Rechtsextremismus in Italien: Von der neofaschistischen Systemopposition zur postfaschistischen Regierungspartei: Der Aufstieg der Alleanza Nazionale

Zusammenfassung

Bei den Parlamentswahlen von 1992 erhielt der Movimento Sociale Italiano (MSI) 5,4% der italienischen Wählerstimmen. Zwei Jahre später benannte sich der MSI in Alleanza Nazionale (AN) um, und stieg unmittelbar darauf bei den vorgezogenen Neuwahlen mit 13,5% zur drittstärksten Partei Italiens auf. Bei den erneut vorgezogenen Parlamentswahlen 1996 steigerte die AN ihren Stimmenanteil noch einmal (15,7%). 1994 zogen 109 Abgeordnete und 48 Senatoren der Nationalen Allianz in die beiden Kammern des italienischen Parlaments ein¹. Nur wenige Wochen später trat die AN in eine rechte Koalitionsregierung ein und stellte 5 Minister und 12 Staatssekretäre. Damit war zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte Westeuropas eine neofaschistische Partei Mitglied einer demokratisch gewählten Regierung geworden². Die internationale Gemeinschaft reagierte irritiert auf diesen „historischen“ Vorgang. Der französische Staatspräsident François Mitterrand warnte vor dem „Risiko Italien“. Der amerikanische Sprachwissenschaftler und Philosoph Noam Chomsky sprach von Italiens „friendly fascism“. Der Ministerrat der Europäischen Union ging auf Distanz zum „neofaschistischen“ Außenminister Italiens. Die elf Abgeordneten der Alleanza Nazionale wurden zu personae non gratae im Europäischen Parlament. Von der New York Times über Le Monde bis zu El Pais äußerte sich die Internationale Presse besorgt über die „italienischen Vorgänge“. Parallelen zum Jahre 1922 wurden evoziert. Sollte Italien noch einmal zum Laboratorium epochaler Veränderungen in Europa werden? Wer aber trat tatsächlich im April 1994 in die italienische Regierung ein? Waren es Faschisten, Neofaschisten, Postfaschisten, Rechtsradikale oder nunmehr geläuterte Rechtskonservative? Ist die Alleanza Nazionale eine Anti-Systempartei oder akzeptiert sie grundsätzlich die Werte, Institutionen und Verfahren der Demokratie sowie die daraus resultierende Kontingenz der politischen Entscheidungen?