Zusammenfassung
Wir sind heute gewohnt, unter Schuld die moralische oder strafrechtliche Verantwortung des einzelnen Täters für vorwerfbare Entscheidungen zu verstehen, auf die mit Strafe oder sozialen Sanktionen reagiert wird. Wenn hingegen von kollektiver Schuld die Rede ist, dann wird dies in der Regel entweder als eine abkürzende Redeweise verstanden, die die moralische und rechtliche Schuld vieler Einzelner zusammenfasst, oder als eine primitive Denkweise beurteilt, die unsinnigerweise Personen nicht aufgrund ihrer eigenen Entscheidungen, sondern als Mitgliedern einer Familie, Ethnie oder Nation eine Schuld an etwas zuschreibt, das zu verhindern gar nicht in ihrer Macht lag. Der Artikel behandelt wichtige Veränderungen der Schuldsemantik seit der Antike bis zum heutigen Verständnis persönlicher Schuld im moralischen und rechtlichen Bereich. Im letzten Teil geht es um die Schwierigkeiten, die sich aus der modernen Individualisierung und Moralisierung des Schuldbegriffes sowohl für die Alltagspraxis als auch für den angemessenen Umgang mit kollektiven Verbrechen ergeben.
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Lotter, MS. (2017). Verantwortung und Schuld. In: Heidbrink, L., Langbehn, C., Loh, J. (eds) Handbuch Verantwortung. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06110-4_17
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