Zusammenfassung
Die Kritik an Parteien hat sich in letzter Zeit erheblich verstärkt. Während auf der teilstaatlichen und nationalen Ebene ihre Bedeutung nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, war die Relevanz der Parteien für kommunale Entscheidungsprozesse immer eine kontrovers diskutierte Frage. In Deutschland bieten sich in einzelnen Bundesländern seit Jahrzehnten Wählergemeinschaften erfolgreich als Alternative zu den Parteien an1. In Großstädten setzten soziale Bewegungen, die sich z. T. inzwischen als GRÜNE formierten, Parteien unter Druck. Hier soll der Frage nachgegangen werden, wie Parteien und Wählergruppen ihre Aufgaben wahrnehmen2. Diese Fragestellungen sollen vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen im gesamten Bundesgebiet beantwortet werden3. Denn die wenigen empirischen Studien, die zum Wirken der Parteien auf der kommunalen Ebene vorhanden sind, deuten auf einige Funktionsdefizite der Parteien hin4.
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Literatur
Als Wählergemeinschaften bzw. -gruppen werden »jene Gruppen oder Personenkreise, die sich außerhalb der politischen Parteien um Mandate in kommunalen Vertretungskörperschaften bewerben« (Alois Becker/Günther Rüther, Kommunale Wählervereinigungen, in: Materialien zur kommunalpolitischen Bildung, Bonn 1976, S. 280), bezeichnet. Ihre Benennungen sind unterschiedlich, so treten sie als Wählergemeinschaften, Wählervereinigungen, Wählergruppen, Wahlvereinigungen, als Rathaus- oder Kommunalparteien oder einfach als »Unabhängige« auf. Vgl. Richard Stöss, Wählergemeinschaften I, in: ders. (Hrsg.), Parteienhandbuch, Bd. 4: NDP bis WAV, Opladen 1983, S. 2393 f;
s. a. Vera Rüdiger, Die kommunalen Wählervereinigungen in Hessen, Meisenheim am Glan 1966;
Heino Kaack, Parteien und Wählergemeinschaften auf der kommunalen Ebene, in: Heinz Rausch/Theo Stammen (Hrsg.), Aspekte und Probleme der Kommunalpolitik, München 1972, S. 135–150;
Hermann Bausinger, Zur politischen Kultur Baden-Württembergs, in: ders./Theodor Eschenburg u. a., Baden-Württemberg. Eine politische Landeskunde, Stuttgart u. a. 19812, S. 13–40;
Thomas Möller, Die kommunalen Wählergemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland, München 1981;
Hans-Georg Wehling, »Parteipolitisierung« von lokaler Politik und Verwaltung? Zur Rolle der Parteien in der Kommunalpolitik, in: Hubert Heinelt/Hellmut Wollmann (Hrsg.), Brennpunkt Stadt. Stadtpolitik und lokale Politikforschung in den achtziger und neunziger Jahren, Basel u. a. 1991, S. 149–166.
Die Frage des Vordringens von Parteien in die ländlichen Räume muß aus Platzgründen einer späteren Veröffentlichung vorbehalten bleiben. Auch die Rolle der Parteien bei der Direktwahl von Oberbürgermeistern wird daher ausgeklammert.
Kaack (Heino Kaack, Die Basis der Parteien. Struktur und Funktionen der Ortsvereine, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 1 [1971] 1, S. 25) formuliert als Defizit, daß »vergleichende Untersuchungen über die Struktur von Ortsvereinen aller Parteien in Gemeinden aller Größenordnungen aus verschiedenen Regionen der Bundesrepublik« nicht vorliegen. Die Situation hat sich insofern seit 1971 verändert, als Fallstudien für den ländlichen Raum und für Großstädte vorliegen. Mit der den folgenden Ausführungen zugrunde liegenden empirischen Erhebung sollen Defizite behoben werden, die vor allen Dingen bei empirischen Befunden über Städte mittlerer Größe bestehen. In die Analyse einbezogen wurden Städte von 10 000 bis ca. 110 000 Einwohnern, also solche Stadtgrößen, in denen über 60 Prozent der Deutschen leben. Berücksichtigt wurden von den neuen Bundesländern Brandenburg und Sachsen sowie von den alten Bundesländern Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, also 2 große und 2 kleine Flächenländer. Die Auswahl der Untersuchungsstädte erfolgte hypothesengeleitet. Hier lag die gesicherte Erkenntnis zugrunde, daß die Lokalparteien in den verschiedenen Städten unter unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen agieren. Unterschiede bestehen vor allem im städtischen vs. dem ländlichen Raum, wobei die Übergänge zwischen Ballungskern, Ballungsrand und ländlichem Raum fließend sind, sowie durch verschiedene Kommunalwahlsysteme (vgl. Dieter Nohlen, Wahlsysteme und Wahlen in den Gemeinden, in: Heinz Rausch/Theo Stammen [Hrsg.], Aspekte und Probleme der Kommunalpolitik, München 1972). Weitere Unterschiede sind durch die langfristige Entwicklung eines Gebietes bedingt. In der Regel spricht man von politischer Kultur (vgl. H. Bausinger [Anm. 2], S. 13 ff.). Es handelte sich also um eine geschichtete Zufallsauswahl (vgl. Helmut Kromrey, Auswahlverfahren, in: Jürgen Kriz u. a. [Hrsg.], Politikwissenschaftliche Methoden, München 1994, S. 36). Da die Forschungsressourcen minimal waren, mußte sich die Untersuchung zwangsläufig mit Telefoninterviews unter Zuhilfenahme eines Leitfadens begnügen. In den 50 ausgewählten Städten wurden mindestens zwei, maximal vier Interviews mit Fraktionsvorsitzenden durchgeführt. Die Fraktionsvorsitzenden konnten in der Regel auf langjährige Aktivitäten in den Lokalparteien zurückblicken. Es wurden also quasi deren Beobachtungen zur eigenen Partei und Fraktion sowie zu anderen Gruppierungen am Ort abgerufen. Insgesamt wurden in den neuen Bundesländern 55 und in den alten Bundesländern 85 Interviews mit einer Dauer zwischen 15 Minuten und einer Stunde durchgeführt. Die Dauer der Gespräche richtete sich auch nach der Auskunftsbereitschaft der Interviewpartner. Dadurch konnten Informationen über 107 (neue Bundesländer) bzw. 147 (alte Bundesländer) Gruppierungen eingeholt werden. Allen Interviewpartnern sei an dieser Stelle recht herzlich gedankt.
Vgl. Renate Mayntz, Parteiengruppen in der Großstadt. Untersuchungen in einem Berliner Kreisverband der CDU, Köln-Opladen 1959;
Erwin K. Scheuch/Ute Scheuch, Cliquen, Klüngel und Karrieren, Reinbek bei Hamburg 1992.
Achim Suckow, Lokale Parteiorganisationen — angesiedelt zwischen Bundespartei und lokaler Gesellschaft, Oldenburg 1989, S. 241.
Vgl. Wolfgang Rudzio, Eine Erneuerung gesellschaftsverändernder Kommunalpolitik? Zum Impuls der Jungsozialisten, in: Karl-Heinz Naßmacher (Hrsg.), Kommunalpolitik und Sozialdemokratie, Bonn 1977, S. 78–110.
So bereits Karin Schmidt-Urban, Beteiligung und Führung in lokalen Parteieinheiten, Frankfurt a. M. 1981, S. 132 ff.
Vgl. Karl-Heinz Naßmacher, Einflußfaktoren in der kommunalen Willensbildung, in: Uwe Andersen (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung in Nordrhein-Westfalen, Köln u. a. 1987, S.83.
Eigene Auswertung der Lebensläufe der Bundestagsabgeordneten in Kürschners Volkshandbuch: Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode (Stand 2. Mai 1995), Darmstadt 1995. 10 Die Benennungen der Nicht-Ratsmitglieder in den Ausschüssen ist in den verschiedenen Gemeindeordnungen unterschiedlich. So werden sie auch bürgerliche Mitglieder oder Bürgerschaftsvertreter genannt. Im folgenden wird der Begriff »sachkundiger Bürger« verwendet.
Zur Kandidatenaufstellung in Baden-Württemberg vgl. Herbert Schneider, Parteipolitik im ländlichen Raum, München 1985, S. 99.
So bereits Karl-Heinz Naßmacher/Wolfgang Rudzio, Das lokale Parteiensystem auf dem Lande, in: Hans-Georg Wehling (Hrsg.), Dorfpolitik, Opladen 1978, S. 132 ff.
Vgl. Karl-Heinz Naßmacher, Funktionen politischen Personals in lokalen Vertretungskörperschaften (Kommunalparlamenten), in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 4 (1973) 4, S. 562;
Volker Ronge, Der Zeitaspekt ehrenamtlichen Engagements in der Kommunalpolitik, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 25 (1994) 2, S. 267 ff.;
Hiltrud Naßmacher, Fortbildungsangebot und Fortbildungsbedarf für Ratsmitglieder, in: Thomas Kempf/Paul von Kodolitsch/ Hiltrud Naßmacher, Die Arbeitssituation von Ratsmitgliedern, Berlin 1989, S. 94.
Vgl. Berthold Löffler/Walter Rogg, Kommunalwahlen und kommunales Wahlverhalten, in: Theodor Pfizer/Hans-Georg Wehling (Hrsg.), Kommunalpolitik in Baden-Württemberg, Stuttgart u. a. 1985, S. 106.
Vgl. Bärbel Möller, Parteien im lokalen Raum; empirische Befunde aus Jena und Frankfurt (Oder), in: Oskar Niedermayer/Richard Stöss (Hrsg.), Parteien und Wähler im Umbruch, Opladen 1994, S. 197.
Vgl. ebd., S. 201.
Vgl. zur positiven Einschätzung von Wahlchancen Kathrin Heppe, Bessere Wahlchancen von Frauen durch Personenwahlsysteme?, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 20 (1989) 1, S. 102–113.
Vgl. Paul Kevenhörster, Parallelen und Divergenzen zwischen gesamtsystemarem und kommunalem Wahlverhalten, in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.), Kommunales Wahlverhalten, Bonn 1976, S. 274.
Vgl. Manfred Cryns/Klaus Hembach, Kommunalwahlen und kommunales Wahlverhalten in Nordrhein-Westfalen, in: Uwe Andersen (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung in Nordrhein-Westfalen, Köln u. a. 1987, S. 121.
Vgl. Hiltrud Naßmacher, Rathausparteien in den neuen Bundesländern, in: Oskar Niedermayer (Hrsg.), Intermediäre Strukturen in Ostdeutschland, Opladen 1996, S. 173–191.
Vgl. Karl-Heinz Naßmacher/Hiltrud Naßmacher, Lokale Eliten in der Gewerbepolitik, in: Robert-Bosch-Stiftung (Hrsg.), Gewerbepolitik im Verdichtungsraum, Stuttgart 1982, S. 15 ff.
Dies führt zur Herausbildung von Oligarchien, vgl. H. Kaack (Anm. 3), S. 38.
Vgl. Renate Hürtgen/Henry Kreikenbom/Bärbel Möller u. a., Sozialpolitische Interessenvermittlungsstrukturen im Transformationsprozeß in den regionalen Zentren Frankfurt (Oder) und Jena, in: Hiltrud Naßmacher u. a. (Hrsg.), Politische Strukturen im Umbruch, Berlin 1994, S. 31 f.
Vgl. H. Naßmacher (Anm. 20).
Vgl. Thomas Kempf, Organisation der Fraktionsarbeit, in: T. Kempf u. a. (Anm. 13), S. 115.
Hiltrud Naßmacher, Die Aufgaben, die Organisation und die Arbeitsweise der kommunalen Vertretungskörperschaft, in: Oscar W. Gabriel (Hrsg.), Kommunale Demokratie zwischen Politik und Verwaltung, München 1989, S. 186.
Ebd.
Vgl. Oscar W. Gabriel, Das lokale Parteiensystem zwischen Wettbewerbs- und Konsensdemokratie: Eine empirische Analyse am Beispiel von 49 Städten in Rheinland-Pfalz, in: Dieter Oberndörfer/Karl Schmitt (Hrsg.), Politische Traditionen in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1991, S. 396.
Edward C. Banfield/James Q. Wilson, Stadtpolitik, in: Rolf-Richard Grauhan (Hrsg.), Großstadtpolitik, Gütersloh 1972, S. 87.
Dies ist zumindest die These von Irmtraud Kannen, Und das soll Demokratie gewesen sein? Konflikt und Harmonie im Gemeinderat am Beispiel der Stadt Cloppenburg 1981–1991, Oldenburg 1996.
Vgl. W. Rudzio (Anm. 6), S. 78 ff.
Vgl. B. Löffler/W Rogg (Anm. 14), S. 105.
Vgl. Oscar W. Gabriel/Peter Haungs/Matthias Zender, Opposition in Großstadtparlamenten, Melle 1984, S. 159.
O. W. Gabriel (Anm. 28), S. 396.
Vgl. Hiltrud Naßmacher, Transformationsprozesse aus regionaler und lokaler Perspektive, in: dies. u. a. (Anm. 23), S. 2.
Vgl. H. Kaack (Anm. 3), S. 36.
Eigene Auswertungen der Wahlergebnisse zur Überprüfung der in Anm. 3 vorgetragenen Thesen, die die Städteauswahl für die qualitative Untersuchung fundierten.
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Naßmacher, H. (1997). Parteien und Wählergruppen in der Kommunalpolitik. In: Gabriel, O.W., Niedermayer, O., Stöss, R. (eds) Parteiendemokratie in Deutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95609-5_19
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