Zusammenfassung
Es wird eine neue Vorrichtung zur Messung des menschlichen Muskeltonus beschrieben. Sie gestattet eine fortlaufende fast isometrische Schreibung des Dehnungswiderstandes und der jeweiligen Gelenkstellung bei passiven Bewegungen im Knie- und Ellenbogengelenk.
Die mit dieser Vorrichtung gewonnenen Ergebnisse bei Parkinsonismus und spastischen Lähmungen bestätigen meinen zunächst subjektiv gewonnenen Eindruck, daß hier extreme Typen der Enthirnungsstarre vorliegen, zwischen denen es verschiedene Übergänge gibt. Der Rigor entspricht der kataleptischen Form mit vorwiegenden lengthening- und shortening-Phänomenen, der Spasmus der „klassischen“ Form mit vorwiegendem Stretchreflex. Die mechanische Registrierung lehrt, daß ganz rigorfreie Spasmen zu den Seltenheiten gehören.
Die mit objektiver Methode gewonnenen Ergebnisse sprechen für die bereits früher begründete Auffassung, daß die Unterscheidung zwischen Sperrung und Bewegung nicht der Funktion des Säugemuskels entspricht. Der Säugemuskel leistet 3 Funktionen: Bewegung, Federung und Bremsung. In pathologischer Steigerung imponiert die federnde Funktion als Spasmus, die bremsende als Rigor.
Die Bewegungs- und federnde Funktion sind zweifellos durch Innervation des Verkürzungsapparates bedingt.
Es ist vorläufig weder für den Menschen noch für das Tier entschieden, ob die Bremsungsfunktion (shortening und lengthening-Phänomen) ganz oder teilweise durch visköse Vorgänge bedingt ist.
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Schaltenbrand, G. Messung des Dehnungswiderstandes am menschlichen Muskel bei Gesunden, Spastikern und Parkinsonismusfällen. Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilkunde 109, 231–251 (1929). https://doi.org/10.1007/BF01652710
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