Zusammenfassung
Eine verbreitete Kritik an der Individualisierungsthese läuft darauf hinaus, daß sie eine Vorstellung freischwebender Individualität beinhalte, also eine voluntaristische Sicht von Freiheit und Chancenoffenheit in modernen westlichen Gesellschaften. In der Auseinandersetzung mit Günter Burkart haben Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim diese Sicht als ein “individualistisches Mißverständnis der Individualisierungsdebatte” bezeichnet (1993: 180) und dazu insbesondere auf die Rolle von Institutionen in ihrer Begriffsbildung hingewiesen.1 Besondere Bedeutung wird hierbei dem Sozialstaat zugemessen, wobei Beck sich vor allem auf den Sozialstaat im Nachkriegsdeutschland bezieht. Dieser habe den schieren Markt-Individualismus substantiell transformiert — gerahmt, demokratisiert und um neue Chancen (und Risiken) erweitert — und erst zu dem gemacht, was Beck als Individualisierung bezeichnet. Individualisierung meint Verhältnisse, “in denen die Individuen ihre Lebensformen und soziale Bindungen unter sozialstaatlichen Vorgaben selbst herstellen, inszenieren, zusammenbasteln müssen” (Beck und Beck-Gernsheim 1993: 178).
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Leisering, L. (1998). Sozialstaat und Individualisierung. In: Friedrichs, J. (eds) Die Individualisierungs-These. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09724-2_5
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