Abstract
Der Monomythos des Helden nach Joseph Campbell basiert auf dem kollektiven kulturübergreifenden Wissen, dass Veränderung einer universellen Struktur folgt. Daraus entstand eines der bekanntesten narrativen Rahmenmodelle, dessen Struktur für den Aufbau von Geschichten und Drehbüchern in Literatur und Film übertragen wurde. Dieser Artikel stellt das Heldenprinzip® vor, eine Dramaturgie, die den Monomythos des Helden zur Gestaltung organisationaler Veränderungsprozesse in der Gegenwart adaptiert.
Der Artikel gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil wird eine Arbeitsweise vorgestellt, die auch und gerade auf künstlerisches und dramaturgisches Arbeiten zurückgreift, damit Veränderungsprozesse in Organisationen erlebbar werden und eine konstruktive Auseinandersetzung stattfinden kann. Der zweite Teil erläutert die Grundlagen des Heldenprinzip®, um einen Orientierungsrahmen für Veränderungsprozesse aufzuspannen. Im dritten Teil steht die „Schrittfolge des Wandels“ im Mittelpunkt. Hier wird die Struktur des Heldenprinzip® in den spezifischen einzelnen Szenen einer gelingenden Veränderungsdramaturgie beschrieben.
Der Artikel verdeutlicht das Potenzial des Monomythos des Helden für die Gestaltung von Veränderungsprozessen von Individuen, Teams, Projekten und Organisationen. Anhand der Diskussion von Anwendungsfeldern und ‐ebenen wird der Nutzen des Modells für Organisationen und für die Etablierung einer schöpferischen Kultur der Veränderung aufgezeigt.
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Notes
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Steeger (2016): Wie Lean Construction auf den brasilianischen „Jeitinho“ traf.
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Forschungsprojekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Entwicklung des Heldenprinzip® konnte mit dem vom BMBF geförderten Forschungsprojekt „Innovationsdramaturgie nach dem Heldenprinzip®“ initiiert, evaluiert und in der unternehmerischen Praxis erprobt werden. Im Förderprogramm „Die Balance von Flexibilität und Stabilität in einer sich wandelnden Arbeitswelt“ wurde es im Verbund zwischen der Universität der Künste Berlin Zentralinstitut für Weiterbildung und der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin durchgeführt (2009–2013). Die Forschungsleitung hatte Nina Trobisch. Die Arbeit von Dr. Karin Denisow und Dieter Kraft sind maßgeblich für unsere Ergebnisse, die auch in diesem Artikel vorgestellt werden. www.heldenprinzip.de
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Transrational: Unter transrational verstehen wir den Zuwachs an Handlungsfähigkeit durch die Erweiterung rationaler Erkenntnis mit Hilfe von Intuition, Sinnlichkeit und Emotion. Die Spezifik transrationalen Arbeitens zeigt sich u. a. im wechselseitigen Transfer von Assoziation und Kognition oder von Mythischem und Alltäglichem.
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Mythen bündeln universelle Erfahrungen und geben Wissen weiter – in emotionalen Bildern und Geschichten. Um den Zusammenhängen des Lebens Form zu geben und sie einsichtig zu machen, schufen die Menschen sich große Bildwelten. Sie sind über Kulturkreise und Zeiten hinweg ein kollektiver, weltweiter Fundus der Menschheit. Wir definieren den Mythos als ursprüngliche Form von Erkenntnis, der den Grundstock elementarer Auseinandersetzung des Menschen mit seinen Erfahrungen umfasst und dieses Lebenswissen tradiert. Bewusst und unbewusst sind sie auch heute noch Teil unserer Verarbeitung von Wirklichkeit und beeinflussen die psychische Verfasstheit von Menschen. Sie leben – im Grunde unseres Herzens – in uns. So betrachtet sind Mythen Ausdruck einer seit Jahrtausenden gepflegten Lesart von Sachverhalten, Geschehnissen und Erklärungen, die über das rein rationale Abbilden von Mensch und Natur oder ihre prärationale Simplifizierung weit hinausreicht. Das Besondere dieser Weltaneignung liegt in der Verdichtung zu metaphorischen und narrativen Formen: In Zeichen, Bildern, Symbolen, Figuren, Situationen und lebendigen Handlungssträngen. Damit bieten sie eine Plattform an für unterschiedliche Deutungen: Poetische und soziologische, strukturalistische und symbolistische, psychologische und transzendentale.
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Kurt Hübners Lesart des Mythos als Beschreibung des inneren Wesens der Dinge in ihrem Zusammenhang, betrachten wir als den Kern des Mythos. So wird das gegenwärtige, wissenschaftsorientierte Verstehen von Welt durch die mythische Substanz erweitert (Hübner 1985).
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„Der Heros in tausend Gestalten bewirkte eine elektrisierende Neuorientierung meines Lebens und Denkens. Hier lag tatsächlich das Muster, das ich immer schon vermutet hatte […]. Campbell hatte es geschafft, den Geheimcode des Geschichtenerzählens zu entschlüsseln. Sein Werk war für mich wie eine Leuchtkugel, die plötzlich eine tiefdunkle Landschaft erhellt“ (Vogler 1997).
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Daraus entstand in der Folgezeit das methodische Handwerkszeug für ein künstlerisch erfolgreiches und monetär profitables Erzählen von Filmgeschichten. Christopher Voglers „Die Odyssee des Drehbuchschreibers“ und Hammanns „Die Heldenreise im Film“ fokussieren diese Erkenntnisse für die Welt der Drehbücher. So entstanden Filme, die unter die Haut gehen. Sie eröffnen eine durch Filmbeispiele bekräftigte Argumentation, die auf den unauflöslichen Zusammenhang von mythologischen und zeitgenössischen Themen verweist.
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In Auswertung unseres mehrjährigen Forschungsprojekts „Innovationsdramaturgie nach dem Heldenprinzip“ und der praktischen Entwicklungsarbeit in Unternehmen bestätigte sich die offensichtliche Analogie zwischen den Dynamiken in der Arbeitswelt und der Charakteristik eines Heldenweges.
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Was aber ist die Voraussetzung dafür, zu einer natürlichen Sorge für Andere und Anderes zu kommen? Voraussetzung dafür ist, selbst im Einklang mit sich zu sein. Um diesen Einklang zu finden, muss man wahrnehmen, was es an innerer Reifung dafür braucht. Der Reifegrad zeigt sich in der Ausbalanciertheit der vier Sphären des Menschen: Körper, Geist, Herz und Seele. Orientiert an der Theorie von C. G. Jung, nach dessen Auffassung vier psychologische Funktionen zur Ganzheit des Menschen gehören, besteht der Weg des Helden darin, die am wenigsten entwickelte oder gestörte (inferiore) Funktion zur Entfaltung zu bringen. Das Heldenprinzip dient dementsprechend dazu, zu erkunden, welche Funktion bei Mensch oder Organisation inferior ist. Es hält Mittel und Methoden bereit, Zugang zu den dort brachliegenden Potenzialen zu erhalten. Auf diese Weise lernt der Held, in ganzheitliche Kongruenz mit sich zu kommen: körperlich, kognitiv‐rational, emotional und kreativ‐intuitiv.
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Ausführliche Beschreibung siehe „Heldenprinzip® – Kompass für Innovation und Wandel“, S. 29–32 (Trobisch et al. 2012).
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Ausführliche Beschreibung siehe „Heldenprinzip® – Kompass für Innovation und Wandel“, S. 52–122. Hier findet sich eine detaillierte Aufschlüsselung der Szenen in: Eigene Erinnerung/Charakter der Szene/Dramaturgische Funktion/Aufgabe des Helden/Nutzen und Botschaft für heute/Empfehlungen/Essenz/Bespiele aus Mythen und Märchen, Film, Unternehmen und Personen/Beispiel einer Begleitsequen.
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Hier nochmal erwähnt: Helden meinen die männliche und die weibliche Form, Alte oder Junge, Alltagshelden oder dramatische Figuren.
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Aaron Antonovsky definiert in seinem Salutogenese‐Konzept, den „sense of coherence“. Menschen brauchen einen Sinn für Stimmigkeit und Zusammenhalt und zudem ein Gefühl dafür, ob und wie sich dieser Sinn gerade in ihren konkreten Situationen ausprägt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Menschen umso gesünder sind, je stärker ihr Kohärenzsinn ist und sie in der Lage sind, in ihren Lebensumständen diese Kohärenz zu fühlen. Kohärenz zeigt, in welchem Ausmaß eine Person empfindet, Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit in einer Situation zu erkennen. Ein Gefühl für Kohärenz in Veränderungsprozessen entsteht unter drei wesentlichen Voraussetzungen: Verstehen: Veränderungen müssen in ihrem Zusammenhang verstanden werden; Meistern: Das nötige Selbstvertrauen und die Mittel müssen verfügbar sein; Sinn wahrnehmen: In der Veränderung muss ein Sinn erkannt werden.
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Dirk Baecker (1994): „Postheroisches Management ist so gesehen nichts anderes als ein Management, das sein Heldentum nicht mehr in der Verfügung über Kapitalvermögen und einer Inszenierung entsprechender Risikobereitschaften und Verantwortungen sucht, sondern einen neuartigen Spürsinn für die sachlichen und sozialen Dimensionen der Organisation von Arbeit und der Verteilung von Verantwortlichkeit entwickelt, die damit einhergeht. Das geht nur unheroisch, weil grandiose Gesten nicht geeignet sind, andere zur Mitarbeit anzuregen.“ 2007 fügte er hinzu: „Vom postheroischen Management sprechen wir, weil das Heroische darin bestand, zugunsten des Gewinns von Tragik und von Komik an den einmal gesetzten Unterschieden festzuhalten. Held ist, wer entweder beeindruckend triumphiert oder großartig scheitert. Alle anderen sind bloß Beobachter, die dem Weltenlauf nichts hinzuzufügen haben, sondern allenfalls die anfallenden Arbeiten erledigen. Im postheroischen Management werden die Beobachter aus ihrer passiven Rolle befreit. Sie werden zu Akteuren.“
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Strukturell sind diese Unternehmen dezentral organisiert. Alle Funktionen, die nicht in der direkten Wertschöpfung aktiv sind, werden schlank gehalten und sind Dienstleister der direkt wertschöpfenden Beschäftigten. Kontrolle und Hierarchie sind zweitrangig. Diese Unternehmen haben sich vom Diktat durch Zahlen verabschiedet, sondern ihre Kultur darauf ausgerichtet, die kundeninduzierten Signale des Marktes (z. B. durch die Beschäftigen) aufzunehmen und rasch in neue Lösungen bzw. Angebote zu überführen.
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VUKA – Abkürzung und Umschreibung für den Zeitgeist der Gegenwart: Volatil, Unsicher, Komplex, Ambivalent.
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Trobisch, N. (2017). Struktur und Dramaturgie in Veränderungsprozessen – Das Heldenprinzip®. In: Chlopczyk, J. (eds) Beyond Storytelling. Springer Gabler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54157-9_11
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