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1 Einleitung

Nach Teheran im Jahr 1968 war Wien 1993 Gastgeberin der zweiten UN-Menschenrechtskonferenz. Sowohl Regierungsbehörden als auch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sollten die seit der Annahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) erfolgte Entwicklung des Menschenrechtsschutzes überprüfen sowie Perspektiven und Empfehlungen für zukünftig effiziente Umsetzungen formulieren. Das Schlussdokument Wiener Erklärung und Aktionsprogramm benannte aber kaum nennenswerte Fortschritte, sondern ließ vielmehr die zahlreichen staatlichen Widerstände gegen einen auf der internationalen Ebene auszuhandelnden Ausbau menschenrechtlicher Bestimmungen erkennen (Kunig und Uerpmann 1994).

Im Jahre 2021, 70 Jahre nach Verabschiedung eines weiteren zentralen menschenrechtlichen Abkommens, nämlich der Genfer Flüchtlingskonvention, steht abermals der Stellenwert der Menschenrechte als Grundpfeiler staatlicher Politik sowie der humanitären Zusammenarbeit zur Diskussion. Manche Staaten denken über eine einschränkende Neubewertung der Menschenrechte für Flüchtlinge nach, internationale Organisationen und NGOs treten für den Ausbau des Menschenrechts-Katalogs ein (z. B. die Folgen des Klimawandels als Fluchtgrund anerkennen)Footnote 1. Tatsächlich ist die menschenrechtspolitische Dynamik groß und ambivalent: einerseits werden immer mehr menschenrechtliche Verträge und Protokolle abgeschlossen, gleichzeitig nehmen in vielen Teilen der Welt Menschenrechtsverletzungen massiv zu. Menschenrechtliche Standards in Europas Migrations- und Asylpolitik werden beschnitten und es kommt zu Rechtsbrüchen an den EU-Außengrenzen. Zudem schränken Covid-19 Maßnahmen, wie Lockdowns, Grund- und Menschenrechte im Bereich der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit ein (Human Rights Watch 2021; Maffeis 2019).

Die weltweit herausfordernde Situation hängt mit den Grundprinzipien, auf denen Menschenrechte aufbauen, zusammen: der normativen Idee der Menschenwürde und der Machtbeschränkung der Staaten durch Internationalisierung. Denn Menschenrechte sind Grundrechte, auf die jeder Mensch aufgrund der Menschenwürde Anspruch hat, und zwar unabhängig der sozialen Herkunft und der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat, sondern alleine Kraft des Personseins. Menschenrechte sind Schutzrechte, die zwischen Staaten gestaltet werden, und die Pflichten eines Staates gegenüber Individuen, Staatsbürger*innen und Nicht-Staatsbürger*innen regeln (Landman 2005). Die politische Philosophin Hannah Arendt plädierte angesichts von Krieg, Vertreibung, Flucht und Staatenlosigkeit im 20. Jahrhundert in Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft für Menschenrechte als Rechte jedes Menschen, sie war jedoch skeptisch hinsichtlich der Bereitschaft zur Umsetzung durch einzelne Staaten (Arendt 2001).

Da die Anwendung der allgemeinen Menschenrechte einen internationalisierten politischen Raum voraussetzt und folglich die territoriale Handlungsfähigkeit im Umgang mit Nicht-Staatsbürger*innen einschränkt, liegen diese in einem Spannungsverhältnis mit der nationalen Souveränitätskonzeption, mehr noch, oft mit elektoralen, parteipolitischen Interessen (Bendel und Krennerich 2020). Insbesondere bei der stark politisierten Migration geraten Menschenrechte rasch in Konfrontation mit staatlichen Steuerungsansprüchen und Kontrollforderungen (Thym 2018). Dass internationale Regelwerke mit Beteiligung der Unterzeichnerstaaten zustande kommen und oft nur allgemeine Prinzipien (wie Non-Refoulment) und Minimalstandards bei Asylverfahren und Rückführung vorsehen, spielt in der innenpolitischen Auseinandersetzung kaum eine Rolle.

Zur österreichischen Menschenrechtspolitik liegen einige Beiträge vor (Heißl 2009; ADA 2010; Helige 2011; Nowak 2015), eine dezidiert außenpolitische Perspektivierung fehlt aber weitgehend. In der außenpolitischen Forschung werden Bezüge zu Menschenrechten nur vereinzelt und randständig hergestellt (siehe dazu Höll 2010; Kramer 2016; Müller und Maurer 2016).Footnote 2 Vor dem Hintergrund einer prekären Forschungs- und Literaturlage geht dieser Beitrag der Frage nach wie es um die Menschenrechtspolitik als Teil der (europäisierten) Außenpolitik in Österreich bestellt ist. Er zeigt Entwicklungen auf und benennt Faktoren, wie innenpolitische Konstellationen, die diese beeinflussen. Um diese Fragen zu beantworten, werden a) drei Ebenen – österreichische, europäische und internationale Ebene – in den Blick genommen, und b) zwischen drei Dimensionen der Menschenrechtspolitik im Kontext der österreichischen Außenpolitik differenziert: Normsetzung, Umsetzung und Überprüfung (Fritsche 2016). Auf dieser analytischen Grundlage macht der Beitrag deutlich, dass die Trennung von Außen- und Innenpolitik aufgeweicht ist (siehe auch Landman 2005) und die menschenrechtliche Außenpolitik durch innenpolitische Interessen dominiert ist. Das bedeutet, dass außenpolitisch eine menschenrechtliche Strategie kaum zu identifizieren ist, sondern dass parteipolitische Interessen das Handeln, insbesondere in der Migrations- und Asylpolitik, überlagern. Allerdings wird festgestellt werden, dass das politische Handeln Ebenen-spezifisch ist: Infragestellungen der Genfer Menschenrechtskonvention auf der nationalstaatlichen Ebene durch einzelne Politiker*innen steht einem auf UN-Ebene intaktes menschenrechtliche Profil Österreichs gegenüber.

Das nächste Kapitel behandelt zunächst die Normsetzung durch internationale Konventionen und Verträge. Kap. 3 widmet sich anschließend der Umsetzung von Menschenrechten und Kap. 4 erläutert schließlich die Überprüfung der Menschenrechtspolitik durch staatliche Stellen und NGOs.

2 Normsetzung: Menschenrechtliche Konventionen und -verträge

Die Zeit nach 1945 begünstigte auf internationaler (UN) und regionaler Ebene (Europarat) die Verabschiedung von Normen und die Einrichtung von Institutionen zum Schutz der Menschenrechte. Folgende Dokumente zählen zu den Grundpfeilern der Menschenrechtspolitik:

  • Die völkerrechtlich nicht bindende Resolution Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR, 1948) der UN. Im Jahre 1966 erfolgte eine Zweiteilung der als unteilbar konzipierten Menschenrechte. Ein Abkommen betraf die bürgerlichen und politischen Rechte, ein anderes die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte.

  • Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK, 1950) mit deren Ratifizierung sich die Vertragsstaaten verpflichteten, allen Bürger*innen wesentliche Rechte (wie das Recht auf Leben, auf Freiheit und Sicherheit, auf faire Gerichtsverfahren, auf Privat- und Familienleben sowie Versammlungs- und Religionsfreiheit) zu gewährleisten.

  • Die Einrichtung des Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) und die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK, 1951), die Voraussetzungen für den internationalen Flüchtlingsschutz legten.

Österreich hat unmittelbar nach der wiederhergestellten Unabhängigkeit (1955) die Resolutionen und Konventionen des Menschenrechtsschutzes der UN und des Europarates unterzeichnet und diese in nationale Gesetze umgesetzt. Durch die Ratifizierung der Genfer Flüchtlingskonvention 1955 und der EMRK 1958 werden deren Bestimmungen direkt anwendbares Verfassungsrecht (Helige 2011). Die generelle Westorientierung der österreichischen Außenpolitik nach 1955 manifestiert sich auch in der Übernahme der menschenrechtlichen Regelwerke (Gehler 2005).

Menschenrechte als Rechte sowohl für Staatsbürger*innen als auch für Nicht-Staatsbürger*innen implizieren, dass sie der nationalen Gesetzgebung und deren Vollziehung Grenzen des Handelns setzen (McAdam 2014). So widerspricht die Unterbringung von Asylsuchenden in gefängnisähnlichen Einrichtungen menschenrechtlichen Normen. Die Beschränkung nationalstaatlicher Kompetenzen in Asyl- und Migrationsmaterien durch internationale Abkommen haben rechtspopulistische Politiker*innen nach der massiven Fluchtzuwanderung im Jahre 2015 veranlasst, die EMRK in Frage zu stellen.Footnote 3 Ebenso wird die Verbindlichkeit der Genfer Flüchtlingskonvention angezweifelt bzw. wird das Recht, dass Verfolgte Asyl beantragen können mussen, durch einzelne Praxen der europäischen und österreichischen Politik ausgehebelt (z. B. die Zurückdrängung von Flüchtlingsbooten und sog. Pushbacks).Footnote 4 So vertritt der Völkerrechtler Peter Hilpold die Meinung, dass die Einführung einer Obergrenze für die Aufnahme von Asylwerber*innen (37.500 Anträge) eine Verletzung des Rechts auf Asyl nach den Bestimmungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems sowie eine Restriktion des Artikel 18 der Europäischen Grundrechtscharta (Recht auf Asyl) darstellt (Hilpold 2017).

Spezifische Rechtskataloge gelten für Frauen, Kinder, Flüchtlinge, Arbeitsmigrant*innen und Menschen mit Behinderung (Fritsche 2016). Nach 10-jähriger Verhandlung beschloss die UN die Kinderrechtskonvention (1989), die Österreich 1992 ratifizierte und 2011 mit dem Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern den verfassungsrechtlichen Schutz herstellte. Innenpolitisch wird dieses Gesetz bei asyl- und fremdenrechtlichen Entscheidungen wiederholt ignoriert bzw. ist in der Anwendung umstritten. Zur Klärung der Anwendungspraxis des Kindeswohls im Fremdenrecht richtete die Bundesministerin für Justiz im Jahre 2021 eine Kommission ein, deren erster Bericht in der Asyl- und Fremdenrechtspraxis Mängel bei der Berücksichtigung des Kindeswohls aufzeigte.Footnote 5

Die Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) stellt eine Weiterentwicklung der Rechtsinstrumente dar. Das Übereinkommen unterzeichneten Österreich und die Europäische Union im Jahre 2011. Die Staaten verpflichten sich, Gesetze zur Strafverfolgung von häuslicher Gewalt und anderen Formen des Missbrauchs gegen Frauen zu erlassen. Die Istanbul-Konvention ist gleichzeitig ein Beispiel dafür, dass die Menschenrechtspolitik nicht nur linear verläuft, sondern auch Rückschläge erfährt: Das polnische Parlament beschloss aus der Konvention auszutreten, da diese die Familie schwäche, den Feminismus stärke und Homosexualität fördere.Footnote 6 Die Türkei ist bereits, ebenfalls mit Verweis auf Familie und Homosexualität, aus der Konvention ausgetreten.

Die Menschenrechtspolitik basiert auf der Bereitschaft zum multilateralen Handeln. Diese Bereitschaft ist Österreich bei der Verabschiedung des Globalen Pakts für eine sichere, geordnete und reguläre Migration (UN-Migrationspakt) 2018 in Marokko abhandengekommen. Die ÖVP-FPÖ-Regierung trat dem von österreichischen Beamt*innen mitverhandelten und nicht-bindenden Governance-Instrument nicht bei und begründete die Haltungsänderung damit, dass dieser Pakt die nationale Souveränität gefährde und zur Anerkennung von Migration als Menschenrecht führen könne (Badell 2021). Vor Österreich sind bereits die USA und Ungarn aus dem Pakt ausgestiegen, nach Österreich folgte eine Reihe weiterer EU-Staaten, die kurzfristig die Unterstützung versagten.

3 Umsetzung: Menschenrechte in der Außenpolitik

Eine außenpolitische Dimension von Menschenrechten liegt darin, ob und wie sie zu einem Prinzip des Handelns mit anderen Staaten und in internationalen Organisationen gemacht werden (Landman 2005). Das österreichische Außenministerium hebt die Menschenrechte als Maxime ihres Handelns besonders hervor. So hält der Außen- und Europapolitische Bericht 2016/2017/2018 das „Bekenntnis Österreichs zu einer Außenpolitik (getragen), die auf Dialog, Vermittlung, Multilateralismus und den Grundprinzipien der Menschenrechte aufbaut“, grundlegend fest.Footnote 7 Diese Positionierung trifft auf die Kooperation in menschenrechtlichen Materien mit den Vereinten Nationen zu (Thorhallsson und Eggertsdóttir 2020). Sie trifft allerdings weniger auf das menschenrechtliche Handeln innerhalb der EU sowie auf nationaler Ebene zu. Auf EU-Ebene ist die österreichische Beteiligung in der Menschenrechtspolitik von Zurückhaltung geprägt, auf der nationaler Ebene werden humanitäre Mittelkürzungen und in der Asylpolitik auch menschenrechtliche Verletzungen praktiziert.

So bewarb sich die österreichische Bundesregierung bereits zum zweiten Mal (nach 2011) erfolgreich um die Mitgliedschaft im Menschenrechtsrat der UN für die Zeit von 2019–2021. Die Bewerbungsunterlagen des Außenministeriums betonen die österreichische Brückenbaufunktion bei Menschenrechten in die Nachbarländer (Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres o. J.). Allerdings weisen die Diplomaten Franz Cede und Christian Prosl (2016) auch darauf hin, dass außenpolitische Aktivitäten oft wesentlich von der Rolle einzelner Diplomat*innen abhängen und weniger einer strategischen außenpolitischen Orientierung folgen. Dennoch ist festzuhalten, dass die österreichische menschenrechtliche Akzentuierung auf UN-Ebene auf eine lange Tradition und Profilierung verweisen kann.

Der Priorisierung der Menschenrechtspolitik, wie sie offizielle Berichte und die tatsächliche Mitwirkung in UN-Kommissionen belegen, steht die Kürzung von Geldern für humanitäre Projekte gegenüber. Helmut Kramer (2016, 54) hält fest: „Austria’s positive role in the field of disarmament and non-proliferation, Rule of Law and Human Rights in the United Nations refer to activities, initiatives and support of resolutions which do not burden the budget of the Foreign Ministry“. In der Bewertung der Intensität der humanitären Hilfe gehen die offizielle Darstellung des Außenministeriums und die Einschätzung durch Hilfsorganisationen weit auseinander. Das Ministerium betont die Unterstützungen die für verschiedene Zwecke geleistet werden, Hilfsorganisationen weisen darauf hin, dass Österreich nicht zuletzt vor dem Hintergrund zahlreicher Krisen und Kriege im Vergleich mit anderen Ländern ein sehr bescheidenes Budget zur Verfügung stellt. Nach Angaben von CARE Österreich hatte die österreichische Regierung im Jahre 2018 23 Mio. EUR für Humanitäre Hilfe zur Verfügung gestellt, die Schweiz 293 Mio. EUR, Dänemark 304 Mio. EUR und Deutschland über zwei Milliarden Euro (APA-OTS 2019). Es gilt also nach wie vor, dass dem großen Engagement bei Resolutionen etc. ein kleines Engagement bei finanziellen Hilfen gegenübersteht.

Zur Menschenrechtspolitik Österreichs im EU-Kontext hebt Höll (2010) von Beginn der EU-Mitgliedschaft bis ca. 2006 den außenpolitischen Fokus auf Themen wie Umwelt, Grundrecht- und Menschenrechte und Gleichberechtigung hervor. Pomorska (2017) betont ebenfalls, dass Österreich in dieser Zeit ein Förderer von Menschenrechten war, wie etwa beim Verbot von Landminen und den Rechten von Kindern (siehe auch Alecu De Flers 2012). Müller und Maurer (2016) kommen für die aktuelle Außenpolitik jedoch zum Ergebnis, dass Österreich wenig Interesse an einer aktiven Rolle zeige. Dies hänge u. a. damit zusammen, dass der Europäische Auswärtige Dienst sich als Menschenrechtsverteidiger verstehe und folglich Verletzungen eher thematisiere als einzelne Staaten (Terzi 2018). Österreich sei kein offensiver Gestalter, beteilige sich aber an Entscheidungen und trage wirtschaftliche Sanktionen gegenüber einzelnen Staaten, wie China und Ukraine, mit (Sjursen und Rosen 2017). Allerdings nimmt Österreich zunehmend eine zögerliche Haltung ein, wie das Beispiel der EU-Sanktionen gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen in Weißrussland im Jahre 2021 demonstrieren. Vorerst blockierte die österreichische Repräsentation, einige EU-Mitgliedsländer kritisierten die Haltung als Schutz heimischer Wirtschaftszweige, wie Banken, und schließlich trug Österreich die abgeänderten Sanktionen mit.Footnote 8 Eine zögerliche Haltung nahm die Europaministerin auch bei der Unterstützung der EU-Resolution gegen das ungarische LGBTQI-Gesetz ein (Hagen und Schmid 2021). In der Grenz- und Asylpolitik tritt nach dem Jahre 2015 die österreichische Bundesregierung einseitig für die Sicherung der EU-Außengrenzen ein und nimmt dabei immer wieder Verletzungen von Menschenrechtsstandards in Kauf (Rheindorf und Wodak 2017).

Unterschiedlich intensiv artikulierte menschenrechtliche Positionierungen von Regierungen haben unterschiedliche Gründe – in erster Linie machtpolitische und wirtschaftliche. Obwohl in internationalen Abkommen verankert, ist die Anwendung von Menschenrechten abhängig von elektoralen Dynamiken. Asyl ist in Österreich wiederholt Thema von heftiger Mobilisierung in Wahlkämpfen gewesen. Der Umgang mit Asylverfahren und die Rückführpolitik sind vor dem Hintergrund innenpolitischer Interessenslagen und Machtkonfigurationen zu bewerten. Ein weiterer Faktor, der die Rolle von Menschenrechten in der Außenpolitik beeinflusst, sind wirtschaftliche Interessen. Ein Beispiel dafür ist das oben erwähnte Vorgehen gegenüber der Verhängung von EU-Sanktionen gegen das belarussische Regime und einzelne Wirtschaftssektoren, ein weiteres ist der Widerstand zum EU-Mercosur-Handelsabkommen. In der langjährigen Debatte gegen das Handelsabkommen zwischen der EU und den Mercosurländern brachten die österreichischen Verhandler*innen die Gefährdung von Menschen- und Arbeitsrechten ein, allerdings gibt es die Vermutung, dass bei der Ablehnung im österreichischen Nationalrat primär die Verteidigung von Wettbewerbsinteressen einzelner Wirtschaftszweige ausschlaggebend waren.Footnote 9

4 Überwachung und Kontrolle

Auf der internationalen Ebene beteiligt sich das österreichische Bundesheer an der Überwachung von Menschenrechten im Rahmen von humanitärer Hilfe und friedensunterstützenden Missionen. Manfred Nowak diente von 2004 bis 2010 als Sonderberichterstatter der UN zu Folter und andere grausame und erniedrigende Behandlungen.

Innerhalb von Österreich übernehmen NGOs, Forschungseinrichtungen und Gerichte die nachprüfende Kontrolle. Allerdings fehlen unabhängige staatliche Institutionen, die sich der Weiterentwicklung der Menschenrechtssituation widmen würden. Die ehemalige Präsidentin der Richtervereinigung kritisiert folglich die geringe Priorität der Entwicklung der Menschenrechte in der österreichischen Politik (Helige 2011, 331). Nowak und Tretter (2007) urgieren ebenfalls eine unabhängige, nicht-gerichtliche Menschenrechtsinstitution, die sich der Erfüllung Menschenrechtsverpflichtungen sowie der Berichterstattung widmet.

Im Bundesministerium für Inneres richtete Innenminister Schlögl (SPÖ) im Jahre 1999 einen Menschenrechtsbeirat ein. Die Gründung ging auf Empfehlungen des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe zurück und wurde, nachdem der Asylwerber Marcus Omofuma in Polizeigewahrsam zu Tode kam, als Gremium zur Wahrung der Menschenrechte realisiert. Seit 2012 ist der Menschenrechtsbeirat allerdings mit geänderten Aufgaben bei der Volksanwaltschaft eingerichtet (Kucsko-Stadlmayer 2013). Die Verlagerung aus dem Innenministerium hin zu ehemaligen Berufspolitiker*innen wird hinsichtlich der fehlenden politischen Unabhängigkeit kritisiert.

Aus Anlass von 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte richtete die Bundesregierung 1999 in den Bundesministerien die Menschenrechtskoordinatoren und Menschenrechtskoordinatorinnen als Kontaktstellen bei Fragen des Menschenrechtsschutzes ein.Footnote 10 Auf der subnationalen Ebene hat alleine die Stadt Wien ein Büro zur Koordination des menschenrechtlichen Ansatzes in der Verwaltung geschaffen.Footnote 11 Der Ausschuss für Menschenrechte im österreichischen Nationalrat schließlich behandelt all jene Gesetzesvorlagen, Anträge und Berichte, die einen Grundrechtsbezug zeigen. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Tätigkeit und der Wirksamkeit dieser Gremien ist allerdings bislang nicht erfolgt.Footnote 12

Der fehlenden staatlichen Institution zur umfassenden Grundrechtskontrolle steht das Engagement von humanitären Nichtregierungsorganisationen gegenüber. Ihre Aufgabe sehen sie primär darin, über die Menschenrechtsentwicklung eine kritische Öffentlichkeit herzustellen, die Einhaltung von Bestimmungen zu überwachen, Verletzungen zu benennen und politischen Druck auf Entscheidungsträger*innen in Richtung effektiver Menschenrechtspolitik herzustellen (Fritsche 2016). Die älteste und bis heute aktive Menschenrechtsorganisation in Österreich, die sich der Aufgabe der Beobachtung und der periodischen Dokumentation widmet, ist die Liga für Menschenrechte (seit 1926).Footnote 13 Das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) setzt sich für den korrekten Asylzugang für von Verfolgung bedrohten Menschen ein und gibt Stellungnahmen zu asylrelevanten Gesetzesvorschlägen hinsichtlich des Einklangs mit internationalen Standards ab. Amnesty International/Österreich beobachtet ebenfalls die Lage hinsichtlich Nicht-Diskriminierung, sozialer Sicherheit und den Rechten von Asylwerber*innen und Geflüchteten und dokumentiert und evaluiert diese in regelmäßigen Berichten.Footnote 14 Der Amnesty-Bericht von Jänner 2021 gibt darüber hinaus Auskunft über menschenrechtliche Herausforderungen im Kontext der Covid-19 Pandemie (Amnesty International 2020). SOS Mitmensch ist eine nationale NGO, die im Zuge des sog. Lichtermeers gegen das „Österreich zuerst-Volksbegehren“ gegründet wurde, und die über Medien zu (fehlender) Gleichberechtigung und Chancengleichheit aller Menschen informiert, protestiert und so, nach Eigendarstellung, Druck auf Entscheidungsträger*innen ausübt.Footnote 15

Diese NGOs kritisieren den Umgang mit Flucht und Geflüchteten, die Zurückweisung bzw. die Art der Unterbringung an den europäischen Außengrenzen sowie den erschwerten Zugang zu Schutz und Asyl. Weiters stellen nationale und internationale Gerichte, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, ein Korrektiv zu Einschränkungen von Menschenrechten dar. So hatte beispielsweise das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich im Jahre 2021 entschieden, dass im Einzelfall die Unterbringung von Asylwerber*innen in einer abgesperrten Anlage ein Verstoß gegen das Recht auf persönliche Freiheit darstellt.

5 Resümee

In der Menschenrechtspolitik ist die Auflösung der Trennung von Außen- und Innenpolitik weit fortgeschritten. Diese Unschärfe hängt einerseits mit der Europäisierung relevanter Politikfelder zusammen, andererseits mit der steigenden Bedeutung von Migrations- und Asylpolitik im nationalen Kontext. Je stärker eine restriktive Migrations- und Asylpolitik die innenpolitische Landschaft dominiert, je mehr wird das Spannungsverhältnis von universellen Rechten und nationalstaatlicher Handlungsmacht ausgereizt. Das Pendel schlägt in Richtung nationale, parteipolitische Interessen und die Menschenrechte geraten dadurch unter Druck. Auf der EU-Ebene ist Österreich in menschenrechtlichen Entscheidungen kein „Driver“ (mehr), sondern zunehmend ein (widerwilliger) „Follower“.

Diese Entwicklung betrifft nicht im selben Ausmaß das österreichische Handeln auf der UN-Ebene (abgesehen vom UN-Migrationspakt 2018). Tatsächlich gilt hier Österreich als Förderer der Menschenrechtspolitik – ein Profil, das sich in temporären Mitgliedschaften wie im UN-Menschenrechtsrat niederschlägt. Die Kluft zwischen dem UN-Menschenrechtsprofil und den geforderten bzw. praktizierten Einschränkungen von Menschenrechten im Asylbereich wächst zunehmend. Die Problematik der Menschenrechte für Nicht-Staatsbürger*innen ebenso wie die fehlenden staatlichen Einrichtungen zum Monitoring und als Stimme für Menschenrechte für alle werden weiterhin die Menschenrechtspolitik an den Schnittstellen zwischen Außen- und Innenpolitik, sowohl auf der nationalen wie auf der EU-Ebene beschäftigen.

Weiterführende Quellen

Außen- und Europapolitische Berichte des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten. Die Berichte dokumentieren Selbstverständnis und Aktivitäten der Außenpolitik. Sie geben die offizielle Sichtweise wieder. Die Berichte sind über die Website des Parlaments sowie über das Außenministerium (Name variiert von der Regierungskonstellation) zugänglich.

Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte: Das außeruniversitäre Institut, das in Kooperation mit der Universität Wien steht, betreibt unabhängige Menschenrechtsforschung, forciert den Diskurs über Menschenrechte, gibt regelmäßig Jahrbücher heraus und engagiert sich in Beratung und Monitoring.

European Yearbook on Human Rights: Herausgegeben von Wissenschafter*innen im Umfeld des Österreichischen Instituts für Menschenrechte an der Universität Salzburg. Bislang sind elf Bände erschienen, die sich allgemeinen Grundlagen und Entwicklungen sowie Schwerpunktthemen widmen. Das Jahrbuch 2020 konzentriert sich auf Menschenrechte und Kinder.