Zusammenfassung
Das Paradox höfischer Minne basiert auf einer Positivierung des Negativen, doch fehlt das Moment der Schuld (felix culpa). Es setzt voraus, daβ das innerweltliche Heil der Minne zum absoluten religiösen Heil in Beziehung gesetzt wird. Dies geschieht in Morungens ›Venuslied‹ 138,17. Morungen radikalisiert den Konflikt, indem er die höfische Minne spiritualisiert, ihren alltagsweltlichen Rahmen dekonstruiert und sie so an religiöse Erfahrung heranrückt. Dann aber können der Widerruf und das Eingeständnis der Schuld nicht absolut gelten. Im Widerruf wird das Widerrufene bewahrt, denn es ist Bedingung künftigen Ruhms.
Abstract
Courtly love is paradoxically based on the affirmation of a negative experience: repudiation and renunciation are interpreted as means of sublimation. But this structure is different from felix culpa, for there is no element of guilt. Only if compared with religious Caritas courtly love becomes a problem. In 138,17 Morungen on the one hand sharpens the conflict between worldly and religious order, a spiritualized minne being an even greater challenge to the latter, but what seems to be sin seen from one point of view could, seen from the opposite side, be a condition of future fame and an object of envy: culpa, but probably felix culpa.
Literature
Hans Irler, Minnerollen–Rollenspiele. Fiktion und Funktion im Minnesang Heinrichs von Morungen, Mikrokosmos 62, Frankfurt a.M. [u.a.] 2001, hier: 148f. Mir scheint bei vür ir minne die Entscheidung zwischen Genitivus subiectivus bzw. objectivus (für ihre Liebe/die Liebe zu ihr) nicht möglich, aber auch irrelevant. Es kommt auf den überbietungsgestus der Strophe an: es gibt nichts Höheres.
Walther von der Vogelweide, Leich–Lieder–Sangsprüche, 14. völlig neu bearbeitete Auflage der Ausgabe von Karl Lachmann mit Beiträgen von Thomas Bein und Horst Brunner, hrsg. Christoph Cormeau, Berlin, New York 1996; vgl. La 58,21; 63,8; 66,21; 72,33 [Nr.49].
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Jan-Dirk Müller, Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes, Tübingen 1998, 400.
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Jan-Dirk Müller, »Walther von der Vogelweide: Ir reinen wip, ir werden man«, ZfdA 124 (1995), 1–25.
Peter Strohschneider, »›nu sehent, wie der singet!‹ Vom Hervortreten des Sängers im Minnesang«, in: Aufführung und Schrift in Mittelalter und Früher Neuzeit. DFG-Symposion 1994, hrsg. Jan-Dirk Müller, Germanistische Symposien 17, Stuttgart, Weimar 1996, 7–30; zu diesem Text 26–29.
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Müller, JD. Beneidenswerter kumber. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 82, 220–236 (2008). https://doi.org/10.1007/BF03374691
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