Zusammenfassung
So lautet in dem Text, den ich von seiner Rezeptionsgeschichte her (nicht von der inhaltlichen Substanz her – da ist es Busse 1987) als Gründungstext der germanistisch-linguistischen Diskursanalyse betrachte, die Passage, mit der programmatisch eine enge Verknüpfung von Diskurs- und Argumentationsanalyse hergestellt worden ist. Zwar hatte ich auch in meiner Dissertation (Wengeler 1992) bereits einen Versuch der Verzahnung der Analyse von Argumentationsmustern im Rüstungsdiskurs nach 1945 mit der Analyse von semantischen Kämpfen und der Bedeutungsentwicklung zentraler Schlüsselwörter unternommen, die systematische Begründung einer Argumentationsanalyse als einer diskursanalytischen Methode ist aber erst durch diese Busse/Teubert’sche Behauptung, Argumentationsanalyse könne eine Art von Tiefensemantik leisten und damit einen Ausschnitt einer Diskursanalyse im Foucault’schen Sinne darstellen, ermutigt worden.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
- 2.
Als Beispiel für die Analysekategorie der Begründungssprachen kann aus dem Migrationsdiskurs angeführt werden, dass etwa für die Beibehaltung des alten, bis 1993 geltenden Asylrechts-Paragraphen Argumente in einer ethischen („Es ist eine Pflicht, Zuflucht Suchenden beizustehen“), einer demographischen („Deutschland braucht Zuwanderung“), einer juristischen („Abgelehnte Asylbewerber haben nach internationalen Konventionen ein Recht auf Aufenthalt“) oder einer historischen Begründungssprache („Die Mütter und Väter des Grundgesetzes wussten schon, warum sie den Artikel ins GG geschrieben haben“) angeführt werden können.
- 3.
A minore: „Wenn sogar p, und d. h.: wenn sogar das weniger Plausible gilt, dann gilt erst recht q bzw. das mehr Plausible“ (Kopperschmidt 1989, S. 182 f.); a maiore: Wenn schon p, d. h. das mehr Plausible nicht gilt, dann gilt erst recht nicht q, d. h. das weniger Plausible (vgl. Kopperschmidt 1989, S. 179 ff. und 1991). Ein konstruiertes Beispiel für das Vergleichsschema a minore aus dem Migrationsdiskurs: „Wenn schon Aussiedler ohne Deutschkenntnisse die deutsche Staatsangehörigkeit mit den damit verbundenen Rechten haben, dann sollte doch erst recht Kindern in der zweiten oder dritten Gastarbeitergeneration, die hier aufgewachsen sind und perfekt Deutsch sprechen, der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erleichtert werden.“
- 4.
„Was die Autorität X über den Sachverhalt/die normative These Y sagt, stimmt. X sagt, dass Y wahr/wahrscheinlich bzw. anzunehmen/abzulehnen ist. Also: Y ist wahr/wahrscheinlich bzw. anzunehmen/abzulehnen.“ (Kienpointner 1996, S. 168 f.)
- 5.
Kienpointner 1982, S. 180. Als Beispiele für diesen Topos führt er u. a. die Rüstungs- und die Umweltdiskussion an.
- 6.
- 7.
Vgl. dazu auch Klein 2000, S. 638.
- 8.
Vgl. dazu z. B. die Berücksichtigung im DIMEAN-Modell von Warnke/Spitzmüller (2008, S. 41), die Hervorhebung der Topos-Analyse als ein „zentrales und erfolgreiches Konzept der transtextuell orientierten Linguistik“ (Spitzmüller/Warnke 2011, S. 191) in ihrem Einführungsbuch zur Diskurslinguistik sowie die Bemerkung von Busse (2008, S. 63, Fn. 2).
- 9.
- 10.
Bezug genommen wird auf die ohne den Topos-Begriff arbeitende Argumentationsanalyse in Niehr 2004.
Erwähnte Literatur
Arendt, Birte (2010): Niederdeutschdiskurse. Spracheinstellungen im Kontext von Laien, Printmedien und Politik. Berlin: Erich Schmidt Verlag.
Bornscheuer, Lothar (1976): Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Bornscheuer, Lothar (1977): Zehn Thesen zur Ambivalenz der Rhetorik und zum Spannungsgefüge des Topos- Begriffs. In: Heinrich F. Plett (Hrsg.): Rhetorik. München: Wilhelm Fink, S. 204–212.
Bornscheuer, Lothar (1987): Neue Dimensionen und Desiderata der Topik-Forschung. In: Mittellateinisches Jahrbuch 22, S. 2–27.
Busse, Dietrich (1987): Historische Semantik. Analyse eines Programms. Stuttgart: Klett-Cotta.
Busse, Dietrich (2003): Historische Diskursanalyse in der Sprachgermanistik – Versuch einer Zwischenbilanz und Ortsbestimmung. In: Martin Wengeler (Hrsg.): Deutsche Sprachgeschichte nach 1945. Diskurs- und kulturgeschichtliche Perspektiven. Hildesheim, Zürich, New York: Olms, S. 8–19.
Busse, Dietrich (2008): Diskurslinguistik als Epistemologie – Das verstehensrelevante Wissen als Gegenstand linguistischer Forschung. In: Ingo H. Warnke/Jürgen Spitzmüller (Hrsg.): Methoden der Diskurslinguistik. Sprachwissenschaftliche Zugänge zur transtextuellen Ebene. Berlin, New York: de Gruyter, S. 57–87.
Busse, Dietrich/Teubert, Wolfgang (1994): Ist Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt? Zur Methodenfrage der historischen Semantik. In: Dietrich, Busse/Fritz, Hermanns/Wolfgang, Teubert (Hrsg.): Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte. Methodenfragen und Forschungsergebnisse der historischen Semantik. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 10-28. [Wiederabdruck im vorliegenden Band S. 13 ff.]
Bußmann, Hadumod (2002): Lexikon der Sprachwissenschaft. Dritte, aktualis. und erw. Aufl. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag.
Görlach, Alexander (2009): Der Karikaturen-Streit in deutschen Printmedien. Eine Diskursanalyse. Hannover: ibidem.
Göttert, Karl-Heinz (1977): Linguistische Propädeutik. Tübingen: Niemeyer.
Göttert, Karl-Heinz (1978): Argumentation. Grundzüge ihrer Theorie im Bereich theoretischen Wissens und praktischen Handelns. Tübingen: Niemeyer.
Herbert, Ulrich (1986): Geschichte der Ausländerbeschäftigung in Deutschland 1880 bis 1980. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter. Berlin: J. H. W. Dietz.
Herbert, Ulrich (2001): Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge. München: C. H. Beck.
Jung, Matthias (1994): Zählen oder deuten? Das Methodenproblem der Diskursgeschichte am Beispiel der Atomenergiedebatte. In: Dietrich, Busse/Fritz, Hermanns/Wolfgang, Teubert (Hrsg.): Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte. Methodenfragen und Forschungsergebnisse der historischen Semantik. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 60–81.
Jung, Matthias (2000): Diskurshistorische Analyse als linguistischer Ansatz. In: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 86, S. 20–38.
Kasel, Gernot (2000): Antisemitische Argumentationsmuster in der Walser-Bubis-Debatte. Unveröffentl. Magisterarbeit Trier.
Kienpointner, Manfred (1982): Probleme einer Argumenttypologie. In: Klagenfurter Beiträge zur Sprachwissenschaft 8, S. 175–190.
Kienpointner, Manfred (1992): Alltagslogik. Struktur und Funktion von Argumentationsmustern. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog.
Kienpointner, Manfred (1996): Vernünftig argumentieren. Regeln und Techniken der Diskussion. Reinbek: Rowohlt.
Kindt, Walther (1992): Argumentation und Konfliktaustragung in Äußerungen über den Golfkrieg. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 11, S. 189–215.
Kindt, Walther (1999): Was sollte man in der Schule über Argumentationen lernen? Überlegungen aus der Sicht neuerer Argumentationsforschung. In: Der Deutschunterricht 51, H. 5, S. 26–36.
Klein, Josef (1995): Asyl-Diskurs. Konflikte und Blockaden in Politik, Medien und Alltagswelt. In: Ruth Reiher (Hrsg.): Zur Rolle der Sprache in sozialen, politischen und militärischen Auseinandersetzungen. Berlin, New York: de Gruyter, S. 15–71.
Klein, Josef (2000): Komplexe topische Muster. Vom Einzeltopos zur diskurstyp-spezifischen Topos-Konfiguration. In: Thomas, Schirren/Gert, Ueding (Hrsg.): Topik und Rhetorik. Ein interdisziplinäres Symposium. Tübingen: Niemeyer, S. 623–648.
Kopperschmidt, Josef (1980): Argumentation. Stuttgart: Kohlhammer.
Kopperschmidt, Josef (1989): Methodik der Argumentationsanalyse. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog.
Kopperschmidt, Josef (1991): Formale Topik. Anmerkungen zu ihrer heuristischen Funktionalisierung innerhalb einer Argumentationsanalytik. In: Gert Ueding (Hrsg.): Rhetorik zwischen den Wissenschaften. Geschichte, System, Praxis als Probleme des „Historischen Wörterbuchs der Rhetorik“. Tübingen: Niemeyer, S. 53–62.
Mayer, Stefanie/Mikael Spang, (Hrsg.) (2009): Debating Migration. Political Discourses on Labor Immigration in Historical Perspective. Innsbruck: Studienverlag.
Meier, Stefan (2008): (Bild-)Diskurs im Netz. Konzept und Methode für eine semiotische Diskursanalyse. Köln: Halem.
Niehr, Thomas (2004): Der Streit um Migration in der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz und Österreich. Heidelberg: Universitätsverlag Winter.
Ottmers, Clemens (1996): Rhetorik. Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler.
Radeiski, Bettina (2011): Seuchen, Ängste und Diskurse. Massenkommunikation als diskursives Rollenspiel. Berlin, New York: de Gruyter.
Reisigl, Martin (2007): Projektbericht: Der Wiener Ansatz der Kritischen Diskursanalyse. In: Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research 8(2), http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0702P75.
Spieß, Constanze (2011): Diskurshandlungen. Theorie und Methode linguistischer Diskursanalyse am Beispiel der Bioethikdebatte. Berlin, New York: de Gruyter.
Spitzmüller, Jürgen (2005): Metasprachdiskurse. Einstellungen zu Anglizismen und ihre wissenschaftliche Rezeption. Berlin, New York: de Gruyter.
Spitzmüller, Jürgen/Warnke, Ingo H. (2011): Diskurslinguistik. Eine Einführung in Theorien und Methoden der transtextuellen Sprachanalyse. Berlin, New York: de Gruyter.
Steinseifer, Martin (2001): Diskursanalyse öffentlicher Debatten als Argumentationsanalyse? Theoretische Überlegungen und Analyse der Debatte um Peter Sloterdijks „Regeln für den Menschenpark“. Unveröffentl. Staatsexamensarbeit Heidelberg.
Toulmin, Stephen (1975): Der Gebrauch von Argumenten. Kronberg: Scriptor.
Warnke, Ingo H./Spitzmüller, Jürgen (2008): Methoden und Methodik der Diskuslinguistik – Grundlagen und Verfahren einer Sprachwissenschaft jenseits textueller Grenzen. In: dies. (Hrsg.): Methoden der Diskurslinguistik. Sprachwissenschaftliche Zugänge zur transtextuellen Ebene. Berlin, New York: de Gruyter, S. 3–54.
Wengeler, Martin (1992): Die Sprache der Aufrüstung. Zur Geschichte der Rüstungsdiskussionen nach 1945. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag.
Wengeler, Martin (2003): Topos und Diskurs. Begründung einer argumentationsanalytischen Methode und ihre Anwendung auf den Migrationsdiskurs (1960-1985). Tübingen: Niemeyer.
Wodak, Ruth u. a. (1998): Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Wodak, Ruth (2001): The Discourse Historical Approach. In: Ruth, Wodak/Michael, Meyer (Hrsg.): Methods of Critical Discourse Analysis. London: SAGE Publications Ltd., S. 63–94.
Ziem, Alexander (2005): Begriffe, Topoi, Wissensrahmen: Perspektiven einer semantischen Analyse gesellschaftlichen Wissens. In: Martin Wengeler (Hrsg.): Sprachgeschichte als Zeitgeschichte. Hildesheim, New York: Olms Verlag, S. 315–348.
Author information
Authors and Affiliations
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2013 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Wengeler, M. (2013). Historische Diskurssemantik als Analyse von Argumentationstopoi. In: Busse, D., Teubert, W. (eds) Linguistische Diskursanalyse: neue Perspektiven. Interdisziplinäre Diskursforschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18910-9_5
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-18910-9_5
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-17294-1
Online ISBN: 978-3-531-18910-9
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)