Zusammenfassung
Zum Thema „Einsatz digitaler Medien in Schule und Unterricht“ gibt es viele, v. a. quantitative Studien, aber wenige untersuchen aus qualitativ-rekonstruierender Perspektive, wie genau Lehrer*innen in ihrem Arbeitsalltag in, mit und durch digitale Medien agieren. Das Projekt EduGraphie bearbeitet einen Teil dieser Datenlücke, indem es mittels fokussierter Videographie und Eye-Tracking-Technologie, dem sogenannten Eye-Viewing, pädagogische, medienbasierte Praktiken von Lehrer*innen ethnographisch-rekonstruierend in den Blick nimmt. Der Beitrag stellt das Projekt mit seinen theoretischen Grundlagen sowie die in ihm explorierten methodischen Neuerungen vor und gibt exemplarisch Einblicke in erste Datenerhebungen und -analysen. Hierzu werden beide Perspektiven (theoretisch-methodische Grundlagen sowie Projektverlauf) im Beitrag miteinander in Bezug gesetzt, um einen umfassenden Einblick in das Forschungsprojekt zu geben und erste Ergebnisse vorzustellen.
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Notes
- 1.
Weitere Informationen zum Forschungsprojekt EduGraphie: https://www.sowi.uni-kl.de/paedagogik/forschung/projekte-allgemeine-paedagogik/projektuebersicht/edugraphie/
- 2.
Bezug genommen wird hier auf einen Medienbegriff, der nicht mehr nur technisch vermittelt gefasst wird. So werden Medien, vor allem das Internet mit seinen sozialen Anwendungen, breiter definiert als ein Werkzeug zur Nutzung: Der Begriff des Mediums wird konzipiert als Raum und Schauplatz (Sesink 2008) bzw. als soziales Milieu (Meyer 2008), in dem man sich bewegt.
- 3.
Das in den Blick nehmen von pädagogischen Praktiken in und durch digitale(n) Medien ist nochmals gesondert method(olog)isch zu reflektieren, was an dieser Stelle nicht geleistet werden kann.
- 4.
Lehrpersonen, die an der Studie teilnehmen, werden dabei aber nicht sofort mit den Aufzeichnungen „überfallen“. Zuvor haben die Forschenden in ihrem Unterricht oder während ihrer Unterrichtsvorbereitungen hospitiert bzw. diese/n ohne Kamera teilnehmend beobachtet.
- 5.
Grundsätzlich werden in unserem Projekt die Eye-Tracking-Technologie und Videokameras nur in vorab definierten Räumen (bestimmte Klassenräume, Vorbereitungsräume, Büros) eingesetzt, in denen alle (potenziell) Anwesenden den Aufzeichnungen explizit zugestimmt haben. Ethisch bedenkliche Aufnahmen (auf einer unserer Aufnahmen sieht man bspw. Medikamente, die nahelegen, dass die Lehrperson sie regelmäßig einnimmt), werden systematisch aus der Rekonstruktion ausgeschlossen und bei Veröffentlichung geblurrt.
- 6.
Ein Gymnasium, eine integrierte Gesamtschule, eine Berufsbildende Schule, eine Grundschule und eine Privatschule in Rheinland-Pfalz und dem Saarland werden von uns beforscht.
- 7.
In dem Projekt „Zuhause-Schule“ wurde keine Eye-Tracking-Technologie bzw. Kamera eingesetzt, da wir dies als zu invasiven Eingriff in diesen doch sehr privaten Raum empfanden. Im Zuge Teilnehmender Beobachtungen wurden handschriftliche Notizen gemacht. Im Anschluss wurden Beobachtungsprotokolle in Fließtexte überführt, in die zudem Transkripte der offenen Interviews mit den Familienmitgliedern eingebettet wurden.
- 8.
Normalerweise steht das Lehrer*innenbüro mehreren Lehrpersonen zur Verfügung. Pandemiebedingt wurden die Lehrpersonen von der Schulleitung dazu angehalten, die Unterrichtsvorbereitung nach Möglichkeit in ihr Zuhause zu verlagern.
- 9.
Wir wissen natürlich nicht, ob er tatsächlich liest. Wir sehen, dass der Fixationspunkt langsam von links nach rechts über die Buchstaben streift. Um die Leserlichkeit der Beschreibung für die Leser*innenschaft zu erhöhen, haben wir aber solche vorikonografischen Beschreibungen durch eher ikonografische ersetzt.
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Troxler, C., Neto Carvalho, I., Schiefner-Rohs, M. (2022). Projekt EduGraphie: Durch Eye-Viewing medienbasierte pädagogische Praktiken von Lehrer*innen im Schulalltag sichtbar machen. In: Kuttner, C., Münte-Goussar, S. (eds) Praxistheoretische Perspektiven auf Schule in der Kultur der Digitalität. Schule und Gesellschaft, vol 62. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-35566-1_13
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