Auszug
Kritik und Diskussion von Normalitätsannahmen, auch solcher, die im eigenen Forschungsprozess produziert und reproduziert werden, gehören — mindestens programmatisch — zu den Selbstverständlichkeiten der scientific community. Dies gilt für die Biographie- und Migrationsforschung in besonderer Weise. In der Biographieforschung hat, vor allem in den 1980er Jahren, eine theoretische und empirische Auseinandersetzung mit dem Konzept der ‚Normalbiographie‘ stattgefunden und eine kritisch-reflexive Distanzierung zu Gegenstand und Methode bewirkt, die seitdem als Qualitätsausweis der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Biographien gilt. Auch für die Migrationsforschung ist das Thema Normalität bedeutsam, allein weil Migrationsphänomene bestehende gesellschaftliche Normalitäten sichtbar machen und herausfordern. So kann die mit der Wanderung von Menschen und ihren ‚neuen Anwesenheiten‘ einhergehende gesellschaftliche Erfahrung als Provokation verstanden werden, die Fragen der ‚technischen‘ Bewahrung und Durchsetzbarkeit von Normalität auf den Plan ruft, aber auch die Legitimitä von Normalitätsordnungen problematisiert. Migrationsforschung beschreibt hierbei nicht allein Normalitätsordnungen und ihren durch Migration angestoßenen Wandel, sie muss auch selbst als Herstellerin von Normalität und als ihre Kritikerin verstanden werden. Migrationsforschung ist im Hinblick auf (Nicht-) Normalität produktiv.
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Literatur
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Dausien, B., Mecheril, P. (2006). Normalität und Biographie. Anmerkungen aus migrationswissenschaftlicher Sicht. In: Bukow, WD., Ottersbach, M., Tuider, E., Yildiz, E. (eds) Biographische Konstruktionen im multikulturellen Bildungsprozess. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90071-1_9
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