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Der Fremde

Ein Sozialpsychologischer Versuch

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Gesammelte Aufsätze

Zusammenfassung

Diese Abhandlung möchte mit den Mitteln einer allgemeinen Auslegungstheorie die typische Situation untersuchen, in der sich ein Fremder befindet, der versucht, sein Verhältnis zur Zivilisation und Kultur einer sozialen Gruppe zu bestimmen und sich in ihr neu zurechtzufinden. Für diesen Zweck soll der Begriff „Fremder“ einen Erwachsenen unserer Zeit und Zivilisation bedeuten, der von der Gruppe, welcher er sich nähert, dauerhaft akzeptiert oder zumindest geduldet werden möchte. Das hervorragende Beispiel dieser sozialen Situation ist der Immigrant, und mit diesem Beispiel im Blick wurden die folgenden Analysen einfachheitshalber ausgearbeitet. Aber keineswegs ist ihre Gültigkeit auf diesen Spezialfall beschränkt. Wer sich in einem geschlossenen Club um Mitgliedschaft bewirbt, der zukünftige Bräutigam, der in die Familie seines Mädchens aufgenommen werden möchte, der Junge vom Land, der auf die Universität geht, der Städter, der sich in einer ländlichen Gegend niederläßt, der „Freiwillige, “ der in die Armee eintritt, eine Familie, wo der Vater arbeitslos war, und die jetzt in eine wirtschaftlich expandierende Stadt zieht — hier sind sie alle Fremde, entsprechend der eben gegebenen Definition, obwohl in diesen Fällen die typische „Krisis,“ welche der Immigrant durchmacht, leichter verläuft oder auch ganz ausbleibt. Jedoch schließen wir absichtlich von unserer vorliegenden Untersuchung bestimmte Fälle aus, die, wenn wir sie mit hineinnehmen wollten, unsere Definition verändern würden: a) der Besucher oder Gast, der nur einen vorübergehenden Kontakt mit der Gruppe sucht; b) Kinder oder Primitive; c) die Beziehungen zwischen Individuen und Gruppen verschiedener Zivilisationsstufen, wie es z.B. bei den Huron der Fall war, die man nach Europa gebracht hatte — ein Beispiel, das einige Moralisten des 18. Jahrhunderts zu nennen beliebten. Weiterhin ist es nicht der Zweck dieser Abhandlung, über die Prozesse der sozialen Assimilation und sozialen Anpassung zu handeln, die in einer übergroßen und zum Teil ausgezeichneten Literatur 1 beschrieben werden, sondern über die Situation der Annäherung (approaching), die jeder möglichen sozialen Anpassung vorhergeht und deren Voraussetzungen enthält.

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Notes

  1. Statt die einzelnen hervorragenden Beiträge amerikanischer Autoren, wie z.B. W. G. Sumner, W. I. Thomas, Florian Znaniecki, R. E. Park, H. A. Miller, E. V. Stonequist, E. S. Boyardus und Kimball Young, und die deutscher Autoren, besor-ders Georg Simmel und Robert Michels, zu nennen, verweisen wir auf Margaret Mary Woods wertvolle Monographie, The Stranger: A Study in Social Relationship, New York 1934, und auf die von ihr zitierte Literatur.

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  2. Diese Einsicht scheint der wichtigste Beitrag von Max Webers methodologischen Schriften zu den Problemen der Sozialwissenschaften zu sein. Vgl. auch vom Verf. Der sinnhafte Aufbau.

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  3. John Dewey, Logic, the Theory of Inquiry, New York 1938, 4. Kapitel.

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  4. Vgl. William James, Principles of Psychology, New York 1890, Band I, S. 221–222.

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  5. Max Scheler, „Probleme einer Soziologie des Wissens,“ Die Wissensformen und die Gesellschaft, Leipzig 1926, Neuauflage Bern; vgl. dazu auch Howard Becker und Hellmuth Otto Dahlke, „Max Scheler’s Sociology of Knowledge,“ Philosophy and Phenomenological Research, 1942, Band II, S. 310-322, besonders S. 315.

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  6. Robert S. Lynd, Middletown in Transition, New York 1937, 12. Kapitel, und Knowledge for What?, Princeton 1939, S. 58-63.

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  7. Als Beispiel, wie sich die amerikanischen Kultur-und Zivilisationsmuster als „unbefragte“ Elemente im Auslegungsschema europäischer Intellektueller darstellen, verweisen wir auf Martin Gumperts humorvolle Darstellung in seinem Buch First Papers, New York 1941, S. 8–9. Vgl. auch Jules Romain, Visite chez les Americains, Paris 1930, und Jean Prevost Usonie, Esquisse de la civilisation americaine, Paris 1939, S. 245-266.

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  8. Indem wir diesen Ausdruck verwenden, spielen wir auf die wohl bekannte Theorie an, die Charles H. Cooley, Human Nature and Social Order, Neubearbeitung New York 1922, S. 184, vom „reflektierten Selbst“ oder dem „Spiegel-Selbst“ auf-gegestellt hat.

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  9. Wer eine neue Sprache erlernt, dem enthüllt sich meist zuerst die Grammatik seiner Muttersprache, der er bislang als dem „Natürlichsten von der Welt,“ nämlich wie wenn sie ein Rezept wäre, gefolgt ist.

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  10. Karl Voßler, Geist und Kultur in der Sprache, Heidelberg 1925, S. 117ft.

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  11. Man kann dieses Verhältnis auf ein allgemeines Prinzip der Theorie der Relevanz zurückführen; dies würde aber den Rahmen dieser Abhandlung sprengen (vgl. Alfred Schütz, Das Problem der Relevanz, Frankfurt 1971 [Suhrkamp]). Der einzige Punkt, auf den wir uns hier einlassen können, ist der, daß alle Hindernisse, auf die der Fremde in seinem Versuch, die Gruppe, der er sich nähert, auszulegen, trifft, aus der Inkongruenz der Konturlinien der wechselseitigen Relevanzsysteme entstehen und daher aus der Verdrehung, der das Relevanzsystem des Fremden in der neuen Umgebung unterliegt. Aber jede soziale Beziehung, insbesondere jede neu aufgenommenen sozialen Kontakte, sogar zwischen Individuen, enthält ähnliche Phänomene, obwohl sie nicht notwendig zu einer Krise führen müssen.

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Arvid Brodersen

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© 1972 Martinus Nijhoff, The Hague, Netherlands

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Schütz, A. (1972). Der Fremde. In: Brodersen, A. (eds) Gesammelte Aufsätze. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-010-2849-3_3

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