Soziale Ungleichheit bildet sich in Städten auch räumlich ab. Das Phänomen der räumlichen Segregation der Wohnbevölkerung anhand sozioökonomischer Merkmale ist immer wieder Gegenstand von Diskursen der Stadtpolitik und der raumbezogenen Sozialen Arbeit, zuweilen auch von öffentlichen Debatten und medialer Aufmerksamkeit. Der Artikel möchte einen Beitrag zu einer differenzierten Betrachtung auf das Phänomen leisten.

Er definiert dazu zunächst genauer den Begriff der Segregation, indem er dies anhand verschiedener Gegensatzpaare beleuchtet: der Unterscheidung von Segregation in eine funktionale (temporäre) und eine strukturelle (dauerhafte), eine freiwillige versus eine erzwungene Segregation, eine räumliche und eine soziale Trennung der Bewohnerschaft. Außerdem wird auf den Diskurs um die Rolle eines hohen Migrantenanteils in benachteiligten Quartieren eingegangen sowie auf die Frage, ob von den Quartieren eine zusätzlich benachteiligende Funktion ausgeht oder ob sie die Ausgrenzung ihrer Bewohner lediglich räumlich manifestieren. In einem zweiten Teil werden städtische Segregationsprozesse länderspezifisch für Frankreich, Deutschland und die Schweiz betrachtet, bevor zum Schluss ein Blick auf Strategien des Umgangs mit Segregationsprozessen geworfen wird.

1 Residenzielle Segregation

Unter Segregation versteht man kurz gefasst die „Konzentration verschiedener sozialer Gruppen in verschiedenen Quartieren“ (Siebel, 2014, S. 6). Mittels Segregation projizieren sich auch soziale Strukturen auf den Raum (vgl. Häußermann & Siebel, 2001b, S. 70). Fassmann bezeichnet die sozialräumliche Segregation als eines der wichtigsten Ordnungsprinzipien der Gesellschaft im städtischen Raum (vgl. Fassmann, 2002, S. 13). Die Sozialwissenschaften interessiert vor allen Dingen, unter welchen Umständen die Segregation stattfindet und welche Gruppen warum segregiert leben. Für Kürşat-Ahlers (1993, S. 218) ist sie ein Symptom ungleicher Machtverteilung innerhalb der Gesellschaft. Häußermann und Siebel (2001b, S. 71) stellen heraus, dass in Deutschland (und das lässt sich vermutlich für Europa insgesamt sagen) die Bevölkerung vor allem entlang der Merkmale sozialer Ungleichheit und ethnisch-kultureller Differenz segregiert wohnt. Damit allerdings wird Segregation zu einem „Gerechtigkeits- und Integrationsproblem“ (ebd.).

Die Chancen, seinen Wohnort frei zu wählen, steigen mit den Ressourcen, die den Individuen zur Verfügung stehen. Bourdieu fasst diese individuellen Ressourcen mit den Begriffen des sozialen, kulturellen und ökonomischen Kapitals und führt aus, welche „Lokalisationsprofite“ (Bourdieu, 1991, S. 31) sich aus dem Einsatz dieses Kapitals auf dem Wohnungsmarkt schlagen lassen. Bezogen auf den Raum entscheidet das einer Person zur Verfügung stehende Kapital auch über die Möglichkeiten, denselben nach seinem Wunsch zu gestalten (Bourdieu, 1991, S. 30). Als konkrete Profite benennt Bourdieu die ‚Situationsrendite‘, die unerwünschte Dinge und Personen, etwa Lärm oder arme Menschen, fernhält und Nähe zu begehrten Dingen und Personen, etwa Sicherheit, attraktive Lage oder jeweils gewünschter Lebensstil, sichert; die ‚Okkupations- oder Raumbelegungsprofite‘, worunter etwa der persönliche Wohnflächenverbrauch zu verstehen ist, und schließlich die ‚Positions- oder Rangprofite‘, die sich z. B. in einer ‚guten‘ Adresse niederschlagen (Dangschat, 1998a, S. 35).

Besonders die Situationsrendite spielt für die Frage der Segregation eine wichtige Rolle. Bourdieu schreibt, dass nichts weniger tolerierbar sei als Menschen, die einem sozial fernstehen, aber räumlich nahe sind (vgl. Bourdieu, 1991, S. 32). Die Situationsrendite ermöglicht es, sich dieser räumlichen Nähe nicht aussetzen zu müssen. Raum ist somit ein Ort, in dessen Gestaltung sich Macht ausdrückt, und zwar häufig in einer subtilen, nicht als Macht wahrgenommenen Form (ebd., S. 27).

Situationsrendite und Rangprofite führen zu einer freiwilligen Segregation, insbesondere nichtbenachteiligter Gruppen. Bourdieu bezeichnet dies als „Klub-Effekt“, der in anderen Quartieren einen „Ghetto-Effekt“ erzeugt. Die freiwillige Segregation der „Kapitalbesitzenden“ führt auf der anderen Seite diejenigen zusammen, die „nichts Anderes gemeinsam haben als ihre gemeinsame Exkommunikation“ (Bourdieu, 1991, S. 33 f.).

2 Verschiedene Aspekte residenzieller Segregation

Zur Beurteilung des segregierten Wohnens müssen die spezifischen Bedingungen der Segregation betrachtet werden. Hierbei sollen im Folgenden verschiedene Gegensatzpaare beleuchtet werden.

2.1 Funktionale versus strukturelle Segregation

Im Kontext von Fragen der Integration von Immigrant*innen wird oft eine Unterscheidung in funktionale und strukturelle Segregation vorgenommen.

Als funktional wird eine Segregation bezeichnet, die v. a. für neuankommende Migrant*innen für eine gewisse Zeit ein Umfeld mit einer gewissen Dichte von Landsleuten bietet, „um auf der sicheren Grundlage geteilter kultureller Selbstverständlichkeiten die individuelle Systemintegration voranzutreiben“ (Heitmeyer, 1998, S. 447). Diese „Binnenintegration“ könne „unter bestimmten Umständen ein positiver Faktor für [die] Integration in eine aufnehmende Gesellschaft“ (Elwert, 1982, S. 718) darstellen.

Betont wird bei der funktionalen Segregation vor allem die zeitliche Begrenzung. Strukturelle Segregation liegt hingegen vor, wenn sich die funktionale Segregation nicht auflöst: „Mit struktureller Segregation ist ein ‚Dauerprovisorium‘ verbunden, d. h. dass zwar ‚Binnenintegration‘ eine möglicherweise zufriedenstellende Basis ergibt, die Systemintegration aber für größere Teile unterschiedlicher Migrantengruppen partiell oder dauerhaft scheitert“ (Heitmeyer, 1998, S. 447). Die Folge sind nach Heitmeyer Selbstethnisierungen und eine Verstärkung der kulturellen Homogenität. Der binnenintegrative Effekt verkehrt sich ins Negative und wird zur Falle. Die Integration in die Community verhindert die Integration in die Aufnahmegesellschaft.

Häußermann und Siebel fassen den Unterschied zwischen funktionaler und struktureller Segregation wie folgt zusammen: „Die entscheidenden Merkmale funktionaler Segregation sind Freiwilligkeit und zeitliche Begrenzung. Wenn beides der Fall ist, dann – so die These – dient Segregation der individuellen Integration und ist damit funktional. Sie erfüllt dann alle […] positiven, der Segregation zugeschriebenen Funktionen. Strukturelle Segregation dagegen ist dauerhafte, erzwungene Segregation, und sie geht einher mit dem dauerhaften Scheitern der Systemintegration. Ethnische Institutionen in segregierten Gebieten entstehen dann als Reaktion auf versagte Teilhabe und ersetzen die Institutionen der Mehrheitsgesellschaft auf niedrigerem Niveau“ (Häußermann & Siebel, 2004, S. 187).

2.2 Freiwillige versus erzwungene Segregation

Im öffentlichen Diskurs wird das segregierte Wohnen von Migrant*innen zuweilen einem mangelnden Integrationsinteresse der Migrant*innen zugeschrieben. Empirisch ist das nicht belegt (vgl. Kürşat-Ahlers, 1993, S. 221). Bei der Frage der Freiwilligkeit der Segregation muss der Blick vielmehr von den benachteiligten Quartieren und Bevölkerungsgruppen auch auf die mittelschichtigen und privilegierten Gruppen und Quartiere und ihr Distinktionsbedürfnis gelenkt werden. Dangschat spricht von der „fragwürdige[n] Rolle der ‚flüchtenden Mittelschichten‘“ (Dangschat, 2002, S. 35) und schreibt: „Während in einer freien Gesellschaft jeder und jedem selbstverständlich das Recht zugestanden wird, dorthin umzuziehen, wohin sie oder er möchte, liegt das Problem in der Massenhaftigkeit paralleler individueller Entscheidungen, die – jede für sich genommen – nachvollziehbar und plausibel darstellbar sind, in der Summe jedoch genau zu den Entmischungsformen führen, die dann von diesen Menschen selbst kritisiert und bekämpft werden“ (Dangschat, 2002, S. 26). Alisch und er kritisieren dies als „Verweigerung gesellschaftlicher Integrationsarbeit (gegenüber Migranten, nicht-familialen Haushalten, Behinderten, Sozialhilfeempfängern, Obdachlosen) (…) Wenn sich die Zahl und die Heterogenität derer, die die präsente Aufnahmegesellschaft darstellen, ‚in die hinein integriert werden soll‘, derart reduziert, dass die unterschiedlichen Beteiligten unter sich bleiben und diese schwierige Aufgabe für den Rest der sich gerne ‚multikulturell‘ gebenden Aufnahmegesellschaft übernehmen müssen, dann sollte diese Freiwilligkeit auch als ein Akt der Entsolidarisierung kritisiert werden“ (Alisch und Dangschat, 1998a, S. 92).

Für Frankreich argumentiert Éric Maurin (2004) provokativ, aber gestützt auf empirische Daten, dass die „wahren Ghettos“ nicht die der Armen, sondern die der Reichen sind. Wir beobachten ihm zufolge eine „Ghettoisierung von oben“. Dies ist auch die These von Michel und Monique Pinçon-Charlot (2000): Die Eliten heben sich vom „Volk“ ab und bleiben unter sich.

2.3 Räumliche versus soziale Segregation

In Frankreich haben Jean-Claude Chamborédon und Madeleine Lemaire (1970) einen wichtigen Artikel zur Bevölkerung in Großwohnsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus in der Peripherie der Städte in den 1960er Jahren publiziert. Sie zeigen darin, dass sich entgegen der Intention der Architekten und Urbanisten die räumliche und die soziale Mischung nicht ergänzen, sondern im Gegenteil: Die räumliche Nähe geht mit sozialer Distanz einher. Die Wohnungspolitik strebte eine gewisse soziale Mischung an – zwischen der Mittelschicht und der Arbeiterklasse – aber unter Ausschluss der ärmsten und reichsten Segmente der Bevölkerung, die in den „guten Vierteln“ leben. Selbst zwischen den Mittelschichten und den ärmeren Schichten hat das auferlegte Zusammenleben (räumliche Mischung) kaum zu intensiven nachbarschaftlichen Beziehungen (soziale Mischung) geführt: Es kommt häufig zu Nachbarschaftskonflikten und die räumliche Nähe verstärkt die soziale Distanz.

Seit 50 Jahren bleibt die Illusion, dass räumliche Nähe reicht, um (eine wirkliche) soziale Mischung zu generieren, ein sehr starkes Leitmotiv. (s. dazu unter Abschn. 5.1. die Kritik am französischen Gesetz „Solidarität und Stadterneuerung“ von 2000.)

Auf die Frage, ob räumliche Nähe interethnische Kontakte fördert oder eher Konflikte begünstigt und (positive) Kontakte verhindert, wird im deutschsprachigen Diskurs häufig auf die Kontakt- und die Konflikthypothese eingegangen. Die Kontakthypothese geht davon aus, dass Kontakte zwischen Einheimischen und Migrant*innen gegenseitige Sympathie und positive Einstellungen begünstigen. Die Konflikthypothese geht hingegen davon aus, dass es zwischen Menschen verschiedener Schichten, Lebensstile und Kulturen eher zu Konflikten kommt als zwischen Menschen, die die eigenen Gewohnheiten teilen.

Empirische Untersuchungen zu den beiden Hypothesen zeigen uneinheitliche Ergebnisse (Alpheis, 1990). Häußermann und Siebel sehen den Ausschlag in den jeweiligen Rahmenbedingungen der räumlichen Nähe. Zwar braucht es räumliche Nähe für eine bestimmte Art von Kontakten, aber für die Frage, ob es ein positiver oder konflikthafter Kontakt wird, sind die Umstände entscheidend. Dass Kontakt nicht automatisch zu Sympathie führt, zeigt sich nach Häußermann und Siebel auch im hohen Wahlanteil fremdenfeindlicher Parteien in den Quartieren mit hohem Ausländer*innenanteil (Häußermann & Siebel, 2004, S. 185).

2.4 Hoher Migrantenanteil: Ursache oder Folge des sozialen Abstiegs von Quartieren

Im deutschsprachigen Raum wird in der Regel bei der Beschreibung benachteiligter Quartiere fast reflexhaft auf den hohen Migrant*innenanteil der Bewohnerschaft verwiesen. Dies führt dazu, dass der Migrant*innenanteil teils als ursächlich für die Probleme des Quartiers erscheint. Häußermann und Siebel schreiben (2001a, S. 59) dazu: „Die Selektionsmechanismen des Marktes und die Belegungspraktiken von Wohnungsbaugesellschaften filtern Migrant*innen in jene Segmente des Wohnungsmarktes, in denen vorwiegend auch einheimische Bewohner*innen in prekären Lebenslagen konzentriert sind. Diese sind aber am wenigsten in der Lage, geduldige und weltoffene Partner*innen im Prozess der Entwicklung einer multikulturellen Stadt zu sein.“ Durch den Strukturwandel sind viele dieser Quartiere in den letzten Jahrzehnten zunehmend von Arbeitslosigkeit und Verarmung betroffen. Dies führte zu einer zunehmenden Fluktuation: Wer die Wahl hatte, zog häufig weg. Aus „Arbeiterquartieren“ wurden „Arbeitslosenquartiere“ (ebd., S. 61). Zeitgleich zogen zunehmend Migrant*innen zu. Der Wandel des Quartiers wird in der Folge den Zugezogenen angelastet, obwohl ihr Zuzug eher die Folge als die Ursache des sozialen Abstiegs ist. Die Angst vor dem eigenen (weiteren) sozialen Abstieg, wird auf die Migrant*innen übertragen (ebd., S. 60). Ein Muster, das sich, wie wir gesehen haben, auch in der Wahrnehmung der französischen Öffentlichkeit findet.

2.5 Benachteiligte oder benachteiligende Quartiere?

Intensiv wurde in Deutschland diskutiert, ob Quartiere mit einem überproportional hohen Anteil von armutsbetroffenen oder migrantischen Einwohner*innen nur eine räumliche Konzentration benachteiligter Gruppen darstellen oder ob von diesen Quartieren eine zusätzliche Benachteiligung für die Bewohner*innen ausgeht. So Dangschat: „Überwiegend wird davon ausgegangen, dass es sich bei Segregation/Konzentration um ein Abbild, eine Übertragung sozialer Ungleichheit in den (städtischen) Raum handelt. Dabei wird übersehen, dass durch die Lage und die Ausstattung des Wohnstandortes selbst unmittelbare Vor- und Nachteile entstehen, die nahezu ausnahmslos die ohnehin bestehenden sozial-strukturellen Unterschiede vergrößern“ (Dangschat, 1998b, S. 207).

Während Friedrichs (1990, S. 309 ff.) dies tendenziell verneint, gehen Häußermann und Kapphan davon aus, dass der soziale Raum die Verbindung zwischen gesellschaftlicher Makroebene und individueller Mikroebene darstellt und eine „die Marginalisierung verstärkende Rolle“ (Häußermann und Kapphan, 2004, S. 211) spielt. Sie zählen einige Kontexteffekte auf, etwa fehlende (positive) Rollenmodelle z. B. hinsichtlich Erwerbsbiografien für Kinder, die Auswirkungen eines verwahrlosten öffentlichen Raumes auf das Selbstbild der Bewohner*innen oder der Verlust an politischem Einfluss durch den selektiven Wegzug wahlberechtigter und kommunikativ kompetenter Bewohner*innen (ebd., S. 228 f.).

Ein weiterer Aspekt, unter dem viele Bewohner*innen benachteiligter Quartiere leiden, ist das schlechte Image des Quartiers und die Angst, dass dies z. B. bei der Arbeitssuche auf sie „abfärben“ könnte. In dieser Hinsicht bewegt sich auch die Soziale Arbeit und nicht zuletzt die Sozialforschung in einem Spannungsfeld: Eine Thematisierung der Benachteiligung birgt immer auch die Gefahr einer zusätzlichen Stigmatisierung.

3 Segregation in Deutschland, der Schweiz und Frankreich

Der Blick in die drei Nachbarländer Deutschland, Frankreich und Schweiz zeigt, dass sozialräumliche Segregation in den städtischen Ballungsräumen aller drei Länder besteht. Dies wird nicht zuletzt in der Ausweisung von benachteiligten Stadtteilen in nationalen Programmen in Frankreich, Deutschland und zumindest phasenweise auch in der Schweiz (vgl. Becker et al., 2017) ersichtlich.

Der Vergleich zwischen den drei Ländern erscheint spannend, weil sich bei räumlicher Nähe und teils ähnlichen Entwicklungen doch deutliche Unterschiede in der staatlichen Steuerung zeigen.

3.1 Deutschland

Die Gebiete, in denen sozial benachteiligte Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund gehäuft wohnen, sind in Deutschland oft Gebiete des Sozialen Wohnungsbaus.

Die soziale Bedeutung des öffentlich geförderten Wohnungsbaus in der Vergangenheit kommt bei Häußermann deutlich zum Ausdruck, wenn er schreibt: „Herausragendes Merkmal der europäischen Stadt des 20. Jahrhunderts war und ist, dass sich zwischen soziale Ungleichheit und Wohnbedingungen ein Puffer schob, der die Verdoppelung von Benachteiligung durch sozialräumliche Ausgrenzung verhinderte“ (Häußermann, 1998, S. 160).

Nach dem Gesetz sollte der Soziale Wohnungsbau „weite(n) Kreise(n) der Bevölkerung“ (2. Wohnungsbaugesetz § 1 Abs. 2; Fassung gültig bis 2001Footnote 1) zur Verfügung stehen. Allerdings hat sich dieses Segment des Wohnungsmarktes durch Ablauf der Belegungsbindung, Veräußerungen kommunaler Bestände und einen Rückgang der Neubauprojekte in diesem Bereich in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verringert (Deutscher Bundestag, 2018, S. 15 f.) Dadurch verblieben immer weniger Wohnungen für ärmere und von Marginalisierung bedrohte Bevölkerungsgruppen.

Hinzu kommt, dass sich die ökonomische Lage vieler Bewohner*innen dieser „Arbeiterquartiere“ in den letzten Jahrzehnten durch Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Sozialpolitik verschlechtert hat (Prekarisierung der Arbeitsplätze, schlechtere ökonomische Abfederung bei Arbeitslosigkeit seit Einführung von Hartz IV).

3.2 Schweiz

In der Schweiz gibt es keinen klassischen sozialen Wohnungsbau der öffentlichen Hand. Die Aufgabe der preiswerteren Wohnversorgung einkommensschwächerer Gruppen wird häufig über Wohnbaugenossenschaften erfüllt. 2003 wurde mit dem Wohnbauförderungsgesetz ein „Fonds de roulement“ eingeführt, der es gemeinnützigen Bauträgern ermöglicht zinsvergünstigte Darlehen für den Bau und die Sanierung preisgünstiger Mietwohnungen zu erhalten. Daneben gibt es teils kantonale Förderprogramme (vgl. Bundesamt für Wohnungswesen, o. J.).

Verglichen mit Frankreich oder Deutschland gibt es in der Schweiz weniger großflächige Segregation, was auch an den insgesamt kleineren Maßstäben liegt. Dennoch gibt es natürlich durchaus sozioökonomisch Unterschiede zwischen verschiedenen Stadtgebieten und unterschiedliche Konzentrationen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen.

Insgesamt ist die Schweiz weniger durch Großstädte geprägt als durch ländliche Regionen und v. a. in den letzten Jahren durch ein starkes Wachstum der Agglomerationsgemeinden. Zur Frage der sozialen Mischung ist in der Schweiz hinzuzufügen, dass die Gemeinden eine hohe Steuerautonomie haben und je nach Wohnort unterschiedlich hohe Einkommenssteuern zu bezahlen sind. Gerade für einkommensstarke Bevölkerungsgruppen ist dies bei der Frage der Wohnortwahl ein wichtiger Faktor. Dies führt teils zu sozioökonomischer Segregation, nicht auf Quartiers-, sondern auf Gemeindeebene.

3.3 Frankreich

In Frankreich gab es in der Zeit des Wirtschaftswachstums, wie auch in Westdeutschland und der Schweiz, eine große Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften. Es war hauptsächlich eine Arbeitsmigration junger Männer, die ohne ihre Familien kamen. Sie hofften, schnell viel Geld zu verdienen und dann nach Hause zurückzukehren. Sie akzeptierten harte und gefährliche Arbeitsbedingungen, ihr Hauptanliegen bestand darin, Geld zu sparen. Sie lebten untereinander, entweder in Slums oder in „Wanderarbeitsheimen“. Diese Segregation wurde lange Zeit nicht wahrgenommen.

Nach dem ‚Ölschock‘ und der Wirtschaftskrise veränderten sich die Dinge 1973 rasch. Ein Gesetz von 1974 verbot die Einwanderung von Arbeitnehmer*innen und hatte unbeabsichtigte Folgen: Da die Arbeiter*innen nicht mehr zwischen Frankreich und ihrem Herkunftsland pendeln konnten, kamen die Familien nach Frankreich. (Auch diese Entwicklung verlief in der Schweiz und Deutschland ähnlich.) Die Politik der Familienzusammenführung stellte zwei Bedingungen auf: ein stabiles Beschäftigungsverhältnis mit einem ausreichenden Lohn und angemessenen Wohnraum.

Um ihre Familien nachholen zu können, bemühten sich die ausländischen Arbeitskräfte um eine Sozialwohnung, zu einer Zeit, als diese begannen ihre Attraktivität zu verlieren: Die großen Sozialwohnungssiedlungen, die in den 1960er Jahren massiv am Stadtrand gebaut wurden, waren in einer Abwärtsentwicklung. Durch die neue Politik, den Besitz eines Einfamilienhauses in noch weiter außen liegenden Vororten zu fördern, standen viele Sozialwohnungen leer. Sie wurden ausländischen Familien zugeteilt, die keine andere Wahl hatten. Die Reaktionen der Nachbarschaft waren jedoch sehr scharf: In einer Umkehrung von Ursache und Wirkung wurde erklärt, dass die Ausländer den Franzosen die Sozialwohnungen wegnehmen würden (Blanc, 1983).

Zu dieser Zeit begann das Programm zur Sanierung großer Sozialwohnungsgebiete mit dem Namen „Politique de la ville“ (Äquivalent des späteren deutschen Programms „Soziale Stadt“). Neben den technischen, architektonischen und städtebaulichen Problemen musste es sich mit Arbeitslosigkeit und interethnischen Beziehungen in der Nachbarschaft befassen. Dies erfordert komplexe, häufig schwer umzusetzende Partnerschaften mit Schulen und Unternehmen, aber auch mit Sozialarbeiter*innen (Blanc, 1982).

4 Sozialwohnungen und prekäre Wohnungen

In allen drei Ländern ist die unzureichende Verfügbarkeit von Wohnraum für die Ärmsten offensichtlich. Für Frankreich ist dies in den Jahresberichten der Abbé-Pierre-Stiftung über den Zustand der Wohnungsnot gut dokumentiert.Footnote 2 Die Zahl der obdachlosen oder nur notdürftig wohnversorgten Personen nimmt zwangsläufig aufgrund zweier sich gegenseitig verstärkender Mechanismen zu: (1) die Überbelegung in prekären Wohnverhältnissen: aus familiärer und/oder ethnischer Solidarität rückt man zusammen, damit niemand auf der Straße bleibt, was darauf hinausläuft, dass sich die Wohnverhältnisse weiter verschlechtern; (2) die Strategien skrupelloser Vermieter*innen, die Mieter*innen in unwürdigen Verhältnissen zusammenpferchen, um ihren Gewinn zu steigern. Sie werden in Frankreich oft „Schlafhändler“ genannt, sie wissen, wie man mit den Grenzen der Legalität und der Wehrlosigkeit ihrer Mieter*innen spielt, besonders wenn diese einen irregulären Aufenthaltsstatus haben.

5 Strategien zum Umgang mit Segregation

Während es in der Forschung zur Beurteilung der residenziellen Segregation je nachdem durchaus verschiedene Positionierungen gibt, stellt sie, wie Häußermann (2005, S. 133) feststellt, für Planer*innen und Verwaltung – und man kann wohl hinzufügen auch für Sozialarbeitende – häufig einen „Betriebsunfall der Stadtentwicklung“ dar.

5.1 Desegregation

Auf die lange Geschichte politischer Maßnahmen der Sozialen Mischung weist Holm (2009) hin, wenn er schreibt, dass bereits im 19. Jahrhundert aus Angst vor Seuchen und sozialen Unruhen Versuche unternommen wurden, die soziale Segregation der Arbeiterviertel aufzubrechen. Aber man hat nicht die Arbeitsbedingungen verbessert, die die zentrale Ursache des Elends waren (Blanc, 2013).

Frankreich ist unseres Wissens das einzige Land, das ein Gesetz zur Bekämpfung der Segregation und zur Durchsetzung sozialer Vielfalt erlassen hat: das Gesetz „Solidarität und Stadterneuerung“ (Dezember 2000). Dieses Gesetz ist sehr diskussionswürdig: Es macht das Vorhandensein von Sozialwohnungen zu einem Indikator für soziale Vielfalt bzw. Segregation. Es legt für alle Stadtgemeinden ein Minimum von 25 % Sozialwohnungen fest (dieser Schwellenwert wurde auf 30 % angehoben). Die Kritik an dieser Herangehensweise stützt sich auf mehrere Punkte (Blanc, 2010; Blanc & Bidou, 2010):

  • Es definiert Segregation als ein städtisches Problem, obwohl es (auch) in den Dörfern vorhanden ist.

  • Der Prozentsatz der Sozialwohnungen ist keine aussagekräftige Maßzahl für die sozialräumliche Segregation: Wie bereits erwähnt, sind in Frankreich im Sozialen Wohnungsbau nicht die reichsten (das ist logisch), aber auch nicht die ärmsten Personen untergebracht. Letztere wohnen im (sehr profitablen) Segment der gesundheitsschädlichen Wohnungen (De Rudder-Paurd, 1978, S. 58).

  • Ein stadtweiter Indikator ist unzureichend: Es gibt sehr große Unterschiede zwischen den Stadtteilen.

  • Dieser räumliche Indikator sagt nichts über die Nachbarschaftsbeziehungen aus. Konkret: Gehen die Kinder im Quartier in die Schule oder außerhalb?

Die 2003 gegründete Nationale Agentur für Stadterneuerung hatte ursprünglich Pläne, 200.000 Sozialwohnungen am Stadtrand abzureißen, durch „ökologische“ Wohnungen zu ersetzen und die soziale Mischung durch eine Partnerschaft zwischen den öffentlichen Sozialwohnungsunternehmen und privaten Immobilienentwickler*innen zu sichern. Die Ziele wurden dann nach unten korrigiert, die soziale Mischung hat sich nicht erhöht (Blanc, 2010).

Leichter als bei Bestandsimmobilien sind desegregierende Strategien bei Neubauvorhaben möglich. Sie werden in den letzten Jahren auch vermehrt in Angriff genommen.

Die Stadt Freiburg schreibt bei Neubaugebieten seit einigen Jahren eine bestimmte Quote geförderter Wohnungen vor. Allerdings zeigt die Praxis, dass bei konkreten Bauvorhaben, gerade in „besseren“ Quartieren dennoch häufig Ausnahmen genehmigt werden.

Kritisch kann zu solchen Strategien angemerkt werden, dass sie nicht Armut oder Ausschluss reduzieren, sondern nur die räumliche Konzentration und damit eventuell die Sichtbarkeit. Häußermann und Oswald (1996, S. 96) merken dazu an: „der Irrtum besteht im Glauben, Benachteiligung sei geringer, wenn sie nicht so gut sichtbar ist.“

Auch stellt sich die Frage, wie oben bereits angedeutet, ob der räumlichen Mischung auch eine soziale entspricht. In der Tat sind die neuen Bewohner sehr stark nach außen orientiert, was eher eine „statistische“ soziale Mischung (die Anzahl der Haushalte im Quartier, die zu einer höheren Berufsgruppe gehören, steigt) als eine reale darstellt. Es gibt viele „Reibungszonen“ (z. B. Kinderspielplätze), die verschiedenen Bewohnergruppen geraten eher in Konflikt, als dass sie in (einen positiven) Kontakt kommen. (ORIV und CUS, 2013).

5.2 Quartierentwicklungsmaßnahmen

Wesentlich häufiger als direkte Desegregierungsstrategien werden für benachteiligte Quartiere Quartierentwicklungsmaßnahmen eingesetzt. Jans et al. (2011, S. 70) erachten dies als sinnvoller als Desegregierungsbemühungen: „Eine Verbesserung der Lebenssituation in Problemgebieten erfordert viel eher eine integrierte Quartierentwicklung, verknüpft mit städtebaulichen Entwicklungsmassnahmen, als eine stärkere soziale Durchmischung.“

Da die räumliche Gebundenheit, auch benachteiligter Bevölkerungsgruppen, tendenziell abnimmt, wird für eine tatsächliche Mischung einer guten Anbindung an die Nachbarquartiere und die Gesamtstadt, sowohl in baulicher als auch in sozialer Hinsicht, insofern eine große Bedeutung beigemessen (vgl. PPU, 2011, S. 23).

Häufiger Bestandteil der sozialen Stadtentwicklung sind Maßnahmen, die der sozioökonomischen Integration der Wohnbevölkerung dienen (Qualifizierungs- und Arbeitsmarktintegrationsmaßnahmen). Die Verbesserung der sozioökonomischen Lage der Bevölkerung würde letztlich natürlich auch zu einer größeren sozialen Durchmischung führen. Allerdings stoßen diese Maßnahmen in ihrer Wirkung durch makroökonomische Entwicklungen häufig an Grenzen. (vgl. Guhl, 2015).

Krummacher weist auf zwei Aspekte hin, die im Kontext von Quartierentwicklungsmaßnahmen beachtet werden müssen. Zum einen müsse eine Stabilisierung des Gebiets angestrebt werden, keine Aufwertung (Gentrification), die eine Verdrängung der jetzigen Bewohner*innen zur Folge hätte, und es dürften daraus keine „‚Billiger-Jakob-Lösungen‘ für Arme, Ausländer und Ausgegrenzte abgeleitet werden“ (Krummacher, 2002, S. 44).

Daneben geraten bis dato benachteiligte Quartiere, vor allem wenn sie über potenziell attraktive Merkmale wie Innenstadtnähe oder attraktive Bausubstanz verfügen, vor allem in Zeiten von Wohnraumknappheit in einen Aufwertungsmechanismus. Bei diesen Gentrifizierungsprozessen kommt es in der Folge häufig zu einer Verdrängung der bis dato ansässigen Bevölkerung durch eine Erhöhung der Mieten, was an anderer Stelle dann eventuell wieder Segregationsprozesse verstärkt.