Zusammenfassung
Vertreterinnen und Vertreter der Erziehungswissenschaft haben in jeder Hinsicht ein vitales Interesse daran, ob die jeweiligen Berufskulturen (Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildner) den potenziellen Status einer Profession haben oder nicht. Denn wer sich als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler mit „einfachen“ Berufen (etwa denen des Handwerks), akademischen Berufen (etwa solchen im Kontext der Wissensgesellschaft) oder gar den altehrwürdigen Professionen (Juristen, Mediziner, Geistliche) beschäftigt, der kann ganz generell die Erwartung hegen, dass die Reputation und das Image der jeweiligen sozialen Einheit auf die eigene akademische Zunft ausstrahlt, ja vielleicht sogar auf diese abfärbt. Wie bei keinem anderen Thema ist daher der Erziehungswissenschaftler bei der Erkundung der Frage nach dem Mandat und der Lizenz pädagogischer Berufe selbst in den Gegenstand des wissenschaftlichen Diskurses verstrickt. Diese Überlegung wurde – warum eigentlich (?) – in der Debatte über die Rolle und die Relevanz pädagogischer Berufe in der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten weitgehend ausgeblendet. Was hat die Leserin beziehungsweise der Leser von dem vorliegenden Beitrag zu erwarten? In einem ersten Schritt diskutiert der Autor dieses Beitrags die Frage, welchen Stellenwert die Kategorie „Profession“ in den großen Gesellschaftsentwürfen bei den sogenannten Meisterdenkern – Luhmann, Habermas und Beck – einnimmt. Danach knüpft er den Fortschritt in der Argumentation an die Notwendigkeit, eine präzise Bestimmung von Profession, Professionalität und Professionalisierung vorzunehmen. Dieser Forderung versucht der Autor selbst gerecht zu werden. Das stark an die real existierende bürgerliche Gesellschaft gebundene Konzept der Profession wird, so die zentrale Botschaft des Autors, als nicht mehr zeitgemäß eingestuft, während den Kategorien Professionalität und Professionalisierung eine ungebrochene Aktualität attestiert wird. Da der Autor es für einen strategischen Fehler hält, neben den Professionalisierungschancen auch die Limitierungen einer weiteren Verberuflichung in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung präzise zu bestimmen, kapriziert er sich im weiteren Darstellungsverlauf allein auf diese Thematik. Exemplarisch werden drei wichtige Begrenzungen genannt und in ihrer Funktionsweise beschrieben. In einem letzten Darstellungsschritt begründet der Autor die berufspolitische Strategie, dass der zukünftige Erfolg von erfolgreichen Schritten der Verberuflichung in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung letztlich an die Dynamik und Fortschritte einer bildungsbereichsübergreifenden Professionalisierung gebunden sein wird und die Option einer separaten Professionalitätsentwicklung letztlich scheitern wird.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, den von uns genutzten Systembegriff kurz anzudeuten. Im pädagogisch organisierten System des lebenslangen Lernens – damit ist die Einheit von Erziehung und Bildung und die Einheit von non-formalem und formalem Lernen (und die Ausblendung des informellen Lernens) präsupponiert – kulminieren Prozesse der Modernisierung und der Systemschließung zugleich. Mit diesem Begriff bezeichnen wir ein soziales Aggregat auf der Ebene eines gesellschaftlichen Funktionssystems, das die arbeitsteilige Gestaltung der Humanontogenese und damit den Aufbau und die Veränderung von Identitätsformationen zum Ziel hat. Es sichert über den gesamten Lebenslauf die Lernbereitschaft und die Bereitstellung organisierter Lernarrangements. Auf diese gelingt es der Gesellschaft, die Dynamik des sozialen Wandels und die ungleichzeitige biografische Entwicklung zu synchronisieren.
- 2.
Im Zuge weiterer Konkretisierungsschritte zeichnen sich deutlich die allgemeinsten Attribute professionalisierter Handlungs-, Beziehungs- und Wissensmuster ab. So müsse bei der interaktiven Krisenbewältigung der aus der Psychoanalyse entlehnte Modus der stellvertretenden Deutung und ein diesbezügliches vertrauensvolles Arbeitsbündnis zwischen Klientin beziehungsweise Klient und Professionellen hergestellt werden; die Beziehungsdynamik zwischen Professionellen und Klientin beziehungsweise Klient oder Patientin beziehungsweise Patient sei hier durch die widersprüchliche Einheit universell-spezifischer und partikular-diffuser Rollenanteile gekennzeichnet und die professionelle Wissensstruktur zeichne sich durch die Applikation abstrakter wissenschaftlicher Kategorien ebenso aus wie durch das Verstehen der singulären Krisenphänomene in der Sprache des Einzelfalls. Die Logik des professionellen Handelns sei zwischen der lebenspraktischen Anforderung eines gesteigerten Handlungsdrucks und des der Wissenschaft entlehnten gesteigerten Begründungszwangs angesiedelt.
- 3.
Wie stark sich die Realitäten des Arztberufs in den letzten fünfzig Jahren verändert haben, kann man daran ermessen, dass mittlerweile die allermeisten Mediziner in großen Organisationen, sprich Krankenhäusern, tätig sind.
- 4.
Auch müsste im Kontext der Weiterbildung angesichts des Wegfalls der Schulpflicht und eines erwachsenen Klientels das Niveau der Professionalisierung in der Erwachsenenbildung ungleich größer sein als in der Schule (auch davon kann keine Rede sein).
- 5.
Hierbei handelt es sich um zwei oder mehrere Erwartungen und Anforderungen, die sich handlungslogisch ausschließen, in der konkreten Handlung aber dennoch zusammen gebracht werden müssen.
Literatur
Beck, U. (1986). Risikogesellschaft: Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Breidenstein, G., & Schütze, F. (Hrsg.). (2008). Paradoxien in der Reform der Schule. Ergebnisse qualitativer Sozialforschung. Wiesbaden: VS Verlag.
Detka, C. (2013). Aneignungsprozesse bei Patienten aus Ärztesicht. In D. Nittel & A. Seltrecht (Hrsg.), Krankheit: Lernen im Ausnahmezustand? Brustkrebs und Herzinfarkt aus interdisziplinärer Perspektive (S. 491–499). Berlin: Springer.
Durkheim, E. (1999). Über soziale Arbeitsteilung: Studien über die Organisation höherer Gesellschaften. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Faulstich, P. (1996). Höchstens ansatzweise Professionalisierung. Zur Lage des Personals in der Erwachsenenbildung. In W. Böttcher (Hrsg.), Die Bildungsarbeiter: Situation – Selbstbild – Fremdbild (S. 50–80). Weinheim: Juventa.
Hughes, E. C. (1994). On work, race, and the sociological imagination. Chicago: University of Chicago Press.
Kemnitz, H., & Nittel, D. (2012). Stichwort: Professionalität. In K.-P. Horn, H. Kemnitz, W. Marotzki, & U. Sandfuchs (Hrsg.), Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft (Bd. 3, S. 34 f.). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Kipper, J. (2014). Die lernende Organisation? Personalentwicklung und Qualitätsmanagement – pädagogische Wissensformen und Technologien in Großunternehmen. Berlin: epubli.
Lenzen, D. (1997). Lebenslauf oder Humanontogenese? Vom Erziehungssystem zum kurativen System – von der Erziehungswissenschaft zur Humanvitologie. In D. Lenzen & N. Luhmann (Hrsg.), Bildung und Weiterbildung im Erziehungssystem. Lebenslauf und Humanontogenese als Medium und Form (S. 228–247). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Luhmann, N. (1983). Legitimation durch Verfahren. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Luhmann, N. (1999). Funktionen und Folgen formaler Organisation. Berlin: Dunker & Humblot.
Luhmann, N. (2000). Organisation und Entscheidung. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Nittel, D. (2000). Von der Mission zur Profession? Stand und Perspektiven der Verberuflichung in der Erwachsenenbildung. Bielefeld: Bertelsmann.
Nittel, D. (2001). Das Berufsfeld „Erwachsenenbildung“ im Wandel. In Grundlagen der Weiterbildung (Handbuch) (S. 450–480). Neuwied: Luchterhand.
Nittel, D. (2002). Professionalität ohne Profession? Gekonnte Beruflichkeit im Medium narrativer Interviews. In M. Kraul, W. Marotzki, & C. Schweppe (Hrsg.), Biographie und Profession (S. 253–286). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Nittel, D. (2003). Pädagogisches Handeln von „Nichtpädagogen“. Rekonstruktion eines narrativen Interviews mit einem Protagonisten der beruflichen Bildung. Hessische Blätter für Volksbildung, 3, 265–276.
Nittel, D. (2004a). Die Veralltäglichung pädagogischen Wissens – Im Horizont von Profession, Professionalisierung und Professionalität. Zeitschrift für Pädagogik, 3, 342–357.
Nittel, D. (2004b). Berufliche Selbstbeschreibungen und Biographie: Über die Kongruenz erwachsenenpädagogischer Ansprüche und deren Verwirklichung. In W. Bender (Hrsg.), Lernen und Handeln – Eine Grundfrage der Erwachsenenbildung (S. 343–359). Schwalbach/Ts: Wochenschau.
Nittel, D. (2009). Die Erwachsenenbildner. In G. Mertens, U. Frost, W. Böhm, & V. Ladenthin (im Auftrag der Görres Gesellschaft): Handbuch der Erziehungswissenschaft: Bd. II. Erwachsenenbildung/Weiterbildung (bearbeitet Fuhr, T. et al., S. 1227–1245). Paderborn: Schöningh.
Nittel, D. (2011). Von der Profession zur sozialen Welt pädagogisch Tätiger. Vorarbeiten zu einer komparativ angelegten Empirie pädagogischer Arbeit. Beiheft zur Zeitschrift für Pädagogik Nr. 57, Thema: Professionalität in der Pädagogik, 2011, 40–60.
Nittel, D. (2013). Zwischen Verberuflichung und Professionalität: Professionalisierungsdynamiken und Anerkennungskämpfe in der sozialen Welt der Erzieherinnen und Weiterbildner. In B. Käpplinger, S. Robak, & S. Schmidt-Lauff (Hrsg.), Engagement für die Erwachsenenbildung. Ethische Bezugnahmen und politische Verantwortung (S. 111–129). Wiesbaden: Springer VS.
Nittel D. (2017). Ein System in statu nascendi. Auf dem Weg zum pädagogisch organisierten System des lebenslangen Lernens? In R. Arnold (Hrsg.), Systemtheorie und Hermeneutik (Band ist im Entstehen).
Nittel, D., & Dellori, C. (2014). Die soziale Welt der Erwachsenenbildner. Der Blick der komparativen erziehungswissenschaftlichen Berufsgruppenforschung auf die Grenzen der Professionalisierung der Erwachsenenbildung. In M. P. Schwarz, W. Ferchhoff, & R. Vollbrecht (Hrsg.), Professionalität: Wissen – Kontext. Sozialwissenschaftliche Analysen und pädagogische Reflexionen zur Struktur bildenden und beratenden Handelns (S. 457–499). Opladen: Budrich.
Nittel, D., & Marotzki, W. (Hrsg.). (1997). Berufslaufbahn und biographische Lernstrategien. Eine Fallstudie über Pädagogen in der Privatwirtschaft (Unter Mitarbeit von Peter Alheit, Jochen Kade, Ulrike Nagel, Thomas Reim, Sylvia Kade et al., Herausgabe des Bandes mit Wilfried Marotzki). Baltmannsweiler: Schneider Verlag.
Nittel, D., & Schütz, J. (2015). „Werde, der Du bist“ – Selbstwirksamkeitserwartungen und individuelle Professionalisierung von Erwachsenenbilderinnen und Erwachsenenbildnern. In N. Justen & B. Mölders (Hrsg.), Professionalisierung und Erwachsenenbildung. Selbstverständnis, Entwicklungslinien, Herausforderungen (S. 59–75). Opladen: Budrich.
Nittel, D., & Seltrecht, A. (2008). Der Pfad der „individuellen Professionalisierung“. Ein Beitrag zur kritisch-konstruktiven erziehungswissenschaftlichen Berufsgruppenforschung. BIOS, 2008(1), 124–145.
Nittel, D., Schütz, J., & Tippelt, R. (2014). Pädagogische Arbeit im System des lebenslangen Lernens. Ergebnisse komparativen Berufsgruppenforschung. Weinheim: Juventa.
Nittel, D., Schüssler, K., & Seifert, L.-C. (2016). Das pädagogische Handeln von Ärzten. Der Beitrag von Bildanalysen zur Annäherung an die Vermittlungs- und Beratungsarbeit einer nicht pädagogischen Berufsgruppe. In G. Burkart & M. Nikolaus (Hrsg.), Die Welt anhalten. Von Bildern, Fotografie und Wissenschaft. Weinheim: Juventa.
Oevermann, U. (1996). Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten Handelns. In A. Combe & W. Helsper (Hrsg.), Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns (S. 70–182). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Parsons, T. (1965). Struktur und Funktion der modernen Medizin. Eine soziologische Analyse. In R. König, & M. Tönnesmann, (Hrsg.), Probleme der Medizin: Bd. 3. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (S. 10–57). Opladen: VS Verlag.
Parsons, T. (1968a). Professions. In D. L. Sills (Hrsg.), International encyclopedia of the social sciences (Bd. 12, S. 536–546). New York: Macmillan.
Parsons, T. (1968b). The professions and the social structure. Social Forces, 1939(17), 457–467.
Schleifenbaum, D., & Walther, V. (2016). Kooperation auf dem Prüfstand. Wie die pädagogische Praxis wahrnimmt und gestaltet. Bielefeld: Bertelsmann.
Schröder, A. (2010). Professionalisierungsprozesse zwischen ökonomischer Rationalität und sozialer Orientierung: Managerbiographien in den Bereichen Personalwesen und Produktentwicklung. Opladen: Budrich.
Schütze, F. (1988). Zur Relevanz kommunikativer Sozialforschung für die Supervision. In N. Lippenmeier (Hrsg.), Beiträge zur Supervision (Bd. 3, S. 262–370). Kassel: Gesamthochschule.
Schütze, F. (1996). Organisationszwänge und hoheitsstaatliche Rahmenbedingungen im Sozialwesen: Ihre Auswirkungen auf die Paradoxien des professionellen Handelns. In A. Combe & W. Helsper (Hrsg.), Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns (S. 183–275). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Schütze, F. (2013). Alltägliche Kategorisierungs-, Typisierungs- und Klassifikationstätigkeit der Ärzte als gekürzte professionelle Erkenntnis- und Vermittlungszuwendung. In H. Herzbergd & A. Seltrecht (Hrsg.), Der soziale Körper, Interdisziplinäre Zugänge zur Leiblichkeit (S. 227–290). Opladen: Budrich.
Schütze, G. (1992). Sozialarbeit als „bescheidene“ Profession. In B. Dewe, W. Ferchhoff, & F.-O. Radke (Hrsg.), Erziehen als Profession. Zur Logik professionellen Handelns in pädagogischen Feldern (S. 132–170). Opladen: Budrich.
Stichweh, R. (1996). Professionen in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft. In A. Combe & W. Helpser (Hrsg), Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns (S. 41–69). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Tietgens, H. (1962a). Ausbildung für hauptberufliche Leiter und Mitarbeiter. Hessische Blätter für Volksbildung, 4, 456–461.
Tietgens, H. (1962b). Warum hauptberufliche Mitarbeiter? Volkshochschule im Westen, 5, 255–258.
Tietgens, H. (1973). Tätigkeitsfelder innerhalb der Erwachsenenbildung. In D. Pinkerneil (Hrsg.), Alternativen. Die Berufsaussichten des Geisteswissenschaftlers außerhalb der Schule (S. 139–152). Kronberg: Scriptor.
Tietgens, H. (1976). Zum Berufsbild der Mitarbeiter an Volkshochschulen. Hessische Blätter für Volksbildung, 2, 99–107.
Tietgens, H. (1985). Zur Zukunft eines Studiums der Erwachsenenbildung. Zeitschrift für Pädagogik, 5, 597–612.
Tietgens, H. (1988). Professionalität für die Erwachsenenbildung. In W. Gieseke, et al. (Hrsg.), Professionalität und Professionalisierung (S. 28–75). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Wrogemann, A. (2010). Berufsbiografie – Karriere – Lernen: Eine qualitative Studie über die Lebensgeschichten von Führungskräften. Univ. Diss., Frankfurt a. M.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2018 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
About this chapter
Cite this chapter
Nittel, D. (2018). Professionalisierung der Erwachsenenbildung: Die Grenzen eines ambitionierten Projekts. In: Dobischat, R., Elias, A., Rosendahl, A. (eds) Das Personal in der Weiterbildung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-17076-9_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-17076-9_2
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-17075-2
Online ISBN: 978-3-658-17076-9
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)