Zusammenfassung
Die Bedeutung des Antriebs für die Psychiatrie war schon in früheren Beiträgen (1956, 1963) dargestellt worden. In der vorliegenden Studie wird die Reichweite des Antriebs im Normalpsychologischen aufgezeigt und das Verhältnis von Eigenantrieb und Fremdantrieb besprochen.
Zunächst wurde versucht, die begrifflichen Grundlagen des Phänomens Antrieb möglichst exakt zu formulieren: des Antriebs als Grundfunktion, des individuellen, relativ konstanten Antriebspotentials und der Umsetzung dieses potentiellen Antriebs in Denken und Handeln.
Es wurde dann speziell die Eigenantrieb-Fremdantrieb-Relation untersucht. Hierbei ergab sich, daß unter Berücksichtigung jüngster verhaltensbiologischer, entwicklungsbiologischer, klinisch-psychopathologischer und experimental-psychologischer Forschungsergebnisse dem Fremdantrieb mehr Gewicht beizumessen ist als bisher oft angenommen wurde. Bei Nachlassen des physiologischen Reizangebots und Absinken des normalen Stimulationsdrucks der Umwelt (zum Beispiel in der Situation der Heimkinder, bei sozialer Isolierung alter Menschen, in der Gefangenschaft, im experimental-psychologischen Versuch) können Änderungen des Antriebsverhaltens und des seelischen Erlebens in Erscheinung treten, die von der Langeweile bis zu schwerer Beeinträchtigung der Existenz reichen. Die hieraus ersichtliche Notwendigkeit ständiger Umweltreize und wechselnde sensorischer Eindrücke deckt sich auch mit modernen neurophysiologischen Auffassungen von der Funktion der Formatio reticularis und den unspezifischen Weckreizen im Cortex cerebri.
Für die Untersuchung des Eigenantriebs wurde auf die „primär Antriebsschwachen“ eingegangen,die sich durch ein niedriges Antriebspotential auszeichnen. Auf Grund dieser niedrigen Antriebslage ließen sich manche charakterologische Merkmalsgruppen der Antriebsschwachen erklären, wie Entschlußunfähigkeit oder indifferente Gleichgültigkeit.
Ausgeklammert sind in dieser Arbeit die hirnpathologisch begründeten Störungen des Antriebs, die an anderer Stelle beschrieben wurden.
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Herrn Professor Dr. Fr. Panse zum 65. Geburtstag in Verehrung und Dankbarkeit gewidmet.
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Klages, W. Der Antrieb als psychische Grundfunktion. Archiv für Psychiatrie und Zeitschrift f. d. ges. Neurologie 205, 513–522 (1964). https://doi.org/10.1007/BF00352747
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