Zusammenfassung
Gegenüber dem populären Verfahren, das sich aus dem saisonalen Bedürfnis speist, mit dem Begriff ‚Gesellschaft‘ Komposita zu bilden, die dann für kurze Zeit die „neue“ Theorie bilden, soll hier anhand einer begriffsgeschichtlichen Skizze dargelegt werden, daß es im Blick auf das Thema Arbeit nicht reicht, von einem nur äußeren Wandel der im wesentlichen mit sich selbst gleich bleibenden Substanz zu reden, sondern daß sich mit den Neubewertungen und Akzentverschiebungen das Wesen der Arbeit selber ändert. Das ist das Gegenteil der ebenso trivialen wie spekulativ-anthropologischen und und affirmativen These, wonach „bei gesunden Menschen ... die Arbeit schlechtweg eine normale Lebensäußerung“1 sei. Wer in geschichtlicher Perspektive über die Arbeit nachdenkt, muß versuchen, die jeweils historisch spezifischen Formen des Arbeitsbegriffs und deren Verhältnis zu Produktionsformen, Gesellschaftsformationen, gesellschaftlich geltenden Werthierarchien und Herrschaftspraktiken darzustellen. Als „normale Lebensäußerung“ ist Arbeit erst spät begriffen worden, und das meiste dessen, was heute selbstverständlich als ‚Arbeit‘ firmiert, wäre vor 300 Jahren — geschweige denn noch früher — oft mit einem anderen Begriff bezeichnet und fast durchweg anders als heute bewertet worden. Und wenn nicht alle Anzeichen täuschen, stehen die kapitalistischen Industriegesellschaften der nördlichen Hemisphäre heute vor der Entscheidung, Arbeit — ihre Inhalte, ihre Formen und ihre Verteilungsmodalitäten — neu zu ordnen, wollen sie nicht ein ökologisches, wirtschaftliches und soziales Desaster im Weltmaßstab herbeiführen. In einem ganz anderen Sinne als früher ist die Arbeit für diese privilegierten Gesellschaften zur Last und zum Problem geworden. Die Abstraktion von den Inhalten und Zielen der Arbeit, mit Ausnahme der Profitmaximierung auf der einen und der Lohnorientierung auf der anderen Seite, hat sich mittlerweile in diesen Gesellschaften zum Bumerang ausgewachsen. Mehr Arbeit bringt den Arbeitenden oft nur ein bescheidenes Mehr an Lohn ein und ruiniert sonst eher deren Gesundheit; den Profitierenden wird mit dem geringen Mehr-Profit tendenziell auch eine natürliche Basis des Profits — noch ausbeutbare Ressourcen — weggespült.
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Literatur
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Vgl. Aristoteles, Politik 1260b 8–9: „Der Sklave bedarf dessen, daß man ihm zu Gemüte redet mehr als die Kinder“.
Vgl. Aristoteles, Nik. Ethik 1140a 8 ff.: „Die Kunst ist alsoCHRW(133) ein mit richtiger Vernunft verbundenes hervorbringendes Verhalten“. Als Beispiel nennt er die Baukunst.
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Im Schweiße deines Angesichts sollst Du dein Brot essen“.
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Walther, R. (1990). Arbeit — Ein begriffsgeschichtlicher Überblick von Aristoteles bis Ricardo. In: König, H., von Greiff, B., Schauer, H. (eds) Sozialphilosophie der industriellen Arbeit. LEVIATHAN Zeitschrift für Sozialwissenschaft, vol 11. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01683-0_1
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