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Manifestationen von Frontalhirnschädigungen

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Neuropsychologie

Part of the book series: Springer-Lehrbuch ((SLB))

Zusammenfassung

Der erste aufgezeichnete Bericht über einen Fall mit ausgeprägter Verhaltensänderung aufgrund einer Frontalhirnschädigung erzählt die Geschichte von Phineas Gage. Der 25-jährige Vorarbeiter erlitt 1848 beim Eisenbahnbau in Vermont (New England, USA) einen tragischen Unfall. Bei der Vorbereitung einer Sprengung durchbohrte eine Eisenstange den vorderen Teil seines Schädels. Sie hatte eine so große Wucht, dass sie nicht im Schädel stecken blieb, sondern weiterflog und einen etwa 3 cm breiten Penetrationskanal hinterließ. Der Patient überlebte diesen Unfall. Bei der neurologischen Untersuchung fand sich zunächst lediglich ein kompletter Sehverlust des linken Auges. Motorik, Sen-sorik, Koordination und Sprache waren nicht beeinträchtigt. Allerdings entwickelte der Patient ausgeprägte Veränderungen in seinen Persönlichkeitszügen. Der zuvor für seine Besonnenheit und seinen ausgeglichenen Charakter bekannte Gage fiel nunmehr durch Respektlosigkeit und launisches Verhalten auf. Er wurde rasch ungeduldig, fluchte unvermittelt, wirkte manchmal halsstarrig und zeigte sich gegenüber Zukunftsplänen dann auch wieder sehr wankelmütig. Seine Entscheidungen waren impulsiv und nicht vorausschauend. Dies stand in starkem Kontrast zu den wenig veränderten sprachlichen und intellektuellen Fähigkeiten. Er konnte seinen alten Beruf als Vorarbeiter nicht mehr ausüben, sondern war nur noch zu Hilfsarbeiten fähig. Zeitweilig wurde er im Zirkus als Sensation vorgeführt. Im Alter von 38 Jahren verstarb er, wahrscheinlich in einem Status epilepticus. Die Fallgeschichte hat J.M. Harlow, ein praktizierender Arzt, detailliert aufgearbeitet und publiziert (Harlow 1868). Da keine Autopsie vorgenommen worden war, veranlasste er nach Gages Tod die Exhumierung der Leiche und dokumentierte so die knöcherne Verletzung des Schädels.

Hanna und Antonio Damasio haben den Fall wieder aufgenommen (Damasio et al. 1994). Sie publizierten eine computergestützte Rekonstrukion, die aus der Ein- und Austrittsöffnung der Schädelverletzung die Hirnläsion abschätzt (Abb. 42.1). Unter der Annahme, dass der linke Ventrikel nicht verletzt gewesen sein kann, da dies nicht hätte überlebt werden können, zeigten sie, dass der orbitofrontale Kortex sowie höher gelegene mittelliniennahe, mediale Teile des präfrontalen Kortex betroffen gewesen sein mussten (s. hierzu Abb. 42.2). Sie interpretierten den Fall Gage als ein Beispiel dafür, dass das Sozialverhalten als ein von der Vernunft geprägtes, besonnenes und vorausschauendes Verhalten, von der Intaktheit der medialen präfrontalen Strukturen abhängt. [Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Interpretation findet sich bei Macmillan (1996).]

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© 2003 Springer-Verlag Berlin Heidelberg

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Karnath, HO., Kammer, T. (2003). Manifestationen von Frontalhirnschädigungen. In: Karnath, HO., Thier, P. (eds) Neuropsychologie. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-08957-6_43

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