Atmung, Kreislauf und neuromuskulärer Apparat bei der Lungentuberkulose, zugleich ein Beitrag zur Frage der Arbeitsfähigkeit im Verlaufe chronischer Infektionskrankheiten

Zusammenfassung

Es wird gezeigt, wie ungemein kompliziert, aber auch wie nachhaltig die Einwirkung der Lungentuberkulose auf Centralnervensystem, neuromuskulären Apparat, Lungenfunktion, Herz und Kreislauf sein kann. Es ist im Prinzip nicht viel anders wie bei den meisten Infektionskrankheiten. Der menschliche Organismus würde vielleicht in einem viel größeren Prozentsatz die bacillären Infektionskrankheiten überstehen, wenn seine Widerstandskraft nich vordem durch eine totale respiratorische Insuffizienz gebrochen würde, wie z. B. bei der Polyomyelitis oder durch ein Versagen von Herz und Kreislauf bei der Pneumonie, oder z. B. durch die enorme Blutansammlung im Splanchnicusgebiet zuungunsten der übrigen Organe bei der akuten Peritonitis. Ebenso würde die Mortalität der Tuberkulose geringer sein und der Organismus häufiger diese Krankheit überstehen, wenn nicht durch septische Einbrüche Metastasen sich entwickeln würden, wie etwa die tuberkulöse Meningitis und verschiedene andere, welche ihrerseits eine hohe Mortalität haben, oder wenn nicht der Organismus vordem durch die Toxinwirkung auf das Centralnervensystem, die neurohumorale Stoffwechselregulation (Knipping, Dtsch. med. Wschr.1935, Nr 27, 1075) und den Verdauungsapparat an Macies bzw. Erschöpfung oder etwa an Herz-und Kreislaufschwäche zugrunde ginge, oder wenn nicht, was doch sehr häufig der Fall ist, durch die Infiltrierung zu großer Lungenbezirke, durch Schrumpfungen, neue Aussaaten, Atelektase u. a. schließlich die Lunge total blockiert würde, und der Organismus nunmehr an respiratorischer Insuffizienz (Brauer) zum Erliegen käme. Wenn die Einwirkungen auf Atmung und Kreislauf usw. jedoch nicht tödlich sind, so bedeuten sie doch immer in irgendeiner Weise eine Schwächung und Verzögerung des Abwehrkampfes des Organismus gegen den Infektionsherd in der Lunge. Ich erinnere an die komplizierten Auswirkungen der pulmonalen und der kreislaufmäßig bedingten Anoxämie auf den gesamten intermediären Chemismus (Nauheimer Fortbildungslehrgänge. Bd. XI, S. 65. Leipzig 1935). Sie bedeuten auch fernerhin immer, selbst wenn der Organismus die Infektionskrankheit überwunden hat und nicht mehr toxisch ist, in irgendeiner Weise eine Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit des Rekonvaleszenten. Es ist ganz selbstverständlich, daß ein weiterer Ausbau der Analyse der Infekt-wirkung auf Atmung und Kreislauf auch unsere therapeutischen Möglichkeiten bei jeder Infektionskrankheit vermehren wird. Das interessiert nicht zuletzt im Rahmen der Tuberkuloseklinik in Hinblick auf den postoperativen Kollaps nach der Thorakoplastik. Wenn unsere medikamentöse und physikalische Therapie heute oft noch recht unbefriedigend ist, so ist doch auf der anderen Seite mit Sicherheit anzunehmen, daß die weitere Vertiefung unserer Kenntnisse insbesondere über dieses komplizierte und schwer übersehbare Geschehen in der Kreislaufperipherie während der intensiven Toxinwirkung auch eines Tages unsere Therapie des Kollapses nach der Plastik wirksamer machen wird.