Paradigmenwechsel in der Krebsforschung? Forschungsergebnisse, die unser Verständnis von Krebs und Therapie verändern werden – ein Rück- und Ausblick

Zusammenfassung

In den vergangenen 20 Jahren ist der Eindruck entstanden, therapeutische Ansätze, die auf DNS-Sequenzierungsdaten und Mutationsanalysen des Tumorgewebes beruhen, seien durch ein immer besseres Verständnis ihrer wissenschaftlichen Grundlagen vorangebracht worden. Ihr klinischer Erfolg wurde daher beinahe zwangsweise erwartet. Diese Hoffnung, auf der DNS-Ebene endlich den lange gesuchten therapeutischen Hebelpunkt gefunden zu haben, um Krebs dauerhaft heilen zu können, hat sich in den letzten Jahren jedoch zunehmend als eine Illusion erwiesen. Vielmehr hat sich gezeigt, dass Tumoren durch eine enorme Heterogenität auf genetischer, metabolischer und zellulärer Ebene charakterisiert sind, die sich nicht ausschließlich auf spezifische Mutationen zurückführen lässt. In diesem Beitrag zeigen wir auf, wie das aktuelle Paradigma – die somatische Mutationstheorie – in der Krebsforschung seinen erfolgreichen Einzug hielt, aber auch, wie heute die Konfrontation mit der Komplexität des Krebsgewebes zu aktuellen Trends in der Grundlagenforschung geführt hat, die den Weg bereiten für neue, systemische Therapieansätze – und somit auch für ein neues kausales Paradigma in der Krebsforschung.

Abstract

Over the past 20 years, the impression has arisen that therapeutic approaches based on DNA sequencing data and mutation analyses of tumor tissue have been advanced through an ever better understanding of their scientific basis. Their success in the clinic was therefore almost inevitably expected. However, this hope to have finally found the long-sought therapeutic leverage point at the DNA level to be able to truly cure cancer has increasingly proven to be an illusion in recent years. Rather, it has been shown that tumors are characterized by enormous heterogeneity at the genetic, metabolic and cellular level, which cannot be attributed exclusively to specific mutations. In this article, we show how the current explanatory paradigm of cancer—the somatic mutation theory—successfully found entry into cancer research, but also how the confrontation with the complexity of cancer tissue has led to current trends in basic research that pave the way for new, systemic therapeutic approaches—and thus also for a new causal paradigm in cancer research.