Katatonie — 130 Jahre nach Karl Ludwig Kahlbaum

Zusammenfassung

Vor mehr als 20 Jahren erschien in der Zeitschrift Psychological Medicine ein Editorial, dessen Titel in Abwandlung einer bekannten Liedzeile die melanchonisch anmutende Frage stellte: »Where have all the catatonics gone?º (Mahendra 1981). Anlass der darin enthaltenen Überlegungen war die Beobachtung, dass die Inzidenz und Prävalenz der Katatonie schon seit den 1930er Jahren deutlich rückläufig ist. Angesichts der Schwere katatoner Zustandsbilder, wie sie in den klassischen Textbüchern der Psychiatrie beschrieben sind, und angesichts der bei ihnen auch heute noch drohenden Behandlungskomplikationen brachte diese Frage sicherlich kein Verlustempfinden, wohl aber eine gewisse Ratlosigkeit der psychiatrischen Zunft zum Ausdruck. Konnte es sein — und wenn ja: wie konnte es sein? — dass eines der eindrücklichsten und lange Zeit keineswegs seltenen klinischen Zustandbilder aus den Gründertagen der neuzeitlichen Psychiatrie, die Katatonie, allmählich aus dem Behandlungsalltag verschwunden zu sein schien? Eine als eigenständig gedachte nosologische Entitächst (Kahlbaum 1874), dann eine Unterform der Dementia praecox (Kraepelin 1913), deren Realtät Generationen von Medizinern und Klinischen Psychologen außer Zweifel stand? Deren Namen gleicham synonym war mit der Vielfalt motorischer und psychomotorischer Abnormtäten, die bei psychotisch erkrankten Patienten beobachtet werden konnten und mit denen unweigerlich jeder Besucher konfrontiert wurde, der im späten 19. order frü 20. Jahrhundert eine psychiatrische Klinik betrat?