Zusammenfassung
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1.
Bei einem an striopallidärer Erkrankung leidenden Kinde entstehen anfallsweise vom frühen Kindesalter an stets nach Affekten Zustände des augenblicklichen Starrwerdens der Skelettmuskulatur, ohne daß es zu einer nachweisbaren Störung des Bewußtseins komme. Die Muskelhypertonie erinnert, was die Verteilung des Tonus betrifft, an die Enthirnungsstarre, von der sie sich nur durch die Kürze und Augenblicklichkeit unterscheidet. Die Muskelstarre ruft infolge Verschiebung des Körpergleichgewichts das Hinstürzen hervor. Die Tonussteigerung löst sich schon während des Hinstürzens. Diese Sturzanfälle können durch die vorangehende affektive Muskeltonussteigerung scharf von dem von Redlich beschriebenen „affektiven Tonusverlust“ abgetrennt werden. Der letztere zeigt sich in Form von Zusammenstürzen infolge momentaner Tonusblockade, der meistens ein Zustand des narkoleptischen Einschlafens von kürzerer oder längerer Dauer vorangeht. Die Unterscheidung der zwei Anfallstypen geschieht auf pathophysiologischer Grundlage folgendermaßen: der Redlichsche affektive Muskeltonusverlust ist meistens eine Teilerscheinung der Narkolepsie, bei der die Tonusverminderung die natürliche Folge der noch so kurzen Phase des Einschlafens ist, die hier beschriebene Muskeltonuserhöhung ist aber nichts anderes als die Übertreibung der physiologischen Ausdrucksbewegungen nach Affekten, welche infolge der Erkrankung des strio-pallidären Apparats zur Geltung kommen. Hier ist die Tätigkeit der Großhirnrinde während des Sturzanfalls relativ intakt, bzw. entspricht sie im großen und ganzen der des wachen Zustands, bei der Narkolepsie aber findet stets eine Ausschaltung der Großhirnrindentätigkeit während des Schlafens statt; diese Merkmale genügen zur Erklärung der Verschiedenheit beider Anfallstypen. Analoge Fälle beobachtete zuerst in Form von Hemitonie H. Oppenheim.
Eine auffallende Erscheinung in dem hier beschriebenen Falle ist ferner die abnorme und außerordentlich starke Affektbildung: nicht nur die normalen Gemütserlebnisse, sondern auch die sonst indifferenten Erlebnisse der höheren intellektuellen Sphäre öfters starke Affekte hervorriefen und Gelegenheit zu einer mächtigen Muskeltonussteigerung gaben.
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Keller, K. Sturzanfälle beim Kinde infolge affektiver Muskeltonuserhöhung. Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilkunde 112, 140–151 (1930). https://doi.org/10.1007/BF01652679
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DOI: https://doi.org/10.1007/BF01652679