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Stegmüller über „wissenschaftliche Revolutionen“

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Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Anknüpfend an Untersuchungen von J. D. Sneed, hat W. Stegmüller eine Explikation von „‚revolutionärem‘ wissenschaftlichem Fortschritt“ vorgeschlagen, die auf einer bestimmten Definition der intertheoretischen Relation der Reduktion beruht. Zumindest in seiner bisherigen Fassung erweist sich das von Stegmüller vorgebrachte Kriterium für „revolutionären“ wissenschaftlichen Fortschritt jedoch nicht nur als zu weit, sondern auch, wie das Beispiel klassische vs. relativistische Kinematik zeigt, als zu eng.

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References

  1. W. Stegmüller, [Theorie] Theorie und Erfahrung II (Theorienstrukturen und Theoriendynamik), Berlin-Heidelberg-New York 1973; ders., Theoriendynamik und logisches Verständnis, in: W. Diederich (Hrsg.), Theorien der Wissenschaftsgeschichte, Frankfurt am Main 1974; ders., Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie II, Stuttgart 1975, Kap. V; ders., [Structures] Structures and Dynamics of Theories. Some Reflections on J. D. Sneed and T. S. Kuhn, in: Erkenntnis 9 (1975).

  2. J. D. Sneed, [Physics] The Logical Structure of Mathematical Physics, Dordrecht 1971.

  3. Dies ist die Formulierung in Stegmüller, [Structures], S. 96. In Stegmüllers früheren Publikationen zum selben Thema (s. Anmerkung 1) tauchte weder der Zusatz „nicht umgekehrt T′ auf T“ (ohne den eine „fortschrittliche“ Verdrängung von T durch T selbst möglich wäre, wie man leicht sieht, wenn man als Reduktions-Relation R die identische Abbildung von Mpp auf sich selbst wählt) noch die Wendung „nur dann“ auf: die Reduzierbarkeit hätte infolgedessen nicht nur als notwendige, sondern auch als hinreichende Bedingung für („revolutionären“) wissenschaftlichen Fortschritt aufgefaßt werden können (s. dazu unten). — Im übrigen ist bereits fraglich, ob das, was man gemeinhin eine „wissenschaftliche Revolution“ nennt, sich korrekt als „Verdrängung (Ersetzung, Ablösung, etc.)“ einer Theorie T durch eine neue Theorie T′ beschreiben läßt. Auch wenn ich diese Redeweise im folgenden selber verwenden werde, besteht m.E. eine „wissenschaftliche Revolution“ i.a. nicht in der Elimination einer bis dato akzeptierten Theorie T durch eine neue Theorie T′, sondern in der Etablierung von T′ bei gleichzeitigem Beibehalten von T, wenn auch mit Einschränkungen des Anwendungsund Genauigkeitsbereichs von T.

  4. Zu dieser Unterscheidung vgl. Sneed, [Physics], S. 31ff.; Stegmüller, [Theorie], S. 45ff. — Es ist allerdings höchst zweifelhaft, ob sie in der von Sneed vorgenommenen Form sinnvoll ist. In einem unveröffentlichten Manuskript macht A. Kamlah darauf aufmerksam, daß nach Sneeds Definition von „T-theoretisch“ die klassische Mechanik (KM) bis Anfang dieses Jahrhunderts ausschließlich (KM-)theoretische Funktionen enthalten hätte, da auch Längen und Zeiten bis dahin durchweg in KM-abhängiger Weise gemessen wurden. (So wurden z. B., und werden teilweise auch weiterhin, Entfernungen im planetarischen Bereich auf Grund der Keplerschen Gesetze berechnet, solche im terrestrischen Bereich mit Hilfe von Geräten — wie Maßstäben, Meßbändern, Mikrometern, etc. — ermittelt, die selbst als Modelle der klassischen Mechanik vorausgesetzt werden. Insbesondere bezogen sich auch sämtliche Verfahren der Zeitmessung auf mechanische Systeme, und zwar nicht nur soweit es bloß sekundäre Meßgeräte wie z. B. Pendeluhren, sondern vor allem soweit es die primären Standards wie die Erdrotation, im Falle der mittleren Sonnenzeit, oder den Umlauf der Erde um die Sonne, im Falle der sogenannten Ephemeridenzeit, betrifft.) Dies aber würde bedeuten, daß die empirischen Behauptungen der klassischen Mechanik, falls sie, wie Sneed und Stegmüller annehmen, als Ramsey-Sneed-Sätze rekonstruiert werden müssen, zunächst leer gewesen wären und erst seit der Verwendung von nicht-mechanischen Längen- und Zeitmeßapparaten (z. B. Interferenzkomparator, Radar; Quarz- und Atomuhren) einen empirischen Gehalt bekommen hätten — ein sicherlich inakzeptables Resultat. — Im übrigen erscheint es auch als fraglich, ob „Masse“ noch, entsprechend der Annahme von Sneed, als KM-theoretische Funktion angesehen werden kann. Jedenfalls werden in der Astronomie die Massen von Sternen keineswegs mehr ausschließlich in KM-abhängiger Weise gemessen, sondern teilweise auch auf Grund der sogenannten Masse-Leuchtkraft-Beziehung ermittelt. Es stellt sich in diesem Zusammenhang ganz allgemein die Frage, inwieweit sich die Theoretizität einer Funktion f in bezug auf eine Theorie T, im Sinne von Sneed, noch behaupten läßt, solange die begründete Vermutung besteht (und für welches f wäre eine solche Vermutung unbegründet?), daß f, sofern dies nicht schon der Fall sein sollte, auch in einer anderen, evtl. späteren, Theorie T′ vorkommen wird und dann die Werte von f für sämtliche Individuen einiger Anwendungen von T statt in T-abhängiger in T′-abhängiger Weise gemessen werden können.

  5. Vgl. Stegmüller, [Theorie], S. 145ff.; Sneed, [Physics], S. 217 ff. — Ich übernehme hier den auch von Stegmüller in [Theorie] verwendeten Theorie-Begriff von Sneed, ohne auf die diesbezüglichen, von Stegmüller in [Structures] eingeführten Modifikationen einzugehen — was jedoch, soweit ich sehe, für das folgende ohne Belang ist.

  6. s. Stegmüller, [Theorie], S. 145; ders., Theoriendynamik und logisches Verständnis, a.a.O., S. 199. — Ich betone mit Absicht „soll ... besagen“, denn tatsächlich besagt es weniger als das: es besteht vielmehr, sowohl für die schwache wie für die strenge Reduktion, die Möglichkeit von sogenannten „vacuous reductions“ (Sneed, [Physics], S. 223 und 231f.). D.h., auch wenn T gemäß der angegebenen Definition auf T′ reduzierbar ist, kann I „unter T subsumierbar“ und zugleich keine einzige Teilmenge von I′ „unter T′ subsumierbar“ sein; genauer gesagt, es kann gelten: 〈I, I′〉 ∈ R′, und für alle Teilmengen I′i von I′ und für alle Erweiterungen E′ von K′ ist I′i ∉ Ae (E′), und es existiert eine Erweiterung E von K mit: I ∈ Ae (E). In einem solchen Fall vermag T′, trotz der Reduktion von T auf T′, offenbar keine mittelsT geleistete Erklärung, Prognose, etc. zu übernehmen. — Für die nachfolgende Diskussion soll jedoch unterstellt werden, daß die Definition der Reduktions-Relation in geeigneter Weise ergänzt wurde, so daß „vacuous reductions“, ebenso wie alle anderen Reduktionen, bei denen nicht jeder erfolgreichen Anwendung von T wenigstens eine erfolgreiche Anwendung von T′ zugeordnet wird, ausgeschlossen bleiben. (Wenn man nur die schwache Reduktion berücksichtigt, würde wohl schon eine einfache zusätzliche Bedingung in der Definition von „R reduziert E schwach auf E′“ genügen:\( \wedge X\left[ {X \subseteq M_{pp} \wedge X \in A_e \left( E \right) \to \vee X'\left( {X' \subseteq M'_{pp} \wedge \left\langle {X,X'} \right\rangle \in R' \wedge X' \in A_e \left( {E'} \right)} \right)} \right].\) In bezug auf die strenge Reduktion wäre freilich darau zu achten, daß nicht auch „bastard extensions“, wie Sneed es nennt (vgl. [Physics], S. 233 und 246), von intendierten Anwendungen von T zugelassen werden.)

  7. 10 vgl. jedoch Anmerkung 4.

  8. Stegmüller, [Theorie], S. 145; ähnlich: Sneed, [Physics], S. 219. Ebd., S. 220, weist Sneed ausdrücklich darauf hin, daß diese „Identitäts-Forderung“ in die Definition der Reduktions-Relation nicht eingeht.

  9. s. Stegmüller, [Theorie], S. 260f.

  10. Die Forderung v ≪ c allein würde freilich noch nicht genügen, um aus einer (speziellen) Lorentz-Transformation — approximativ — eine (spezielle) Galilei-Transformation zu erhalten. Hinzukommen müßte außerdem die Bedingung v · xp/c2 <\(\vartheta \) (\(\vartheta \): Zeitmeßungenauigkeit): vgl. G. Ludwig, Einführung in die Grundlagen der Theoretischen Physik, Bd. 2, Düsseldorf 1974, S. 369.

  11. vgl. hierzu auch Anmerkung 3.

  12. Eine Analyse der Struktur und der „Dynamik“ von physikalischen Theorien, die einerseits eine gewisse Ähnlichkeit mit der von Sneed aufweist, andrerseits sich, soweit ich sehe, nicht der hier vorgetragenen Kritik aussetzt, hat G. Ludwig vorgelegt in: Deutung des Begriffs „physikalische Theorie“ und axiomatische Grundlegung der Hilbertraumstruktur der Quantenmechanik durch Hauptsätze des Messens, Berlin-Heidelberg-New York 1970, Kap. II: Die Grundlegung einer physikalischen Theorie; für eine kürzere Darstellung s. ders., Einführung in die Grundlagen der Theoretischen Physik, Bd. 1, Düsseldorf 1974, Kap. III: Das Verhältnis von Mathematik und Physik.

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Düsberg, K.J. Stegmüller über „wissenschaftliche Revolutionen“. Zeitschrift für Allgemeine Wissenschaftstheorie 8, 331–341 (1977). https://doi.org/10.1007/BF01800701

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/BF01800701

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