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Die Orbitalhirn- und Zwischenhirnsyndrome nach Schädelbasisfrakturen

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Zusammenfassung

  1. 1.

    Die Schädelbasisbrüche bevorzugen bestimmte typische Bruchlinien bzw. Splitterungsstellen, die im Effekt besonders das Hypophysenzwischenhirnsystem, das Orbitalhirn, das optische System und das Labyrinth gefährden. Auch bei Rindenprellungsherden (Spatz) ist in unserem Zusammenhang die besondere Disposition des Orbitalhirns und der benachbarten Partien des Stirnhirnpols zu beachten.

  2. 2.

    Besonders wenig beachtet werden bis jetzt die Folgen stumpfer Gewalteinwirkungen schräg von unten auf das Mittelgesicht, die sich öfters auf die Schädelbasis fortpflanzen und z. B. zu Splitterungsbrüchen des Orbitaldaches oder entsprechenden Rindenprellungsherden führen. — Beim Stoß auf die Jochbogen direkt von vorn finden sich neben dem Contrecoup am Splenium auch Herde an den Orbitalwindungen (Ostertag).

  3. 3.

    Die psychischen Basalsyndrome werden traumatisch besonders am Hypophysenzwischenhirnsystem und am Orbitalhirn ausgelöst.

  4. 4.

    Bei den durch fortgeleitete stumpfe Gewalt vom Mittelgesicht her entstehenden psychischen Basalsyndromen dürfte es sich vorwiegend um Läsionen des Orbitalhirns (mit oder ohne Mitbeteiligung des Zwischenhirns) handeln. Gegenüber den älteren Beschreibungen („Moria“, „Witzelsucht“ u. ä.) müssen die Orbitalhirnsyndrome schärfer gefaßt und analytisch auf ihren, wesentlichen Kern reduziert werden.

  5. 5.

    Diese Syndrome zeigen in allen Gradabstufungen grundsätzlich ähnliche Züge: In den leichten Fällen finden sich besonders hervorstechend gewisse Störungen des Taktgefühls zusammen mit leichten hypomanieartigen Enthemmungen. In den schweren Fällen sind (vgl. besonders Kleist) auch die tieferen ethischen Regulative gestört und die Bilder können dann einer beginnenden Paralyse oder Hebephrenie ähnlich werden. Die Störungen bewegen sich nicht im Bereich von Einzelfunktionen, sondern im Bereich integrativer Akte auf dem Gebiet der Höchstsynthesen der Persönlichkeit.

  6. 6.

    Bei präziser Analyse lassen sich diese Syndrome vorwiegend auf die Grundformen der sphärischen Desintegrierung und der Defekte der dynamischen Steuerung zurückführen.

  7. 7.

    Die psychischen Hypophysen-Zwischenhirnsyndrome sind dagegen infolge der engen anatomischen Nachbarschaft meist durch ihre Kombination mit entsprechenden körperlichen Symptomen an Endokrinium, Stoffwechsel und vegetativen Steuerungen zu erkennen. Anamnestisch wichtig ist unter anderem die Kombination von unmotivierten Schwankungen des Körpergewichts mit Schwankungen der Sexualfunktion. Anamnestisch leicht festzustellen sind posttraumatische initiale Schwankungen des Wasserhaushalts (vorübergehender Diabetes insipidus), seltener des Blutzuckerspiegels. Seltener scheinen posttraumatische diencephale Störungen des Wärmehaushalts, der Gefäßsteuerung, des Schlafes und vielleicht angedeutete thalamische Hyperpathien vorzukommen. — Teilweise dürfte es sich hier um indirekte Wirkungen des Traumas durch basale Cysternenblutung und sekundäre Vernarbung von zuführenden Gefäßen zum Zwischenhirn handeln. Außer der derben Parenchymschädigung durch Organisation von Blutungen oder Superinfektion des Granulationsgewebes können auch posttraumatische Cysten der Basalcysternen die in Frage kommenden diencephalen Zentren beeinträchtigen (Ostertag).

  8. 8.

    Im psychischen Bild weisen auf traumatische Läsionen des Hypophysenzwischenhirnsystems hin: Veränderungen des Trieblebens qualitativer und quantitativer Art. Entsprechend den experimentellen und sonstigen klinischen Erfahrungen (Encephalitis lethargica) lassen sich bei den noch nicht sehr zahlreichen traumatischen Fällen circumscripte massive Triebstörungen in verschiedener Kombination feststellen, nämlich an den Sexualtrieben (neu entstehende Homosexualität u. a.), den Aggressionstrieben (aggressive Wutzustände), den oralen und analen Trieben (an Durst, Hunger, Ekelgefühlen) und den allgemeinen Bewegungstrieben (unmotivierter ständiger Bewegungs- und Rededrang) — ferner hypomanieartige Enthemmungen — oder vereinzelt Abulie-Apathie. Forensisch ist auch auf frühkindliche basaltraumatische (und basalentzündliche) Schädigungen unter Mitheranziehung der Röntgenbilder des 3. Ventrikels viel mehr als bisher zu achten.

  9. 9.

    Stabile Konstitutionsvarianten z. B. aus dem Umkreis der hypophysären Fettsucht oder des Akromegaloids können durch Basisfrakturen in ihrer spezifischen konstitutionellen Richtung dekompensiert werden.

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Die Arbeit ist in der Zeit des 70. Geburtstages von Prof. Kleist mit Hinblick auf dessen bahnbrechende hirnpathologische Arbeiten geschrieben.

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Kretschmer, E. Die Orbitalhirn- und Zwischenhirnsyndrome nach Schädelbasisfrakturen. Archiv für Psychiatrie und Zeitschrift Neurologie 182, 452–477 (1949). https://doi.org/10.1007/BF00340257

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