen zum Mythos Literatur [1981]).

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  6. In seiner Zweiteilung — die übrigen Beiträge gruppieren sich aus dem Blickwinkel der Kritischen Theorie um das Thema “Mythos” — dokumentiert dieser Band sehr deutlich den derzeit stattfindenden Paradigmenwechsel der Interpretationsansätze. In den traditionellen geistesgeschichtlichen Gleisen bewegen sich dagegen die beiden jüngsten angelsächsischen Essays: Stuart Atkins, “Die Wahlverwandtschaften. Novel of German Classicism,” The German Quarterly, 53 (1980), 1–45

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  7. W. J. Lillyman, “Affinity, Innocence and Tragedy: The Narrator and Ottilie in Goethe’s Die Wahlverwandtschaften,” The German Quarterly, 53 (1980), 46–63.

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  8. In dieser Weise sucht Stefan Blessin (Die Romane Goethes. [1979]) durch “Analyse” der “interpretatorische[n] Synthese” aus der Perspektive der Figuren zu begegnen, um deren ontologischen Naturbegriff kritisch aufzulösen und der “antinomischen Struktur des Romans” gerecht zu werden (Zitate S. 104 und 102), ohne freilich ins Kalkül zu ziehen, daß diese Antinomie vielleicht auch nur das Produkt einer Interpretation ist (s. Anm. 23).

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  9. Vgl. Manfred Frank, “Der Text und sein Stil. Schleiermachers Sprachtheorie,” in Frank, Das Sagbare und das Unsagbare. Studien zur neuesten französischen Hermeneutik und Texttheorie (1980), S. 13–35. Im Gegensatz zur spekulativen Struktur des Bewußtseins und der Sprache, der Rückkehr zu sich selbst auf dem Wege der Negation, von der die Hermeneutik, vor allem Gadamer, selbstverständlich ausgegangen ist, spricht Frank hier von “einer dialektisch unaufhebbaren Verneintheit, die den Sinn von sich abspaltet, ohne ihm die Rückkehr zu sich zu gestatten” (ebd., S. 16). Mit Bezug auf die Arbeiten Lacans oder Derridas ist die Rede von einer “Alterität ganz anderer Ordnung,” nach der das sprachliche Element “seine Identität-als-Sinn gerade nicht aus seiner spekulären Beziehung auf sich oder aus seinem unverwitterbar authentischen Kern von Wahrheit, sondern aus seiner rückhaltlosen Veräußerung an das ihm Andere [gewinnt]” (ebd., S. 17). — In Parenthese sei jedoch daraufhingewiesen, daß Bewußtseinsphilosophie und spätere Hermeneutik keinesfalls, wie bei Frank geschehen, in einen Topf geworfen werden dürfen, nachdem letztere das konstitutionelle Anders- und Außersichsein des Hegelschen Selbstbewußtseins gerade unterschlägt, d. h. die prinzipielle Bewußtseinsspaltung nicht anerkennt. Ebenso sind Zweifel angemeldet, ob es Rechtens ist, Ricoeur ohne weiteres der Hermeneutik dieser Provenienz zuzuschlagen, betont er doch ausdrücklich den Verlust des Ursprungs, folglich auch die grundsätzlich sich selbst entfremdete Reflexion. Hoffnungslos im Sinne einer endlich erreichbaren Identität ist sowohl die “Archäologie” wie die “Teleologie” des Bewußtseinsprozesses (s. u. S. 34 und Anm. 113).

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  10. Von Freuds Traumdeutung ausgehend hat Lacan diesen Gedanken ausführlich entwikkelt in seiner Arbeit über “Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten oder die Vernunft seit Freud,” in Jacques Lacan, Schriflen II (1975), S. 15–55.

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  11. Heinz Schlaffer, “Namen und Buchstaben in Goethes ‘Wahlverwandtschaften,’” Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft, 7 (1972), 84–102; Zitat S. 89. Mit einem belanglosen Nachtrag wiederabgedruckt in Bolz, Goethes Wahlverwandtschaften, S. 211–229. — Die negative Gegenprobe auf das Buchstabenspiel am Beginn des Romans ergibt sich aus der Tatsache, daß der Hauptmann im zweiten Teil konsequent als Major bezeichnet wird: das ECHO und der Kreis der Wahlverwandten haben sich aufgelöst.

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  12. Jacques Derrida, Die Schrift und die Differenz (1976), S. 272 (“Die soufflierte Rede”).

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  13. Das Verzeichniß der Gemälde in der Churfürstlichen Gallerie in Dresden (1771) von Johann Anton Riedel und Christian Friedrich Wenzel registriert das Bild unter Nr. 535: Das Reich der Flora, oder die Verwandlung der Menschen in Blumen. Goethe erwähnt dagegen nur eine andere Poussin-Darstellung des Narziß-Mythos (vgl. Sämtliche Werke, XIII, 97, Nr. 192, im Verzeichniß ebenfalls unter dieser Nummer aufgeführt), was darauf schließen läßt, daß er womöglich eben diesen Katalog benutzt hat. Vgl. dazu auch Gerhard Femmel, Goethes Grafiksammlung. Die Franzosen. Katalog und Zeugnisse (1980), S. 165.

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  14. Diese ziemlich plausible Zuordnung im langanhaltenden Streit um die Quellen unternahm Dora Panofsky, “Narcissus and Echo: Notes on Poussin’s Birth of Bacchus in the Fogg Museum of Art,” Art Bulletin, 31 (1949), 112–120.

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  15. Ein anderer Vorschlag vermutet als Textvorlage das mythologische Gedicht L’Adone von Giambattista Marino (vgl. R. E. Spear, “The Literary Source of Poussin’s Realm of Flora,” The Burlington Magazine, 107 [1965], 563–569). Wer zuletzt recht hat, ist jedoch für den vorliegenden Zusammenhang sekundär, in dem es nur um das Faktum einer literarischen oder mythologischen Vorlage zu tun ist.

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  16. Vgl. Peter Dettmering, “Reglose und entfesselte Natur in Goethes ‘Wahlverwandtschaften,’” in Dettmering, Dichtung und Psychoanalyse II. Shakespeare — Goethe — Jean Paul — Doderer (1974), S. 33–68; hier bes. S. 63f. Mit Hilfe einer sehr freien Assoziation sucht Dettmering Goethes Begriff des “Dämonischen” mit Freuds Trieblehre in Beziehung zu setzen und Ottiliens Ungeschicklichkeit als Abwehr des Inzestwunsches zu deuten.

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  17. Vgl. Ovid, Metamorphosen, hrsg. von Erich Rösch (1972), Liber III: Vs. 407ff.

  18. Im 2. Buch der Bilder, Nr. 33. (Vgl. Philostratos, Die Bilder, hrsg. von Otto Schönberger [1968], S. 265) — Mit dem Ziel, Themen für die Gegenwartskunst bereitzustellen und Anregungen zu geben, beschäftigte Goethe sich mit Philostrats Eikones im Zusammenhang mit den Weimarischen Preisaufgaben bereits seit 1804.

  19. Gerhard Neumann (Ideenparadiese. Untersuchungen zur Aphoristik von Lichtenberg, Novalis, Friedrich Schlegel und Goethe [1976]) hat die Verflechtungen der Maximen und Aphorismen von Ottiliens Tagebuch mit dem Roman als ganzem minutiös nachgewiesen (S. 683–723). Im übrigen wird gerade an diesem Tagebuch noch einmal klar, wie wenig Ottilie ihre eigene Sprache spricht; es ist die Sprache der Moralisten und der Traktatliteratur, sogenannter Lebensweisheiten des 18. Jahrhunderts.

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  20. Wolfgang Menzel, Christliche Symbolik, 2 Tle. (1854), S. 94.

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  21. Für die nachfolgenden Ausführungen verweise ich mit Nachdruck auf das Buch von Peter-Klaus Schuster, Theodor Fontane: Effi Briest — Ein Leben in christlichen Bildern (1978), das sich sehr ausführlich mit den in diesem Zusammenhang zur Diskussion stehenden Methodenfragen befaßt und unter anderem auch auf die Wahlverwandtschaften zu sprechen kommt, jedoch ohne in Betracht zu ziehen, daß Goethes Roman bei der ohnehin offen zutage liegenden Nähe zu Fontanes Effi Briest gerade in der Bezugnahme auf die bildenden Künste der entscheidende Vorläufer war. Ob man so weit gehen kann zu sagen, Fontane habe den Vorläufer imitiert, kann ich nicht beurteilen; andererseits glaube ich zeigen zu können, daß man Goethe eben nicht für “die Auflösung der christlichen Ikonographie” zum allgemein Menschlichen hin reklamieren kann, zumindest nicht den Goethe der Wahlverwandtschaften (ebd., S. 56).

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  22. Eberhard Mannack, Raumdarstellung und Realitätsbezug in Goethes epischer Dichtung (1972), weist darauf hin, daß nach Auskunft des Faust auch die Pappeln, die zusammen mit den Platanen das Ufer des Sees säumen, dem Bereich des Todes zugeordnet sind (S. 185).

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  23. Vgl. Anselm Salzer, Die Sinnbilder und Beiworte Mariens in der deutschen Literatur und lateinischen Hymnenpoesie des Mittelalters. Mit Berücksichtigung der patristischen Literatur. Eine literar-historische Studie (1967), S. 141.

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  24. Vgl. Klaus Theweleit, Männerphantasien, Bd. 1: flauen, fluten, körper, geschichte (1980).

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  25. Vgl. dazu Marie-Odile Metral, Die Ehe. Analyse einer Institution (1981). Bes. Kap. 1: “Jungfräuliche Askese oder erniedrigte Ehe,” S. 26ff. Daß weder für Goethe noch für seine Zeitgenossen dieses Eheideal uneingeschränkte Gültigkeit besaß, zeigt, um das extremste Beipiel zu nennen, Schlegels Lucinde.

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  26. Den Hinweis auf diesen ikonographischen Zusammenhang verdanke ich Dietmar Metzger. Zur Geschichte des Themas und der ikonographischen Verquickung antiker und christlicher Darstellungen vgl. Dora und Erwin Panofsky, Pandora’s Box. The changing Aspects of a Mythical Symbol, Bollingen Series III (1956).

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  27. Konrad Hoffmann, “Poussin’s ‘Treppenmadonna,’” Kritische Berichte. Mitteilungen des Ulmer Vereins für Kunstwissenschaft, 7 (1979), 15–48; Zitat S. 20.

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  28. Paul Ricoeur, “Die Vatergestalt — vom Phantasiebild zum Symbol,” in Ricoeur, Hermeneutik und Psychoanalyse. Der Konflikt der Interpretationen II (1974), S. 315–355; Zitat S. 321.

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  29. G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Theorie Werkausgabe Bd. 7 (1970), Paragraph 47, S. 110. Vgl. Ricoeur, “Die Vatergestalt,” S. 327.

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  30. G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes (1952, Meiner, 6. Aufl.), S. 139.

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  31. C. G. Jung, Gesammelte Werke, Bd. 12: Psychologie und Alchemie (1972), S. 284.

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  32. Vgl. Franz Dornseiff, Das Alphabet in Mystik und Magie (2. Aufl., 1925), S. 23 und S. 109.

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  33. Vgl. Wolfgang Schneider, Lexikon alchemistisch-pharmazeutischer Symbole (1962), S. 73; Jung, Psychologie und Alchemie, S. 364f.

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  34. Vgl. dazu das Reallexikon der deutschen Kunstgeschichte, hrsg. von Ludwig Heinrich Heydenreich und Karl August Wirth, unter den Stichwörtern “Elemente” und “Erde.” Einen wenig überzeugenden Versuch in dieser Richtung hat bereis John Milfull, “The ‘Idea’ of Goethes Wahlverwandtschaften,’” The Germanic Review, 47 (1972), 79–94, unternommen. Ich folge hier einem Vorschlag von Dietmar Metzger, der bei uns im Seminar diskutiert wurde.

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  35. Man braucht Goethes Wissenschaftsrose — die im übrigen auch linksumläufig gelesen wird — nur um 45° zu drehen, um sie mit der klassischen Elementenrose zur Deckung zu bringen. (Vgl. Goethe, Sämtliche Werke, XVII, 757) Zu Goethes zahlreichen Tetraden vgl. Wolfgang Binder, “Goethes Vierheiten,” in Typologia Litterarum. Festschriß für Max Wehrli, hrsg. von S. Sonderegger, A. M. Haas, H. Burger (1969), S. 311–323.

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  36. Bezicht sich wiederum auf den vierbuchstabigen Namen Gottes, bei den Juden J.H.V.H., den Christen INRI und in der Magie AROT geschrieben, und zwar in Kreisform, so daß die Buchstaben je nach Lesart und Kombination einen anderen, doch immer um dieselbe nicht-lesbare Mitte zentrierten Sinn ergaben. Vgl. Lexikon des Geheimwissens von Horst E. Miers (1970), Stichwort “Tetragrammaton.”

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  37. Vgl. Will-Erich Peuckert, Pansophie. Ein Versuch zur Geschichte der weißen und schwarzen Magie, 2. Aufl. (1956), S. 24 passim.

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  38. Lessings Werke, hrsg. von Kurt Wölfel (1967), II, 22 (“Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie”).

  39. Grundsätzlich dazu immer noch Bengt Algot Sørensen, Symbol und Symbolismus in den ästhetischen Theorien des 18. Jahrhunderts und der deutschen Romantik (1963), bes. S. 112 ff.

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  40. Ebd., S. 204. Daß die Welt der Analogien eine Sprachwelt und eine Welt der Zeichen ist, betont mit Nachdruck Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften (1974): “Es gibt keine Ähnlichkeit ohne Signatur. Die Welt des Ähnlichen kann nur eine bezeichnete Welt sein” (S. 57).

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  41. Vgl. Rolf Christian Zimmermann, “Goethes Verhältnis zur Naturmystik am Beispiel seiner Farbenlehre,” in Antoine Faivre/ R. Chr. Zimmermann, Epochen der Naturmystik. Hermetische Tradition im wissenschaftlichen Fortschritt (1979), S. 333–363. — Dennoch ist es keine Frage, darauf hat ja Goethe in seiner Selbstanzeige ausdrücklich abgehoben, daß die Farbenlehre die Berechtigung einer alchemistischen Lektüre der Wahlverwandtschaften zweifelsfrei bestätigen kann, insofern sich sämtliche Beziehungsmuster, wie sie das Verhältnis der wahlverwandten Figuren und Elemente kennzeichnen, dem Prinzip nach in Goethes Optik vorgebildet finden. Es ist die Rede von Verwandtschaft, Sympathien und Antipathien, die sich “überkreuzen” (Sämtliche Werke, XVI, 401), von magischem Bezug, Vermischung und Verbindung, von einfachen und gesteigerten Gegensätzen, Synkrisis und Diakrisis, wobei auch hier die Aufgabe, “das Geeinte zu entzweien, das Entzweite zu einigen” (ebd., S. 199), als ein “höheres Geschäft” (ebd.) betrieben und die Vereinigung in höherem Sinne zum Ziel aller Tätigkeiten des Lichts erhoben wird. Aus “Eins und Zwei” soll, nicht anders als in den Wahlverwandtschaften, “die Erscheinung eines Dritten, Vierten sich ferner Entwickelnden” hervorgehen (ebd.). Am aufschlußreichsten ist jedoch, daß Goethe die Farben nicht der Reihe nach, in einem Spektrum des Nebeneinander, anordnet, vielmehr analog zum Elementenkreis über der horizontal zwischen den Grundfarben Gelb und Blau liegenden Achse einen Zirkel beschreibt, an dessen Kulminationspunkt Rot, an dessen unterem Bogen Grün erscheint. Dazu kommt, daß auch dieser Kreis, “wenn von organischen Naturen die Rede ist, […] vom Gelben durchs Grüne und Blaue bis zum Purpur,” das heißt — wie schon erwähnt — linksläufig und also genau wie der alchemistische Zirkel durchwandert wird (ebd., S. 155). Könnte man den Umstand, daß Rot (oder Purpur) die Position des Feuers, Blau die Stelle der Luft einnimmt und auf diese Weise die traditionellen allegorischen Kombinationen von Element und Farbe entstehen, noch für einen Zufall halten, so fällt das schon schwerer, wenn Gelb eine “Verwandtschaft mit Säuren,” Blau dagegen eine “Verwandtschaft mit Alkalien” ausdrücklich bescheinigt wird (vgl. ebd., S. 188). Denn nachdem Gelb im Farbenkreis — überdies als Farbe der Landschaft, also der Erde! (vgl. ebd., S. 208) — dort zu stehen kommt, wo im Kreis der Elemente die Erde und Eduard ihren Platz haben, erinnert das doch, legt man die Kreise aufeinander, an das Wahlverwandtschaften-Gleichnis vom Kalkstein, zu dem sich Kalkerde (Eduard) und Luftsäure (Charlotte) verbunden haben. Ähnlich verhält es sich mit den Mischungen Rotgelb/Gelbrot und Rotblau/Blaurot, an denen die Verwandtschaftsverhältnisse unmittelbar einsichtig werden; einzig Grün macht eine Ausnahme, insofern Gelb und Blau “das Gleichgewicht halten, dergestalt, daß keine [Farbe] vor der andern bemerklich ist,” Auge und Gemüt “auf diesem Gemischten wie auf einem Einfachen” ruhen (ebd., S. 213). Da aber eine jede Farbe ihren Gegensatz herausfordert, verlangen selbst die Farben im Durchgang durch “zwei Vereinigungen,” “einmal der einfachen, anfänglichen, und sodann der gesteigerten Gegensätze” (ebd., S. 190), nach der Totalität, wobei auch hier der Natur “durch Versuche” aufgeholfen werden muß, damit sie ein solches Phänomen “in seiner vollkommenen Schönheit” hervorbringe (ebd., S. 215f.). — Völlig andere Zuordnungen hat Grete Schaeder (Gott und die Welt. Drei Kapitel Goethescher Weltanschauung [1947], S. 310ff.) vorgenommen.

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  42. Walter Benjamin, “Goethes Wahlverwandtschaften,” in Benjamin, Illuminationen. Ausgewählte Schriften (1977), S. 63–135; Zitat S. 63.

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Wiethölter, W. Legenden Zur Mythologie von Goethes Wahlverwandtschaften. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 56, 1–64 (1982). https://doi.org/10.1007/BF03375966

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