Skip to main content
Log in

Zur Frage der optisch-räumlichen Agnosie

  • Published:
Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Das Bild der Raumagnosie wird an Hand von 2 einschlägigen Beobachtungen (Fall 1: bioptisch und autoptisch nachgewiesene Gliome beider Occipitallappen, im 2. Falle nur klinisch diagnostizierte Mammacarcinom-Metastase parieto-occipital re.) beschrieben und unter Bezugnahme auf die Physiologie des Raumerlebens interpretiert.

An dem agnostischen Charakter des Syndroms ist festzuhalten, da weder die leichte konzentrische Einengung des Farbgesichtsfeldes bei Fall 1, noch die Hemichromatopsie des 2. Falles die räumliche Desorientierung erklärt. Hingegen besteht zweifellos ein Zusammenhang mit der bei Fall 1 allseitigen und im 2. Falle halbseitigen, mit einer entsprechenden Blickstörung vergesellschafteten Schwäche der optischen Aufmerksamkeit, die nicht nur den Überblick über den Raum, sondern eine Beziehungsherstellung zwischen den bei den einzelnen Blickakten stattfindenden differenzierten Wahrnehmungen von Raumteilen erschwert.

Es wird darauf hingewiesen, daß Raumwahrnehmung nicht möglich ist ohne eine automatische Integration der bei den einzelnen Blickakten stattfindenden Einzelwahrnehmungen zu ganzheitlichen Raumschemen, und vermutet, daß an der Raumagnosie eine Störung dieser mnestischgestaltenden Vorgänge wesentlich beteiligt ist, wenn nicht gar den Kernpunkt des Syndroms ausmacht. — Erhebliche Reproduktionsstörungen des topographischen Gedächtnisses ließen sich in der Tat bei beiden Patienten nachweisen.

Psycho-physische Blickstörung und mnestischer Ausfall für Räumliches, in unseren Fällen miteinander vergesellschaftet, können auch als selbständige Störungen vorkommen.

An Hand des Phänomens der sogenannten Simultanagnosie wird gezeigt, daß die Raumagnosie Symptom des Abbaus einer allgemeineren Funktion, nämlich der Beziehungswahrnehmung oder integrierend-strukturierenden optischen Wahrnehmung ist. Die Alteration dieser optischen Wahrnehmungsweise läßt sich auch demonstrieren am Beispiel der Uhrzeitagnosie, der Unfähigkeit in der Erkennung von Mischbildern nach Poppelreuter, die die Herauslösung der Figur aus dem Hintergrund erfordern, ferner am Beispiel der Dyslexie und der optischen Zählstörung.

Aus der Raumagnosie resultieren schwere Störungen des gestaltenden Handelns; die zeichnerischen Darstellungen sind durch Stückhaftigkeit charakterisiert, doch kann es schon in der optischen Vorstellung zu einem „Gestaltzerfall“ kommen (wie sich bei Fall 1 aufzeigen ließ). Auch beim Bauen manifestiert sich die Störung der strukturierend-integrierenden optischen Wahrnehmung in entsprechenden Fehlleistungen. An Hand von Auslassungen sowohl in Zeichnungen als auch in Bauten ließ sich bei Patient 2 der Verlust des vorgestellten Raumes nach links hin wahrscheinlich machen. Schließlich kam in beiden Fällen die Störung der optischen Beziehungswahrnehmung bei komplexen Alltagshandlungen sowie beim Schreibakt in Form fehlerhafter räumlicher Anordnung der Worte oder der Buchstaben innerhalb des Wortes und Neigung zu Makrographie („raumagnostische Schreibstörung“) zum Ausdruck.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this article

Price excludes VAT (USA)
Tax calculation will be finalised during checkout.

Instant access to the full article PDF.

Literatur

  • Balint, R.: Seelenlähmung des „Schauens“, optische Ataxie, räumliche Störung der Aufmerksamkeit. Mschr. Psychiatr. 25, 51 (1909).

    Google Scholar 

  • Bender, M., u. R. Jung: Abweichungen der subjektiven optischen Vertikalen und Horizontalen bei Gesunden und Hirnverletzten. Arch. f. Psychiatr. u. Z. Neur. 181, 193 (1948).

    Google Scholar 

  • Berlin, R.: Wortblindheit. Wiesbaden 1887.

  • Best, F.: Zur Fräge der Seelenblindheit. Arch. f. Psychiatr. 188, 511 (1952).

    Google Scholar 

  • Bürger-Prinz, H., u. M. Kaila: Über die Struktur des amnestischen Symptomenkomplexes. Z. Neur. 124, 553 (1930).

    Google Scholar 

  • Duensing, F.: Beitrag zur Frage der optischen Agnosie. Arch. f. Psychiatr. u. Z. Neur. 188, 131 (1952).

    Google Scholar 

  • —: Zur Frage der Buchstabenalexie. Arch. f. Psychiatr. u. Z. Neur. 191, 147 (1953).

    Google Scholar 

  • —: Über die Wortalexie. Arch f. Psychiatr. u. Z. Neur. 191, 163 (1953).

    Google Scholar 

  • —: Über Alexie mit partiell erhaltenem simultanen Wortlesen. Arch. f. Psychiatr. 191, 179 (1953).

    Google Scholar 

  • —: Raumagnostische und ideatorisch-apraktische Störung des gestaltenden Handelns. Dtsch. Z. Nervenheilk. 170, 72 (1953).

    Google Scholar 

  • Faust, Cl.: Über Gestaltzerfall als Symptom des parieto-occipitalen Übergangsgebiets bei doppelseitiger Verletzung nach Hirnschuß. Nervenarzt 18, 103 (1947).

    Google Scholar 

  • Fie, J. Mc., M. F. Piercy and O. L. Zangwill: Visual-Spatical Agnosia Associated with Lesions of the Right Cerebral Hemisphere. Brain 73, 167 (1950).

    Google Scholar 

  • Hartmann, F.: Die Orientierung. Leipzig 1902.

  • Jung, R.: Diskussionsbemerkung im Rahmen des Symposions über die Grundlagen der Hirnpathologie. Nervenarzt 19, 525 (1948).

    Google Scholar 

  • —: Bemerkungen zu Bays Agnosiearbeiten. Nervenarzt 22, 192 (1951).

    Google Scholar 

  • Kleist, K.: Gehirnpathologie. Leipzig 1934.

  • Lange, J.: Bumke-Foersters Handbuch d. Neurologie, Bd. VI. Berlin 1936.

  • Lotze, H.: Medizinische Psychologie, 1852.

  • Müller, G. E.: Abriß der Psychologie. Göttingen 1924.

  • Pfeiffer, R. A.: Myelogenetisch-anatomische Untersuchungen über den zentralen Abschnitt der Sehleitung. Berlin 1925.

  • Pick, A.: Über Asymbolie und Aphasie. Berlin: Karger 1908.

    Google Scholar 

  • Poppelreuter, W.: Die psychischen Schädigungen durch Kopfschuß I. Leipzig 1917.

  • Pötzl, O.: Die Aphasielehre. I. Die optisch-agnostischen Störungen. Leipzig und Wien 1928.

  • Reichardt, M.: Allgemeine und spezielle Psychiatrie. Jena 1923.

  • Rieger, C.: Über Apparate in dem Hirn. Arb. Psychiatr. Klin. Würzburg 5 (1909).

  • Scheller H., u. Seidemann, H.: Beitrag zur Frage der optisch-räumlichen Agnosie. Mschr. Psychiatr. 81, 97 (1931).

    Google Scholar 

  • Wagner, W.: Über Raumstörung. Mschr. Psychiatr. 84, 281 (1932).

    Google Scholar 

  • —: Anisognosie, Zeitrafferphänomen und Uhrzeitagnosie als Symptome der Störungen im rechten Parieto-Occipitallappen. Nervenarzt 16, 49 (1943).

    Google Scholar 

  • Wolpert, J.: Die Simultanagnosie. Störung der Gesamtauffassung. Z. Neur. 93, 397 (1924).

    Google Scholar 

  • Zutt, J.: Rechts-Linksstörung, konstruktive Apraxie und reine Agraphie. Mschr. Psychiatr. 82, 153 (1932).

    Google Scholar 

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Rights and permissions

Reprints and permissions

About this article

Cite this article

Duensing, F. Zur Frage der optisch-räumlichen Agnosie. Archiv für Psychiatrie und Zeitschrift Neurologie 192, 185–206 (1954). https://doi.org/10.1007/BF00353847

Download citation

  • Received:

  • Issue Date:

  • DOI: https://doi.org/10.1007/BF00353847

Navigation