Zusammenfassung
Kafka, der „seriöse“ Romanschriftsteller, und May, der notorische Geschichten- und Selbsterfinder, haben ein Motiv gemeinsam: die Angst vor dem Entlarvtwerden — sowohl als Motiv in den Werken beider wie auch als Motiv dafür, überhaupt zu schreiben. Aber während May aus der Lüge Literatur, Lebensform und Methode gemacht und sich dabei immer wieder verraten hat, gelang es Kafka, sich hinter einem Gestus des Geständnisses verborgen zu halten.
Abstract
Kafka and May, the ‘serious’ novelist and the notorious story-telling impostor, have one thing in common: the fear of giving themselves away. This is, as the article points out, a recurring motif in the works of both authors as well as the motivation of their writing altogether. But whereas May has made both literature and a form of life out of a lie, to be found out again and again in this process, Kafka has succeeded in hiding behind a gesture of confession.
Literature
Vgl. D. Hülsmann, Schriftsteilemde Betrüger (1969).
Vgl. Franz Kafka, Amerika (1976), S. 26f.
Vgl. hierzu meine ausführliche Darstellung an anderer Stelle: Ulf Abraham, Der verhörte Held: Verhöre, Urteile und die Rede von Recht und Schuld im Werk Franz Kajkas (in Vorbereitung: München 1985).
Vgl. Jochen Schulte-Sasse, „Karl Mays Amerika-Exotik und die deutsche Wirklichkeit: Zur sozialpsychologischen Funktion von Trivialliteratur im wilhelminischen Deutschland,“ in Karl May, hrsg. Helmut Schmiedt (1983), S. 75–100.
Vgl. Hans Wollschläger, „‘Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt’: Materialien zu einer Charakteranalyse Karl Mays,“ in Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (1972/73), S. 11–92.
Vgl. Wolf-Dieter Bach, „Fluchtlandschaften,“ in Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (1971), S. 39–73.
Karl May, Mein Leben und Streben (1910), S. 52.
So bezeichnet May selbst in der Autobiografie das, was er nach des Vaters Willen erreichen sollte: dieser „hatte alle seine Hoffnungen darauf gesetzt, daß ich im Leben das erreichen werde, was von ihm nicht zu erreichen war, nämlich nicht nur eine glücklichere, sondern auch eine geistig höhere Lebensstellung.“ (Mein Leben und Streben, S. 51.) — Übrigens ähnelt Mays Beschreibung des väterlichen Charakters und Erziehungsstils (vgl. ebd., S. lOff.) auffallend derjenigen, die Kafka im „Brief an den Vater“ gibt: beide Söhne hatten es offenbar mit autoritären, jähzornig-unberechenbaren Erziehern zu tun, die Lüge und Verstellung geradezu provozierten. (Siehe hierzu auch Hainer Plaul, „Der Sohn des Webers: Über Karl Mays erste Kindheitsjahre 1842–1848,“ in Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (1979), S. 12–98, bes. 67ff.)
Vgl. Wollschläger, Karl May: Grundriß eines gebrochenen Lebens (1976), S. 27f.
Vgl. „Mein Name sei Wadenbach: Zum Identitätsproblem bei Karl May,“ in Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (1978), S. 37–59.
Vgl. Wollschläger, Karl May, S. 24–44; Roxin, S. 131–136; auch Walther Ilmer, „Durch die sächsische Wüste zum erzgebirgischen Balkan: Karl Mays erster großer literarischer Streifzug durch seine Verfehlungen,“ in Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (1982), S. 97–130.
Vgl. Erich Loest, Swallow, mein wackerer Mustang: Karl-May-Roman (1983), S. 56 und 359 ff.
Vgl. Hans Rosenberg, Große Depression und Bismarckzeit (1976), S. 56.
Kafka, Briefe an Felice (1976), S. 237.
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„Daß Ihr ein verrückter Kerl seid, ein ganz verrückter Kerl, diese Berühmtheit und keine andere werdet Ihr von Eurem Bücherschreiben haben.“ Sam Hawkens
Karl May, Winnetou I (1893, Reprint 1982; vgl. Anm. 44), S. 158.
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Abraham, U. Die Angst vor der Entdeckung und die Entdeckung der Angst Ein Motiv bei Franz Kafka und Karl May. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 59, 313–341 (1985). https://doi.org/10.1007/BF03375942
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