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Analyse, Diagnose, Therapie? Versuch einer kritischen Neubestimmung der spätmodernen Sozialformation

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Handbuch Kritische Theorie

Zusammenfassung

Das in diesem Aufsatz entwickelte Argument lautet, dass sich die kapitalistische Moderne strukturell als eine Sozialformation definieren lässt, die sich nur im Modus dynamischer Stabilisierung, d. h. durch Wachstum, Beschleunigung und Innovation reproduzieren kann. Kulturell wird diese Sozialformation von dem Projekt der (Welt-)Reichweitenvergrößerung angetrieben, d. h. von dem Versuch, die Welt immer verfügbarer, beherrschbarer und erreichbarer zu machen. Dies führt strukturell zu Pathologien der Desynchronisation, kulturell zu Formen von Entfremdung. Deswegen bedarf es eines grundsätzlichen Paradigmenwechsels, der erstens strukturell die dynamische Stabilisierung durch einen Modus adaptiver Stabilisierung ersetzt, und zweitens kulturell das Projekt der Reichweitenvergrößerung gegen einen Entwurf vom guten Leben eintauscht, der auf dem Begriff der Resonanz basiert.

Dieser Text basiert zentral auf einem englischsprachigen Manuskript, das Niklas Angebauer höchst kompetent und sorgfältig ins Deutsche übertragen hat, wofür ich ihm großen Dank schulde!

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Notes

  1. 1.

    Dieses Argument steht gedanklich natürlich Ideen der ersten Generation der Kritischen Theorie sehr nahe, insbesondere Adornos und Horkheimers Begriff der instrumentellen Vernunft (Horkheimer und Adorno 1984) oder der ‚prometheischen‘ Geisteshaltung des modernen Menschen in Triebstruktur und Gesellschaft (Marcuse 1977).

  2. 2.

    Diese Idee übernehme ich aus Fritz Reheis bedeutendem Werk Kreativität der Langsamkeit (1996).

  3. 3.

    Vgl. Savulescu und Bostrom 2011.

  4. 4.

    Wittchen und Jacobi (2006) schätzen, dass jährlich zwischen fünf und sechs Millionen deutsche Erwachsene (zwischen 18 und 65) und mehr als 20 Millionen Europäer von Depression betroffen sind.

  5. 5.

    Vgl. Bschor et al. 2004.

  6. 6.

    Dieser Abschnitt folgt der Argumentation, die in Rosa et al. 2017 entwickelt wird.

  7. 7.

    Diesen Begriff der Entfremdung und die damit einhergehende Theorie der Resonanz entwickle ich umfassender und detaillierter in Rosa 2016.

  8. 8.

    Für den Begriff der Selbstwirksamkeit siehe Bandura 1993.

  9. 9.

    Das notorische Problem mit dieser Aussage ist, dass sie immer gleich den Einwand provoziert, zwar könne das Subjekt in seiner Interaktion mit dem Ozean, einer Geige o .ä. transformiert werden, nicht aber diese Dinge selbst. Nun beruht erstens das Beharren darauf, dass nur Menschen zu derartigen Reaktionen in der Lage seien, auf einer möglicherweise nicht ganz so unschuldigen Epistemologie wie es zunächst scheinen mag (nämlich auf einer „asymmetrischen Anthropologie“, Latour 2008, siehe auch Descola 2013). Zweitens kann nicht bezweifelt werden, dass die erlebte Welt sich tatsächlich in solchen Begegnungen wandelt: Was die Geige und der Ozean für uns sind entwickelt sich weiter, und was sie ‚an sich‘ sind, werden wir ohnehin nie wissen.

  10. 10.

    Dies ist eine der zentralen Argumentationslinien in Rosa 2016.

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Rosa, H. (2019). Analyse, Diagnose, Therapie? Versuch einer kritischen Neubestimmung der spätmodernen Sozialformation. In: Bittlingmayer, U., Demirović, A., Freytag, T. (eds) Handbuch Kritische Theorie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-12695-7_69

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