Zusammenfassung
Bei einem 40 jährigen Manne, der jahrelang als hysterischer Psychopath mit psychogenen Anfällen beurteilt wurde, konnten Störungen im Wasserhaushalt (Oligurie und Oligodipsie), hypophysär-endokrine Störungen, labiler Hypertonus, zentral-vegetative Dysregulation des Blutdruckes und der Gefäßinnervation sowie ein organisches Psychosyndrom gefunden werden.
Im ersten Teil der Arbeit werden unter Zuhilfenahme der klinischen Untersuchungsmethoden der Zwischenhirnfunktionen die vorliegenden Funktionsstörungen analysiert und als diencephal-hypophysär bedingt nachgewiesen.
Die Störungen, die vor 6 Jahren im Anschluß an 2 kurz aufeinanderfolgende Schädeltraumen nach schweren akuten cerebralen Erscheinungen einsetzten, müssen auf Grund neurologischer Symptome, des encephalographischen und elektroencephalographischen Befundes auf eine traumatische Zwischenhirnschädigung bezogen werden.
Von endokrin-vegetativen Störungen, die bei 3 Geschwistern festgestellt wurden (Fettsucht, Diabetes insipidus, abortives CushingSyndrom) kann auf eine latente Krankheitsbereitschaft und konstitutionelle Labilität des endokrinen, zentral-vegetativen Systems geschlossen werden, die als endogener Faktor symptombestimmend wirksam waren.
Eine eindrucksvolle diuretische, den Wasserwechsel weitgehend normalisierende Wirkung von Hypophysenvorderlappenhormon wird besonders hervorgehoben und diskutiert.
Im 2. Teil wird untersucht, ob die bei dem Patienten periodisch auftretenden krisenhaften Verschlechterungen und paroxysmalen Comata einem bekannten Krankheitsbilde zugeordnet werden können. Flüssigkeitsretention und Flüssigkeitsverschiebungen im Organismus (dem Anfall vorausgehende excessive Diuresehemmung, Körpergewichtsanstieg, Bluteindickung und nachfolgende mächtige renale und extrarenale Flüssigkeitsabgabe mit Körpergewichtsabfall), die als konstantes Leitsymptom der periodischen Krisen gelten müssen und den bekannten „passageren Schwellungsperioden“ bei hypophysär-diencephaler Oligurie an die Seite zu stellen sind, müssen im Zusammenwirken mit spastischen cerebralen Gefäßreaktionen für die cerebralen Krisen und Comata verantwortlich gemacht werden. Es bleibt dabei offen, ob die diencephal bedingte, allgemeine und cerebrale Gewebsquellung bei einer Bereitschaft zu Angiospasmen solche nach sich zieht oder ob cerebrale osmoregulative Verschiebungen und Gefäßreaktionen, als Auswirkung der gleichen endokrinen und zentral-vegetativen Fehlsteuerung, gleichlaufende, einander verstärkende Vorgänge darstellen und dadurch die als pseudourämisch anzusprechenden Äquivalente und Comata hervorgerufen werden. In beiden Fällen wäre damit die letztlich diencephale Genese der passageren Bewußtseinsstörungen und Comata anzunehmen.
Aus dem oben Gesagten ergibt sich, daß man bei unklaren Zuständen von Bewußtseinstrübung, Dämmerzuständen, Comata und phasischen Psychosen vom exogenen Reaktionstyp, wenn hypophysär-diencephale Störungen nachgewiesen sind, nicht nur an das Krankheitsbild der Spontanhypoglykämie denken sollte, sondern auch an krisenhafte Osmoregulationsstörungen und Gefäßkrisen, wie sie der vorliegende Beobachtungsfall aufweist.
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Broser, F. Periodische Bewußtseinsstörungen und paroxysmale Comata bei einem Falle von primärer Oligurie nach Hirntrauma. Archiv für Psychiatrie und Zeitschrift Neurologie 187, 311–336 (1951). https://doi.org/10.1007/BF00352646
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