Zusammenfassung
Durch pharmakologische Experimente wird versucht, die qualitative Natur der bei der Nervenerregung auftretenden Teilprozesse näher zu ermitteln. Dann wird mit Hilfe der Widerstandsbestimmungen nach der Methode von Lullies und der Kernleiteranalyse von Labes festgestellt, wie diese ermittelten Teilprozesse den Zustand der Nervenmembran beeinflussen. Auf Grund dieser Untersuchungen erhält man ein annäherndes Bild wichtiger Faktoren des Erregungsprozesses und der Ausbreitung der Aktionsstromwelle über den Nerven.
Die Analyse der Kalium- und Calciumwirkungen auf die Nerven-membran führt zu der Deutung, daß wahrscheinlich der die Erregung einleitende aussteigende Strom eine Kaliumionenwolke an der Bindegewebsseite der Membran bildet, welche die Membranstelle auflockert und gegen die Nachbarschaft negativ macht und außerdem eine Calciumentziehung bedingt, welche die der Membran aufgelagerte “Hillsche Schicht“ zum Quellen bringt und ihrerseits den Ablauf des Erregungsprozesses modifiziert.
Wie gezeigt wird, sind die untersuchten Erscheinungen besonders für die pharmakologische Beeinflussung der Nervenerregungsvorgänge (Hemmung, Bahnung, Reflexumkehr usw.) von großer Bedeutung.
Literatur
Nernst: Nachr. Ges. Wiss. Göttingen, Math.-physik. Kl. 1899.
Hill, A. V.: J. of Physiol.40, 190 (1910).
Gildemeister, M.: Ber. d. Math. Physik. Kl. Sächs. Akad. d. Wissensch. Leipzig 1927, 1928, 1929.
Literatur s. Bethes Handb. d. norm. u. pathol. Physiol., Kapitel von Cremer.
Labes: Z. Biol.93, 42 u. 191 (1932).
Lullies: Pflügers Arch.225, 87 (1930).
Labes u. Lullies: Z. Biol.93, 211 (1932). Pflügers Arch.230, 738 (1932).
Das Bild einer Doppelschicht an den Membrangrenzflächen zeigt die Abb. 4a, b. c. von Labes: Nerv- und Membrankernleiter I. Z. Biol.93, 52 (1932). vgl. auch S. 62.
Labes u. Lullies: Pflügers Arch.230, 738 (1932).
Labes: Z. Biol.93, 57 (1932), Abb. 4d.
Der Faktor∏ AJ der oberen Geraden setzt sich zusammen aus dem Nernstschen Polarisationsfaktor∏ A , der für den Polarisationsffekt (und Konzentrationseffekt) an der Außenleiterseite der Membran gilt und dem Polarisationsfaktor∏ J für die Innenleiterseite der Membran. Die sehr kleine Nernst-Polarisation der Innenleiterseite ist durch die untere Gerade zum Ausdruck gebracht. Die Höhendifferenz zwischen beiden Geraden stellt dann die Außenleiterpolarisation nach Nernst dar.
Labes: Nerv- und Membrankernleiter. Z. Biol.93, 52 (1932), Abb. 4a, b, c. Der dort mit\(\bar A\) bezeichnete Bereich hat die Bedeutung der Hillschen Schicht. Vgl. hierzu Pflügers Arch.230, 750, Anm. 2.
Über diese Begriffe vgl. M. Cremer, Erregungsgesetze des Nerven (Bethes Handbuch d. norm. und pathol. Physiol. Bd. IX Berlin: Julius Springer 1929).
Labes u. Lullies: Pflügers Arch.230, 756 u. 768,231, 305 (1932).
Labes sowie Labes u. Zain: Membranmodell, Mitt. I–IV. Arch. f. exper. Path.125 u.126 (1927).
Z. Biol.93, 52. Enthält der Außenleiter wie das im Nerven der Fall ist, außer den Natriumionen noch Calciumionen, so muß die vom Innenleiter aussteigende Kaliumionenwolke gleichzeitig mit den Natriumionen auch die Calciumioren von der Außenleiternachbarschaft der Membran abdrängen. Die Ausbildung der Kaliumionenwolke ist dann gleichzeitig mit einer Calciumentziehung verknüpft.
Höber: Pflügers Arch.106, 599 (1905). — Mackuth: Ebenda Pflügers Arch.214, 612 (1926).
Ebbecke: Pflügers Arch.195, 555 (1922). Für die membranauflockernde Wirkung elektrischer Ströme sprechen auch die Versuche von Ebbecke: Ebenda Pflügers Arch.199, 88 (1922). — Höber u. Garcia Banus: Ebenda Pflügers Arch.201, 14 (1923). Auch bei nicht elektrisch ausgelösten Erregungen wird oft eine Membranauflockerung beobachtet. Gildemeister: Ebenda Pflügers Arch.162, 547 (1915);200, 278 (1923). — Osterhout: Science45, 97 (1917). —Lillie: Amer. J. Physiol.30, 1 (1912). Zahlreiche weitere Literatur über diese Frage bringt Höber: Phys. Chem. der Zelle u. der Gewebe.
Verzar: Zbl. Physiol.1912, 399.
Keith Lucas: J. Physiol.40, 225 (1910).
Die in diesen Abschnitten C2 und C3 entwickelten Vorstellungen sollen lediglich als vorläufige Arbeitshypothese die Fragestellung für die folgenden Versuche skizzieren und nur einige wichtig erscheinende Faktoren herausschälen.
Adrian, E. D. u. Keith Lucas: J. Physiol44, 68 (1912).
Adrian: J. Physiol.46, 384 (1913).
Bayliss: Grundriß der allgem. Physiol. Übersetzt von Maaß u. Lesser, S. 514. Berlin: Julius Springer 1926.
Keith Lucas: J. Physiol.43, 46 (1911).
Sherrington: The Integrative Action of the Nervous System. New York: Scribners Sons 1906.
S. das Kapitel von v. Brücke in Bethes Handb. d. norm. u. pathol. Physiol.
Trendelenburg: Pflügers Arch.135, 469. (Brücke: Kapitel in Bethes Handb. d. norm. und pathol. Physiol. Bd. IX, S. 704.
Adrian: J. of Physiol.71, XXVIII–XXIX (1931).
Vgl. das Kapitel: Reverse Wirkungen in Bayliss: Grundriß der allgemeinen Physiologie 1925.
Zondek, S. G.: Arch. f. exper. Path.143, 192 (1929).
Herrn Lullies, der mich in freundlichster Weise in die Gesetze der Wechselstrompolarisation einweihte und es mir dadurch möglich machte, diese auf die wesentlich kompliziertere Stromverteilung im Nervenkernleiter zu übertragen, möchte ich an dieser Stelle meinen aufrichtigsten Dank aussprechen.
Blieb dann die charakteristische Wirkung aus, so war der Nerv selbst nicht dafür verantwortlich zu machen, sondern nur das motorische Nervenende.
Über Einzelheiten der Methodik s. die Doktordissertation von Ilse Wolff, Bonn 1932.
Die in den folgenden Tabellen 1 und 2 angegebenen Messungen hat Herr Lullies liebenswürdiger Weise nach meinen Konzentrationsangaben selbst durchgeführt, da ich bei meinem Königsberger Aufenthalt zu stark mit der theoretischen Ausarbeitung der Berechnungsmethoden und der Auswertung unserer früher veröffentlichten gemeinsamen Arbeiten beschäftigt war.
Labes u. Lullies: Pflügers Arch.230, 738;231, 299 (1932).
Labes u. Lullies: Pflügers Arch.231, 299 (1932).
Literatur s. Höber: Physikal. Chemie der Zelle u. der Gewebe.
Schreiter (unter Bethe): Pflügers Arch156, 314 (1914). — Mackuth (unter Höber): Ebenda Pflügers Arch214, 612 (1926).
Woronzow: Pflügers Arch.207, 279 (1925).
Schwarz: Ebenda117, 161 (1907).
Höber: Physikal. Chemie der Zelle u. der Gewebe, S. 660 (1926).
Um individuelle Unterschiede zu vermeiden, wurden immer die beiden Nervmuskelpräparate (bzw. ihre Nerven allein) in gleicher Weise mit der calciumentziehenden Lösung vorbehandelt, danach kam das eine der beiden Präparate in calciumfreie, das andere in calciumhaltige Kochsalzlösung.
Wir haben durch wechselnde Zusätze von primärem Natriumphosphat in einem weiten Bereiche der Wasserstoffionenkonzentration untersucht, dabei erwies sich das primäre Phosphat, welches kein Calcium entzieht, ebenso wie die H+ gegenüber der Konzentration der sekundären calciumbindenden Phosphate relativ aber nicht ganz belanglos.
Um aus den Tabellenwerten die Widerstände in Ohm zu erhalten, sind die mit 104 zu multiplizieren, um die Schwellenstromstärken in Ampere zu erhalten, müssen die Werte mit 10−7 multipliziert werden.
Unter Δ W ist die jeweilige Differenz zwischen dem Wirkwiderstand der betreffenden Frequenz und dem Wirkwiderstand bei der Frequenz 200000 zu verstehen.
Allgemein kann man dann, wenn bei einer Ringermessung bei 3 mm Polabstand ΔW und W b fast gleich so groß ist wie bei 5 mm und größerem Polabstand, zur Annäherungsrechnung den Wert\(\mathfrak{k}\) für Ringer gleich 24 setzen (wenn die Leitfähigkeit der differenten Vergleichslösung von der des Ringers praktisch nicht abweicht) und ebenso die vom Polabstand von 5 mm aufwärts gemessenen ΔW und W b -Werte als Asymptotenwerte betrachten. Ebenso kann man den Hochfrequenzübergangswiderstand im Ringer mit der Annäherung auf 1/4 des bei etwa 1 cm intrapolarer Streckenlänge gemessenen Hochfrequenzwiderstandes veranschlagen und den Hochfrequenzübergangswiderstand in der differenten Lösung um sowiel größer bzw. kleiner annehmen, als der in der differenten Lösung bei gleicher intrapolarer Streckenlänge gemessene Hochfrequenzwiderstand größer bzw. kleiner ist als im Ringer. Weicht die Leitfähigkeit der differenten Lösung dagegen erheblich von der Leitfähigkeit des Ringer ab, so muß man zur Ermittelung der Ausgangsgrößen\(\mathfrak{k}\) bzw. W whI∞ die in Pflügers Arch.,231, 303, G1. 31 bis 33 durchgeführten Auswertungen anwenden.
Bei der Calciumentziehung bestand eine dauernde Spontanerregung mit Aktionsströmen, die sich bei Abhören mit dem Telephon durch dauerndes Rasseln bemerkbar machten. Als Schwellenstromstärke ist hier die Stromstärke des betreffenden Wechselstromes berechnet, bei der sich dieses Aktionsstromgeräusch plötzlich verstärkte.
Höber: Pflügers Arch.106, 599 (1905).
Mackuth (unter Höber): Ebenda214, 612 (1926).
Michaelis, L. u. Fujite: Biochem Z.161, 47 (1925).
Labes u. Zain: Arch. f. exper. Path.125, 29, 53, (1927);126, 284, 352.
Netter: Pfügers Arch.218, 310 (1928).
Die Widerstandswerte sind in 10000 Ohm, die Stromwerte in 10−7 Ampere wiedergegeben.
Als Δ W ist die Differenz zwischen Wirkwiderstand und dem Widerstand bei der Frequenz 200000 angegeben.
Mit den offenbar sehr geringen Fehlerquellen bei der Deutung der kolloidchemischen Kalium- und Calciumwirkungen, die noch weitere Experimente empfehlenswert machen, habe ich mich an einer andererorts zu veröffentlichenden gemeinsam mit Herrn Lullies begonnenen Arbeit auseinandergesetzt.
Die WechselzahlN ist 2 π mal so groß als die in Hertz ausgedrückte Frequenz des Wechselstromes.
Lullies: Pflügers Arch.225 (1930).
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Labes, R. Pharmakologische Untersuchungen über die Teilprozesse des Nervenerregungsvorganges. Archiv f. experiment. Pathol. u. Pharmakol 168, 521–553 (1932). https://doi.org/10.1007/BF01861310
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