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Über den Verfall der Sprache bei der Pickschen Krankheit (umschriebene Atrophie der Großhirnrinde)

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Zusammenfassung

  1. 1.

    Bei den klinisch und anatomisch untersuchten 9 Fällen von vorwiegender Schläfenlappenatrophie bei Pickscher Krankheit hat sich ergeben: der Verfall der Sprache erfolgt gesetzmäßig, das erste Stadium ist durch amnestische Aphasie gekennzeichnet, das zweite Stadium durch transcortical-sensorische mit Überleitung zu cortical-sensorischer Aphasie, das dritte Stadium durch totale Aphasie. Diese Reihenfolge des Sprachabbaues entspricht in umgekehrter Richtung der Restitution der Schläfenlappenaphasie nach gefäßbedingten Herden. Die Übergänge zwischen den einzelnen Stadien sind fließend.

  2. 2.

    Die Besonderheiten der Schläfenlappenbefunde bei der Pickschen Krankheit gegenüber den in der klassischen Aphasieforschung bevorzugten vasculären Herdfällen sind: a) der Gewebsprozeß ist ein chronischprogredienter, bestehend in fortschreitender umschriebener Rindenatrophie; b) die Läsionen sind annähernd bilateral-symmetrisch angeordnet; c) die Wernickesche Stelle im eigentlichen Sinne bleibt nahezu ausgespart.

  3. 3.

    Aus den Besonderheiten der Hirnbefunde ergibt sich folgende Stellungnahme zu einigen Fragen der Aphasielehre: a) der amnestischen Aphasie (erstes Stadium unserer Schläfenlappenfälle) können wir, zumindest bei der Pickschen Krankheit, keine bestimmte Lokalisation zuweisen, sondern wir betrachten sie als den leichtesten Grad einer Schläfenlappenschädigung; b) die transcortical-sensorische Aphasie (Beginn des zweiten Stadiums unserer Fälle) läßt sich nach unserem Material als eine Isolierung der Wernickeschen Stelle im Sinne der klassischen Autoren deuten; c) die totale Aphasie (drittes Stadium unserer Fälle) tritt nicht nur bei Zerstörung der Wernickeschen und Brocaschen Stelle auf, sondern auch bei doppelseitiger Schädigung des sensorischen Sprachgebietes; d) das Phänomen der Logorrhoe läßt sich nach unseren Fällen in Verbindung mit den vasculären Schläfenlappenfällen der Literatur am ehesten als ein Enthemmungsvorgang innerhalb des geschädigten Schläfenlappens deuten; e) das Wesen der „stehenden Redensarten“ bei der Pickschen Krankheit erscheint uns zugänglich aus Beziehungen zum aphasischen Sprachrest einerseits und zum geistigen Abbau andererseits.

  4. 3a.

    In frühen und mittleren Stadien der Erkrankung wird durch die Aphasie eine viel stärkere Demenz vorgetäuscht, als bei psychiatrischer Untersuchung nachweisbar ist. Die später tatsächlich vorhandene Demenz läßt sich in mehrere Komponenten zerlegen: Störung des Denkens-durch Aphasie, Stirnhirnsymptome durch begleitende Stirnhirnatrophie, allgemeine Hirnatrophie der späten Stadien.

  5. 4.

    Bei den 6 Fällen von vorwiegender Stirnhirnatrophie bei Pickscher Krankheit hat sich ergeben: der Verfall der Sprache unterscheidet sich in charakteristischer Weise von demjenigen bei Schläfenlappenatrophie. Sensorische Störungen bestehen nicht. Es kommt zu einem langsamen Versanden der Sprache bis zum völligen Verstummen. Dieses Verhalten ist nicht allein aus frontalem Antriebsmangel erklärbar, gewisse Eigentümlichkeiten verraten eine Bindung an das motorische Sprachfeld. In frühen Stadien tritt zunächst eine eigenartige Spracherschwerung, Verlangsamung des Sprechens, Monotonie, eine Störung im Rhythmus und in der Sprachmelodie auf, wie sie aus der Rückbildung der motorischen Aphasie bekannt ist.

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Herrn Prof. Dr. O. Pötzl, meinem verehrten Wiener Lehrer, in Dankbarkeit gewidmet.

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Lüers, T. Über den Verfall der Sprache bei der Pickschen Krankheit (umschriebene Atrophie der Großhirnrinde). Arch. f. Psychiatr. u. Z. Neur. 179, 94–131 (1947). https://doi.org/10.1007/BF00352851

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