Zusammenfassung
Seit der Konzeptualisierung der „race-relations-cycles“ in der Migrationssoziologie der 30er Jahre haben Veränderungen zwischen Generationen von Zuwanderern stets eine bedeutsame Rolle in der Erforschung von Eingliederungsprozessen gespielt (H. Esser 1980; R.D. Alba 1990). Zumeist ist dabei das Assimilationsniveau der Zuwanderergeneration mit der der Folgegenerationen verglichen worden, um daraufhin allgemeine „Gesetze“ des intergenerationalen Eingliederungsverhaltens zu formulieren, oder Unterschiede im Eingliederungsverhalten unterschiedlicher Zuwanderernationalitäten zu beschreiben (W.W. Isajiw 1990). In Bezug auf nordamerikanische Zuwanderer haben sich z.B. Indizien dafür finden lassen, dass die zweite Generation der bereits in der Aufnahmegesellschaft geborenen Minoritätsangehörigen stets ein höheres Assimilationsniveau aufgewiesen hat als die erste Generation der Zuwanderer, dass aber bei der dritten Generation nicht selten ein,ethnic revival’ stattfindet, d.h. eine Rückbesinnung auf kulturelle Traditionen der Herkunftsgesellschaft — wenn auch häufig in der Form von kulturellen Transformationsprozessen, bei denen die gewählten Symbolkomplexe ethnischer Identifikation nicht unbedingt authentische Bestandteile der Herkunftskultur sein müssen, sondern vielmehr Hervorbringungen einer Minoritäten-Subkultur sein können, die in der Herkunftsgesellschaft wenig oder gar keine Entsprechung finden (H. Gans 1979). Ein weiteres Ergebnis dieser Analysen ist gewesen, dass eine erstaunliche Streuungsbreite sowohl individuell zwischen dem Eingliederungsverhalten einzelner Zuwanderer bzw. von Generationen-Ketten von Zuwanderern als auch kollektiv zwischen dem der verschiedenen Zuwanderernationalitäten zu beobachten ist und Assimilation keineswegs ein „zwangsläufiges“ Ergebnis von Eingliederungsprozessen sein muss (H. Esser 1990a; B. Nauck, A. Kohlmann & H. Diefenbach 1997). Insbesondere bezüglich der kollektiven Differenzen konnten insgesamt bislang kaum schlüssige sozialwissenschaftliche Erklärungen angeboten werden: So legen Studien zum Eingliederungsverhalten verschiedener Zuwanderernationalitäten von Arbeitsmigranten in Deutschland den Schluss nahe, dass Assimilation wesentlich auf Verteilungsunterschiede in individuellen Ressourcen (insbesondere des Bildungsniveaus) und auf historisch unterschiedliche Eingliederungsopportunitäten infolge der Wanderungs-Sukzession der einzelnen Nationalitäten zurückführbar ist (H. Esser 1982; P.B. Hill 1984). Demgegenüber werden in nordamerikanischen Studien die Assimilationsunterschiede zwischen den ethnischen Gruppen mit der Dichte sozialer Beziehung und der sozialen Kontrolle kultureller Normen in Beziehung gesetzt, um z.B. zu erklären, warum jüdische, griechische und türkische Zuwanderer um so vieles stärker über Generationen hinweg geschlossene eigenethnische Verkehrskreise bilden und an ihrer ethnischen Identität festhalten als deutsche oder schwedische Zuwanderer (W.W. Isajiw 1990; W.E. Kalbach 1990).
Die vergleichende Analyse basiert auf Daten, die in zwei vom Autor geleiteten Forschungsprojekten erhoben worden sind, die (1) als,Intergenerative Beziehungen in türkischen Migrantenfamilien’ im Rahmen des Schwerpunktprogramms der Deutschen Forschungsgemeinschaft,Folgen der Arbeitsmigration für Bildung und Erziehung‘ und (2) als,Intergenerative Beziehungen in Migrantenfamilien’ durch das Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend gefördert worden sind. Die Analyse wurde ermöglicht durch ein fellowship am Hanse-Wissenschaftskolleg, Delmenhorst.
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Nauck, B. (2000). Eltern-Kind-Beziehungen in Migrantenfamilien — ein Vergleich zwischen griechischen, italienischen, türkischen und vietnamesischen Familien in Deutschland. In: Familien ausländischer Herkunft in Deutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93214-3_10
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