Auszug
Max Weber sprach in seiner Religionssoziologie von religiösen „Virtuosen“ — er meinte damit religiös besonders „qualifizierte“ und sozial hervorgehobene, „ihre Erlösung methodisch erarbeitende“ Individuen, denen oft besondere soziale Ehre zukam.1 In Anlehnung an Weber verstehen wir unter Virtuosen der Selbst-thematisierung eine Personengruppe, zu deren Stärken die Selbstreflexion gehört. An die Stelle von „Erlösung“ tritt’ selbstfindung’ oder’ selbstverwirklichung’. Virtuosen der Selbstthematisierung sind in besonderer Weise geschult, über sich selbst nachzudenken, sich zu beobachten und auf das eigene Selbst zu achten, das eigene Leben kontinuierlich zu thematisieren; Personen also, die in der Lage sein sollten, auch im sozialwissenschaftlichen Interview eine komplexe Selbstpräsentation bzw. -darstellung zu liefern. Die Hintergrundthese der folgenden Ausführungen ist, dass die Intensivierung einer Kultur der Selbstthematisierung ein solches Virtuosentum gefördert hat. In diesem Beitrag geht es darum, einige Aspekte dieses Virtuosentums mittels biografischer Interviews herauszufinden.
Weber 1972: 327 (dort auch Beispiele aus verschiedenen Religionen) — Zum religiösen Virtuosentum gehört auch ein gewisses Bewusstsein von Auserwähltheit. Selbstthematisierung kann auch heißen: Versuch der Selbstvervollkommnung; Verbesserung der Techniken der Lebensführung im Sinne von Selbstverwirklichung.
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© 2006 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden
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Burkart, G., Fröhlich, M., Heidel, M., Watkins, V. (2006). Gibt es Virtuosen der Selbstthematisierung?. In: Burkart, G. (eds) Die Ausweitung der Bekenntniskultur — neue Formen der Selbstthematisierung?. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90288-3_13
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