Zusammenfassung
Die soziologische Diskussion um Lebensbedingungen und Veränderungen im Alter wird in den letzten Jahren vom Konzept “Strukturwandel des Alters” beherrscht. Das im bundesdeutschen Raum v.a. von Tews vertretene Konzept (vgl. den Beitrag von Tews) erhebt den Anspruch, einen angemessenenen Zugang zur Beschreibung und Erklärung der Lebenslage älterer und alter Menschen zu vermitteln. Es wird damit konstatiert, daß sich die Struktur des Alters und seine strukturellen Rahmenbedingungen verändert haben. Mit der Ausformulierung eines Konzepts sollen individuelle und kollektive, in der Zeit ablaufende Prozesse, Übergänge und Veränderungen bestimmt werden, die gesellschaftlich-strukturell verursacht oder beeinflußt sind (Tews, 1990c).
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Literatur
So liegen inzwischen erste Analysen zum “deutschen Transformationsprozeß” vor, z.B. von Geissler (1991) und Zapf (1991), die davon ausgehen, daß sich die ostdeutsche Sozialstruktur mit der Umwälzung der politischen und ökonomischen Systeme nach einer gewissen Zeitverzögerung in vielen Sektoren weitgehend dem westdeutschen Muster annähern wird.
Hier ist auch der gravierende Unterschied zum Lebenslagebegriff im sozialpolitikwissenschaftlichen Ansatz zu sehen (Amann, 1983; Dieck, 1987b; Naegele, 1991a), der auf Otto Neurath, Gerhard Weisser und Otto Blume zurückgeht. Zwar werden bei ihnen auch die mikrotheoretische Betrachtung und subjektive Verarbeitung auf der Ebene der Befindlichkeit des Individuums berücksichtigt und damit unterschiedliche Start- und Entwicklungschancen erklärt — womit sie ökonomistische Ansätze in der Sozialpolitik schon weit hinter sich lassen. Aber letztlich wird dieser Ansatz fast ausschließlich at Negativausprägungen der Lebenslage bezogen, die sozialpolitisch definiert werden und auf “soziale Schwäche” und “soziale Gefährdung” (Weisser) ausgerichtet sind (vgl. den Beitrag von Dieck, Naegele).
Der Begriff der “Statuspassage” (Glaser, Strauss, 1971) orientiert sich an den Übergängen in normalbiographischen Entwürfen (z.B. Eintritt in den Beruf, Berufsaufgabe, Heimeintritt oder Pflege in der Kinderfamilie bei Aufgabe des eigenen Hausstands etc.) und deren Varianten, die zwischen verschiedenen Lebensbereichen und -abschnitten entwickelt, ausgehandelt und verändert werden (Heinz, Behrens, 1991). Im Sinne der “Institutionalisierung des Lebenslaufs” (Kohli, 1985) werden die Normalitätsunterstellungen und Kontrollpraktiken der Institutionen als Bindeglied zwischen sozialem Wandel und Gestaltungsprinzipien von Lebensläufen verstanden, die von sozialen Risikolagen — auch im Alter — zunehmend in Frage gestellt werden.
Kohli (1990, S. 401) spricht sogar von der strukturellen “Feminisierung” des nicht mehr erwerbstätigen Mannes im Rentenalter, der “sich stärker auf die Ehe und Haushaltsführung als tägliche Ordnungsschemata verwiesen” sieht. Hier dürfte Kohli allerdings die Persistenz geschlechtsspezifischer Handlungsformen unterschätzen, die sich auch über Substitute für Erwerbsarbeit reproduzieren.
Mayer bezieht sich hier auf Überlegungen der “Deutschen Lebensverlaufsstudie”, die am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung im Rahmen der “Lebensverlaufs-Forschung” durchgeführt wird. Es handelt sich um eine nationale repräsentative Kohortenstudie von Frauen und Männern, die zwischen 1919 und 1961 geboren wurden. “Ziel des Programms ist die Abbildung und Erklärung individueller Lebenslagen und Lebensereignisse sowie gesamtgesellschaftlicher Prozesse in einem einheitlichen formalen, kategorialen und empirischen Bezugsrahmen” (Mayer, 1990, S. 9). Die älteste Kohorte sind die Jahrgänge 1919 bis 1921, von denen (1986) 221 Frauen und 186 Männer konventionell, (1988) weitere 1005 Personen per Telefoninterview befragt wurden.
Mit “Ereignisanalyse” werden eine Reihe von statistischen Methoden bezeichnet, mit denen Wechsel ( “Ereignisse”) zwischen verschiedenen Zuständen innerhalb einer kontinuierlich beobachteten Zeitspanne untersucht werden, wobei die Verlaufsgeschichten einer Stichprobe zugrundegelegt werden (Diekmann, Mitter, 1990).
Hier kann es sich z.B. um den Übergang vom Ausbildungs- in das Erwerbssystem, um Unterbrechungen des Erwerbslebens oder den Übergang in den Ruhestand handeln.
Als Forschungskonzept hat die “Lebensphase” bisher zur Strukturierung von Lebensläufen und Ausprägung der jeweiligen Lebenslage als theoretischer Rahmen gedient, der z.B. den Interdependenzen von Lebenssituation, Alter und Gesundheit gerecht werden kann (Hütter, 1984).
So äußert Ostner (1983, S. 61) Skepsis über den biographischen Ansatz bei alten Menschen: “Skrupel in der Absicht, Erinnerung hervorzulocken, scheinen gerade bei alten Menschen, erst recht bei alten Frauen am Platz”. Dies sieht sie begründet mit dem Prestigeverlust v.a. alter Frauen, auch mit den eingeschränkten räumlichen und zeitlichen Möglichkeiten der Subjektwerdung von Frauen, die eine Biographie erst ermöglichen. “Erinnerungen weckende Gespräche müssen den Anpassungsdruck von Altersnormen und den frühzeitigen Verlust der Zukunft bei Frauen antizipieren” (S. 60). Obwohl die Sichtweise von Ostner undifferenziert auf einen Typus alter Frauen (Menschen) ausgerichtet ist und sie m.E. die Folgen des Alters als diskriminierende soziale Zuschreibung überschätzt, sind ihre Einschätzungen sicherlich ernst zu nehmen und sollten im Untersuchungskontext Berücksichtigung finden.
So prognostiziert Backes (1991) für die Zukunft eine noch differenziertere Alter(n)sproblematik, die sich in ihren Ausprägungen weiterhin deutlich von denen der Männer unterscheiden wird. “Bezogen auf die klassischen Lebenslagemerkmale (Einkommen, Wohnen, Gesundheit, Kontakte) lassen sich weiterhin geschlechtsspezifische Benachteiligungen bei den Frauen aus ihrer soziobiographischen Entwicklung ableiten” (1991, S. 275) (vgl. den Beitrag von Backes).
Hier ist zu denken an die “Theorie der Altersschichtung” (Riley et al., 1972; Riley, 1987). Doch hält Kohli (1990) diese bisher für “überwiegend metaphorisch”, weil aus seiner Sicht eine Verknüpfung mit zentralen Problemen der Gesellschaftsanalyse — z.B. der sozialen Ungleichheit — aussteht. Fruchtbar zu machen wäre auch die von Giddens (1988) entwickelte “Theorie der Strukturierung” als Versuch, die Sozialwissenschaften als Wissenschaft des menschlichen Handelns zu konstituieren, soziale Systeme auf der Makro- mit Interaktion auf der Mikroebene zu verbinden. Bemängelt wird an Giddens vor allem, daß er die Veränderungen im Arbeitsleben ausklammert (Kohli, 1990). Trotz optimistischer Einschätzungen (Coenen, 1991) scheint außerdem der problematische Bezug der “Theorie der Strukturierung” zur empirischen Forschung noch nicht gelöst.
Dieses Konzept wird besonders relevant für internationale und interkulturelle Vergleiche (Kertzer, 1989), denn selbst in den westlichen Gesellschaften finden sich größere kulturelle und soziale Entwicklungsunterschiede (Münch, 1991).
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Clemens, W. (1993). Soziologische Aspekte eines “Strukturwandels des Alters”. In: Naegele, G., Tews, H.P. (eds) Lebenslagen im Strukturwandel des Alters. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99987-0_3
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-99987-0_3
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