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Curialitas und dissimulatio im Mittelalter. Zur Interdependenz von Hofkritik und Hofideal

Curialitas and dissimulatio in the Middle Ages. The interdependence of the ideal of court and the criticism of court

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Abstract

The research about the medieval court has mostly separated the two aspects: the splendour of the court and the courtly ideals on the one hand, the reports on the awful conditions of the daily life at the courts on the other hand. The present study demonstrates the necessity of seeing together these both aspects. The courtly norm demanded from the members of the courtly society to be friendly, respectful, affable to one another. However, this request in many situations led to a discrepancy between the inner disposition and the outer gestures of a person. Therefore in various medieval conduct-books there was warned against the fellows. It was generally well-known at the medieval courts that kindly gestures and inner feelings of a person do not correspond all the time. But the medieval literature mostly presents only one perspective: either the idealizing look on the court or the unmasking view of the court. The modern research has taken over this separation of the viewpoints and therefore overlooked the systematic coherence of curialitas and dissimulatio. As a result of this study can be formulated: it isn’t be acceptable any longer to say that dissimulation had emerged first during the early modern times.

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Literatur

  1. Smith, Pauline M.: The anti-courtier-trend in sixteenth century French literature, Genève 1966

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  2. Uhlig, Claus: Hofkritik im England des Mittelalters und der Renaissance. Studien zu einem Gemeinplatz der europäischen Moralistik (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, NF 56), Berlin/New York 1973

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  3. Türk, Egbert: Nugae curialium. Le règne d’Henri II Plantagenêt (1145–1189) et l’éthique politique, Genève 1977

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  4. Kiesel, Helmuth: >Bei Hof, bei Höll<. Untersuchungen zur literarischen Hofkritik von Sebastian Brant bis Friedrich Schiller (Studien zur deutschen Literatur 60), Tübingen 1979.

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  5. Köhn, Rolf: »>Militia curialis<. Die Kritik am geistlichen Hofdienst bei Peter von Blois und in der lateinischen Literatur des 9.-12. Jahrhunderts«, in: Albert Zimmermann (Hg.): Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters (Miscellanea Mediaevalia XII 1), Berlin/New York 1979, S. 227–257.

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  6. Jaeger, C. Stephen: The origins of courtliness. Civilizing trends and the formation of courtly ideals 939–1210, Philadelphia 1985, S. 54–66 (in der deutschsprachigen Ausgabe Die Entstehung höfischer Kultur, Berlin 2001, S. 88–104).

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  7. Szabó, Thomas: »Der mittelalterliche Hof zwischen Kritik und Idealisierung«, in: Josef Fleckenstein (Hg.): Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 100), Göttingen 1990, S. 350–391. Dieser sehr informative Beitrag kommt erst ganz zum Schluss auf die Frage zu sprechen, ob und inwiefern sich Hofideal und Hofkritik bedingen: Die Hofkritik »[war] die Antwort auf die Idealisierung des Hofes« (S. 391). »Denn gerade aus der Idealisierung des Hofes nährte sich immer aufs neue die Kritik« (ebd.). Ich versuche diesen Problemaspekt grundsätzlicher anzugehen.

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  8. Dies kommt gelegentlich darin zum Ausdruck, dass man glaubt, sich bei der Erwähnung des Themas Hofkritik mit dem Hinweis auf die ca. zehn Seiten in Joachim Bumkes Standardwerk (Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, München 1986, S. 583–594) begnügen zu können. Kaum Neues bietet Harf-Lancner, Laurence: »Les malheurs des intellectuels à la cour: Les clercs curiaux d’Henri II Plantagenêt«, in: Christoph Huber/Henrike Lähnemann (Hgg.): Courtly literature and clerical culture. Höfische Literatur und Klerikerkultur, Tübingen 2002, S. 3–18. Ebensowenig Pepin, Ronald E.: Literature of satire in the twelfth century. A neglected medieval genre, Lewiston/Queenston 1988.

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  9. Als informativ darf gelten die ältere Arbeit von Baldwin, John W.: Masters, princes and merchants. The social views of Peter the Chanter and his circle, Princeton 1970, S. 175–204.

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  10. Ich selbst habe vor einigen Jahren versucht, die Differenz von lateinischer und volkssprachlicher (deutschsprachiger) Hofkritik zur Grundlage eines neuen Verständnisses des literarischen Phänomens zu machen; vgl. Schnell, Rüdiger: »Hofliteratur und Hofkritik in Deutschland. Zur funktionalen Differenz von Latein und Volkssprache«, in: Peter Moraw (Hg.): Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter (Vorträge und Forschungen XLVIII), Stuttgart 2002, S. 323–355.

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  11. Sidwell, Keith: »Aeneas Silvius Piccolomini’s De curialium miseriis and Peter of Blois«, in: Zweder von Martels/ Arjo Vanderjagt (Hgg.): >Elpiu expeditivo pontifice<. Selected studies on Aeneas Silvius Piccolomini (1405–1464), Leiden 2003, S. 87–106.

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  12. Schnell, Rüdiger: »Ekel als Lust. Zur Ästhetik von Piccolominis Brieftraktat De Miseriis Curialium (1444)«, in: Maria Antonietta Terzoli (Hg.): Enea Silvio Piccolomini. Uomo di lettere e mediatore di culture. Gelehrter und Vermittler der Kulturen, Basel 2006, S. 209–237.

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  13. Turk, Egbert: Pierre de Blois. Ambitions et records sous les Plantagenêts, Turnhout 2006.

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  14. Reizvoll wäre ein Vergleich von Hofkritik und Städtekritik im Mittelalter; vgl. Schmidt, Hans-Joachim: »Societas christiana in civitate. Städtekritik und Städtelob im 12. und 13. Jahrhundert«, in: Historische Zeitschrift 257 (1993), S. 297–354.

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  15. Hirschbiegel, Jan: »Der Hof als soziales System«, in: Mitteilungen der ResidenzKommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 3,1 (1993), S. 11–25

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  16. Hirschbiegel, Jan: »Hof als soziales System«, in: Reinhardt Butz u. a. (Hgg.): Hof und Theorie, Köln u. a. 2004, S. 43–54

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  17. Winterling, Aloys: »>Hof<. Versuch einer idealtypischen Bestimmung anhand der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte«, in: Reinhardt Butz (Hg.): Zwischen »Haus« und »Staat«. Antike Höfe im Vergleich, München 1997, S. 11–25

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  18. ders.: »Hof«, in: Reinhardt Butz u. a. (Hgg.): Hof und Theorie, Köln u. a. 2004, S. 77–90

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  19. Butz, Reinhardt/Dannenberg, Lars-Arne: »Überlegungen zu Theoriebildungen des Hofes«, in: ebd., S. 1–41; Müller, Rainer A.: Der Fürstenhof in der Frühen Neuzeit, München 2004, S. 88 ff.

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  20. Butz, Reinhardt/ Hirschbiegel, Jan (Hgg.): Hof und Macht. Dresdener Gespräche II zur Theorie des Hofes (Vita curialis 1), Münster 2007; dies. (Hgg.): Informelle Strukturen bei Hof. Dresdener Gespräche III zur Theorie des Hofes (Vita curialis 2), Münster 2009.

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  21. Fouquet, Gerhard: »Herr und Hof zwischen Informalität und Formalität. Zusammenfassung der Tagung«, in: Butz / Hirschbiegel 2009 (wie Anm. 13), S. 227–235.

  22. Hier wäre etwa die Tugendlehre Wernhers von Elmendorf (Ende 12. Jahrhundert) zu nennen, die Bumke (Höfische Kultur [wie Anm. 5], S. 587) zur Hofkritik rechnet; ebenso Rösener, Werner: Leben am Hof. Königs- und Fürstenhöfe im Mittelalter, Ostfildern 2008, S. 250 f. Szabó (wie Anm. 4), S. 363, hingegen bemerkt, dieser Text gehöre nicht zur Hofkritik.

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  23. Sehr diverses Material, das weitgehend nichts mit Hofkritik zu tun hat, bietet Schneider, Guido: Er nam den spiegel in die hant, als in sîn wîsheit lêrte. Zum Einfluß klerikaler Hofkritiken und Herrschaftslehren auf den Wandel höfischer Epik in groß- und kleinepischen Dichtungen des Stricker (Item Mediävistische Studien 1), Essen 1994. Auch der sog. >Anti-Winsbecke< (vgl. Bumke [wie Anm. 5], S. 588) ist wohl auszugrenzen. Der Text ist ediert von Reiffenstein, Ingo: Winsbeckische Gedichte nebst Tirol undFridebrant, 3., neubearb. Aufl., Tübingen 1962, S. 33–45.

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  24. Eindeutig liegt Hofkritik vor, wenn sich in einem Text Kritik am Hof mit einem Lob des Herrschers verbindet, wie etwa bei Peter von Blois, ep. 14 (Patrologia Latina 207, Sp. 42-51, ebd. 45C). Wenn Missstände am Hof und die daraus folgenden nachteiligen Folgen für die Gesellschaft nicht dem Fürsten, sondern den Höflingen angelastet werden, wird man also von Hofkritik sprechen. Dies trifft auch auf den Verfasser der Truchsessenchronik (ca. 1539) zu, der sich in seiner Kritik nicht gegen das Hofleben an sich, sondern nur gegen das Verhalten der Fürsten und Könige wendet (Wolf, Gerhard: Von der Chronik zum Weltbuch. Sinn und Anspruch südwestdeutscher Hauschroniken am Ausgang des Mittelalters, Berlin/New York 2002, S. 81 u. Anm. 147). Demgegenüber wird man von Fürstenkritik sprechen, wenn ein Text die Fürsten, nicht die Höflinge ins Visier nimmt (so bei Poggio Bracciolini [15. Jahrhundert], De infelicitate principum; dazu Sidwell [wie Anm. 8], S. 103 ff.). Fürsten- und Hofkritik wiederum gehen dort zusammen, wo ein Text die Laster der Höflinge zugleich dem Fürsten zur Last legt (etwa bei Philippe de Commynes, 16. Jahrhundert, dazu Kiesel [wie Anm. 1], S. 21–31). In den Winterliedern 28 und 30 des deutschen Sängers Neidhart von Reuental (ca. 1220/30) ist die Kritik am Herrscher (hier die vrouwe) und die Kritik am Hof (Publikum) kaum zu unterscheiden (Die Lieder Neidharts. Hg. Edmund Wießner, 4. Aufl. von Paul Sappler, Tübingen 1984, S. 144–149 u. 153–158).

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  25. Mauser, Wolfram: Konzepte aufgeklärter Lebensführung. Literarische Kultur im frühmodernen Deutschland, Würzburg 2000, S. 80–102, suggeriert mit seiner Kapitelüberschrift »Von der Hofkritik zur Fürstenschelte« für das 17. Jahrhundert eine politische Bewegung, die von der Hofkritik zur Fürstenkritik geführt habe. Für das Mittelalter lässt sich meiner Meinung nach eine solche Tendenz nicht feststellen. Dort steht beides stets nebeneinander bzw. gehen beide Formen der Kritik oft komplexe Verbindungen ein. So finden sich etwa im Palpanista Bernhards von der Geist (ca. 1250) Kritik und Apologie des Fürsten auf irritierende Weise zusammen, vgl. Szabó [wie Anm. 4], S. 364–368).

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  26. Die komplexe Relation von Fürsten- und Hofkritik spielt auch in die Frage hinein, ob eine hofkritische Dichtung für den betreffenden Autor nachteilige Folgen hatte. Darauf hält die Forschung sehr unterschiedliche Antworten bereit, z. T. bedingt durch die sehr uneinheitliche Quellenlage. Während etwa Mauser (wie Anm. 19), S. 83, die Auffassung vertritt, literarische Hofkritik habe den Hofkritikern nicht geschadet, im Gegenteil, diese hätten hohes Ansehen besessen (freilich nur, wenn sie die Höflinge, nicht den Fürsten getadelt hätten), weisen andere Forscher auf Sanktionen hin, mit denen Hofkritiker von Seiten einzelner Herrscher zu rechnen hatten; vgl. Bok, Vaclav: »Hofkritik in der deutschen moralisierenden Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts«, in: Opera Historica 8 (2000), S. 333–344, S. 344; Kiesel (wie Anm. 1), S. 3, 16 u. 18 generell, S. 113–118 (zu Johannes Agricola), S. 141 f. (für einen Autor habe keine Gefahr bestanden, wenn er in seiner Hofkritik den Herrscher vorteilhaft von den Höflingen abgehoben oder betont habe, die inkriminierten Laster seien vom gegenwärtigen Hof verbannt)

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  27. Schreiner, Klaus: »Frischlins >Oration vom Landleben< und die Folgen«, in: Attempto 43/44 (1972), S. 122–135; Uhlig (wie Anm. 1), S. 102 (Peter von Blois preist in seiner Hofkritik den König), S. 108 (Walter Map nimmt den König von der Verantwortung für die Missstände am Hof aus), S. 119 (Nigellus Wireker unterscheidet zwischen Kritik in der Öffentlichkeit und in der Privatheit).

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  28. Vgl. zu den rechtlichen Aspekten Schreiner, Klaus: »>Correctio principisi Gedankliche Begründung und geschichtliche Praxis spätmittelalterlicher Herrscherkritik«, in: Fr. Graus (Hg.): Mentalitäten im Mittelalter (Vorträge und Forschungen XXXV), Sigmaringen 1987, S. 203–256.

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  29. Vgl. hierzu Schnell, Rüdiger: »Kritische Überlegungen zur Zivilisationstheorie von Norbert Elias«, in: ders. (Hg.): Zivilisationsprozesse. Zu Erziehungsschriften in der Vormoderne, Köln u. a. 2004, S. 21–83; ders.: »Mittelalterliche Tischzuchten als Zeugnisse für Elias’ Zivilisationstheorie?«, in: ebd., S. 85–152

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  30. ders.: »Kommunikation unter Freunden vs. Kommunikation mit Fremden. Eine Studie zum Privaten und Öffentlichen im Mittelalter«, in: Krieger, Gerhard (Hg.): Verwandtschaft, Freundschaft, Bruderschaft. Soziale Lebens- und Kommunikationsformen im Mittelalter, Berlin 2009, S. 127–150

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  31. ders.: »Die höfische Kultur des Mittelalters zwischen Ekel und Ästhetik«, in: Frühmittelalterliche Studien 39 (2005) [2006], S. 1–100

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  32. ders.: »Wer sieht das Unsichtbare? Homo exterior und Homo interior in monastischen und laikalen Erziehungsschriften«, in: Katharina Philipowski/ Anne Prior (Hgg.): anima und sêle. Darstellungen und Systematisierungen von Seele im Mittelalter, Berlin 2006, S. 83–112.

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  33. Zuletzt bei Schneider, Christian: Hovezuht. Literarische Hofkultur und höfisches Lebensideal um Herzog Albrecht III. von Österreich und Erzbischof Pilgrim II. von Salzburg (1365–1396), Heidelberg 2008, S. 137 f.

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  34. Uhlig (wie Anm. 1), S. 27–54 (zu Johannes von Salisbury: seine Hofkritik sei persönlich motiviert gewesen), S. 99–101 (zu Peter von Blois), S. 55–66 (zu Giraldus Cambrensis: persönlicher Hass auf das angevinische Königshaus); Türk, Nugae curialium (wie Anm. 1), S. 108 ff. zu Giraldus Cambrensis; Smith, The anti-courtier trend (wie Anm. 1), S. 21 f. zu Cornelius Agrippa; Kiesel (wie Anm. 1), S. 6 u. 38, spricht allgemein von »persönlichen Erlebnissen«, S. 143 speziell zu Georg Rudolf Weckherlin (ca. 1615/20); Enenkel, K. A. E.: Francesco Petrarca, De vita solitaria. Buch I. Kritische Textausgabe und ideengeschichtlicher Kommentar, Leiden 1990, S. 355–357, sieht in Petrarcas Hofkritik eine persönliche Vorliebe des Dichters für das Allein-Sein am Werk. Bok, Hofkritik (wie Anm. 21) S. 336 u. 339 zu Johann von Morsheim, Spiegel des Regiments (1497 entstanden, 1515 erstmals gedruckt).

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  35. Köhn, Rolf: Magister Peter von Blois (c. 1130 bis 1211/12), Diss. Konstanz 1973, S. 102 u. 123; Köhn, >Militia curialis< (wie Anm. 2), S. 247–254; Uhlig (wie Anm. 1), S. 114–116.

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  36. Kiesel (wie Anm. 1), S. 38: »Mithin war Hofkritik primär eine Angelegenheit der Höflinge selbst, was nicht ausschloß, dass nichthöfische Personen(kreise) die literarische Hofkritik aufgriffen.« Müller, Jan-Dirk: »Kleine Katastrophen. Zum Verhältnis von Fehltritt und Sanktion in der höfischen Literatur des deutschen Mittelalters«, in: Moos, Peter von (Hg.): Der Fehltritt. Vergehen und Versehen in der Vormoderne, Köln u. a. 2001, S. 317–342, S. 317: »Hofkritik ist anfangs vor allem eine interne Angelegenheit, eine Sache der Intellektuellen bei Hof. Seit der Frühen Neuzeit richtet sie sich zunehmend von außen gegen den Hof und das gesellschaftliche System, von dem er getragen wird, bis hin zu den Karikaturen von Höflingen, die die bürgerliche Aufklärung entwirft« (vgl. auch ebd. S. 318 Anm. 2: die frühe hofkritische Literatur stamme meist von Klerikern, »die spätere so gut wie immer von Leuten, die nicht dazugehören«).

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  37. Uhlig (wie Anm. 1), S. 75 zu Jean de Limoges, Somnium morale Pharaonis (ca. 1208–18); Uhlig, S. 84, meint, die Hofkritik im Spätmittelalter habe eine immer größere literarische Autonomie erlangt. Uhlig spricht S. 96 im Hinblick auf Bernhard von der Geist, Palpanista (ca. 1250), von einem »Markstein auf dem Wege der Hofkritik zu literarischer Autonomie« (im 16. Jahrhundert habe dann die Hofkritik »den Stempel ureigener persönlicher Betroffenheit« verloren, S. 175); S. 208 nennt Uhlig Huttens Misaulus ein »literarisch autonomes Kunstprodukt« und postuliert »schon für das frühe 16. Jahrhundert eine weitgehende Literarisierung des Themas der Hofkritik«. Gegen Uhlig und Kiesel (wie Anm. 1), die die Hofkritik vor allem als eine Anhäufung von loci communes und als eine literarische Konvention vorstellten, wendet sich Jaeger, C. Stephen: »The court criticism of MHG didactic poets. Social structures and literary conventions«, in: Monatshefte 74 (1982), S. 398–409, S. 407 f. (der Hof als gleichbleibender sozialer Kontext habe gleichgeartete Erfahrungen hervorgebracht und sei somit für thematische Parallelen verantwortlich, nicht eine wie auch immer geartete literarische Tradition). Meines Erachtens übersieht Jaeger gewichtige Unterschiede zwischen lateinischer und volkssprachlicher Hofkritik. Dass insbesondere lateinische hofkritische Texte als Demonstration poetisch-rhetorischer Kompetenz gelesen werden sollten, ist kaum zu bestreiten; vgl. Köhn, Magister Peter von Blois (wie Anm. 31), S. 110 u. 114 ff.; Schnell, Ekel als Lust (wie Anm. 9); Rigg, A. G. (Hg.): The poems of Walter of Wimborne, Toronto 1978 (Einleitung zu De palpone; der Text ist abgedruckt S. 40-70).

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  38. Die Arbeiten von Uhlig (wie Anm. 1) und Kiesel (wie Anm. 1) schwanken in ihrer Deutung der hofkritischen Texte immer wieder zwischen der Überzeugung, deren Aussagen seien >realistisch<, und der Unterstellung, diese Aussagen verdankten sich einer literarischen Tradition. Studt, Birgit: »Exeat aula qui vult esse pius. Der geplagte Alltag des Hofliteraten«, in: Werner Paravicini (Hg.): Alltag bei Hofe, Sigmaringen 1995, S. 113–136, S. 117 f., äußert sich kritisch gegenüber der geschichtswissenschaftlichen Tendenz, die hofkritischen Äußerungen als Dokumente der tatsächlichen Lebensbedingungen am Hofe zu nehmen. Man müsse die gattungsspezifischen Besonderheiten berücksichtigen.

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  39. Konrad von Megenberg: Ökonomik (Yconomia), Buch II. Hg. Sabine Krüger, Stuttgart 1977, S. 200 (II 4,12): eosque, qui affabiles sund [!] ac hylaris conversacionis, curiales dicimus esse.

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  40. Garin lo Brun: L’Ensegnamen alla Dama. Edizione critica, traduzione e commento Laura Regina Bruno, Rom 1996, V. 515–526. Die Übersetzung verdanke ich Franziska Huber-Martinelli.

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  41. Walther von der Vogelweide: Leich, Lieder, Sangsprüche. 14., völlig neubearb. Auflage der Ausgabe Karl Lachmanns. Hg. Christoph Cormeau, Berlin/New York 1996, S. 101. Bemerkenswert und bislang unbeachtet geblieben ist, dass die Lehrdichtung Urbanus magnus (Hg. Smyly [wie Anm. 41]), die etwa zeitgleich mit Walthers Lied entstanden ist, von einem Sänger genau dies erfordert: Sich mit seinem Lied bzw. mit seinem Instrument an die Stimmung der Hörer anzupassen (Si tibi dulcisona sit vox, modulatio cantus,/ Cantes, non taceas, cum sis cantare rogatus./ Letus cum letis, tristis cum tristibus esto; V. 1774-1776).

  42. Dies könnte etwa für den Befund gelten, dass einerseits die Hofkritik oft Trinkgelage, Völlerei und Fresserei beklagt, dass aber andererseits in zahlreichen Schriften, die curialitas lehren, explizit Gier als unhöfisches Benehmen an den Pranger gestellt wird (sie verstoße gegen zuht) und höfische Romane bei der Schilderung von Mahlzeiten großen Wert auf ein gemäßigtes, diszipliniertes Essen legen; z. B. Hartmann von Aue: Erec. Hg. Christoph Cormeau/Kurt Gärtner, Tübingen 1985, V. 2129-2136 u. 8648-8652. Gemäß Konrad von Megenberg macht sich beim Essen curialitas morum dadurch bemerkbar, dass man die Speisen nicht gierig herunter schlinge und dass man sich eines fröhlichen und umgänglichen Auftretens befleißige; Konrad von Megenberg: Ökonomik, Buch II (wie Anm. 39), S. 200, 4–8 (II 4,8). Entsprechend heißt es von Kaiser Friedrich I., bei seinen Gastmählern hätten weder Hunger noch Völlerei geherrscht; Rahewin: Gesta Frederici seu Cronica. Hg. Franz-Josef Schmale (Ausgewählte Quellen zur dt. Geschichte des Mittelalters 17), 2., korr. Aufl., Darmstadt 1974, IV 86 (S. 710).

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  43. Zur Kritik der Tafelsitten Karls VI. von Frankreich vgl. Vincent-Cassy, Mireille: »La gula curiale ou les débordements des banquets au début du règne de Charles VI«, in: Martin Aurell u. a. (Hgg.): La sociabilité à table. Commensalité et convivialité à travers les âges, Rouen 1990, S. 91–102.

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  44. Plutarch: »Quomodo adulator ab amico internoscatur«, in: Plutarch’s Moralia, Bd. 1. With an English translation by Frank Cole Babbitt, London/Cambridge (Mass.) 1927 (Nachdruck 1960), S. 264–395. Diese Abhandlung hat übersetzt Erasmus von Rotterdam: »Quomodo dignosci possit amicus ab adulatori«, in: Erasmus: Opera omnia. 10 Bde., Leiden 1703–1706, Bd. 4, 1703, Sp. 1–22.

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  45. Schopenhauer, Arthur: Über die Grundlagen der Moral. In: Ders.: Sämtliche Werke. Hg. Wolfgang von Löhneysen, Bd. 3, Stuttgart/Frankfurt a. M. 1962, S. 729.

  46. Zur Auffassung im 17./18. Jh. vgl. Florack, Ruth/ Singer, Rüdiger: »Politesse, Politik und Galanterie. Zum Verhältnis von Verhaltenslehre und galantem Roman um 1700«, in: Gisela Engel u. a. (Hgg.): Konjunkturen der Höflichkeit in der Frühen Neuzeit (Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 13, 3–4), Frankfurt a. M. 2009, S. 300–321, S. 315 f. (Höflichkeit und Lügen bedingen einander).

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  47. Lotario dei Segni (Innozenz III.): De miseria condicionis humanae. Hg. Robert E. Lewis, Athens 1978, S. 177 (II 26, hier wird e contrario vom Bestreben aller ehrgeizigen Hofleute gesprochen, anderen zu gefallen versuchen; dazu gehört auch affabilitas). Vgl. zu dieser Stelle auch unten Anm. 69. Auch Walter von Wimborne (hg. Rigg [wie Anm. 34]), Str. 64–67, spricht von Schmeichelei unter Hofleuten. Konrad von Megenberg: Ökonomik, Buch II (wie Anm. 39), II 4,12, konstatiert ganz generell, dass diejenigen qui affabiles sund [!] ac hylaris conversacionis, >höfisch< (curiales) genannt werden. Von einer Hierarchie der affabilitas weiß Konrad an dieser Stelle nichts. Aegidius Romanus: De regimine principum, Rom 1607, S. 393 (II 3,18) formuliert ebenso allgemein: Dicitur etiam quis curialis in conversatione [>im Umgang mit anderen Menschen<], si sit aliis affabilis, et hylari vultu alios recipiat. Jeder, der sich liebenswürdig und heiter gibt, wird >höfisch< genannt.

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  48. Peire Vidal: The songs. Translation and commentary, New York u. a. 2006, S. 213–217.

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  49. Ähnlich Alain Chartier: De vita curiali. Hg. Pascale Bourgain-Hemeryck, Les oeuvres latines d’Alain Chartier, Paris 1977, S. 346–374, S. 354. Chartier warnt diejenigen, die an den Hof gehen wollen, davor, dass der Hof sie ihrer eigenen Lebensweise entfremde und einer fremden anpasse (»quae [curia] hominem propriis moribus alienat, alienis adaptat«). Giraldus Cambrensis: De principis instructione. Giraldi Cambrensis Opera. Bd. 8. Hg. George F. Warner (Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores 21), London 1891, S. lix (Vorrede), beklagt ebenfalls die Fremdbestimmung bei Hofe. Er möchte sein von sich selbst entfremdetes Ich wiedergewinnen (»me mihi restituens«); dazu Uhlig (wie Anm. 1), S. 61.

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  50. Szabó (wie Anm. 4), S. 365 f. Anm. 64. Hier fassen wir übrigens einen gravierenden Unterschied zwischen lateinischer und volkssprachlicher Hofkritik. Die Ichbezüglichkeit bzw. die das Privatleben als Gegenentwurf präsentierende lateinische Hofkritik besitzt keine Entsprechung in der volkssprachlichen Dichtung (zumindest bis ins 16. Jahrhundert. Vom 16. Jahrhundert an wird die lateinische Position in deutschsprachigen Sentenzensammlungen rezipiert; Kiesel [wie Anm. 1], S. 113–120. Im 17. Jahrhundert wird die hofkritische Forderung nach Selbstbestimmung für Angehörige aller sozialen Schichten in Anspruch genommen; vgl. Mauser, Konzepte aufgeklärter Lebensführung [wie Anm. 19], S. 89 f.). Die lateinische Kernformel sibi vivere, nobis vivere, totus meus suchen wir bis zum 16. Jahrhundert in der volkssprachlichen Hofkritik vergebens. Kein volkssprachlicher Autor würde den Anspruch erheben, für sich selbst leben zu wollen. (Im Gegenteil, der volkssprachliche Artusroman hält trotz hofkritischer Töne am Ideal der Zugehörigkeit zum Hofe fest, der sich durch gemeinschaftlich erlebte Freude auszeichnet.) Die deutschsprachige Literatur kennt bis ins 16. Jahrhundert nicht die Spezies der Gelehrten, die am liebsten sich selbst, d. h. dem Literaturstudium leben. Deshalb findet auch Lucans berühmtes Statement Exeat aula qui vult esse pius (Pharsalia bzw. Bellum civile, VIII 493 f.) hier keine Entsprechung. (Zwar beteuert Hugo von Trimberg: Der Renner. Hg. Gustav Ehrismann, 4 Bde., Tübingen 1909. Mit einem Nachwort und Ergänzungen von Günther Schweikle, Berlin 1970, V. 708–712, er ginge lieber nach Verona als ein Jahr am Hofe sich aufzuhalten, doch differenziert er an anderen Stellen: an geistlichen Höfen finde man keine unzuht, V. 555–558; früher habe es an den Höfen durchaus hofezuht gegeben, V. 633 f.; viele Bischöfe hätten es am Hofe zu höher wirdikeit gebracht, V. 779–786; zur differenzierten Hofkritik in der Volkssprache auch Chr. Schneider, Hovezuht (wie Anm. 28), S. 137 ff. Die volkssprachliche hofkritische Literatur versteht sich als Teil der Hofkultur, die lateinische Hofkritik versteht sich häufig als Demonstration eines Lebensideals, das ganz ohne Hof auskommen möchte. Es fällt auf, wie stark in der deutschen Hofkritik das Thema Recht, Rechtsprechung, Bestechung von Richtern vertreten ist. Hier interessieren die Folgen falschen Handelns für die Gesellschaft. Überspitzt und pauschalisiert könnte man sagen: In der Hofkritik steht Gemeinschaftsbezogenheit (Volkssprache) der Selbstbezogenheit (Latein) gegenüber. Dass es Ausnahmen gibt, sei nicht bestritten, z. B. Ulrich von Hutten in einem Brief an Willibald Pirckheimer, vgl. Studt (wie Anm. 35), S. 123 f.

  51. Für die These vom Zivilisationsprozess heißt dies: Die fortschreitende Selbstdisziplinierung provoziert und produziert zugleich den Widerstand gegen sich selbst. Vgl. die Hinweise zur Hofkritik bei Huizinga, Johan: Herbst des Mittelalters, Stuttgart 91965, S. 177–183. Meines Erachtens hat Norbert Elias’ These die gegenläufigen Prozesse, damit die Dialektik der Geschichte, ausgeklammert.

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  52. Robert Holcot: Super librum sapientiae, Basel 1489, cap. II, lectio XIX D (Ambitiosus semper estpavidus: semper attentus ne dicat quid displiceat et humilitatem simulat, honestatem mentitur. affabilitatem exhibet. benignitatem ostendit. subsequitur et obsequitur. cunctos honorat.); nahezu identisch bei Lothar von Segni (Innocenz III.), De miseria condicionis humanae (wie Anm. 54), S. 177 (II 26; vgl. auch Patrologia Latina 217, 701–746, Sp. 727A); vgl. Uhlig (wie Anm. 1), S. 162. Die Innozenz-Stelle zitieren auch Jaeger, The origins (wie Anm. 3), S. 57

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  53. und Keupp, Jan Ulrich: »Verhöflichte Krieger? Überlegungen zum >Prozeß der Zivilisation am stauferzeitlichen Hof«, in: Johannes Laudage/ Yvonne Leiverkus (Hgg.): Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit, Köln u. a. 2006, S. 217–245, ebd. S. 228 A. 42.

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  54. Ebenso rückt Jean de Limoges: Morale somnium Pharaonis das höfische Ideal (sich zu bemühen anderen zu gefallen) in den negativen Kontext des Schmeichelns (quicunque hominibus placere studeat, quicunque a palponibus palpari), s. Jean de Limoges: Morale somnium Pharaonis. Johannes Lemovicensis, Opera omnia. Hg. Constantin Horvath, 3 Bde., Veszprém 1932, Bd. 1, S. 71–126, hier S. 92 (ep. 10).

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  55. Über die soziale Realität des Hofes — ob sie nun schrecklich, unzumutbar, moralisch verderbt war oder aber vorbildhaftes Verhalten implizierte -, erfahren wir aus der Hofkritik genauso wenig wie aus Idealisierungen des Hofes. Dass Literarhistoriker satirische, kritische Darstellungen eher für realistische Wiedergaben halten als idealisierende Darstellungen, ist bekannt; vgl. Schnell, Rüdiger: Zum Verhältnis von hoch- und spätmittelalterlicher Literatur, Berlin 1978, bes. S. 110–113. Doch zeigen diese Satiren lediglich eine andere Konstruktion von Realität. Die Aufgabe des Lite rarhistorikers besteht darin, die Traditionen und Veränderungen dieser Konstruktionen zu beschreiben, kaum darin, Aussagen über die Hofwirklichkeit zu machen.

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  56. Von einigen Herrschern des 10. und 11. Jahrhunderts wird als lobenswerte Geste berichtet, sie hätten, auch wenn Sorgen sie bedrückt hätten, nach außen hin Heiterkeit (hilaritas, iocunditas, vultus hilaris) simuliert. Vgl. Kallfelz, Hatto: Das Standesethos des Adels im 10. und 11. Jahrhundert, Diss. Würzburg 1960, S. 68 f.

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  57. Fichtenau, Heinrich: Lebensordnungen des 10. Jahrhunderts, Stuttgart 1984, Bd. 1, S. 88. So heißt es etwa über Kaiser Otto III., er sei in Gesellschaft fröhlich gewesen und habe nach außen hin eine heitere Miene simuliert (quamvis exterius vultu semper hilari se simularet), obwohl ihn ein Sündenbewusstsein niederdrückte, dem er dann in seinen privaten Gemächern in Seufzern und Gebeten freien Lauf gelassen habe; Die Chronik Thietmars von Merseburg und die Korveier Überlieferung. Hg. Robert Holtzmann (MGH, SS rerum Germanicarum n. s. 9), Berlin 1935, S. 186, 27–32

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  58. (IV 48; zu dieser Stelle auch Waldhoff, Stephan: »Der Kaiser in der Krise? Zum Verständnis Thietmar IV, 48«, in: Deutsches Archiv 54 [1998], S. 23–54).

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  59. Solche Schilderungen meine ich, wenn ich gegen Müller, Jan-Dirk: Spielregeln für den Untergang, Berlin 1998, S. 204–216, und

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  60. ders.: Höfische Kompromisse, Berlin 2007, S. 317 ff., die Auffassung vertrete, schon im Frühmittelalter sei die Differenz von Außen und Innen thematisiert worden bzw. Affekt und Körperzeichen seien auseinandergetreten. Keinesfalls ist vor 1200 Inneres nur als Äußeres sichtbar geworden.

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  61. Vgl. auch Schnell, Rüdiger: »Emotionsdarstellungen im Mittelalter. Aspekte und Probleme der Referentialität«, in: ZfdPh 127 (2008), S. 79–102, S. 98 f.

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  62. Schnell, Rüdiger: »Historische Emotionsforschung. Eine mediävistische Standortbestimmung«, in: Frühmittelalterliche Studien 38 (2004) [2005], S. 173–276, S. 252 f. (wichtig die Belege aus dem Ruodlieb, 11. Jh.); Zotz, Urbanitas (wie Anm. 29), S. 421 zur Beschreibung Heinrichs II. von England durch Giraldus Cambrensis in dessen Expugnatio hibernica (I 46).

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  63. In Dichtung und Historiographie galt es als lobenswertes Attribut eines höfischen Herrschers, stets fröhlich zu sein; Gottfried von Straßburg: Tristan und Isold. Hg. Friedrich Ranke, 7. Aufl., Berlin 1963, V. 5045 (wis iemer höfsch, wis iemer vrô; >sei stets höfisch, sei stets fröhlich<); zur hilaritas Kaiser Friedrichs I. vgl. Acerbus Morena: Historia Frederici I. Das Geschichtswerk des Otto Morena und seiner Fortsetzer über die Taten Friedrichs I in der Lombardei. Hg. Ferdinand Güterbock (MGH, SS rerum Germanicarum n. s. 7), Berlin 1930, S. 186 (ut semper ridere velle putaretur)

  64. Rahewin: Gesta Frederici seu Cronica. Hg. Franz-Josef Schmale (Ausgewählte Quellen zur dt. Geschichte des Mittelalters 17), 2., korrig. Aufl., Darmstadt 1974, IV 32 (S. 462 hilaritas iuvenilis) u. IV 86 (S. 708 totaque facies laeta et hylaris).

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  65. Auch der Erzieher eines künftigen Herrschers hat die Gefahr, vom einen (Loben) ins andere (Schmeicheln) abzustürzen, zu beachten; Erasmus von Rotterdam: Institutio principis Christiani (1515), Kap. 1. Hg. u. übers. Heinz Duchardt: Politische Testamente und andere Quellen der Frühen Neuzeit, Darmstadt 1987, S. 279–293, S. 282.

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  66. Wenn curialitas die Balance zwischen zwei negativ konnotierten Extremen meint, dann darf nicht überraschen, dass sich im literarischen Kontext des Hofideals stets die Hofkritik einfindet. >Höfisch sein< wird im Alltag wie in der Literatur ständig mit der Möglichkeit konfrontiert, zu einer der beiden Extremseiten hin zu kippen. Dazu passt, dass die Wörter curia, curialis, curialitas im 12. Jahrhundert eine positive wie negative Bedeutung besaßen. Vgl. Köhn, »Militia curialis« (wie Anm. 2), S. 254 f.; Schreiner, Klaus: »>Hof< (curia) und >höfische Lebensführung< (vita curialis) als Herausforderung an die christliche Theologie und Frömmigkeit«, in: Gert Kaiser/ Jan-Dirk Müller (Hgg.): Höfische Literatur, Hofgesellschaft, Höfische Lebensformen um 1200, Düsseldorf 1986, S. 67–138; Schmidt, Paul Gerhard: »Curia und curialitas. Wort und Bedeutung im Spiegel der lateinischen Quellen«, in: Fleckenstein (Hg.), Curialitas (wie Anm. 4), S. 15–26.

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  67. Zum mittelalterlichen Verhaltensideal als dem Mittelweg zwischen zwei Extremhaltungen (mâze, moderantia, mezzura) vgl. Roling, Bernd: »Das Moderancia-Konzept des Johannes von Hauvilla. Zur Grundlegung einer neuen Ethik laikaler Lebensbewältigung im 12. Jahrhundert«, in: Frühmittelalterliche Studien 37 (2003), S. 167–258, bes. S. 252 ff.

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  68. Vgl. z. B. Aristoteles: Physiognomonica. Hg. u. Übers. Sabine Vogt (Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 18, Opuscula VI), Darmstadt 1999, S. 164–166 (der ethische Bestzustand liege stets »in der Mitte zwischen zwei Extremen«, sei also das beste Mittelmaß, mesotes, S. 165). In der (ps.-)aristotelischen Physiogomonica wird das Ideal des rechten Verhaltens auch als Mitte zwischen Schmeichelei und Rücksichtslosigkeit (dem Gegenteil von Rücksichtnahme!) definiert (ebd. S. 27; 811b35 bis 811a1-2-3). Wilhelm von Conches: Moralium dogma philosophorum. Lateinisch, altfranzösisch und mittelniederfränkisch. Hg. John Holmberg, Uppsala 1929, S. 10 (De circumspectione), sieht ein wesentliches Element der Klugheit (prudentia) darin, die Mitte zwischen zwei sich widersprechenden Lastern zu halten (z. B. zwischen Habgier und Verschwendung). Guillaume Fillastre (15. Jahrhundert) schrieb Aristoteles die Beschreibung der Freundschaft als Tugend zwischen den Extremen der Streitsucht und der Schmeichelei zu. Walter Burley (13. Jahrhundert) markierte in seinem Kommentar zu Aristoteles’ Nikomachischer Ethik die Extreme zur Freundschaft als Schmeichelei (adulatio) und Schroffheit (silvestritas)

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  69. dazu Oschema, Klaus: »Riskantes Vertrauen. Zur Unterscheidung von Freund und Schmeichler im späten Mittelalter«, in: Gerhard Krieger (Hg.): Verwandtschaft, Freundschaft, Bruderschaft, Berlin 2009, S. 510–529, S. 524.

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  70. Veit Ludwig von Sechendorff: Teutscher Fürsten-Stat, Frankfurt 1656 (Ausgabe 1660, S. 151 f. u. 157 f.), fordert, ein rechter Fürst müsse das rechte Maß zwischen zwei Extremen finden, z. B. zwischen Geiz und Verschwendung; vgl. Kiesel (wie Anm. 1), S. 166. Auch die Titelfigur in Wolframs von Eschenbach Parzival muss die Mitte zwischen Zuviel und Zuwenig (an Mitgefühl) lernen.

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  71. Vgl. Schnell, Rüdiger: »Gastmahl und Gespräch. Entwürfe idealer Konversation, von Plutarch zu Castiglione«, in: Alois Hahn u. a. (Hgg.): Norm und Krise von Kommunikation. Inszenierungen literarischer und sozialer Interaktion im Mittelalter. Festschrift für Peter von Moos, Münster 2006, S. 73–90.

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  72. Sordello da Goito: Ensenhamen d’onor. Hg. u. Übers. James J. Wilhelm: The poetry of Sordello (Garland Library of Medieval Literature, ser. A, Bd. 42), New York/London 1987, V. 351–364, formuliert diese Maxime anhand des Themas >Lob und Tadel<: Wenn Lob und Tadel nützen sollten, müssten sie angemessen sein. Zu großes Lob und zu großer Tadel schadeten. Denselben Mittelweg bei Lob und Tadel empfiehlt das altokzitanische Lehrgedicht des Daude de Pradas, El romanz (wie Anm. 56), V. 373–388.

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  73. John Gower: Confessio amantis (nach 1385). The complete works. hg. G. C. Macauly, 4 Bde., Oxford 1899–1902, Bd. 3, S. 233–385, Buch VII, V. 2149-2164, macht darauf aufmerksam, dass die Tugend der largesse (Freigebigkeit) leicht in die Untugend der prodegalite (Verschwendung) umschlagen könne.

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  74. Das »Problem der als Tugenden verkleideten Laster« habe »im Zentrum der mittelalterlichen Morallehre« gelegen, konstatiert Newhauser, Richard: »Zur Zweideutigkeit in der Moraltheologie. Als Tugenden verkleidete Laster«, in: Peter von Moss (Hg.): Der Fehltritt. Vergehen und Versehen in der Vormoderne, Köln u. a. 2001, S. 377–402. Merkwürdigerweise erwähnt Newhauser den Beleg aus dem Moralium dogma philosophorum nicht.

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  75. Das Moralium dogma philosophorum des Wilhelm von Conches (wie Anm. 81), S. 10. Vgl. schon Gregor d. Gr.: Regulapastoralis. Hg. Giuseppe Cremascoli (Gregorii Magni Opera VII), Rom 2008, S. 70 (II 9,1): Scire etiam rector debet quod plerumque vitia virtutes se esse mentiuntur (>der Leiter muss auch wissen, dass Laster meistens vortäuschen, Tugenden zu sein<).

  76. Vgl. dazu Moos, Peter von: »Die Pest des Schweigens«, in: Micrologus 18 (2010), S. 183–223, S. 201 f.

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  77. Johannes de Hauvilla: Architrenius. Hg. Paul Gerhard Schmidt, München 1974, S. 189 (IV 13, Vers 325–337): Pacis habent vultus odii secreta, venenum/Fraudis amiciciam tenui mentitur amictu. / Occulit immanes animos clemencia vultus. / Pectoris asperitas, risu pretexta sereno / interius fervens laqueos innodat et hamos / Curvat in insidias, rabiemque in pectore fixam/Armat in omne nefas (325–330a).

  78. Auf welch schmalem Grat zwischen Bewunderung und Verurteilung sich diejenigen bewegen, die sich dem höfischen Verhaltensideal verschrieben haben, belegt auch der in einigen Chroniken formulierte Vorwurf, Männer hätten sich in ihrem Bestreben, generell und im Besonderen bei Frauen beliebt zu sein, ein Auftreten angewöhnt, das man nur als weibisch — wir würden heute »feminin« sagen —, bezeichnen könne (vgl. Schnell, Die höfische Kultur [wie Anm. 23], S. 76 ff.). In Haartracht, Kleidung, Gang und Stimme hätten sie sich ein unmännliches Outfit zugelegt. Andererseits wird in anderen Quellen gerade das sanfte, einschmeichelnde Reden, das sonst den Frauen zugeschrieben wird, als auszeichnendes Prädikat von Männern erwähnt. Der Zisterziensermönch Jean de Limoges (von 1208 bis 1218 Abt eines Klosters in Ungarn) widmete Thibaut IV, dem Grafen der Champagne, das Werk Somnium morale Pharaonis, in dem er Pharao, Joseph und die Höflinge am Hof über rechtes Verhalten sich austauschen lässt (das Werk besteht aus 20 Briefen). Einer der Höflinge empfiehlt den jungen, im Gefängnis gehaltenen Joseph für die Aufgabe, Pharons Träume zu deuten (ep. 5). Innerhalb dieser positiven Charakterisierung Josephs lesen wir: in seiner Rede sei er besänftigend (betörend) und sanft (affatu mulcebris et suavis); Johannes Lemovicensis, Morale somnium Pharaonis (wie Anm. 70), S. 80. Vgl. auch Jaeger, The origins [wie Anm. 3], S. 89). Das Wort mulcebris ist etymologisch verwandt mit molle, dies wiederum mit mulier >Frau<. Dass die höfisch betörende Rede Josephs in die Nähe weiblich-sanfter Rede gerückt wird, könnte unter anderen Umständen und von einem anderen Betrachter aus gesehen dem betreffenden Redner den Vorwurf weibischer Rede eintragen. Hier aber wird es als Vorzug ausgegeben. So nahe liegen beim höfischen Verhaltensmodell die Möglichkeiten, gelobt oder getadelt zu werden, beieinander. — Höfisches Verhalten steht einem androgynen Verhaltensmodell sehr nahe. Anders formuliert: Wer sich an dem höfischen Verhaltensideal orientiert, muss stets mit der Gefahr leben, als unmännlich verschrieen zu werden. Auch Baldassar Castiglione: Il libro del Cortegiano. Hg. Amedo Quondam, Florenz n2003, II 2 (S. 121), verleiht der Kritik an der Verhöfisierung eine Stimme: die Männer seien feminisiert (gli omini effeminati).

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  79. Französisches Original bei Schiff, Mario (Hg.): La fille d’alliance de Montaigne. Marie de Gournay, Paris 1910, S. 109 (V. 9–16)

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  80. dt. Übersetzung bei Kroll, Renate: »Marie de Gournay (1565–1645)«, in: Margarete Zimmermann/ Roswitha Böhm (Hgg.): Französische Frauen der Frühen Neuzeit, Darmstadt 1999, S. 127–142 u. 267–272, ebd. S. 139.

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  81. Unger, Helga: Geistlicher Herzen Bavngart. Ein mittelhochdeutsches Buch religiöser Unterweisung aus dem Augsburger Franziskanerkreis des 13. Jahrhunderts. Untersuchungen und Text (MTU 24), München 1969, S. 269 (aus Kapitel 81).

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  82. Die Fiktion der Nichtwahrnehmung von Fehlern der Mitmenschen findet sich auch in Christines de Pizan Livre des trois vertus (1405). Sie verteidigt diese Praxis (discrete dissimulacion et prudente) gegen der Vorwurf der Heuchelei oder Unaufrichtigkeit, falls dadurch der soziale Frieden bewahrt bleibe. Vgl. Ruhe, Doris: »Diskretion, Ehre und Alltagsmoral in pragmatischen Texten des französischen Spätmittelalters«, in: Alois Hahn u. a. (Hgg.): Norm und Krise von Kommunikation. Inszenierungen literarischer und sozialer Interaktion im Mittelalter, Münster 2006, S. 135–154, bes. S. 147–150.

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  83. Johann von Salisbury: Policraticus. Hg. Clement C. J. Webb, London 1909, Bd. 1, S. 325 (V 10). Der mittelalterliche Autor zitiert hier Cicero, De officiis, I 13,41.

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  84. Disticha Catonis. Leopold Zatocil (Hg.): Cato à Facetus, Brno 1952, S. 229–237), S. 231 (I 26 Qui simulat verbis nec corde estfidus amicus,/Tu quoque fac simules: sic ars deluditur arte). Dies kommt dem, was Gracian über das Durchschauen der Verstellung und der doppelten Verstellung schreibt, schon sehr nahe

  85. zu Gracian vgl. Schulz-Buschhaus, Ulrich: »Innovation und Verstellung bei Gracian«, in: ders.: Moralistik und Poetik, Hamburg 1997, S. 99–114

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  86. Neumeister, Sebastian: »Beobachtung und Selbstbeobachtung bei Gracian«, in: Wolfgang Matzat/ Bernhard Teuber (Hgg.): Welterfahrung — Selbsterfahrung. Konstitution und Verhandlung von Subjektivität in der spanischen Literatur der frühen Neuzeit, Tübingen 2000, S. 233–241, bes. S. 237 (Neumeister sieht bei Gracian »ein nicht zu unterschätzendes Modernitätspotential«). Schon Leon Battista Alberti lässt in seinem Momus seu de principe (ca. 1440) verkünden: »Täusche, aber laß es Dir nicht anmerken… Es gibt keine Absichten, die man nicht verdecken kann unter dem Anschein von Ehrlichkeit und Unschuld.« Die Welt erscheint als Ort der Verstellung

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  87. vgl. Jarzombek, Mark: »Das Enigma von Leon Battista Albertis dissimulatio«, in: Kurt W. Foerster/ Hubert Locher (Hgg.): Theorie der Praxis. Leon Battista Alberti als Humanist und Theoretiker der bildenden Künste, Berlin 1999, S. 203–216 (Zitat aus Albertis Werk dort S. 213).

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  88. Zum Beispiel bei Stricker: Klage. Die Kleindichtung des Strickers. Bd. 5. Hg. W. W. Moelleken (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 107 V), Göppingen 1978, V. 279 ff. (Ich chlage, daz nu lutzel iemen/—oder aber vil selten niemen —,/dem andern mac getrowen gar, und zwar aus Angst vor dem Lügen und Betrügen der Mitmenschen).

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  89. Die Skizze von Vecchio, Silvana: »Mensonge, simulation, dissimulation. Primauté de l’intention et ambiguité du langage dans la théologie morale du bas moyen âge«, in: C. Marmo (Hg.): Vestigia, imagines, verba. Turnholt 1997, S. 117–132, präsentiert nur einen (wenn auch den bekanntesten) Teil der mittelalterlichen Diskussion über dissimulatio.

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  90. vgl. zuletzt Henkel, Nikolaus: »Disticha Catonis. Gattungsfelder und Erscheinungsformen des gnomischen Diskurses zwischen Latein und Volkssprache«, in: Barbara Frank u. a. (Hgg.): Gattungen mittelalterlicher Schriftlichkeit, Tübingen 1998, S. 261–283

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  91. ders.: »Was soll der Mensch tun? Literarische Vermittlung von Lebensnormen zwischen Latein und Volkssprache und die >Disticha Catonis<«, in: Eckart Conrad Lutz u. a. (Hgg.): Literatur und Wandmalerei, Bd. II, Tübingen 2005, S. 23–45

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  92. Peter von Moos, >Herzensge-heimnisse< (occulta cordis). Selbstbewahrung und Selbstentblößung im Mittelalter«, in: Aleida und Jan Assmann (Hgg.): Schleier und Schwelle. Archäologie der literarischen Kommunikation V, Bd. 1: Geheimnis und Öffentlichkeit, München 1997, S. 89–109, S. 90, spricht von Verhaltensregeln einer sog. »realistisch-utilitaristischen Weltweisheit« bzw. vom »strategischen Interaktionsmodell« des klerikalen und laikalen Adels, das die Disticha Catonis durchdringe. Zu notwendigen Differenzierungen zwischen monastischer und laikaler Perspektive vgl. Schnell, Wer sieht das Unsichtbare (wie Anm. 23), S. 84–86 u. 97–102.

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  93. Stultitiam simulare loco prudentia summa est (Dist. Catonis II 18). Diese Lebensweisheit übernimmt Salimbene von Parma in seine Cronica (1283), Salimbene von Parma: Cronica. Hg. Ferdinando Bernini, Bd. 1, Bari 1942, S. 216.

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  94. Facetus cum nihil utilius. Leopold Zatocil (Hg.): Cato à Facetus, Brno 1952, S. 287–293, S. 288: Omni spiritui ne credas: nam latet angiuis/in verbo, quo decipitur simplex cito sanquis.

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  95. Facetus moribus et vita. Alfred Morel-Fatio (Hg.): »Mélanges de littérature catalane. III. Le livre de courtoisie«, in: Romania 15 (1886), S. 192–235, Text S. 224–235.

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  96. Auch mittelalterliche Chronisten wussten davon zu berichten. So schreibt Richer von Saint-Remi, Historiae I 35 (um 1000 n. Chr.; MGH SS III 579), über Gislebert, den Herzog von Lotharingen, dieser habe sich in der Öffentlichkeit den Höherrangigen und den ihm Gleichgestellten gegenüber wohlwollend gezeigt, habe insgeheim aber Neid empfunden (maioribus ac sibi aequalibus coram favens, occulte vero invidens). Richer von Saint-Remi: Historiae. Hg. Hartmut Hoffmann (MGH SS V,38), Hannover 2000, S. 71,3.

  97. Scholion des Remigius von Auxerre (ca. 900) in seinem Kommentar zu den Disticha Catonis; vgl. Manitius, M.: »Remigiusscholien«, in: Münchner Museum f. Philologie des Mittelalters u. der Renaissance 2 (1913) 79–113, S. 112 (zu IV 11); vgl. auch ebd. S. 113 (zu IV 30,2 [gehört eigentlich zu IV 31,2]): Mag sich auch jemand äußerlich demütig-bescheiden geben, so kann er doch im Herzen betrügerisch-listig sein (die Verschlagenheit eines Fuchses im Herzen tragen).

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  98. Dies mutmaßt Lachaud, Frédérique: »L’enseignement des bonnes manières en milieu de cour en Angleterre d’après l’Urbanus magnus attribué à Daniel de Beccles«, in: Werner Paravicini/ Jörg Wettlaufer (Hgg.): Erziehung und Bildung bei Hofe, Stuttgart 2002, S. 43–53.

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  99. Zahlreiche Klugheitsregeln in Baltasar Gracian, Handorakel und Kunst der Weltklugheit (wie Anm. 106), korrespondieren mit den Anweisungen in den oben vorgestellten lateinischen Manierenschriften des 12. Jahrhunderts: man solle im Umgang nicht jedem sein Inneres aufschließen; man halte die Leute im Ungewissen über die eigenen Absichten und Fähigkeiten (S. 1, Abschnitt 3; S. 39 Abschnitt 94). Auch Stefano Guazzo, La civil conversazione (1574), plädiert für Verstellung im Umgang mit anderen, damit man von anderen nicht durchschaut werden könne; vgl. Hinz, Manfred: Rhetorische Strategien des Hofmannes. Studien zu den italienischen Hofmannstraktaten des 16. und 17. Jahrhunderts, Stuttgart 1992, S. 352 f. Hinz übersetzt ital. conversazione bei Guazzo wie selbstverständlich mit »Konversation«. Doch meint Guazzo fast durchgehend »Gemeinschaft, die sich durch Sprechen konstituiert«; vgl. Plotke, Seraina: »Conversatio/Konversation: Eine Wort- und Begriffsgeschichte«, in: Rüdiger Schnell (Hg.): Konversationskultur in der Vormoderne. Geschlechter im geselligen Gespräch, Köln u. a. 2008, S. 31–120, bes. S. 72–75.

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  100. Vgl. dazu Gieben, Servus: »Robert Grosseteste and medieval courtesy-books«, in: Vivarium 5 (1967), S. 47–74

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  101. Nicholls, Jonathan: The matter of courtesy. Medieval courtesy books and the Gawain-poet, Woodbridge 1985, S. 162–166.

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  102. Tullia d’Aragona: Dialogue on the infinity of love [1547]. Hg. u. Übers. Rinaldina Russell/Bruce Merry, Chicago/London 1997, S. 91 (einer der Gesprächsteilnehmer möchte mit seiner Meinung über einen Autor nicht herausrücken, weil er Bedenken trägt, dadurch den höflich-höfischen Konversationston zu beschädigen). Wieder zeigt sich das Höfische als Kipp-Phänomen, hier als die Schwierigkeit, das rechte Maß zwischen Verletzen (Wahrheit) und Verschonen (Unwahrheit, Komplimente) zu finden.

  103. Geitner, Ursula: Die Sprache der Verstellung. Studien zum rhetorischen und anthropologischen Wissen im 17. und 18. Jahrhundert, Tübingen 1992, S. 32 f.; dazu die Rezension von Manfred Beetz, in: Arbitrium 14 (1994), S: 45–48, S. 47.

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  104. Le livre de philosophie et de moralité d’Alard de Cambrai. Hg. Jean Charles Payen, Paris 1970; dazu Jung, Marc-René: »Metamorphosen eines Textes in den Handschriften des ausgehenden 13. Jahrhunderts«, in: Wolfram Studien 19 (2006), S. 353–376. Alard versifiziert und erweitert eine vorangegangene anonyme Prosaübersetzung des Moralium dogma philosophorum. Jung datiert Alards Bearbeitung auf 1260; Roling (wie Anm. 80), S. 234, setzt die Entstehungszeit, wohl aus Versehen, noch vor den Architrenius (ca. 1184).

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  105. Dazu gehören die sog. Mantelproben oder Becherproben; zur Crône Heinrichs von dem Türlin vgl. Gutwald, Thomas: Schwank und Artushof, Frankfurt a. M. 2000, S. 133–143

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  106. Vollmann, Justin: Das Ideal des irrenden Lesers. Ein Wegweiser durch die >Krone< Heinrichs von dem Türlin, Tübingen/Basel 2008, S. 151–175.

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  107. Zu anderen Dichtungen und zum Stoffkomplex insgesamt Kasper, Christine: Von miesen Rittern und sündhaften Frauen und solchen, die besser waren. Tugend- und Keuschheitsproben in der mittelalterlichen Literatur, vornehmlich des deutschen Sprachraums, Göppingen 1995.

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  108. Im höfischen Minnesang wird generell Aufrichtigkeit gefordert: Die äußere verliebte Geste soll einer wahren inneren Absicht entsprechen. Der Trobador Bernart de Ventadorn geht sogar so weit zu wünschen, dass den Schmeichlern und Betrügern Hörner auf der Stirne wüchsen, um so falsche und wahre Liebende besser unterscheiden zu können; Bernart von Ventadorn: Lieder. Hg. Carl Appel, Halle 1915, Nr. 31,5

  109. dazu Schnell, Rüdiger: Causa amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur, Bern 1985, S. 22–24. In der von Ovids Ars amatoria und Amores beeinflussten mittelalterlichen Liebesdichtung (mittellateinische Comediae, Carmina Burana u. s.) hingegen wird Täuschung, Verstellung, Verführung durchaus angeraten; dazu

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  110. Schnell, Rüdiger; »Ovids >Ars amatoria< und die höfische Minnetheorie«, in: Euphorion 69 (1975), S. 131–159. Meine damalige Auffassung (ebd. S. 152), dass nur in vor-, nach- und unhöfischer Dichtung die Kongruenz von äußerem Schein und innerem Sein aufgegeben worden sei, würde ich heute relativieren.

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  111. Dass es schwer sei, die innere Verfassung (schlechtes Gewissen, Schmerz, Trauer) lange Zeit nach außen hin zu verbergen, haben zahlreiche Dichter ausgesprochen: Ovid: Metamorphosen II 447; Gottfried von Straßburg: Tristan (wie Anm. 74), V. 17817–19; Rudolf von Ems: Der guote Gêrhart. Hg. John A. Asher (ATB 56), Tübingen 31989, V. 277 ff.; Konrad Fleck: Flore undBlanscheflur. Hg. Emil Sommer, Quedlinburg 1846, V. 3027 ff.

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  112. Thomasin von Zirclaria. Der Wälsche Gast. Hg. Friedrich Rückert (Quedlinburg/Leipzig 1852). Mit einer Einleitung und einem Register von Friedrich Neumann, Berlin 1965. Zum Einfluss des Moralium dogmaphilosophorum auf den Wälschen Gast vgl. zuletzt Roling (wie Anm. 80), S. 253–257.

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  113. Es scheint mir bezeichnend zu sein, dass nahezu alle germanistischen Studien, die sich mit den V. 912–952 befasst haben, lediglich auf den ersten Teil mit seiner Ineinssetzung von Innen und Außen eingegangen sind, den viel interessanteren zweiten Teil mit seiner Thematisierung der dissimulatio (Diskrepanz von Außen und Innen) hingegen ignorierten; vgl. u. a. Hahn, Ingrid: »Zur Theorie der Personerkenntnis in der deutschen Literatur des 12. bis 14. Jahrhunderts«, in: PBB 99 (1977), S. 395–444, S. 412 f.

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  114. Wenzel, Horst: »Höfische Repräsentation. Zu den Anfängen der Höflichkeit im Mittelalter«, in: Hans-Georg Soeffner (Hg.): Kultur und Alltag, Göttingen 1988, S. 105–119, S. 116 f.

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  115. ders.: »>Des menschen muot wont in den ougen.< Höfische Kommunikation im Raum der wechselseitigen Wahrnehmung«, in: Rüdiger Campe/ Manfred Schneider (Hgg.): Geschichten der Physiognomik, Freiburg i. Br. 1996, S. 65–98, bes. S. 85 f.

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  116. Egidi, Margreth: Höfische Liebe. Entwürfe der Sangspruchdichtung, Heidelberg 2002, S. 105

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  117. Weichselbaumer, Ruth: »Normierte Männlichkeit«, in: Ingrid Bennewitz/ Ingrid Kasten (Hgg.): Genderdiskurse und Körperbilder im Mittelalter, Münster 2002, S. 157–177, bes. S. 167–170.

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  118. Dagegen macht Ehlert, Trude: »Ein vrowe sol niht sprechen vil. Körpersprache und Geschlecht in der deutschen Literatur des Hochmittelalters«, in: dies. (Hg.): Demoiselles und chevaliers errants — höfische und nachhöfische Literatur im europäischen Mittelalter. Festschrift für Xenja von Ertzdorff (GAG 644), Göppingen 1998, S. 145–171, bes. S. 169 f., darauf aufmerksam, dass Thomasin an dieser Stelle das Dilemma anspreche, dass die eigentlich positiv konnotierte Affektkontrolle (besser: Körperkontrolle) es den Außenstehenden schwer mache, die wahre Absicht eines Menschen zu erkennen.

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  119. Smail, Daniel Lord: »Emotions and somatic gestures in medieval narratives. The case of Raoul de Cambrai«, in: LiLi Jg. 35, Heft 138 (2005), S. 34–48, zeigt anhand dieser Erzählung, dass Affektkontrolle dann negativ konnotiert wird, wenn sie eigensüchtigen Interessen dient (der allwissende Erzähler vermag dies zu erkennen).

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  120. Berger, Dieter A.: Die Konversationskunst in England 1660–1740. Ein Sprechphänomen und seine literarische Gestaltung, München 1978, S. 97 f.

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  121. Meyer-Kalkus, Reinhart: Wollust und Grausamkeit. Affektenlehre und Affektdarstellung in Lohensteins Dramatik am Beispiel von >Agrippina<, Göttingen 1986, S. 74–78

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  122. Courtine, Jean-Jacques/ Haroche, Claudine: Histoire du visage. Exprimer et taire ses émotions, XVIe-XIXe siècles, Paris 1988, bes. S. 13–51

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  123. Burmann, Henriette: Die kalkulierte Emotion der Geschlechterinszenierung. Galanterierituale nach deutschen EtiketteBüchern in soziohistorischer Perspektive, Konstanz 2000, S. 33

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  124. Beetz, Manfred: Frühmoderne Höflichkeit. Komplimentierkunst und Gesellschaftsrituale im altdeutschen Sprachraum, Stuttgart 1990, S. 37.

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  125. Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Bd. 1 (stw 158), Frankfurt a. M. 71980, S. 101–104; Bd. 2 (stw 159), Frankfurt a. M. 61979, S. 374 f. u. ö.

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  126. Vgl. auch Elias, Norbert: Die höfische Gesellschaft, Darmstadt/Neuwied 1969, S. 158 ff.

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  127. Schmidt, Johanna: Art. »Physiognomik«, in: Paulys Real-Encyklopädie der classischen Altertumswissenschaft, 39. Halbbd., Stuttgart 1941, Sp. 1064–1074

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  128. Megow, Rolg (!): »Antike Physiognomielehre«, in: Das Altertum 9 (1963), S. 213–221; Aristoteles: Physiognomonica (wie Anm. 81); François Delaporte u. a. (Hgg.): La fabrique du visage. De la physiognomie antique à la première greffe, Turnhout 2010.

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  129. Neubert, Fritz: »Die volkstümlichen Anschauungen über Physiognomik in Frankreich bis zum Ausgang des Mittelalters«, in: Romanische Forschungen 29 (1911), S. 557–679

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  130. Ziegler, Joseph: »Skin and character in medieval and early Renaissance physiognomy«, in: Micrologus 13 (2005) 511–535

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  131. ders.: »Médecine et physiognomie du XIVe au début du XVIe siècle«, in: Mediévales 46 (2004), S. 87–105.

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  132. Waltenberger, Michael: Das große Herz der Erzählung. Studien zu Narration und Interdiskursivität im >Prosa-Lancelot< (Mikrokosmos 51), Frankfurt a. M. u. a. 1999, bes. S. 45–70.

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  133. Waltenberger, Das große Herz (wie Anm. 157), S. 52. Vor allem am Phänomen Liebeskrankheit ließ sich die Korrelation von Außen und Innen gut studieren, auch wenn eine an Liebe leidende Person versuchte, ihre Krankheit zu verleugnen. Der deutsche Minnesänger Reinmar singt (MF 176,22), Verliebtsein lasse sich gut daran ablesen, dass jemand erröte, wenn man den Namen der Geliebten ausspreche. Zur Darstellung der Minnekrankheit zuletzt Schneider, Hannes »Liebessemantik und Dialogstruktur im altfranzösischen Narcisus-Lai«, in: Archiv f. d. Studium der neueren Sprachen und Literaturen 238 (2001), S. 40–60, bes. S. 42 f.

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  134. Klinger, Judith: Der mißratene Ritter. Konzeptionen von Identität im Prosa-Lancelot, München 2001, S. 171–295

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  135. Küpper, Joachim: Petrarca. Das Schweigen der Veritas und die Worte des Dichters, Berlin/New York 2002, S. 115–161

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  136. Philipowski, Katharina: »Minne und Krankheit«, in: Neophilologus 87 (2003), S. 411–433

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  137. Honegger, Thomas: »Liebe: Die literarische Darstellung eines Gefühls in der höfischen Literatur des Mittelalters«, in: Paul Michel (Hg.): Unmitte(i)lbarkeit. Gestaltungen und Lesbarkeit von Emotionen, Zürich 2005, S. 225–240.

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  138. So referiert z. B. Johannes Buridanus (14. Jahrhundert) in seinem Kommentar zu diesem Werk die Frage: utrum perphysiognomiam aliquid certum iudicium de morisbus hominum (>ob man anhand der äußeren Gestalt ein sicheres Urteil über die Sitten der Menschen erfahren kann<). Vgl. Thorndike, Lynn: »Buridan’s questions on the physiognomy ascribed to Aristotle«, in: Speculum 18 (1943), S. 99-103, hier S. 99 A. 4; Michael, Bernd: Johannes Buridan. Studien zu seinem Leben, seinen Werken und zur Rezeption seiner Theorien im Europa des späten Mittelalters, Diss. Berlin 1985, S. 783 ff.

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  139. Klosterangehörigen, die aufgrund ihrer Amtsfunktion in Kontakt mit fremden, auswärtigen Personen kamen (z. B. der Türhüter, portarius), wurde eingeschärft, wie wichtig die Menschenbeobachtung sei. Der Prior des Konvents musste imstande sein, die unterschiedliche Beschaffenheit, Verfassung und Disposition seiner Mitbrüder, sowohl äußerlich wie innerlich, zu erkennen, und durfte sie nicht alle gleich behandeln. Dementsprechend sollte er sich der inneren Disposition eines jeden anzupassen wissen. Vgl. Humbertus de Romanis: Instructiones de officiis ordinis. Opera de vita regulari. Hg. J. J. Berthier, Bd. 2, Rom 1889 (Nachdruck Rom 1956), S. 179–369, S. 205 (III 5). Vom eleemosynarius wurde gefordert zu erkennen, welches Almosen er wann, wie und von wem erbitten durfte (ebd. S. 285, XXII 1).

  140. Hartmann von Aue: Iwein (wie Anm. 41), V. 4191 f., lässt eine Figur verkünden: Um einen Menschen kennenzulernen, brauche man lange Zeit. Allgemeiner zum Thema Kartschoke, Dieter: »>Der ain was grâ, der ander was chal<. Über das Erkennen und Wiedererkennen physiognomischer Individualität im Mittelalter«, in: Johannes Janota (Hg.): Festschrift für Walter Haug und Burghart Wachinger, Tübingen 1992, S. 1–24; Hahn, Zur Theorie der Personenerkenntnis (wie Anm. 150), bes. S. 419 ff.

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  141. Achermann, Eric: »Substanz und Nichts. Balthasar Gracian und Christian Thomasius«, in: Manfred Beetz/ Herbert Jaumann (Hgg.): Thomasius im literarischen Feld, Tübingen 2003, S. 7–34, bes. S. 15–17 spricht vom Epochenbruch, weil die höfische Literatur des Mittelalters bis und mit Castiglione von der Kongruenz von Außen [decorum] und Innen [honestum] ausgegangen sei. Was Achermann jedoch als Neuerung hervorhebt, haben wir schon im Urbanus magnus, in den Disticha Catonis und anderen mittelalterlichen Texten vorgefunden: der Einzelne kämpft gegen die Anderen; egoistische Selbstbehauptung herrscht; das Leben des Menschen ist ein Kampf gegen die Boshaftigkeit des Menschen). Burmann, Die kalkulierte Emotion (wie Anm. 153), S. 30–33, 158 f. u. 166–169 u. 182 f., konstruiert folgende Phasen: a. Rittertum im Mittelalter (Einheit von Äußerem und Innerem); b. Adelskultur im 17. Jahrhundert (Klugheitslehren: Verbergen der Affekte, was dann zu Misstrauen geführt habe); c. Bürgertum im 18. Jahrhundert (Versuch einer Harmonisierung von Innen und Außen, Stichworte >Aufrichtigkeit<, >Wahrhaftigkeit<).

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  142. Peil, Dietmar: Die Gebärde bei Chrétien, Hartmann und Wolfram: Erec — Iwein — Parzival, München 1975, S. 297–302; Hahn, Zur Theorie der Personerkenntnis (wie Anm. 150), bes. S. 419–430; Wenzel, >Des menschen muot … < (wie Anm. 150)

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  143. ders., Spiegelungen. Zur Kultur der Visualität im Mittelalter, Berlin 2009

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  144. Czerwinski, Peter: Der Glanz der Abstraktion. Frühe Formen der Reflexivität im Mittelalter, Frankfurt a. M. 1989, S. 181 ff. (sieht im 12./13. Jahrhundert eine Übergangsphase zwischen einer eindeutigen hin zu einer mehrdeutigen Welt, in der Verstellung, Intrige, d. h. das Auseinandertreten von Sein und Schein zu beobachten sei); Schneider, Hovezuht (wie Anm. 28), S. 127–134 (Schneider nimmt an, dass erst vom 14. Jahrhundert an die Diskrepanz von Außen und Innen ein Thema der am Hof produzierten Literatur werde). Im Hinblick auf die mittelalterlichen Emotionsdarstellungen vertritt Jan-Dirk Müller (wie Anm. 73) die These, bis Ende des 12. Jahrhunderts sei Inneres nur als Äußeres sichtbar geworden; bis dahin habe es keinen eigenen Innenraum gegeben; erst ab 1200 sei eine Differenz zwischen äußerem Auftreten und innerer emotionaler Befindlichkeit entdeckt und gestaltet worden. Dazu oben Anm. 73. Dass die Übereinstimmung von Außen und Innen in höfischen Romanen zuweilen in Frage gestellt wird, bemerkt Armin Schulz: Schwieriges Erkennen. Personenidentifizierung in der mittelhochdeutschen Epik, Tübingen 2008, S. 212–216.

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  145. Vgl. u. a. Brinkmann, Hennig: Mittelalterliche Hermeneutik, Darmstadt 1980, S. 52–69

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  146. Lentes, Thomas: »>Andacht< und >Gebärde<. Das religiöse Ausdrucksverhalten«, in: Bernhard Jussen/ Craig Koslofsky (Hgg.): Kulturelle Reformation. Sinnformationen im Umbruch 1400–1600, Göttingen 1999, S. 29–67

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  147. Bumke, Joachim: Die Blutstropfen im Schnee. Über Wahrnehmung und Erkenntnis im »Parzival« Wolframs von Eschenbach, Tübingen 2001, S. 15–27; Schnell, Emotionsdarstellungen im Mittelalter (wie Anm. 73), S. 98–102; Schnell, Wer sieht das Unsichtbare? (wie Anm. 23), S. 88-91.

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  148. Friedman, L. J.: »Occulta cordis«, in: Romance Philology 11 (1957), S. 103–119, bes. S. 107 ff.

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  149. Hugo von St. Viktor: De institutione novitiorum, cap. 12 (PL 176,938): etwaige ungeordnete, unkontrollierte Bewegungen des Körpers gingen nicht auf eine eigenständige Herrschaft des Körpers zurück, sondern ließen auf eine Verderbnis der mens bzw. der anima schließen. Von dieser wechselseitigen Beeinflussung von Körper und Seele ist auch Richard von St. Viktor überzeugt (Benjamin maior, PL 196,97: sicut motus cordis absque contradictione statim exit per motum corporeum, sic omnis sensus corporis absque mora intrat ad animum. David von Augsburg: De exterioris et interioris hominis compositione, Quaracchi 1899, I 1,15,4, ist ebenfalls der Auffassung: exterior enim incompositio corporis est indicium indevotae mentis. Übersetzt wird dies in der Handschrift Melk, StiB, cod. 677, fol. 16v: wann awssre vntzucht ist ein tzaichen eins vnandächtigen hertzen. Die christlich-theologische Lehre fasst zusammen Thomas von Aquin: Summa theologica, II ii q. 168 art. 1 (quod motus exteriores [z. B. das Lachen, der Gang] sunt quaedam signa interioris dispositionis. […] per motus etiam exteriores alii homines de nobis iudicium capiunt.). Zu frühmittelalterlichen monastischen Schriften, die die Interdependenz von körperlichen und seelischen Vorgängen thematisieren

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  150. Schmitt, Jean-Claude: Die Logik der Gesten im europäischen Mittelalter, Stuttgart 1992, S. 64 f., 67 (Ambrosius: die Bewegung des Körpers sei die Stimme des Geistes), 71 u. 170 f.

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  151. Diese Skepsis galt vor allem gegenüber weiblicher Schönheit; vgl. z. B. Kölbl, Angelika: Der Blick auf die Frau. Frauendidaxe in den Reden Heinrichs des Teichners, Wien 2005, S. 176 ff.

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  152. Ein schönes Beispiel für dieses Nachdenken über das Problem ambivalenter Zeichen liefert der spätmittelalterliche Sang spruchdichter Frauenlob (um 1300); Frauenlob (Heinrich von Meissen): Leichs, Sangsprüche, Lieder. Hg. Karl Stackmann/ Karl Bertau, 2 Teile, Göttingen 1981, S. 557 (III 50): Auch wenn eine adlige Dame beständigen Sinnes sei, werde sie des Wankelmuts oder gar der Zuchtlosigkeit verdächtigt, falls sie freizügiges Gebaren an den Tag lege. Eigentlich habe jedes Ding sein Zeichen (also Glaube an Entsprechung von Innen und Außen), doch komme es auch oft vor, dass ein diszipliniertes Gebaren sittliche Defizite verdecke. Damit ist aber von beiden Seiten her (von Innen wie von Außen her) der Zeichencharakter des Sichtbaren in Frage gestellt. Vgl. dazu Egidi, Höfische Liebe (wie Anm. 150), S. 121. Dasselbe Nachdenken kennzeichnet die umfangreiche Manierenschrift des Julius Bernhard von Rohr: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschaft der Privat-Personen, Berlin 1728 (Nachdruck: Gotthardt Frühsorge [Hg.], Leipzig 1989), der sich kritisch zur Gewohnheit seiner Zeitgenossen äußert, vom äußeren Aussehen oder Auftreten einer Person auf deren innere Qualitäten zu schließen (S. 25 u. 179–181). Daß sich aber auch die meisten Menschen bey ihren Urtheilen in diesem Stück, so wie in andern, gewaltig vergehen, ist auch mehr mehr als zu bekandt (ebd., S. 180). Wie Frauenlob wägt er dann die beiden Möglichkeiten einer Diskrepanz ab: Es sei besser, dass jemand seine guten Qualitäten in der Tat zeige (auch wenn seine Qualität nicht am Gesicht abgelesen werden könne), als dass er ein kluges Gesicht mache, aber nichts dahinterstecke (ebd., S. 189).

  153. Vgl. auch Sickert, Ramona: »Difficile tamen est iudicare alieni cordis occulta … Persönlichkeit oder Typus? — Elias von Cortona im Urteil seiner Zeitgenossen«, in: Gert Melville/ Markus Schürer (Hgg.): Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum, Münster 2002, S. 303–337, S. 331. Archipoeta, Vagantenbeichte, Str. 22,4, formuliert eine damals weitverbreitete Auffassung: Der Mensch sieht das Gesicht, Gott aber sieht das Herz (homo videt faciem, sed cor patet Iovi); s. Lateinische Lyrik des Mittelalters, Lateinisch/deutsch. Hg. u. Übers. Paul Klopsch, Stuttgart 1985, S. 370.

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  154. S. oben Anm. 177 zu Julius Bernhard von Rohr (1728). Dass die Diskussion über die Relation von Zeichen (Körper) und Bezeichnetem (Affekt, innere Disposition) im 16.–18. Jahrhundert differenzierter und umfassender geführt wurde als im Mittelalter, sei gerne zugestanden; vgl. u. a. Campe, Rüdiger: Affekt und Ausdruck. Zur Umwandlung der literarischen Rede im 17. und 18. Jahrhundert, Tübingen 1990, bes. S. 279–471, zu Physiognomik und Affektenlehre.

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  155. Zur Differenz von äußerer Schönheit und innerer Verderbtheit bzw. zur Differenz von äußerer Hässlichkeit und innerer Tugendhaftigkeit liegen zahlreiche Studien vor; vgl. Michel, Paul: »Formosa deformitas«. Bewältigungsformen des Häßlichen in mittelalterlicher Literatur, Bonn 1976

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  156. Ernst, Ulrich: »Der Antagonismus von vita carnalis und vita spiritualis im Gregorius Hartmanns von Aue«, in: Euphorion 72 (1978), S. 160–226, bes. S. 195–202

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  157. Dallapiazza, Michael: »Häßlichkeit und Individualität. Ansätze zur Überwindung der Idealität des Schönen in Wolframs von Eschenbach Parzival«, in: DVjs 59 (1985), S. 400–424

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  158. Schmitz, Silvia: »>Der vil wol erchennen kan<. Zu Gautiers und Ottes Eraclius«, in: GRM 42 (1992), S. 129–150

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  159. Bleumer, Hartmut: »Das wilde wîp. Überlegungen zum Krisenmotiv im Artusroman und im Wolfdietrich B«, in: Alan Robertshaw/ Gerhard Wolf (Hgg.): Natur und Kultur in der deutschen Literatur des Mittelalters, Tübingen 1999, S. 77–89. In allen Erzählungen, die vom Motiv der List und der Verstellung leben, kommt es zur Diskrepanz von Außen und Innen, in Antike, Mittelalter und Neuzeit. Vgl. zu Gottfrieds Tristan Haferland, Höfische Interaktion (Anm. 129), S. 287–301

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  160. Schnell, Rüdiger: Suche nach Wahrheit, Tübingen 1992 (passim)

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  161. zu Kurzerzählungen vgl. Linke, Hansjürgen: »Schein und Sein in den Erzählungen Herrands von Wildonje«, in: Horst Brunner/ Werner Williams-Krapp (Hgg.): Forschungen zur deutschen Literatur des Spätmittelalters. Festschrift Johannes Janota, Tübingen 2003, S. 1–13.

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  162. Zur vielschichtigen Relationierung von Innen und Außen im Bereich der Emotionsdarstellungen vgl. Schnell, Rüdiger: »Historische Emotionsforschung. Eine mediävistische Standortbestimmung«, in: Frühmittelalterliche Studien 38 (2004) [erschienen 2005], S. 173–276; ders., Emotionsdarstellungen im Mittelalter (wie Anm. 73).

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  163. Eming, Jutta: »Die Maskierung von Emotionen in der Literatur des Spätmittelalters. Florio und Biancefora und Eurialus und Lucretia«, in: LiLi Jg. 35, Heft 138 (2005), S. 49–69, meint, bei den männlichen Helden des Mittelalters sei Inneres stets am Äußeren ablesbar gewesen. Verstellungen seien verurteilt worden. Nobilitierung und Positivierung der Verstellung sei erst im Spätmittelalter (15./16. Jahrhundert) erfolgt. Nun erst erscheine Simulation und Dissimulation positiv als unerlässliches Verfahren in Konfliktsituationen.

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  164. Eming führt diese >Neuerung< auf italienischen Einfluss, d. h. auf den Diskurs der Hofmannstraktate zurück. Dieselbe These vertritt sie auch in Eming, Jutta]: Emotion und Expression. Untersuchungen zu deutschen und französischen Liebes- und Abenteuerromanen des 12. bis 16. Jahrhunderts, Berlin/New York 2006, Kap. 7 und 8 (dazu meine Rezension in: ZfdA 2010). Demgegenüber mag daran erinnert werden, dass höfische dissimulatio schon im Hochmittelalter zur curialitas gehörte (sogar Erec verstellt sich in Hartmanns gleichnamigem Roman, um bedrohtes Leben zu retten, V. 5458 ff.). Wenn überhaupt müsste man eher von gattungsgeschichtlichen als von epochengeschichtlichen Veränderungen ausgeh

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  165. Ardity, Jorge: A genealogy of manners. Transformations of social relations in France and England from the fourteenth to the eighteenth century, Chicago/London 1998, vertritt die Auffassung, im Mittelalter seien Verhalten (»behaviors«) und Bedeutung (»meaning«) eng verbunden gewesen (S. 86); überdies hätten sich im Mittelalter Diskurs und Praxis kaum voneinander unterschieden (S. 73). Außerdem gesteht er dem Mittelalter vor dem 13. Jahrhundert keine Verhaltensregeln zu, die nicht vom kirchlichen Moralkodex bestimmt gewesen seien (S. 68–73). Pragmatische Anweisungen, wie ich sie für die lateinischen Manierenschriften des 12. Jahrhunderts nachgewiesen habe, dürfte es demnach gar nicht geben.

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  166. Aus der umfangreichen Forschungsliteratur sei nur verwiesen auf Strohschneider, Peter: »>nu sehent, wie der singet!< Vom Hervortreten des Sängers im Minnesang«, in: Jan-Dirk Müller (Hg.): >Aufführung< und >Schrift< in Mittelalter und Früher Neuzeit, Stuttgart/Weimar 1996, S. 7–30

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  167. Müller, Jan-Dirk: »Performativer Selbstwiderspruch. Zu einer Redefigur bei Reinmar«, in: PBB 121 (1999), S. 379–405 (wieder in: Jan-Dirk Müller: Minnesang und Literaturtheorie. Hg. Ute von Bloh/Armin Schulz, Tübingen 2001, S. 209–231)

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  168. Schnell, Rüdiger: »Minnesang und Sangspruch im 13. Jahrhundert. Gattungsdifferenzen und Gattungsinterferenzen«, in: WolframStudien 21 (2010) [im Druck].

  169. Vgl. Schnell, Rüdiger: Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe, Köln u. a. 2002, S. 363 f. Vgl. z. B. Roman de Flamenca. Hg. U. Gschwind, Bern 1976, V. 4238–4243.

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  170. Vgl. Hartmann von Aue: Gregorius. Hg. Burghart Wachinger (ATB 2), Tübingen 152004, V. 879–885; Hartmann von Aue: Iwein (wie Anm. 41), V. 2328 ff. u. 3810

  171. Konrad von Würzburg: Partonopier und Meliur. Hg. Karl Bartsch, mit einem Nachwort von Rainer Gruenter, Berlin 1970, V. 1570–1930 u. 15590–15665; Jaufre, alt-provenzalischer Abenteuerroman des 13. Jahrhunderts. Hg. Hermann Breuer, Halle 1925, V. 7490 ff. Zu französischen Beispielen vgl.

  172. Chênerie, Marie-Luise: Le chevalier errant dans les romans arthuriens en vers des XIIe et XIIIe siècles, Genf 1986, S. 454 f.

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  173. Ruhe, Doris: »Wie sollen Frauen sprechen? Zur Regulierung weiblichen Sprechverhaltens in Erziehungsschriften des französischen Mittelalters«, in: Peter von Moos (Hg.): Zwischen Babel und Pfingsten. Sprachdifferenzen und Gesprächsverständigung in der Vormoderne (8.–16. Jahrhundert), Münster 2008, S. 627–647.

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  174. Ganz nahe beieinander stehen diese beiden Positionen etwa im Ensenhamen des Arnaut Guilhem de Marsan, G. E. Sansone (Hg.): Testi didattico-cortesi di Provenza, Bari 1977. Dieses Ende des 12. Jahrhunderts verfasste Lehrgedicht kennt durchaus eine Kongruenz zwischen Außen und Innen (»Augen und Hände sind sehr oft Boten der Gesinnung«, messatie del coratie, 359 f.), rät aber zugleich dazu, diese Kongruenz nach außen hin zu unterbinden: »Kontrolliert die Augen geschickt, so dass sie nicht dumm einherschauen« (V. 361 f.) Durch geschickte Selbstdisziplinierung kann eine Person ihre Mitmenschen über ihre inneren Qualitäten täuschen. Auch dies also gehört zum höfischen Erziehungsziel: nach außen hin einen möglichst vorteilhaften Eindruck zu machen; vgl. Schnell, Wer sieht das Unsichtbare? (wie Anm. 23), S.95 f.

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  175. Müller-Oberhäuser, Gabriele: »Gender, Emotionen und Modelle der Verhaltensregulierung in den mittelenglischen Courtesy Books«, in: Ingrid Kasten u. a. (Hgg.): Kulturen der Gefühle in Mittelalter und Früher Neuzeit (Querelles 7), Stuttgart/Weimar 2002, S. 27–51.

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Schnell, R. Curialitas und dissimulatio im Mittelalter. Zur Interdependenz von Hofkritik und Hofideal. Z Literaturwiss Linguistik 41, 77–138 (2011). https://doi.org/10.1007/BF03380034

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