Zusammenfassung
„Als die Kanzlerin am Freitag in die Parteitagshalle im Münchner Messegelände einzog, blieben viele Delegierte demonstrativ sitzen – und der Beifall fiel äußerst bescheiden aus. Ein Mann hielt zwei Zettel hoch, mit dem Schriftzug ‚Merkel raus‘“ (Lohse und Schäffer Lohse, Eckart, und Albert Schäffer. 2015. Schläge aus München härten ab. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. November 2015.). Dieser Bericht von Angela Merkels Auftritt auf dem CSU-Parteitag 2015 beschreibt eindrücklich, wie sehr in jenem Herbst die Meinungsverschiedenheiten in der Flüchtlingspolitik das Verhältnis zwischen CDU und CSU strapazierten.
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Notes
- 1.
Analysen, die innerhalb Bayerns Bewertungen der CSU und außerhalb Bayerns Bewertungen der CDU berücksichtigen, gehen von dem Spezialfall aus, dass sich Bürger bei der Wahlentscheidung exakt an Wahlgebietsgrenzen halten.
- 2.
Da Personen sich in der Skalennutzung unterscheiden könnten, ermittelten wir für alle Befragten die Spannweite ihrer Bewertungen und korrigierten damit die oben dargestellten absoluten Differenzen. Analysen mit diesen korrigierten Maßzahlen führen zu substantiell gleichen Ergebnissen wie die Analysen mit den nicht korrigierten Werten, die im Folgenden dargestellt werden.
- 3.
In Einklang mit den Befunden zu intraindividuellen Bewertungsunterschieden liegen die Korrelationen zwischen den Parteibewertungen (Bayern: 0,76, Deutschland ohne Bayern: 0,63) deutlich über jenen der Bewertungen der Parteivorsitzenden (Bayern: 0,27, Deutschland ohne Bayern: 0,31).
- 4.
In der Befragung zur Bundestagswahl 2017 wurden CDU/CSU, CDU und CSU separat als Identifikationsmöglichkeiten erfasst. Schlüsselt man die Befragten entsprechend auf, so zeigt sich außerhalb Bayerns, dass Personen, die CDU/CSU nannten, geringfügig kleinere Bewertungsunterschiede aufwiesen als die übrigen Befragten (Parteien: −0,03; Vorsitzende: −0,05) und sich die Anhängerschaft von CDU und CSU nicht von den übrigen Befragten unterschied. In Bayern zeigen sich deutlichere Unterschiede. Personen, die CDU/CSU nannten, wiesen geringere Bewertungsunterschiede auf als die übrigen Befragten (Parteien: −0,06; Vorsitzende: −0,10). Die wenigen Personen, welche die CDU nannten, bewerteten die Unionsparteien und deren Vorsitzende tendenziell unterschiedlicher als die übrigen Befragten, während bei der selbstdeklarierten CSU-Anhängerschaft vor allem die unterschiedliche Beurteilung der Vorsitzenden von CDU und CSU deutlich geringer ausfiel als bei den übrigen Befragten. Doch ist auch bei ihnen mit einem Mittelwert von 0,17 ein nennenswerter Unterschied zu beobachten.
- 5.
Für die Analyse wurden die Bewertungen der folgenden Politiker verwendet: CDU: bis Oktober 1998: Helmut Kohl; November 1999 bis März 2000: Wolfgang Schäuble; April 2000 bis Dezember 2017: Angela Merkel; CSU: bis Oktober 1988: Franz Josef Strauß; November 1988 bis Januar 1999: Theo Waigel; Februar 1999 bis August 2007: Edmund Stoiber; September 2007 bis September 2008: Günther Beckstein; Oktober 2008 bis Dezember 2017: Horst Seehofer.
- 6.
Die Korrelationen zwischen den Differenzvariablen in den Daten aus der Querschnittbefragung betragen 0,48 (außerhalb Bayerns) und 0,33 (Bayern) sowie für die Daten aus der Wahlkampfpanelbefragung 0,68 (außerhalb Bayerns) und 0,61 (Bayern).
- 7.
In den Antwortmöglichkeiten zur Frage nach der (geplanten) Wahlentscheidung sind CDU und CSU nicht getrennt ausgewiesen, sondern es wurde inner- und außerhalb Bayerns die Möglichkeit "CDU/CSU" angeboten. Diese Abweichung des Erhebungsinstruments von den Wahlmöglichkeiten bei der Stimmabgabe könnte die Befunde zugunsten der Hypothese, dass Dissonanzeffekte resultieren, verzerrt haben, sofern dieser Stimulus Befragten die Beziehung zwischen CDU und CSU bewusster gemacht hätte.
- 8.
Die substantiellen Befunde bleiben unverändert, wenn zusätzlich die Bewertungen von CDU und CSU kontrolliert werden (das trifft auch auf die weiter unten vorgestellten Ergebnisse zu). Gleiches gilt, wenn man in der Analyse der Paneldaten die Prädiktorvariablen aus der Vorwahlerhebung des Panels und die Wahlentscheidung aus der Nachwahlwelle verwendet.
- 9.
Es stand zusätzlich die Möglichkeit „Das stand schon vor einem Jahr fest“ zur Verfügung. Ihre separate Berücksichtigung beeinflusst die substantiellen Ergebnisse nicht, weshalb sie für die Analysen der Kategorie „seit langem“ zugeschlagen wurde.
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Schoen, H., Pesthy, M. (2021). Das Verhältnis zwischen CDU und CSU, dissonante Bürgerurteile und Wahlverhalten bei der Bundestagswahl 2017. In: Weßels, B., Schoen, H. (eds) Wahlen und Wähler. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33582-3_22
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