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„Mäßig boshaft“: Fausts Gefährte

Goethes Mephistopheles im Lichte der Aufklärung

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Goethe-Jahrbuch

Zusammenfassung

Die „genialste, einprägsamste und lebendigste Teufelsfigur aller Dichtung“! — nüt diesen Worten versuchte Thomas Mann in seinem Vortrag über Goethes Faust, seinen Zuhörern an der Princeton University die Gestalt des Mephistopheles schmackhaft zu machen. Ob ihm dies gelungen ist, wissen wir nicht. Offenbar ahnte der Redner jedoch, daß in den Köpfen der ihm Lauschenden eine ganz andere Teufelsgestalt das Maß alles Diabolischen in der Literatur markierte: der Satan aus John Miltons Paradise Lost. Wohl deshalb versicherte er ilmen, daß Goethes Teufel, ganz im Gegensatz zu dem pathetischen Satan des englischen Dichters, ein eher lustiger Kerl sei. „Schlagend amüsant“ nennt Thomas Mann ihn, ein Wesen von „kompliziertestem“, bis in die höchsten Regionen hinaufreichenden „Humors“.2 Damit ist angedeutet, daß Mephistopheles nicht zuletzt deshalb so lebendig geblieben ist und amüsant wirkt, weil er als Schalk und Feind von allem Pathos konzipiert ist. Angesichts der Popularität dieser Figur muß man sich jedoch wundern, warum Mephistopheles zum „Stiefkind der Forschung“3 werden konnte und „sehr viel weniger“ kritische Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat als sein anstrengender, verzweifelter, gelegentlich auch langweiliger Partner. Dies ist der überraschende Befund von Peter Michelsen, dem wir die eindringlichste Studie zur Goetheschen Teufelsfigur verdanken.4

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Notizen

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Vaget, H.R. (2002). „Mäßig boshaft“: Fausts Gefährte. In: Golz, J., Leistner, B., Zehm, E. (eds) Goethe-Jahrbuch. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02861-7_19

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