Zusammenfassung
Kritische Theorie ist getragen von einem fundamentalen Misstrauen gegenüber der Einrichtung der Welt. Schließlich ist dies eine Welt, die den Menschen einzig als disponible Größe zur Auspressung von Mehrwert, ihr Anderes, Natur rein als Gegenstand einer freihändlerischen Nützlichkeit kennt. Diese Verhältnisse umzustürzen, steht im Zentrum aller Anstrengungen der Kritischen Theorie. Damit knüpfen Horkheimer und andere an Marx und Engels an, gehen aber insofern über sie hinaus, als sich ihnen die Einrichtung der richtigen Gesellschaft gerade nicht als naturgeschichtlicher Prozess darstellt. Ausgangspunkt der Kritischen Theorie ist die Frage nach dem Scheitern der Revolution. Mit der ‚Machtergreifung‘ des Nationalsozialismus, mehr noch mit der Vernichtung der europäischen Juden spitzt sich diese Selbstreflexion der Lehre Marx’ und Engels’ noch einmal zu. Nicht mehr länger die kapitalistische Produktionsweise allein steht im Zentrum der Überlegungen, sondern die auf Naturbeherrschung eingestellte abendländische Kultur insgesamt. Trotz dieser neuen Reflexionsstufe aber bleibt die Kritische Theorie eine Emanzipationstheorie, der es um eine Welt geht, in der die Gewalt gegen Mensch und Natur gleichermaßen endlich aufhören.
Bei der hier vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine geringfügig veränderte Version eines Aufsatzes, der zuerst unter dem Titel Was ist kritische Theorie. Eine Einladung im von Heinz Gess herausgegebenen Kritiknetz. Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft im August 2011 veröffentlicht wurde.(http://www.kritiknetz.de/index.php/kritischetheorie/1064-was-ist-kritische-theorie-eine-einladung).
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Notes
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Wenige Tage vor seinem Tode im August 1969 hat Theodor W. Adorno einen kleinen Text verfasst, den er Zur Spezifikation der kritischen Theorie überschrieben hat. In gedrängter Form formuliert er hierin thesenhaft „das Unterscheidende der kritischen Theorie nicht nur von der traditionellen sondern auch von der Marxischen … Selbstverständlich handelt es sich dabei nicht um definitive Theoreme, sondern eher um die Absteckung einiger Zonen, in denen man vielleicht am besten erkennen kann, was kritische Theorie eigentlich ist. Ich habe dabei vorwiegend an deine beiden Bände [die beiden 1968 in Frankfurt am Main veröffentlichten Bände Kritische Theorie; D.L.] gedacht und nicht an das, was wir später angestellt haben, obwohl das selbstverständlich nicht auszuschließen war“ (Theodor W. Adorno Archiv 2003, S. 290; zu Adornos Spezifikation vgl. Braunstein 2014).
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Was man dereinst von Marx’ und Engels’ Manifest gesagt hat, gilt wohl ohne jeden Abstrich auch für die Einführung in die kritische Theorie. Durchaus wiegt auch sie ganze Regalmeter von Büchern auf. Vorliegende Arbeit verdankt der kleinen Schrift Türckes und Boltes so viel, dass darauf verzichtet wird, jeden Punkt und jedes Komma im Einzelnen als auf die Einführung der genannten Autoren zurückgehend auszuweisen. Überaus bedauerlich ist, dass der Band heute allein noch antiquarisch und wenn überhaupt nur für teures Geld zu haben ist.
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3 28.716 Freilich ist das Institut für Sozialforschung nicht erst mit der Übernahme des Direktorenamtes durch Horkheimer entstanden. Die Gründung fällt bereits ins Jahr 1924 und kann als Frucht einer Zusammenkunft kommunistischer Intellektueller im Frühjahr 1923 angesehen werden (zur Frühgeschichte des Instituts vgl. Migdal 1981). Insofern hat es bereits vor 1931 wenngleich auch „zaghafte Vorläufer“ (Türcke und Bolte 1994, S. 19) einer solchen Selbstreflexion des Marxismus gegeben. Hierzu zählt etwa Karl Korsch (vgl. Korsch 1971), aber ebenso und vor allem Georg Lukács (vgl. Lukács 1968), dessen Geschichte und Klassenbewußtsein so überaus einflussreich für die Kritische Theorie war.
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Michael Schwandt hierzu: „Offenbar stellte sich vor allem die Erklärung der Umsetzung ökonomische Basisprozesse in Bewusstseinsinhalte wesentlich komplizierter dar, als in den Tagen der Klassiker der politische Ökonomie vermutet. Der Psychologie, der wissenschaftlichen Disziplin zur Erforschung des Geistes- und Seelenlebens, wurde daher ein zentraler Platz eingeräumt, und die psychoanalytische Strömung erschien Horkheimer als deren fortgeschrittenste und kritischste Gestalt“ (Schwandt 2009, S. 62).
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Hierzu erneut Schwandt: „Nicht gesellschaftliche Vorgänge werden also, wie oft vorschnell behauptet wird, durch die Psychoanalyse psychologisiert, sondern im Gegenteil erscheint in der psychoanalytischen Betrachtung das ins innerpsychische eingewanderte Gesellschaftliche als die über den Einzelnen dominierende, weil strukturgebende Kraft“ (Schwandt 2009, S. 67).
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So etwa in der berühmten Formel Georgi Dimitroffs, nach der der Faschismus „die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ ist (Dimitroff 1957, S. 87; Hervorh. getilgt; zur Diskussion um den Nationalsozialismus am Institut für Sozialforschung vgl. Dahmer 2014).
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Der Totalitarismus der kapitalistischen Gesellschaft ist nicht bezogen auf die Gesellschaften, die die Totalitarismus- oder Extremismustheorie als solche begreifen möchte. Zur Totalität drängt auch die kapitalistische Gesellschaft.
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Lehmann, D. (2015). Was ist Kritische Theorie. Eine Einladung. In: Dammer, KH., Vogel, T., Wehr, H. (eds) Zur Aktualität der Kritischen Theorie für die Pädagogik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09569-7_2
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