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Symbiotische Mechanismen

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Soziologische Aufklärung 3

Zusammenfassung

Wenn von Gewalt die Rede ist, kann man der Versuchung kaum widerstehen, das Problem binär zu schematisieren, je nachdem, ob die Gewalt im Namen und im Sinne des Rechts oder ob sie als reine Gewalt gegen das Recht ausgeübt wird. Die Disjunktion von Recht und Unrecht ist — ähnlich wie in anderen Fällen gesellschaftlich bedeutsamer binärer Schematismen, etwa der zweiwertigen Logik oder der Differenz von Eigentum und Nichteigentum — in der Gesellschaftsstruktur so hoch und in solchem Maße kontextfrei abgesichert, daß sich kein Interesse gegen die Disjunktion mehr formieren und verständlich machen läßt, sondern allenfalls ein Interesse an Recht, an Wahrheit, an Eigentum. Damit ist man indes schon auf eine Alternative festgelegt, ohne ihre Herkunft und ihre Relevanz geprüft zu haben.1 Mit solchen Schematismen verbindet sich ein in ihnen angelegter Optionsdruck — im Falle Recht/Unrecht ebenso wie im Falle Wahrheit/Unwahrheit, Haben/Nichthaben usw. Man kann, wenn man sich auf den Schematismus einläßt, der Option nicht mehr ausweichen, sondern sie allenfalls noch „verkehrt“ ausüben, indem man die suggerierte Richtung negiert. Die vier Freiheiten, für oder gegen rechtmäßige und für oder gegen unrechtmäßige Gewalt zu sein, reduzieren sich nach dem Schematismus des Rechts auf zwei. So weit geführt, kann man Theorie nur noch einsetzen zur Begründung der Option.

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Anmerkungen

  1. Eine interessante Frage wäre, wer in welchen Situationen solche Alternativen unter Ausschluß dritter Möglichkeiten oktroyieren kann. Dazu anregend George A. Kelly, Man's Construction of His Alternatives, in: G. Lindzey (Hrsg.), Assessment of Human Motives, New York 1958, S. 33 - 64.

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  2. Vgl. Nigel Harris,Die Ideologien in der Gesellschaft: Eine Untersuchung über Entstehung, Wesen und Wirkung, München 1970, S. 242ff., zur Logik von (solchen!) Dichotomien; ferner Niklas Luhmann,Der politische Code: „Konservativ" und „progressiv" in systemtheoretischer Sicht, in diesem Band, S. 267-286.

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  3. Einige Bemerkungen zu diesem Konzept auch in Jürgen Habermas/Niklas Luhmann,Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie — Was leistet die Systemtheorie?, Frankfurt 1971, S. 342ff., und in Niklas Luhmann,Knappheit, Geld und die bürgerliche Gesellschaft, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft 23 (1972), S. 186.

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  4. Terminologisch suchen wir keinen direkten Anschluß an den alteuropäischen Gebrauch von Symbiosis, Symbioticus etc., der in den Zusammenhang der Theorie politischer Gesellschaft gehörte und eigentlich nur eine aus Darstellungs-oder später aus Gelehrsamkeitsgründen bevorzugte Variante bot für Begriffe wie societas oder communitas und den politisch-rechtlichen (vertraglichen) Zusammenschluß zu den Vorteilen einer gemeinsamen Lebensführung bezeichnete. Vgl. Friedrich Merzbacher, Der homo politicus symbioticus und das ius symbioticum bei Johannes Althusius. Festschrift für Günter Küchenhoff, Berlin 1972, S. 107114. Der neuere Sprachgebrauch ist ohne Rücksicht auf die Tradition aus Anlaß von Forschung über Tiergesellschaften aufgekommen und bezeichnet hier und sodann in der Übertragung auf Menschengesellschaften das organische Zusammenleben innerhalb einer Species. Vgl. z.B. Robert E. Park, Symbiosis and Socialization: A Frame of Reference for the Study of Society, in: American Journal of Sociology 45, S. 1-25. In ähnlichem Sinne brauchen Daniel Katz/Robert L. Kahn, The Social Psychology of Organizations, New York—London—Sydney 1966, S. 34f., den Begriff „symbiotic patterns". Die Verwendung des Begriffs bleibt jedoch vereinzelt und hat sich nicht zu einer geläufigen Terminologie entwickelt. Man findet zum Beispiel keinen Eintrag unter diesem Stichwort im derzeit führenden Lexikon zur Soziologie, Hrsg. Werner Fuchs/Rolf Klima/Rüdiger Lautmann, Otthein Rammstedt/Hanns Wienold, Opladen 1973.

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  5. Das Pendant auf der Ebene organischer Prozesse wäre mithin so etwas wie Erröten, Beschleunigung des Herzschlags, Aktivierung organischer Reserven, sexuelle Erregung usw. als Reaktion auf bestimmte soziale Situationen.

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  6. Einen ähnlichen Gedanken formuliert Talcott Parsons im Konzept der „hierarchy of control''.

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  7. Es sei erinnert an Paul Claudels Soulier de satin.

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  8. Das gleiche Programm läßt sich auch für andere Aspekte von Medien-Codes entwerfen — so für die eingangs erwähnte binäre Schematisierung oder für Reflexivität in den mediengesteuerten Prozessen.

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  9. In bezug auf Proteine, Enzyme und Autokatalysation vgl. z.B. Melvin Calvin,Origin of Life an Earth and Elsewhere, in: The Logic of Personal Knowledge: Essays Presented to Michael Polanyi, London 1961, S. 207-230 (216).

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  10. Zur Illustration der typischen Problematik vgl. Ronald D. Laing/Herbert Phillipson/A. Russell, Interpersonal Perception: A Theory and a Method of Research, London 1966, deutsch: Interpersonelle Wahrnehmung, Frankfurt 1971.

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  11. Anders Park a.a.O., der von einer scharfen Trennung von symbiotisch-kompetitiven Beziehungen und sozial-reflexiver Kommunikation ausgeht.

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  12. So wie Häuptlinge bei den auf jungsteinzeitlichem Niveau lebenden Kapauku Papuas nach der Beobachtung von Leopold Pospisil,Kapauku Papuans and Their Law, New Haven 1958, S. 255. Im Anschluß daran können wir unsere Aussage auch so formulieren, daß Tränenvergießen (ebenfalls ein symbiotischer Mechanismus, wenn vor versammeltem Volk) und Anwendung physischer Gewalt unter zunehmendem Spezifikationsdruck ihre funktionale Aquivalenz verlieren.

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  13. Vgl. hierzu Alfred North Whitehead,Modes of Thought, New York 1938, Neudruck 1968, S. 111 ff.

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  14. Ich hoffe, mit diesen Formulierungen Bedenken ausräumen zu können, die Helmut G. Spinner mündlich und brieflich gegen diese These einer funktionellen Aufwertung des Wahrnehmungsprozesses in der neuzeitlichen Wissenschaft vorgebracht hat.

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  15. Vgl. als Einführung in eine umfangreiche soziologische Diskussion des Clichés „romantischer" Liebe William J. Goode, Soziologie der Familie, München 1967, S. 76ff. Eine mehr ins einzelne gehende Analyse des Codes der romantischen Liebe findet man bei Vilhelm Aubert, A Note on Love, in: ders, The Hidden Society, Totowa/N.J. 1965, S. 201 - 235.

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  16. Vgl. dazu auch Niklas Luhmann,Klassische Theorie der Macht: Kritik ihrer Prämissen, Zeitschrift für Politik 16 (1969), S. 149-170: ders,Systemtheoretische Ansätze zur Analyse von Macht, in: R. Kurzrock (Hrsg.), Systemtheorie, Forschung und Information, Schriftenreihe der RIAS-Funkuniversität, Bd. 12, 1972, S. 103-111.

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  17. Ähnlich Peter Bachrach/Morton S. Baratz,Power and Poverty: Theory and Practice, New York—London—Toronto 1970, S. 27ff.

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  18. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Die Unabhängigkeit von Religion und Moral bezieht sich auf die Sicherstellung der Funktion. Damit ist nicht gesagt, daß die Machtpolitik sich einer religiösen oder moralischen Bewertung entziehen kann, und auch nicht, daß es politisch gleichgültig wäre, wie diese Bewertung ausfällt.

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  19. Vgl. zum folgenden Otthein Rammstedt,Gewalt und Hierarchie, in: ders (Hrsg.), Gewaltverhältnisse und die Ohnmacht der Kritik, Frankfurt 1974, S. 132 ff.

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  20. Vgl. den Beitrag von Kurt Röttgers,Andeutungen zu einer Geschichte des Redens über die Gewalt, in: Rammstedt a.a.O., S. 157ff.

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  21. Etwas Ähnliches passiert übrigens im Medienbereich Wahrheit mit dem Versuch Kants,den binären Schematismus der Logik auf die Welt anzuwenden. Wie für Macht (Handeln) die politisch konstituierte Gesellschaft, so ist für Wahrheit (Erleben) die Welt der Horizont möglicher Operationen. Die Antinomien, in denen dieser Versuch endet, vgl. Immanuel Kant,Zur Kritik der reinen Vernunft, Akademie-Ausgabe III, 1787, S. 432ff., erzwingen eine (nur) operative Rekonstruktion der Logik, und die Wissenschaft hat die historischen Bedingungen ihres Erfolgs jetzt darin, daß die binäre Schematisierung der Wahrnehmung gelingt. Auch im Stil wird die Veränderung übrigens spürbar: Die Antinomien haben nicht mehr die Form eines feierlichen Paradoxes wie antike mundus-Bestimmungen, so wenig wie die Gründung der politischen Gesellschaft als Akt natürlicher Moral gefordert werden kann.

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  22. Mit „Zufälligkeiten" meine ich Konstellationen wie die, daß die fanatischen religiösen Auseinandersetzungen des späten Mittelalters Religion als Basis für Politik diskreditierten in einem Augenblick, als auch die ökonomische Entwicklung abstraktere politische Dispositionsbefugnisse erforderte.

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  23. Mit dieser These wird zugleich die Möglichkeit einer theoretischen Reduktion auf das organische (oder sonstwie „materielle") Substrat ausgeschlossen.

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  24. Parsons spricht in Analogie zum Geldmechanismus von den „real assets" oder von den „security bases" symbolisch generalisierter Medien, die das Generalisierungsrisiko abdecken. Vgl. Talcott Parsons,On the Concept of Political Power, Proceedings of the American Philosophical Society 107 (1963), S. 232-262, neu gedruckt in: ders,Sociological Theory and Modern Society, New York—London 1967; ders,Some Reflections on the Place of Force in Social Process, in: H. Eckstein (Hrsg.), Internal War: Problems and Approaches, New York—London 1964, S. 33-70, neu gedruckt in ders,Sociological Theory and Modern Society, New York-London 1967. Karl W. Deutsch, Politische Kybernetik: Modelle und Perspektiven, Freiburg/Breisgau 1969, S. 184ff., hat diesen Gedanken aufgenommen unter dem Gesichtspunkt von „Mechanismen der Schadensbegrenzung" („damage control mechanisms"). In seiner neuesten Stellungnahme zum Medienkomplex deutet Parsons,Some Problems of General Theory in Sociology, in: J.C. McKinney und E.A. Tiryakian (Hrsg.), Theoretical Sociology: Perspectives and Developments, New York 1970, S. 27-68, die Möglichkeit an, „erotic pleasure" als Sicherheitsbasis des Mediums Affekt anzusehen (S. 47, Anm. 29); — allerdings nicht auf der Ebene sozialer Systeme, deren Viererblock bei Parsons anders besetzt ist, sondern auf der Ebene des allgemeinen Aktionssystems.

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  25. Andere Möglichkeiten der Prüfung des Zusammenhangs von Zeithorizont und symbiotischen Mechanismen gibt es im Bereich gesellschaftlicher „Subkulturen". Vgl. z.B. Egon Bittner,The Police on Skid-Row, American Sociological Review 32 (1967), S. 699-715.

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  26. Vgl. Arthur Lovejoy,The Great Chain of Being: A Study of the History of an Idea, Cambridge/Mass. 1936, Neudruck Cambridge/Mass. 1950, insb. S. 242ff.

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  27. Vgl. Norbert Elias, Ober den Prozeß der Zivilisation, 2 Bde., 2. Aufl., Bern—München 1969.

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  28. Dazu und zur dadurch ermöglichten Zukunftsorientierung des Familienlebens vgl. Wolf Lepenies, Verzeitlichung und Enthistorisierung: Ober einen möglichen Beitrag der Geschichte der Anthropologie und der historischen Anthropologie zur Bestimmung der Neuzeit als Epochenschwelle, Vervielf. Manuskript 1973.

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  29. Evolutionary universals" im Sinne von Talcott Parsons,Evolutionary Universals in Society, American Sociological Review 29 (1964), S. 339-357, neu gedruckt in ders,Sociological Theory and Modem Society, New York—London 1967.

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  30. Dazu einführend Niklas Luhmann,Religiöse Dogmatik und gesellschaftliche Evolution, in: Karl-Wilhelm Dahm/Niklas Luhmann/Dieter Stoodt,Religion — System und Sozialisation, Darmstadt—Neuwied 1972, S. 15-132, insb. S. 30ff., 63ff.

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  31. Zum Ausnahme-Charakter von Glaubensreligionen vgl. etwa Louis Schneider,Sociological Approaches to Religion, New York—London—Sydney—Toronto 1970, S. 22ff.

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  32. Vgl. die Darstellung von Karl Heim, Das Gewißheitsproblem in der systematischen Theologie bis zu Schleiermacher, Leipzig 1911.

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  33. Siehe außer Karl Heim a.a.O., S. 220ff. (249) auch Paul Althaus,Die Prinzipien der deutschen reformierten Dogmatik im Zeitalter der aristotelischen Scholastik, Leipzig 1914, Neudruck Darmstadt 1967, S. 183 ff.

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  34. Vgl. Talcott Parsons, Societies, Evolutionary and Comparative Perspectives, Englewood Cliffs/N.J. 1966; ders, The System of Modern Societies, Englewood Cliffs/N.J. 1971.

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Luhmann, N. (1981). Symbiotische Mechanismen. In: Soziologische Aufklärung 3. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01340-2_13

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

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