Wird das deutsche Parteiensystem „europäischer“?

Zusammenfassung

In den Anfängen der Geschichte der Bundesrepublik war aufgrund der starken Fragmentierung des Parteiensystems nach der Bundestagwahl 1949 die Befürchtung groß, dass das auf neuer verfassungsrechtlicher Grundlage normierte Gemeinwesen in die Probleme der Weimarer Republik zurückfällt und instabile Regierungen zum Wegbegleiter der neuen Republik werden. Im Gegensatz zu den Befürchtungen kam es bekanntlich zu einer relativ schnellen Konzentration und Konsolidierung des Parteiensystems im Laufe der 1950er Jahre (Alemann 2001; Niedermayer 2007). In den nachfolgenden Jahrzehnten galt das westdeutsche Parteiensystem bis weit in die 1980er sogar als hyperstabil. Erste Erosionserscheinungen der Hyperstabilität deuteten sich mit der Etablierung der Grünen in den 1980er Jahren an und verstärkten sich in den 1990er Jahren – ausgelöst durch die deutsche Einheit als historische Zäsur. Die Gründe und Merkmale dieser Erosion werden in der Forschungsliteratur ausführlich beschrieben: Sozialstruktureller Wandel (Tertiarisierung und Pluralisierung der Gesellschaft), abnehmende Parteiidentifikationen und Milieubindungen, zunehmende Volatilität des Wahlverhaltens (Anstieg der Wechselwahlbereitschaft und Protestwahl, sinkende Wahlbeteiligung), Verdichtung sozialer Problemlagen (Prekarisierung), Abschwächung des religiösen Cleavage, nachlassendes Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit von Parteien, wachsende Parteiendistanz sowie Abnahme der Demokratiezufriedenheit (Decker 2007). Auf der Ebene des Parteiensystems manifestiert sich die Erosion vor allem in der nachlassenden Integrations- und Bindungsfähigkeit der beiden großen Volksparteien, einer weiteren Ausdifferenzierung der Parteienlandschaft sowie schwieriger werdenden Mehrheits- und Regierungsbildungen.