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Tragweite und Grenzen der evolutionären Erkenntnistheorie

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Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie Aims and scope Submit manuscript

Summary

The essay analyses the importance and the limits of Evolutionary Epistemology (EE). Firstly, the history of EE is shortly described — especially its history in the last century. Secondly, its main arguments are reproduced. Thirdly, the points are treated in which EE really signifies a progress in comparison with traditional epistemology. Fourthly, however, it is shown that it does not solve at all the central problem of epistemology — the validity claim of knowledge. Only a broader philosophical framework — that of objective idealism — could reconcile the validity dimension with the genetic insights of EE.

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Literatur

  1. Unter den Arbeiten, die eine ähnlich vermittelnde Stellung einnehmen, sind besonders hervorzuheben die durch Klarheit und Ausgewogenheit des Urteils ausgezeichneten Aufsätze von E. M. Engels: Evolutionäre Erkenntnistheorie — ein biologischer Ausverkauf der Philosophie?, in: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie14 (1983), 138–166 (im folgenden zitiert als: EEBAB); Die Evolutionäre Erkenntnistheorie in der Diskussion, in: Information Philosophie, Jan. 1985 (1), 56–63 und April 1985 (2), 49–68 (= EED); Was leistet die evolutionäre Erkenntnistheorie? Eine Kritik und Würdigung, in: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie 16 (1985), 113–146 (= WLEE).

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  2. Die Stellen entnehme ich M. T. Ghiselin, Darwin and Evolutionary Psychology, in: Science 179 (1973), 964–968, 965.

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  3. Evolutionary Epistemology, in: The Philosophy of Karl Popper, ed. by P. A. Schilpp, La Salle/Ill. 1974, 413–463, 437f. Eine historische Fundgrube sind 437–441 und der vierte Anhang. In seiner Antwort (ebd., 1059–1065) nennt Popper Campbells Beitrag zu Recht „a treatise of prodigious historical learning“ (1059). — Zur EE im 19. Jahrhundert vgl. auch F. M. Wuketits, Evolutionsmodelle in der Erklärung menschlicher Denkstrukturen im 19. Jahrhundert, in: Conceptus 6 (1983), 115–122.

  4. Eine These Schopenhauers, in: Populäre Schriften, Leipzig 1905, 385–402, 397.

  5. Op. cit., 398. — Zu Boltzmann vgl. E. Broda, Ludwig Boltzmann als evolutionistischer Philosoph, in: Conceptus 6 (1983), 103–114. E. Machs biologische Erkenntnistheorie ist Gegenstand des Aufsatzes von M. Čapek, Ernst Mach's Biological Theory of Knowledge, in: Synthese 18 (1968), 171–191.

  6. Blätter für Deutsche Philosphie 15 (1941), 94–125, jetzt in K. L., Das Wirkungsgefüge der Natur und das Schicksal des Menschen, hg. und eingeleitet von I. Eibl-Eibesfeldt, München/Zürich 1978 (= WNSM), 82–109 (= KLA).

  7. Zeitschrift für Tierpsychologie 5 (1943), 235–409 (= AFME). Diese zweite Abhandlung ist zweifelsohne die an aufgearbeitetem Material und fruchtbaren Ideen reichere, und es ist daher bedauerlich, daß sie in der gegenwärtigen Diskussion wenig berücksichtigt wird, wie G. Vollmer kürzlich zu Recht moniert hat (Evolution und Erkenntnis — Zur Kritik an der evolutionären Erkenntnistheorie (1985), in: G. V., Was können wir wissen?, Bd. 1: Die Natur der Erkenntnis, Stuttgart 1985 (= NE), 268–323, 320). Allerdings dürfte es nicht schwer zu erklären sein, warum sie auch von Lorenzschülern ungerne zitiert wird, während jener erste Aufsatz inzwischen mehrmals wiederabgedruckt wurde: Sie enthält in so massivem Maße rassistisches Gedankengut und implizit derart entsetzliche rassenpolitische Empfehlungen, daß ein allgemeines Bekanntwerden dieser Abhandlung Lorenz' Reputation nur schaden könnte. Vgl. Anm. 77.

  8. Zu erwähnen ist hier auch L. v. Bertalanffy, An Essay on the Relativity of Categories, in: Philosophy of Science 22 (1955), 243–263. Vgl. bes. 247–250: „The Biological Relativity of Categories.“

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  9. Ich sehe hier ab von dem kaum beachteten Aufsatz von R. Conradt, Grundzüge einer naturwissenschaftlichen Erkenntnistheorie, in: Philosophia Naturalis 12 (1970), 3–46.

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  10. München 1973. Ich zitiere nach der Ausgabe von dtv, München71984 (= RS).

  11. Ihm folgte, wenn auch mit größeren philosophischen Ansprüchen, R. Riedl mit seiner „Biologie der Erkenntnis“ (Berlin/Hamburg 1979, unter Mitarbeit von R. Kaspar). Ich zitiere nach der 3. Auflage von 1981 (= BE).

  12. Op. cit. Popper spricht bezüglich dieser schon einige Jahre vor dem Erscheinen des Schilpp-Bandes abgeschlossenen Arbeit von „the greatest agreement with my epistemology, and ... an astonishing anticipation of some things which I had not yet published when he wrote his paper.“ (1059) Ähnlich W. W. Bartley III, The Philosophy of Karl Popper, Part I: Biology & Evolutionary Epistemology, in: Philosophia 6 (1976), 463–494, 468: „Although Campbell says that Popper is the modern founder and leading advocate of an evolutionary epistemology, Popper himself had not previously put the problem in so full a context.“ Poppers „Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf“ erschien englisch 1972. Ich zitiere nach der deutschen Übersetzung, Hamburg 1973 (= OE). Vgl. dort bes. 81ff., 267ff.

  13. Evolutionäre Erkenntnistheorie, Stuttgart 1975. Ich zitiere nach der 3. Auflage von 1981 (= EE).

  14. Ausdruck der Differenzen zwischen beiden Lagern ist Vollmers bissige Rezension von Riedls „Biologie der Erkenntnis“ (Des Biologen philosophische Kleider, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 7.2 (1982), 57–68 (= BPK)).

  15. Piaget selbst akzeptiert den Grundgedanken der EE, tendiert aber anscheinend zu einer eher lamarckistischen als darwinistischen Interpretation der Evolutionsthorie. Vgl. Biologie und Erkenntnis, Frankfurt 1974 (frz. 1967), 276–312: „§ 19: Die angeborenen Erkenntnisse und die erblichen Werkzeuge des Erkennens“. Eine ‚Simulation des Lamarckismus‘ stellt Poppers interessantedarwinistische These von einem ‚genetischen Dualismus‘ dar (OE, 300ff.).

  16. S. auch den gerade erschienenen Beitrag von A. Idam/A. Kantorovich, Towards an Evolutionary Pragmatics of Science, in: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie 16 (1985), 47–66.

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  17. Vgl. R. Riedl, Die Spaltung des Weltbildes, Berlin/Hamburg 1985.

  18. Vgl. G. Vollmer, EE, 170ff.; R. Riedl, Die kopernikanischen Wenden, in: R. R., Evolution und Erkenntnis, München 1982, 273–298; L. Thönissen, Kopernikanische Wenden, in: Philosophia Naturalis 22 (1985), 294–327.

  19. Vgl. schon K. Lorenz, KLA, 86: „Diese zentralnervöse Apparatur schreibt keineswegs der Natur ihr Gesetz vor, sie tut das genausowenig, wie der Huf des Pferdes dem Erdboden seine Form vorschreibt. Wie dieser stolpert sie über nicht vorgesehene Veränderungen der dem Organ gestellten Aufgabe ... Unsere vor jeder individuellen Erfahrung festliegenden Anschauungsformen und Kategorien passen aus ganz denselben Gründen auf die Außenwelt, aus denen der Huf des Pferdes schon vor seiner Geburt auf den Steppenboden ... paßt.“

  20. Vgl. G. Vollmer, Mesokosmos und objektive Erkenntnis — Über Probleme, die von der evolutionären Erkenntnistheorie gelöst werden, in: K. Lorenz/F. M. Wuketits (Hg.), Die Evolution des Denkens, München/Zürich 1983 (= ED), 29–91 (= MOE), 43: „Die evolutionäre Erkenntnistheorie ist also zugleich bescheidener und anspruchsvoller als Kants transzendentale Erkenntnistheorie. Sie istbescheidener, indem sie keine notwendigen Wahrheiten oder Objektivitätsgarantien vertritt ... Was ... das Ding an sich betrifft, ist die evolutionäre Erkenntnistheorieanspruchsvoller als Kant.“

  21. G. Vollmer, MOE, 34.

  22. G. Vollmer, Was können wir wissen? Eigenart und Reichweite menschlichen Erkennens (1982), in: G.V., NE, 1–43, 43.

  23. Vgl. K. Popper, OE, 80.

  24. Vgl. K. Lorenz, RS, 90.

  25. OE, 37. Popper denkt an das trial-and-error-Verfahren, hebt freilich als Hauptunterschied zwischen Einstein und einer Amöbe hervor, „daß Einsteinbewußt auf Fehlerbeseitigung aus ist.“ (Ähnlich 84f., 273f.) Damit werde es möglich, „daß an unserer Stelle unsere Hypothesen sterben“ (271; vgl. 168, 274).

  26. WLEE, 143. — Den Versuch einer informationstheoretischen Rekonstruktion des Erkenntnisbegriffs stellt E. Oeser, Wissenschaft und Information, 3 Bde., Wien/München 1976 (bes. Bd. 2: Erkenntnis als Informationsprozeß) dar.

  27. Vgl. K. Lorenz, RS, 47ff. R. Löw hat gegen diese Rekonstruktion geltend gemacht, daß ein so verstandener Fulgurationsbegriff „auf die ganze Wirklichkeit ausgedehnt werden“ müsse, da ja auch aus zwei H-Atomen und einem O-Atom ein neues System mit neuen Qualitäten entstehe (Evolution und Erkenntnis — Tragweite und Grenzen der evolutionären Erkenntnistheorie in philosophischer Absicht, in: K. Lorenz/F. M. Wuketits, ED, 331–360 (=EETG), 348). In der Tat ist ihm zuzugeben, daß es Fulgurationen auch innerhalb des Anorganischen gibt (daraus folgt freilich nicht, daßjeder Zusammenschluß von Systemen eine Fulguration darstellt), ebenso wie auch innerhalb des Organischen; nur werden durch die meisten von ihnen weniger neue Eigenschaften emergieren als etwa durch den Zusammenschluß von Proteinen und DNA-Ketten, der nach Eigens faszinierender Hyperzyklustheorie zur Entstehung des Lebendigen geführt hat.

  28. Bemerkenswert ist der in diesem Sinne unternommene Versuch R. Riedls, causa efficiens und causa finalis zu versöhnen, ja die ganze aristotelische Vierursachenlehre systemtheoretisch neu zu rekonstruieren (BE, 148ff., bes. 165f.).

  29. So ist bisher nicht nur die transspezifische Evolution im Versuch nicht nachgewiesen worden, auch ihre theoretische Rekonstruktion ist umstritten. Gegen das ‚gradualistische‘ Modell haben St. J. Gould und N. Eldredge kürzlich ein ‚punctuated equilibrium model‘ entwickelt, das plötzliche große Sprünge zugrunde legt. Vgl. die populärwissenschaftliche Darstellung bei St. M. Stanley, Der neue Fahrplan der Evolution, München 1983.

  30. Vgl. etwa A. Locker (Hg.), Evolution — kritisch gesehen, Salzburg/München 1983, zumal den Aufsatz des Herausgebers (der auch eine äußerst scharfe Rezension von Riedls „Biologie der Erkenntnis“ verfaßt hat: Wiener Jahrbuch für Philosophie 13 (1980), 259–264): „Evolution“ — Begriff und Theorie unter der Sonde von Sprach- und Wissenschaftskritik, ebd., 11–46. Dieser Beitrag disqualifiziert sich selbst, so wenn es heißt, eine naturwissenschaftliche Theorie könne empirisch nicht widerlegt werden (35), Erklären bedeute, sich dem Wesentlichen zu entziehen (39), aus dem „zufälligen“ Zusammentreffen der Todestage Goethes und Darwins sei etwas Geheimes zu verstehen (39) und die EE sei schlimmer als ein Märchen — „ist doch das Märchen immer ‚verdünnter‘ Mythos, da es tiefste menschlich/übermenschliche Wahrheit bekundet“ (43). Sachlicher ist H. Kahle, Evolution — Irrweg moderner Naturwissenschaft?, Bielefeld 1980. — Ganz anderer Natur ist die unten S. 370f. entwickelte Kritik, daß die Evolutionstheorie ein Uniformitätsprinzip voraussetzt, um als wissenschaftlich gelten zu können, denn das gilt im Grunde von jeder Theorie mit Allaussagen.

  31. So etwa G. Frey, Möglichkeit und Bedeutung einer evolutionären Erkenntnistheorie, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 34 (1980), 1–17, 8f.

  32. Man könnte hier einwenden, er hätte jedoch nicht falsifiziert werden können, da Existenzaussagen wie „Es gibt Mutationen“ prinzipiell nicht falsifizierbar sind. Das ist richtig; nur folgt daraus, daß die Forderung prinzipieller Falsifizierbarkeit wissenschaftlicher Aussagen (die unter bestimmten Umständen auch Existenzaussagen sein können) inakzeptabel ist. Zu Recht meint E. -M. Engels, daß die Diskussion des Problems der Falsifizierbarkeit der Evolutionstheorie, eine der zentralen Fragen in der Auseinandersetzung um deren logischen Status, wichtige Konsequenzen nicht nur für die Evolutionstheorie, sondern auch für die Wissenschaftstheorie haben könnte (EED, 1, 62).

  33. Tautologien sind zwar nicht falsifizierbar — aber nur, weil sie logisch wahr sind. Umgekehrt gibt es nicht-falsifizierbare Sätze, die nicht logisch wahr, sondern sinnlos sind — und nur vor solchen Sätzen (etwa: „Es gibt Engel, die in das Naturgeschehen eingreifen, ohne daß wir Menschen das merken können“) hat sich die Wissenschaft zu hüten.

  34. Vgl. OE, 83, 268.

  35. Natural Selection and the Emergence of Mind, in: Dialectica 32 (1978), 339–355, 343ff. Popper meint allerdings, die geschlechtliche Zuchtwahl widerlege die Konzeption der natürlichen Zuchtwahl, während sie m.E. diesen Begriff nur modifiziert.

  36. Vgl. C. Darwin, The origin of species by means of natural selection, Harmondsworth 1978, 136ff.: „Sexual Selection“ (innerhalb von Kap. 4: „Natural Selection“).

  37. K. Lorenz erwähnt in einem ähnlichen Zusammenhang als besonders plastisches Beispiel die Schwingen des Argusfasans (über das Töten von Artgenossen (1955), in: K. L., WNSM, 275–298, 278f.).

  38. So heißt es auch bei Lorenz: „Möglicherweise ist Reflexion, durch die das Subjekt sich seiner Subjektivität erstmalig bewußt wird, die Voraussetzung für alle anderen, nur dem Menschen eigenen Prinzipien des Verhaltens.“ (Die instinktiven Grundlagen menschlicher Kultur (1967), in: K. L., WNSM, 246–274 (= IGMK), 264) Äußerst interessant ist Lorenz' Hypothese, nach der die Ausbildung von Reflexion durch intersubjektive Prozesse ermöglicht wurde (265).

  39. Sein und Gewordensein. Was erklärt die Evolutionstheorie?, in: R. Spaemann u. a. (Hg.), Evolutionstheorie und menschliches Selbstverständnis, Weinheim 1984 (= EMS), 73–91, 85. Spaemann beharrt auf der Unableitbarkeit der Negativität (deren erste Form der Schmerz sein soll, dessen selbst- und arterhaltende Funktion Spaemann freilich anerkennt). Allerdings gilt die Tatsache, daß hier noch keine naturwissenschaftlich befriedigende Erklärung vorliegt, nicht spezifisch für den Schmerz, sondern ebenso für die Lust, ja für bewußtes Erleben überhaupt; sie hat also nichts mit Negativität zu tun. Zudem folgt aus dem bisherigen Fehlen einer Erklärung keineswegs, daß eine solche grundsätzlich nicht möglich ist. — Bemerkenswert ist, daß auch einige Befürworter der EE eine dualistische Lösung des Leib-Seele-Problems befürworten — man denke nur an K. Popper und H. v. Ditfurth.

  40. RS, 216.

  41. RS, 214.

  42. Eine solche Struktur müßte sich natürlich auch physikalisch von Prozessen ohne Innenaspekt unterscheiden, wie G. Vollmer zu Recht auf den Einwand entgegnet, für eine nichtdualistische Position sei ein Prozeß mit Bewußtsein von einem ohne Bewußtsein nicht zu unterscheiden (MOE, 86). Sie müßte ferner — wie schon das Leben — die Möglichkeit haben, dank Rückkopplungsstrukturen eine gewisse Autonomie zu entwickeln und auf niedrigere Stufen zurückzuwirken.

  43. BE, 107.

  44. BE, 30.

  45. Vgl. K. Lorenz, Über die Entstehung von Mannigfaltigkeit (1965), in: K. L., WNSM, 54–81 (= EM), 79: „Höherentwicklung und bessere Anpassung sind ... durchaus nicht ohne weiteres gleichzusetzen. Höherentwicklung bringt viele anpassungsmäßige Nachteile mit sich, zum Beispiel die erhöhte Abhängigkeit des Gesamtsystems von jedem seiner Teile, die unabdingbar mit der Spezialisierung ihrer Arbeitsteilung einhergeht. Eine Hydra kann man in kleine Teile schneiden, ein Wirbeltier verträgt nicht einmal, daß man es köpft.“ Vgl. auch 78: „EinParamaecium ist durchaus nicht schlechter an seinen Lebensraum angepaßt als ein Affe ...“

  46. Kant und die evolutionären Erkenntnistheorie (1984), in: G. V., NE, 166–216 (= KEE), 186. — In Anschluß an K. Lorenz (RS, 129ff.) beharrt Vollmer auf dem Unterschied eines propter hoc von einem regelmäßigen post hoc — einem Unterschied, der in einem Energieübertrag bei kausaler Verursachung bestehe.

  47. Diese Unterscheidung zwischen Zirkularität und Hypothetizität wird in keinem jener Beiträge gemacht, die der EE generisch Zirkularität vorwerfen (vgl. W. Lütterfelds, Kants Kausalkategorie — ein stammesgeschichtliches Aposteriori?, in: Philosophia Naturalis 19 (1982), 104–124; H. Holzhey, Genese und Geltung. Das vernunftkritische Resultat einer Kontroverse zwischen biologischer und kantianischer Erkenntnistheorie, in: Studia Philosophica 42 (1983), 104–123, bes. 120; H. Köchler, Erkenntnistheorie als biologische Anthropologie?, in: G. Pfligersdorffer (Hg.), Blickpunkte philosophischer Anthropologie, Salzburg 1983, 43–63, bes. 55ff.; H. M. Baumgartner, Die innere Unmöglichkeit einer evolutionären Erklärung der menschlichen Vernunft, in: R. Spaemann u. a., EMS, 55–71, 66; G. H. Hövelmann, Sprachkritische Bemerkungen zur evolutionären Erkenntnistheorie, in: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie 15 (1984), 92–121, bes. 100).

  48. Vgl. die durch Putnam angeregte Kritik W. Stegmüllers am ‚metaphysischen Realismus‘ der EE: Evolutionäre Erkenntnistheorie, Realismus und Wissenschaftstheorie, in: R. Spaemann u. a., EMS, 5–34 (= EERW), 20ff.

  49. So betont G. Vollmer selbst, keine wissenschaftliche Theorie sie biologisch vorgeformt (Evolution der Erkenntnisfähigkeit — Ansätze zu einer evolutionären Erkenntnistheorie (1984), in: G. V., NE, 44–56, 55). H. Mohr versucht dagegen, zumindest das Ethos der Wissenschaft evolutionstheoretisch zu erklären (Ist das ‚Ethos der Wissenschaft‘ mit der evolutionären Erkenntnistheorie zu vereinbaren?, in: K. Lorenz/F. M. Wuketits, ED, 300–328). Seine Ausführungen — die ein seltenes Unverständnis des Problems des naturalistischen Fehlschusses verraten — sind freilich bestenfalls unter genetischem, keineswegs unter geltungstheoretischem Aspekt akzeptabel.

  50. EEBAP, 158f. Gegen den Vorwurf der Zirkularität vgl. auch den allerdings wenig klärenden Beitrag von G. P. Wagner, Über die logischen Grundlagen der evolutionären Erkenntnistheorie, in: K. Lorenz/F. M. Wuketits, ED, 199–214.

  51. KEE, 183.

  52. KEE, 184.

  53. Why reason can't be naturalized, in: Synthese 52 (1982), 3–23 (= RCN), 20. Vgl. zur evolutionären Erkenntnistheorie 4ff.

  54. Nach Vollmer ist dieses Problem freilich der „Prüfstein empiristischer und rationalistischer Argumente“ (MOE, 42).

  55. So zu Recht W. Stegmüller, EERW, 30ff. Ähnlich bezüglich der Differenzen zwischen Platons und Lockes Begriff von angeborener Idee I. Craemer-Ruegenberg, Was leistet die Evolutionäre Erkenntnistheorie? Zu einem Aufsatz von Gerhard Vollmer in AZP 1984, 2, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 10.2 (1985), 61–71, 64. — Mit Popper ließe sich sagen, daß das Problem der EE wie das Lockes ein Problem von Welt 2 ist, während Kants (und wohl auch Platons) Problem Welt 3 betrifft.

  56. Vgl. De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, § 15 Zus.; Kritik der praktischen Vernunft, A 254; Über eine Entdeckung, BA 68.

  57. Vgl. G. Simmel, Über eine Beziehung der Selectionslehr zur Erkenntnistheorie, in: Archiv für systematische Philosophie 1 (1895), 34–45, bes. 43: „so dass ursprünglich das Erkennen nicht zuerst wahr und dann nützlich, sondern erst nützlich ist und dann wahr genannt wird.“

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  58. Vollmer selbst reflektiert gelegentlich über dieses Problem (vgl. etwa: Über vermeintliche Zirkel in einer empirisch orientierten Erkenntnistheorie (1983), in: G. V., NE, 217–267 (= VZEOE), 251f.), aber in unzureichender Weise. So räumt er ein, daß synthetische Sätze a priori, auch wenn sie nicht existierten, doch „logisch möglich“ seien (KEE, 193), sieht jedoch nicht, daß daraus der synthetische Charakter und damit die Widersprüchlichkeit und Falschheit des Satzes S folgt.Bei dem Satz T folgt aus der bloßen Möglichkeit sofort die Existenz.

  59. Die eben skizzierte Begründungsmethode geht im wesentlichen auf K.-O. Apel und seinen Schüler W. Kuhlmann zurück (s. bes. dessen Buch: Reflexive Letztbegründung, Freiburg/München 1985). Vgl. allerdings zum ontologischen (und damit auch: naturphilosophischen) Defizit der Transzendentalpragmatik Verf., Die Transzendentalpragmatik als Fichteanismus der Intersubjektivität, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 40 (1986), 235–252.

  60. Daher ist auch Kants Transzendentalphilosophie im Grunde zirkulär, wie er selbst einräumt (KdrV B 765/A 737).

  61. BPK, 61.

  62. Ich sehe hier ganz ab vom Außenweltproblem, das der hypothetische Realismus (und mit ihm die EE) einerseits für unlösbar erklärt — denn in der Tat ist der Satz „es gibt eine Außenwelt“ ein synthetischer Satz a priori: Er kann durch keine Erfahrung gestützt oder widerlegt werden, und seine Negation ist nicht analytisch widersprüchlich. Andererseits wird aber der Solipsismus vom hypothetischen Realismus als größenwahnsinnig, unsinnig usf. beschimpft (vgl. K. Popper, OE, 54; G. Vollmer, KEE, 203), da starke Argumente gegen ihn sprächen. Allerdings sind die Argumente, die etwa Vollmer, EE, 34ff. anführt, nicht nur nicht stringent (wie von den hypothetischen Realisten zugegeben wird) — sie sind nicht einmal Plausibilitätsargumente, da sie selbst dies nurunter der Voraussetzung des Realismus sind. Ganz allgemein können noch so viele empirische Sätze, ohne schon einen synthetischen Satz a priori zugrunde zu legen, einen synthetischen Satz a priori auch nicht um ein bißchen wahrscheinlicher machen.

  63. Damit soll nicht gesagt sein, daß dies das einzige apriorische Prinzip einer reinen Naturphilosophie wäre — zu denken wäre auch an Erhaltungssätze usf. Jenes Prinzip ist aber das grundlegende, und es ist gewiß kein Hemmnis für die Wissenschaft (verabsolutiert es doch nicht wie die Kantischen synthetischen Sätze a priori eine bestimmte historische Theorie), sondern vielmehr die Bedingung ihrer Möglichkeit. Näher zu diesem Problemkreis vgl. D. Wandschneider, Die Möglichkeit von Wissenschaft. Ontologische Aspekte der Naturforschung, in: Philosophia Naturalis 22 (1985), 200–213.

  64. Vgl. den interesssanten Aufsatz von B.-O. Küppers, Die Berechenbarkeit des Lebendigen (Philosophia Naturalis 22 (1985), 250–270), der unter Rückgriff auf einen Satz von Chaitin zeigt, daß der Vitalismus auch bei Bekanntheit aller Mutationen prinzipiell nicht zu widerlegen wäre.

  65. Dazu vgl. etwa F. M. Wuketits, Kausalitätsbegriff und Evolutionstheorie, Berlin 1980, 65–69.

  66. So zu Recht, R. Löw, EETG, 350ff.

  67. IGMK, 273.

  68. S. etwa: Die Vorstellung einer zweckgerichteten Weltordnung (1976), in: WNSM, 24–35, 27.

  69. MOE, 50f.

  70. Vgl. in AFME nur die Abschnitte „Die Leistung des intoleranten Werturteils“ (308–311) und „Der Wert der Reinrassigkeit“ (311–314) sowie folgende Äußerungen: „Die ganz allmählich und unmerklich zunehmende Korruption durchdringt den noch gesunden Volkskörper in „infiltrierendem Wachstum“, wie der Fachausdruck derKrebsforschung so vielsagend lautet. Die Gründe hierfür sind die gleichen wie bei der bösartigen Neubildung. Während der gesunde Körper auf die Einführungfremder lebender Zellen, etwa solcher von Parasiten, mit Abwehr- und Abgrenzungsreaktionen antwortet, wie sie auch ein gesundes Volk fremdrassigen Elementen gegenüber unter Umständen mit Erfolg durchführen kann, „bemerkt“ die noch gesunde Umgebung die Ent-Differenzierungsvorgänge ...nicht, sondern reagiert auf sie auch weiterhin „mit sozialem Entgegenkommen“ ... und macht dadurch das ... Wachstum der Krebsgeschwulst überhaupt erst möglich ... somüssen ganz einfach alle diese Ursachen die zu erwartende Wirkung haben, daß ein Kulturvolk kurz nach Erreichung der Zivilisationsphase zugrundegeht,woferne nicht eine bewußte, wissenschaftlich unterbaute Rassenpolitik diese Entwicklung der Dinge verhindert“ (301f.); „Gleich dem Chirurgen, der bei der Entfernung einer wuchernden Krebsgeschwulst mit einiger Willkür und „Ungerechtigkeit“ irgendwo durch seinen Schnitt die scharfe Grenze zwischen zu Entfernendem und zu Erhaltendem zieht, ja sogar bewußt lieber gesundes Gewebe mit entfernt als krankes stehen läßt, so muß sich auch das apriorische Werturteilen zur Festlegung einer Grenzlinie ... entschließen“ (309); „Das apriorische Beurteilen des Wertes von Artgenossen ist eine jener arteigenen Reaktionen des Menschen, die durch intellektualisierende Selbstbeobachtung stark in ihrer Funktion gestört werden ... Toleranz gegen moralisch Minderwertige ist eine schwere Gefahr für die Volksgemeinschaft“ (311); „Mein Vater ... sagte einst: rassebiologisch gesehen, ist die gesamte ärztliche Kunst ein Unglück für die Menschheit“.

  71. Analoges gilt für die Ästhetik, obwohl auch sie von der Analyse angeborener ästhetischer Empfindungen viel lernen kann (man denke etwa an das Prinzip der Komplementärfarben, dem nichts Physikalisches, sondern nur eine physiologische Eigenart des menschlichen Auges zugrunde liegt). Freilich ist das unmittelbar Ansprechende — etwa ein weiblicher Körper von bestimmten Proportionen — noch nicht schön in dem normativen Sinn, den ein Kunstwerk beansprucht; in einem großen Kunstwerk kann es vielmehr sogar sinnvoll sein, das angeborene Schönheitsempfinden zu negieren, auf das ohne Brechung gewöhnlich nur der Kitsch zurückgreift. Vgl. dazu die erhellenden Ausführungen bei K. Lorenz, AFME, 281–290.

  72. Vgl. z. B. R. Löw, EETG, 350: „Nicht nur die Geltung, sondern auch die Genesis der Kategorien ist ihr (sc. der EE) entzogen.“ Allerdings kann man Löw insoweit zustimmen, als eine deskriptive Erkenntnistheorie, die das Geltungsproblem nicht bedenkt, trivialerweise auch nicht die Genese desjenigen erkenntnistheoretischen Vermögens thematisieren kann, das sich mit Geltungsfragen befaßt, da sie ja davon ausgehen muß, daß es es gar nicht geben kann. Doch bedeutet diese faktische Unvollständigkeit der EE keineswegs, daß die Genese dieses Vermögens nicht ebenfalls auf natürliche Weise erklärt werden könnte.

  73. H. Putnam, RCN, 6.

  74. Vgl. in diesem Sinne Ch. S. Peirce' Kritik (in: Collected Papers, Cambridge 1931ff., Bd. V, Abschnitt 254–258, 310, 452, 525). Peirce möchte den Begriff des Unerkennbaren durch denjenigen des Unerkannten, aberin the long run Erkennbaren ersetzt haben. — Ähnlich sinnlos wie Kants Lehre vom Ding-an-sich sind m.E. G. Vollmers Äußerungen über mögliche, aber prinzipiell unerkennbare Welten ohne Naturgesetze, Symmetrien usf. (MOE, 29).

  75. EEBAP, 154.

  76. Den Versuch einer kritischen Sichtung der Hegelschen Naturphilosophie stellen die Beiträge von D. Wandschneider und V. Hösle in: M. J. Petry (Hg.), Hegel und die Naturwissenschaften, Stuttgart-Bad Cannstatt 1987 dar.

  77. Zu einer genaueren Rekonstruktion der für diesen Gedanken sprechenden Argumente sowie zu seinen Konsequenzen vgl. Verf., Begründungsprobleme des objektiven Idealismus, in: Forum für Philosophie (Hg.), Philosophie und Begründung, Frankfurt 1987.

  78. Vgl. in diesem Sinne H. Baumgartners idealistisch inspirierte Kritik an der EE (Über die Widerspenstigkeit der Vernunft, sich aus Geschichte erklären zu lassen, in: H. Poser (Hg.), Wandel des Vernunftbegriffs, Freiburg/München 1981, 39–64, 57; Ereignis und Struktur als Kategorien einer geschichtlichen Betrachtung der Vernunft, in: Grenzfragen, Bd. 12: Aufbau der Wirklichkeit, Freiburg/München 1982, 175–224, 197ff.).

  79. Vgl. die klaren Ausführungen in G. Vollmer, VZEOE. Wichtig ist zumal Vollmers Bemerkung, daß Reflexivität nur notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für Antinomien ist und daß es daher unsinnig wäre, Reflexivität generell zu verbieten (222f.).

  80. Eine unreflektierte Affinität zum objektiven Idealismus Platonisch-Hegelscher Prägung ist bei Riedl auch in seiner extrem realistischen Lösung des biologischen Homologieproblems festzustellen (vgl. BE, 76, 108, 114, 138, 142, 167f.).

  81. Den einzig mir bekannten Versuch einer Integration der EE in einen objektiv-idealistischen Ansatz hat C. F. v. Weizsäcker unternommen. In seinem Aufsatz „Die Rückseite des Spiegels, gespiegelt“ (in: Der Garten des Menschlichen, München/Wien 1977, 187–205) entfaltet er von einem platonisierenden, nicht bloß subjektiv-idealistischen Ansatz aus eine Kritik an Lorenz, die vornehmlich darauf abhebt, daß Lorenz' Grundgedanken mit einem platonischen Idealismus (der alles andere als dualistisch sei) sehr wohl kompatibel seien: „Platon kann Lorenz dulden, ja er müßte ihn bejahen.“ (190) Gut objektiv-idealistisch ist folgende Formulierung Weizsäckers: „Organe sind ...objektive Begriffe.“ (203)

  82. Z. B. RS, 50.

  83. RS, 91. — Auch innerhalb der Vorgänge kurzfristigen Informationsgewinns läßt sich unschwer die topische Reaktion als Synthese von Kinesis und phobischer Reaktion interpretieren: Während in der Kinesis nur Informationen über den Ort verarbeitet werden, an dem der Organismus sich gerade befindet — in günstigem Milieu bewegt er sich langsamer —, erfährt er in der phobischen Reaktion etwas über die Richtung, in der zu Vermeidendes liegt; die topische Reaktion schließlich informiert ihn darüber, welche Richtung er am besten einschlagen soll. Auch bei der Behandlung der Vorgänge der Sensitivierung, der Gewöhnung (oder De-Sensitivierung) und der Angewöhnung (oder Umkehrung der De-Sensitivierung) bemüht sich Lorenz um einen inneren logischen Zusammenhang zwischen den einzelnen Formen.

  84. Vgl. R. Kaspar, Die biologischen Grundlagen der evolutionären Erkenntnistheorie, in: K. Lorenz/F. M. Wuketits, ED, 125–145, 129f.: Das conditioning by reinforcement entspreche „einem Lernprogramm, bei dem der Erfolg (oder Mißerfolg) jeder Aktion auf das Gesamtprogramm rückverrechnet wird, einem Prinzip also, das wir schon vom Hyperzyklus kennen und das insgesamt den synergetischen Mechanismen der Selbstorganisation entspricht.“

  85. Deswegen könnte ein objektiver Idealist folgender Äußerung Lorenz' ohne weiteres zustimmen, auch wenn er darauf bestehen würde, daß sie auf naturalistischer Basis, ohne synthetische Sätze a priori, nicht zu begründen ist, da der konsequente ‚Materialismus‘ ohne objektiv-idealistische Prämissen nur eine inkonsistente Versicherung ist: „Dem wahren Naturforscher ... scheint es ... erst recht ehrfurchterweckend, wenn das Prinzip des Sammelns von Information, das allem Leben und aller Anpassung zugrunde liegt, ohne Verstoß gegen die allgegenwärtigen Naturgesetze auf grundsätzlich erklärbarem Wege zur Höherentwicklung von Organen einschließlich des menschlichen Gehirnes geführt hat.“ (EM, 81)

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Manuskriptabschluß Januar 1986.

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Hösle, V. Tragweite und Grenzen der evolutionären Erkenntnistheorie. Zeitschrift für Allgemeine Wissenschaftstheorie 19, 348–377 (1988). https://doi.org/10.1007/BF01801343

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