Auszug
Wenn es darum geht, Globalisierung als ‚Herausforderung ‘zu begreifen, dann ist Ulrich Beck gewiss ein Autor, der dies nicht mit alarmistischen Untertönen und Schreckensszenarien einer Bedrohung vermeintlich heiler Welten des Nationalen verknüpft. Herausforderung bedeutet für ihn in erster Linie Anregung und Inspiration, eine Aufforderung zur Analyse neuartiger gesellschaftlicher Entwicklungstendenzen und Phänomenbereiche sowie eine Anforderung an die sozialwissenschaftliche, insbesondere soziologische Theoriebildung und Forschung, ihren Themenkreis und perspektivischen Horizont radikal zu erweitern. Soziologie ist und soll Wirklichkeitswissenschaft sein; in dieser Auffassung bleibt Beck dem Klassiker Max Weber ebenso wie seinem Mentor Karl-Martin Bolte treu. Wo soziologische Routinen diese Aufgabe nicht erfüllen, geht es jedoch darum, ihre Macht zu durchbrechen und andere, weiterführende Perspektiven an deren Stelle zu setzen. In diesem und nur in diesem Sinne sind Formen der Globalisierung und — was für Beck wichtiger ist Formen der Transnationalisierung uneingeschränkt positiv zu bewerten. Sie stellen eine Provokation des Denkens dar — vor jeglicher Frage nach Ausprägungen und Folgen im Einzelnen, die nur empirisch beantwortet werden kann. Sie sind dies nicht aus sich heraus (wie wäre dies auch möglich?), sondern bieten Anlass, die Reflexion auf Gesellschaft über den Horizont eingeübter und vertrauter Schemata der Wahrnehmung und Interpretation sozialer Welt hinauszutreiben. Zweifel an Gewissheiten und eingeschliffenen Sehgewohnheiten, Lust auf Erkenntnis und Neugier als Programm — darin liegt eine Grundhaltung und ein Wissenschaftsstil begründet, der das Werk von Beck auf unverwechselbare Weise prägt. Beides findet Ausdruck in der von ihm entwickelten Theorie Reflexiver Modernisierung, die den umwälzenden, „grundstürzenden“ (Beck) Charakter aktueller gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse zu identifizieren beansprucht, und ist deutlicher, konsequenter denn je in den jüngsten Arbeiten zur Entfaltung eines „realistischen Kosmopolitismus“ der Soziologie angelegt.
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Literatur von Ulrich Beck
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Beck, U.: Gegengifte. Die organisierte Unverantwortlichkeit. Frankfurt/M. 1988.
Beck, U.: Die Erfindung des Politischen. Frankfurt/M. 1993.
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Weitere im Text zitierte Literatur
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Poferl, A. (2006). Ulrich Beck: Für einen „Kosmopolitismus mit Wurzeln und Flügeln“. In: Moebius, S., Quadflieg, D. (eds) Kultur. Theorien der Gegenwart. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90017-9_42
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Online ISBN: 978-3-531-90017-9
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